Mögliche Erklärungen meinerseits (auch Zusammenfassung des Thread):
- Derjenige ist ein Endorser, kann aber mit dem Gerätepark seines Endorsement-Partners nicht alles machen. Beispiel: Yamaha-Endorser, der schön mit Motifs ausstaffiert wird. Jetzt braucht er aber ein Stagepiano/eine Stageorgel in einer Qualität und mit einem Funktionsumfang, der sogar die Motif XS übersteigt (ja, das gibt es). Also: Clavia Nord Stage gekauft. Dann braucht er einen Synthesizer, der wirklich nach Synthesizer klingt, und wo er auch dran rumschrauben kann. Also: Access Virus gekauft. Damit da jetzt aber nicht Geräte rumstehen, auf denen nicht Yamaha steht (sondern Clavia und Access), werden da die Markennamen abgeklebt.
- Wie ProgRog sagte: Er ist eben kein Endorser. Das könnte man aber glauben bei all den, sagen wir, Roland-Geräten, die er zur Burg um sich gruppiert hat.
- Derjenige macht sich nichts aus Markenkult, er hat sogar was gegen Markenkult. Dann werden auch die alten Analogen abgeklebt.
- Er hat was gegen bestimmte Marken, kommt aber nicht umhin, bestimmte Produkte von denen zu benutzen, weil es keine adäquaten Alternativen gibt.
- Er ist Amateur, hat das mal bei Profis gesehen und glaubt, die machen das alle so, das ist also cool.
- Er muß auf einer Veranstaltung spielen, bei der Markenzeichen aller Art weitestgehend verboten sind.
- Auf Tour sollen Kratzer an den Beschriftungen auf der Rückseite vermieden werden.
Bei Jarre dürften wohl etliche Geräte noch von den 90ern abgeklebt sein, als er für diverse Firmen Werbung machte (etwa Kurzweil, Quasimidi). Trotzdem hat er in seiner Quasimidi-Phase den (abgeklebten und nicht beim Namen genannten) Nord Lead 2-Prototypen on stage getestet.
Das Irre gerade bei Synthesizern ist ja, daß Abkleben nicht dazu taugt, die Identität eines Synth zu verschleiern. Wer mit dem Marken- und Modellnamen was anfangen kann, erkennt das Gerät auch auf Augenschein, der braucht gar keine Beschriftung.
Der Tastenmann von Bernard Allison hat aus Roland immer Poland gemacht....
Und bei den Dresden Dolls wird aus KURZWEIL KURTWEILL.
Spass beiseite, bei den keys gibts wohl sowas nicht wie Markenpiraterie???
Gibt's aus mehreren Gründen nicht:
Bei Gitarren gibt's eine Handvoll Standardformen, die jeder wiedererkennt, und die immer wieder kopiert werden. Stratocaster, Telecaster, Les Paul. Vielleicht noch ES oder Flying-V oder dergleichen. Klar, viele Hersteller haben auch ihre eigene Formsprache, aber der Wiedererkennungswert gerade bei Strat, Tele und Paula ist immens. Nicht nur werden diese Gitarren vom Originalhersteller seit Jahrzehnten fast unverändert gebaut, es gibt sie dann auch noch unter preiswerteren Marken, die mit dem Originalhersteller in der einen oder anderen Form verbandelt sind, als Nachbauten von richtigen Marken, als Nachbauten von Billigfabrikaten und Hausmarken und als Chinaklone mit dem geklauten Originalmarkenzeichen, aber in minderwertiger Qualität.
Genau das gibt's bei Keyboards nicht. Klar gibt es Tasteninstrumente mit einem optischen Wiedererkennungswert, der zumindest auf andere Keyboarder zutrifft. Etwa Minimoog, ARP 2500, Yamaha CS80, Korg MS-20, EMS Synthi AKS, Roland Juno-6/60/106, um nur einige zu nennen, und auch da nur Vintage-Synthesizer. Aber:
- Es gibt etliche davon, nicht nur drei. Piraten hätten eine ziemlich große Auswahl und müßten auch wissen, was sie denn da klonen, um die Richtigen anzusprechen.
