@Martman:
Meinst du nicht, dass sowas für eine "LIVE" Band völlig überfrachtet ist? Nicht umsonst machen ja selbst die Originalinterpreten unterschiedliche Live-Versionen, die teilweise viel lebendiger klingen, weil hier auf Schnickschnack verzichtet wurde und die Musiker auch fast alle Parts selbst spielen. Klar müssen Sequenzerfiguren, oder Drumloops eingefolgen werden, oder wenn man umbedingt Songs mit Orchester, oder Bläser-Sektion haben möchte, muss man hier sich was einfallen lassen.
Es ist meines Erachtens ein Unterschied, ob ein Originalinterpret einen seiner eigenen Songs live darbietet, oder ob eine Coverband sich anschickt, den Song ohne Wechsel in ein völlig anderes Genre zu spielen.
In ersterem Fall sind die Fans eben dieses Interpreten die Zielgruppe. Wenn es nicht gerade die jeweilige Generation BRAVO ist, erwarten sie, daß der Interpret live was mit dem Song macht, was umarrangiert, das Ganze interessanter gestaltet, und zwar selbst dann, wenn die Studioversion schon grandios war.
In letzterem Fall sind es eben nicht zwingend die Fans des Interpreten, den man covert, sondern Leute, die diese Musik zufällig aus dem Radio kennen. Die sie da gern und oft gehört haben. Die sie vielleicht dadurch recht gut im Ohr haben. Meines Erachtens wirkt das auf solche Leute eher abschreckend, wenn man umarrangiert oder gar ausdünnt, als wenn man so nah und glaubwürdig wie möglich das Original nachspielt. Warum wohl bauen professionellen Top40-Bands aktuelle Hits mit unglaublicher Akribie bis zum kleinsten Sounddetail nach? Weil sie mit Umarrangieren als Kompromiß keine so lukrativen Gigs an Land gezogen kriegen.
Ein Beispiel was du bestimmt kennst. Jarres Hong Kong Live Album. Für mich das BESTE Jarre Live-Album, weil hier die Songs mal nicht nach Studio klingen, obwohl sie "Live" sein sollen. Ein echter Drummer, der teilweise sehr geschmackvolle Grooves spielt usw. Natürlich werden hier auch Sequenzen eingeflogen, aber das Album lebt wenigstens wie es sich für Live gehört.
Siehe oben. Die Diehard-Jarre-Fans, derer ich selbst einer bin,
erwarten bei Live-Versionen gewisse Abweichungen. Die wollen einen leibhaftigen Drummer, einen leibhaftigen Bassisten, ein live eingespieltes Keytarsolo bei Magnetic Fields 2, kleine Unterschiede zum Original bei Laser-Harp-Parts. Wenn ich in einer Jarre-Tributeband spielen würde, würde ich das auch machen, weil ich da keine NDR1-Gelegenheitshörer als Zielgruppe hätte, sondern Jarre-Fans, die den glorreichen Zeiten eines Paris La Défense oder Oxygen In Moscow (gerade auch musikalisch) nachtrauern. Da muß es klingen, als ob Jarre und seine Leute das live bringen, und nicht, als ob jemand eine Jarre-CD eingeworfen hat oder zufällig Jarre im Radio läuft. Wenn Jarre oder jemand aus seiner Truppe es live mal gemacht hat, oder wenn es denkbar wäre, daß die es live machen, ist es erlaubt.
Martman hat einen hohen Anspruch an Authentizität zur Studio CD. Ich halte das für problematisch, weil oft nicht umsetzbar, und wenn, dann nur mit hohem Aufwand, den kaum einer im Publikum wirklich würdigt.
Das kommt meines Erachtens auch aufs Ausgangsmaterial an. Wir spielen gern und viel im Original überarrangierten Orchester-R&B aus der Zeit um 1980. Da steckt irrsinnig viel Gehirnschmalz und irrsinnig viel Arbeit in den Originalarrangements. Da sind nicht einfach etliche Stimmen aufeinandergeschmissen, so daß man locker 80% ausdünnen könnte. Sondern das ist so arrangiert, daß man, wenn man kein ganz neues Arrangement schreibt, durch Weglassen Lücken ins Arrangement reißt.
Stichwort Intro von In The Stone: Sowohl die Streichergrundlage als auch die als Fundament liegenden Posaunen, die den Baß spielen, als auch die Hörner, die die Trompetenleadstimme komplementieren, sind wichtig. Ohne Streicher klingt's dünn. Da muß was liegen, um den Sound anzufetten. Ohne Posaunen fehlt das Baßfundament, weil eine Baßgitarre nicht lange genug gleichmäßig genug klingt. Und die Hörner füllen die Lücken in der Trompetenfigur auf.
Auffüllen von Lücken. Passiert bei Earth, Wind & Fire ständig, ganz besonders auf dem überarrangierten Album I Am. Wenn man Parts wegläßt, die kein normaler Bandkeyboarder mitspielen würde, tun sich Lücken im Arrangement auf.
Außerdem bedeutet das viel Konzentration, Stress und auch Unsicherheit auf der Bühne, weil halt auch mal schnell was schief gehen kann. Für mich steht eher Spass auf der Bühne im Vordergrund.
Wie die Musiker doch unterschiedlich sind.
