Vorweg zwei Punkte zum Verständnis für die, die es nicht wissen:
Ich bin Keyboarder. Aber nicht technophober, die Einfachheit liebender Pianist, ich habe nie Klavier gelernt, sondern perfektionistischer Synthesizerspieler und Soundfrickler, und das schon seit etlichen Jahren. Im Gegensatz zu vielen Vollblutsynthetikern kann ich allerdings händisch spielen. In der Band setze ich vier Klangerzeuger und einiges an Peripherie ein. normal sind ein bis zwei Keyboards.
Die Band, in der ich spiele, ist eine reine Coverband, aber keine Top40-Berufsband, sondern ein Hobbyprojekt von sechs beruflich anderweitig beschäftigten Leuten, das sich auf zumeist tanzbaren Soul, Funk, R&B und Vergleichbares von Mitte der 70er bis die 80er durch konzentriert (Kool & The Gang, Diana Ross, Chaka Khan, Earth, Wind & Fire, George Benson, Bill Withers, Commodores, Michael Jackson etc.). Besetzung: f-voc, m-voc 1/kb 2, m-voc 2/bg, m-voc 3-kb 1 (ich), g, dr. m-voc 1/kb 2 ist Pianist. Teile der Band existieren schon seit 1979.
Gerade in meiner Situation bevorzuge ich das exakte Nachspielen, und zwar mit originalen oder möglichst originalgetreuen Sounds. Das hat zwei Gründe:
Zum einen mein Synthesizerhintergrund. Wenn Synthesizerspieler etwas covern, ist es eine Frage der Ehre, sowohl alle Melodielinien, Begleitfiguren, Arpeggien, Basslines usw. note für Note genau nachzuspielen als auch die Originalsounds exakt zu replizieren. Viele gehen gar so weit, nur zu diesem Zweck das Originalequipment zu kaufen, und für einen gebrauchten, technisch veralteten Polysynth, der vor 30 Jahren oder früher auf den Markt kam, kann man schon mal 5000-7000 € hinlegen. Aber wenn im Original ein Jupiter-8 zu hören ist, kann man den Sound nur aus einem Jupiter-8 holen. Ganz so weit gehe ich nicht, aber ich lasse mich nicht mit 08/15-Werkssounds abspeisen und versuche, auch synthesemäßig mich ans Original anzulehnen (für Analogsounds und FM keine Samples usw.) Natürlich versuche ich, auch bei den von mir gespielten Parts keine Kompromisse zu machen, auch dann nicht, wenn ich ein ganzes Orchester emulieren muß.
Zum anderen habe ich oft das Gefühl, wenn eine Hobbyband etwas nachspielt und dabei Dinge offensichtlich vereinfacht, daß das keine Kreativität ist, sondern entweder mangelndes Wissen/Können oder Gleichgültigkeit oder beides zusammen. Nach dem Motto: "Ich weiß/kann es nicht besser, is mir auch egal, ich mach mir das jetzt einfach und entschuldige es mit Kreativität." Genau das soll niemand von mir behaupten können, insbesondere, weil wir sehr aufwendige, anspruchsvolle Musik spielen, wo Vereinfachungen und weggelassene Passagen oder Figuren bzw. Andere Klänge schnell auffallen.
Mir tut es ja schon weh, wenn ich Parts weglassen muß, weil sie händisch nicht mehr spielbar sind, insbesondere neben dem ganzen anderen Zeugs, das ich gleichzeitig auch noch spiele. Leider spielen wir ohne Klick, sonst könnte ich einen Sequencer mitlaufen lassen, wie es bei Profibands üblich ist, und sei es als Clock, um Sequenzen und Loops mit nicht manuell spielbaren Figuren händisch präzise und tempogenau einstarten zu können.
Für all das gehen eine Menge Zeit, Nerven und Geld für Equipment drauf. Aber das Publikum honoriert den Aufwand. Auf jeden Fall hat sich noch keiner beschwert, unsere Musik sei überladen. Im Gegenteil, ausgerechnet das von mir aufwendigst arrangierte In The Stone (mit sechsspurigem Orchester-Sequencer-Intro) hat den Sänger einer anderen Band dazu inspiriert, den Song ins eigene Repertoire zu übernehmen. Es zahlt sich also aus.
Martman