- Nicht nur kamen die Dinger auf den Markt, als es Strat, Tele und Paula schon lange gab, sie werden auch schon seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut, weil sie damals einfach veraltet waren, während Strat, Tele und Paula in 100 Jahren noch gebaut werden, weil es "veraltet" bei Gitarren nicht gibt. Folglich würde ein Synthesizerkäufer stutzig werden, wenn ihm irgendwoher ein brandneuer ARP 2600 für den Bruchteil des aktuellen Gebrauchtpreises angeboten wird - der ARP 2600 wurde vor 28 Jahren eingestellt, den kann es gar nicht mehr neu geben. Und natürlich werden die Dinger nicht mehr - wenn irgendwo ein ARP 2600 auftaucht, fragt man sich doch, wo der herkommt.
Ein anderer Punkt, in dem sich Keyboarder von Gitarristen unterscheiden: Bei Gitarristen sind Optik und Markenname oft extrem wichtig. Wenn es nur entfernt wie eine Tele aussieht, wirkt es für Gitarristen wie gewollt und nicht gekonnt. Und es gibt Hardcore-Paulafans, die nicht mal tot mit einer Epiphone in der Hand erwischt werden wollen. Viele gehen aus Kostengründen Kompromisse ein, kaufen sich die chinesische Hausmarkenstrat und träumen davon, eine echte Fender aus den 60ern zu halten. Es ist eben häufig ein Marken- und Modellkult, der eine Menge mit dem optischen Eindruck zu tun hat - auch mit dem Sound, klar, aber eben ganz besonders mit dem Aussehen, und gerade viele Einsteiger setzen hier ihre Präferenzen. Es hat eben was, wenn praktisch jeder im Publikum die Form deiner Gitarre als eine dieser Kultformen identifiziert.
Bei Tasteninstrumenten sind aber Sound und technische Möglichkeiten wichtiger als bei Gitarren die Optik. Das sieht man allein schon an Nachbauten. Die meisten Nachbauten von Vintage-Synthesizern sind Software, und selbst da wird ganz genau hingehört, werden Nuancen beim A/B-Vergleich rausgehört, auch wenn ein Analogsynthesizer im Vergleich mit guter Software oft keine größeren Unterschiede zeigt als im Vergleich mit einem anderen Exemplar desselben Typs. Hardwarenachbauten längst nicht mehr hergestellter Geräte gibt's nur selten. "Neue" EMS-Synthis (die einzigen Synths, die je auf gitarrenmäßige Bauzeiten gekommen sind) sind in Wirklichkeit refurbished, und auch das nur mit Originalteilen, weshalb die Wartezeiten ewig und die Preise aberwitzig sind. Die Hammond New B-3 würde sicherlich keiner kaufen, wenn sie sich nicht wie eine Original-B-3 anhören würde. Und die x0xb0x (Selbstlötclone der Roland TB-303) wird aus denselben, inzwischen extrem seltenen Komponenten zusammengebaut wie die originale TB-303, um so dicht wie möglich an den Originalsound zu kommen. Daß sie nicht mal entfernte Ähnlichkeit mit einer TB-303 hat, viel größer ist, und daß die TB-303 im Gegensatz zur x0xb0x kein MIDI hat, spielt keine Rolle.
Das Problem für Produktpiraten beim Klonen elektronischer Musikinstrumente ist also, daß die Technik so verdammt wichtig ist. Die Optik ist ratzfatz kopiert, und die meisten Bedienelemente kommen von Zulieferern. Moog hat z. B. diese berühmten Potikappen nicht selbst entworfen, sondern von der Luftfahrtindustrie bezogen, genau wie etliche Synthhersteller heute (ich sag nur MicroKorg). Da kommen Piraten also auch ran. Aber ein Klon von einem Synth muß auch genauso klingen und das Gleiche können wie das Original. Und sogar in einem monophonen Analogsynthesizer ohne Speichermöglichkeiten und ohne MIDI steckt mehr Technik als in einer E-Gitarre nebst Amp - Technik, die trotzdem möglichst 1:1 geklont werden müßte.