Mir macht es nämlich einen Heidenspaß, mit den Händen bei Boogie Wonderland von einer Tastaturzone zur anderen zu fliegen und hinter der Keyboardburg den Mad Wizard raushängen zu lassen. Sieht bedeutend cooler und eindrucksvoller aus, als seine beiden Hände immer in derselben Pianistenlage zu haben.
Zumal ich dadurch zum Ausdruck bringen kann, daß ich eben kein Pianist bin und auch keinen pianistischen Hintergrund habe (für die, die das noch nicht wissen), sondern zuallererst Synthesizerspieler bin. Das Jonglieren mit Sounds ist für mich Serious Business, die möglichst nahe Annäherung an ein gegebenes Originalarrangement eine Frage der Ehre. Covernde Synthesizerspieler sind ein ganz besonderer Musikerschlag.
In Jarre-Fankreisen gibt es irrsinnig viele Synthesizerspieler, von denen viele auch Jarre nachspielen. Bei denen geht der Zwang zur Authentizität so weit, daß sie sich eine Eminent 310 Unique in die Bude/auf die Bühne wuchten, weil selbst ein Solina String Ensemble nicht originalgetreu genug
klingt. Das sind Amateure, aber im Vergleich zu denen klingt Ed Starink wie ein erbärmlicher Scharlatan. Es gehört einfach dazu, so nah ans Original zu gehen, wie man irgendwie kann. Deutliches Entfernen vom Original, das vermeidbar gewesen wäre, klingt wie a) Equipment gibt nicht mehr her, b) Musiker gibt nicht mehr her oder c) Musiker ist faul/gleichgültig. Besonders die letzteren beiden Punkte läßt ein Synthesizerspieler nicht auf sich sitzen. Man hat viel Geld für Equipment ausgegeben. Man ist umgeben von aberwitzigen Mengen an Technik mit aberwitzigen Möglichkeiten. Und man hat die Fähigkeiten, aus dem Zeug verdammt viel rauszuholen, technisch richtig in die Tiefe zu gehen. Da sollte doch wohl erwartet werden, daß man von all dem auch Gebrauch macht.
Um auf I Feel Love zurückzukommen: Ich würde es tatsächlich arrangementmäßig so nah wie möglich am Original spielen, und zwar aus drei Gründen:
a) Weil es geht.
b) Um zu beweisen, daß es geht, und die Leute zu beeindrucken, die sich nie hätten vorstellen können, daß das tatsächlich mal einer machen würde.
c) Weil die Nummer sich durch genau diesen Sound definiert, mit dem Giorgio Moroder den Clubsound der folgenden 25-35 Jahre vorgegeben hat.
Die einzige Veränderung, die ich
vielleicht bewußt und geplant einbauen würde, wäre eine Prise Acid in Form von Filterfahrten auf der Baßsequenz im Mittelteil. Wahrscheinlich nicht mal das.
Alle Stilelemente, die "I feel love" ausmachen, findet man fast identisch auch bei "The Chase" wieder, wobei dieses nach "I feel love" kam.
Da ist folgendes:
- ein echtes Schlagzeug mit fetter Bassdrum und Hihat (die durch einen Phaser geschickt wurde)
- einen sequenzten tiefen Synthi mit kurzem, rhythmischen Delay als rhythmische Hauptfigur
- ein Clavinet, welches die gespielten (also ohne Delay) Synthi-Töne mit tiefen, knurrigen Tönen doppelt
- eine Rhythmusgitarre, die schnelle Anschlagsgeräusche (mir ist der Fachbegriff dafür gerade entfallen) spielt, die durch einen Flanger mit weit aufgedrehtem Feedback laufen
- eine elektronische Snaredrum, die nichts anderes ist als ein gepitchtes Noise mit Hüllkurve, wahrscheinlich von einer echten Snare getriggert bzw direkt von der Moog Drum kommend, die es da ja bereits gab.
- ein polyphones Synth-Crescendo
bei "The Chase" ist die Snaredrum eine echte, und sehr fett, dafür fehlt das Clavinet
Moment. Soweit ich weiß, ist vom Schlagzeug höchstens die Bassdrum echt,
und das soll ein mehrtaktiger Loop sein, den Keith Forsey mal eingespielt hat. Die Snare ist 100% synthetisch, das Hi Hat ist 100% synthetisch. Von einer Gitarre weiß ich nichts; der Song wurde meines Erachtens bis auf die Bassdrum und das Clavinet komplett auf Moog-Synthesizern eingespielt. Die Baßfigur ist bei I Feel Love im Gegensatz zu The Chase tatsächlich eine Sequenz,
der Stepsequencer von Robbie Wedels Moog Modular (4 Kabinette, genaues Modell unbekannt) wurde mit einer Referenzspur auf dem Multitracktape synchronisiert, während die Bässe bei The Chase von Greg Mathieson händisch auf einem Minimoog gespielt wurden. Fast der gesamte Rest von I Feel Love stammt aus Robbie Wedels Modular, von den Hi Hats bis hin zu den mehrstimmigen Flächen (man hört, daß es ein Monosynth ist, weil jede Stimme separat geflanged ist). Und um Unklarheiten vorzubeugen: Die Baßfigur ist tatsächlich genau eine (1) Achtelfigur, die über ein (wenn man genau hinhört, nicht absolut clocksynchrones) Tapedelay um 1/16 gedoppelt wurde.
Martman