Hallo, vor kurzem habe ich zufällig diese Diskussion entdeckt und fand sie als Fan von Tarja speziell und Symphonic Metal allgemein überaus interessant. Ich würde gerne ein paar Fragen stellen und habe mich deshalb extra angemeldet, auch wenn ich selbst kein Musiker bin, nur interessierter Laie, also jemand, der richtigen Musikern gerne doofe Fragen stellt.
Singen tu ich nämlich nur gelegentlich in der Dusche oder beim Wandern, gerne laut und
over the top, weil ich solche Stimmen schon immer toll fand. In meiner Kindheit hatte ich immerhin mal ein bißchen Akkordeonunterricht und kann deshalb was mit Noten anfangen, habe auch ein paar theoretische Grundlagen, was sicher nicht schadet. Außerdem hatte ich bei meinem Sprachwissenschaftsstudium als Nebenfach Phonetik, woran ich mich immer erinnert fühle, wenn ich so etwas wie
das hier sehe.
In folgenden Videos singt Tarja für meine Begriffe rein klassisch:
2005, anscheinend ohne Mikro
2013, mit Mikro
2013, mit Mikro, nochmal dasselbe Stück zum Vergleich
(Ist ja "bloß" Operette ... *hust*)
Da liegen jetzt fast zehn Jahre dazwischen. Läßt sich da eine Entwicklung feststellen, Verbesserung oder (wie manche Metal-Fans behaupten) Verschlechterung, Nachdunklung o. ä.?
Unqualifizierte persönliche Einschätzung: OK, die Kontrolle ist wohl noch nicht gaaanz optimal (und ob die ganz hohen Noten wirklich so schneidend klingen sollten, ist mir auch nicht klar, wobei das auch ein technisches Problem sein kann hinsichtlich Ton-/Aufnahmetechnik und Codierung, das ist live besser zu beurteilen). Aber mal abgesehen von den (wenigen!) Symphonic-Metal-Sängerinnen, die nebenbei Profi-Opernsängerinnen sind (m. W.: Lori Lewis, Annlouice Loegdlund, Melissa Ferlaak), weiß ich keine, die auf einem höheren Niveau singt (Vibeke Stene höchstens). Das ist wohl so etwa das, was man von einer Crossover-Künstlerin erwarten kann, die ihre eigene Nische gefunden hat und mit den Profis gar nicht konkurrieren will und muß.
Und das andere Ende ihres Spektrums bildet wohl dies:
2014
Das ist jetzt in den Strophen natürlich sehr tief und mit wenig Vibrato. Aber ist das deswegen schon Belting? Es klingt für mich überhaupt nicht danach. Mein Empfinden deckt sich da durchaus mit ihrer Aussage, daß sie ihre klassische Technik im Prinzip immer beibehält (von ganz marginalen Ausnahmen vielleicht abgesehen – ich denke da an die die Folk-Passage in "The Siren", dieses "aaajajaa-jajaaa", das nun überhaupt nicht nach ihr klingt, obwohl sie es definitiv ist), und deshalb klingt es teilweise sehr merkwürdig, wenn sie Rockstücke (z. B. von Metallica oder Nirvana) covert.
Andererseits wird in
diesem Video durchaus von Belting im Bruststimmenbereich gesprochen.
Übrigens hatte ich bei "Passion and the Opera" subjektiv eher den Eindruck, daß sie am Schluß bei den ganz tiefen Noten große Mühe hatte – mir zieht es sich da im Rachen richtig zusammen – und ihr "Wohlfühlbereich" eigentlich viel höher liegt, was auch zu ihren eigenen Aussagen paßt, daß sie – trotz dunklem Timbre – eindeutig ein Sopran ist und daß sie in der Schule immer das Gefühl hatte, Popsongs seien für ihre Stimme viel zu tief. Den unteren Bereich hat sie sich erst später richtig "erobert", ab Wishmaster/Century Child. So schwer und dramatisch ist ihre Stimme von Natur aus gar nicht, und ihre Tessitur ist sicher eher im oberen Bereich, in der ein- und zweigestrichenen Oktave, angesiedelt.
Gaby Koss (bekannt von Haggard) hat mir übrigens mal erzählt, daß sie in den mittleren Lagen 95 dB (gemessen!) erreicht, sogar mit Popstimme, und in den höheren (ab c'') sogar bis zu 110–120 dB. Das klang in der Diskussion hier bei Euch teilweise so, als würden klassische Sänger
nur durch den Sängerformanten bzw. das Resonanztuning laut klingen und wären gar nicht sooo laut, aber offensichtlich ist das gar nicht so, sie können sich allein schon durch reine Lautstärke duchsetzen. Vielleicht habe ich das auch falsch verstanden. Aber es ist doch nicht so, daß die empfundene Lautstärke reine Trickserei wäre!
Wie würdet Ihr eigentlich Sabine Edelsbacher von Edenbridge einstufen? Bei länger gehaltenen Noten kommt da schon ein Vibrato, aber so "klassisch" wie bei Nightwish oder selbst Epica klingt das eigentlich nicht. Eher nach Musical vielleicht.
Wobei "Twin Flames" von Epica oder Tarjas "Medusa" für mich auch stark nach Musical klingt, aber da liegt es wohl hauptsächlich an der Melodieführung, irgendwie. Andererseits stimme ich schon zu, daß Symphonic-Metal-Gesang überhaupt eher musicalmäßig als klassisch orientiert ist, trotz oft klassischer Grundlage (jedenfalls bei den "Operatic Metal"-Bands), aber da stehen eher Musicals Pate, die selbst schon eher klassisch angehaucht sind, vor allem eben das Phantom der Oper, denke ich. "Halbklassisch" beschreibt es wohl wirklich am besten. Irgendwie hybride, aber schon Musicals sind ja so hybride und unter sich vielfältig und daher stilistisch schwer mit den üblichen Schubladen zu greifen. Rockopern/Konzeptalben (Ayreon, Avantasia) sind ja auch mehr Musicals als alles andere (Vergleiche mit
Oratorien sind aber bei manchen auch schon gezogen worden), wobei "Jesus Christ Superstar" beispielsweise ja ursprünglich ein Album war und andererseits Vanden Plas ihr Album "Christ 0" auch als Musical aufgeführt haben. Deshalb kann man schon eine enge Verwandtschaft zwischen Musical und Symphonic Metal konstatieren.
Bei Within Temptation (ich kenne nur die ersten drei Alben) hat es mich immer besonders gestört, daß Sharons hohe und tiefe Lage so deutlich auseinanderfallen. Sie scheint da hörbar "umzuschalten" und keinen fließenden Übergang hinzubekommen. Da merkt man dann doch die fehlende Ausbildung. Mittlerweile singt sie anscheinend nur noch mit Bruststimme. Simone punktet hingegen mit Vielfalt (mittlerweile hauptsächlich eher rockig, aber immer wieder mit "opernhaften" Akzenten, also Kopfstimme) und Floor mit ihrer Rockstimme. Liv Kristine ist die Spezialistin für die kleine Stimme, den elfenhaften, hauchigen Gesang. Aber im klassischen Bereich kann von den bekannten Symphonic-Metal-Sängerinnen kaum eine mit Tarja konkurrieren.