Wenn einer ein Gehäuse in Minimoog-Optik um eine selbstgelötete Klangerzeugung aus dem Elektronikbaukasten zimmert und vielleicht sogar etliche Knobs und Schalter unbelegt läßt, dann geht das bei keinem Keyboarder, der nicht wirklich total ahnungslos ist, als Minimoog-Klon durch. Wir reden hier von Musikern, die darüber diskutieren, welche
Seriennummern desselben Modells besser klingen als andere.
Jetzt habe ich schon erwähnt, daß Synths nicht lange produziert werden. Außer einigen EMS-Modellen wird wohl kein einziger elektronischer Klangerzeuger aus dem 20. Jahrhundert mehr gebaut. Wenn also ein Vintage-Gerät neu auftaucht, ist das höchst verdächtig. Zumal Neuauflagen (Mellotron, Minimoog/Voyager Old School, Fairlight) gegenüber dem Original immer modifiziert und vorsichtig modernisiert sind.
Wenn Markenpiraten also etwas klonen wollen, müssen sie sich an aktuelle Geräte halten. In denen steckt aber noch um ein Vielfaches mehr an Technik als in den alten Analogteilen. Die meisten sind mehr oder weniger kleine Computer, die mehrere Jahre Entwicklungsarbeit und entsprechende Fertigungsmöglichkeiten erfordern. Und das Anbieten von Billigklonen lohnt sich nur dann wirklich, wenn das Original entsprechend teuer ist. Nur:
- Kaum ein Produktpirat wird sich den Aufwand aufhalsen, z. B. eine Workstation zu klonen, auch wenn das Original 2500-3000 € kostet. Die ist dann nämlich nicht wegen des Namen, der Optik oder irgendeiner Signature-Serie so teuer, sondern weil da Technik für 2500-3000 € drin verbaut ist. Die muß er mitklonen.
- Wenn auch die Software kopiert werden kann - einschließlich der Samples -, braucht man immer noch die Hardware, auf der der ganze Kram dann läuft. Und wir reden hier von hochspezialisierter Hardware mit entsprechend angepaßter Software, nicht von Windows-PCs von der Stange.
- Wenn er das nicht tut, fällt es ruckzuck auf. Es ist unmöglich, einen Keyboarder zu täuschen, indem die Technik einer Medeli-Tischhupe in ein imitiertes Yamaha Motif XS6-Gehäuse eingebaut wird.
- Dem Keyboarder ist es nicht "egal, solange Yamaha und Motif drauf steht".
- Wie gesagt, eine nagelneue Motif für 600-1500 € ist verdächtig. Das einzige Mal, daß bei einer hochwertigen Workstation ein extremer Preissturz akzeptiert wurde, war bei der Alesis Fusion, und die hatte so einen schlechten Ruf wegen ihrer anfangs vielen nervigen Bugs, daß man sie überhaupt nur zu Dumpingpreisen abstoßen konnte.
- Von keinem aktuellen elektronischen Musikinstrument gibt es einen wie auch immer gearteten Nachbau. Weder von Squier noch von Boss gibt es den V-Synth für 650 €.
- So manches aktuelles "Kultgerät" ist so billig, daß Klonen sich gar nicht lohnt.
- Und gerade im Keyboards-Bereich werden Einkäufer im Einzelhandel ganz genau hingucken, woher sie die Geräte einkaufen, so daß man ihnen gar keine Billignachbauten unterjubeln kann.
Wenn es für Produktpiraten so einfach und lukrativ wäre, Keyboards zu kopieren, würde dann nicht schon längst der Markt mit Klonen von Roland-Umhängekeyboards überschwemmt? Das würde sich nämlich lohnen, zumal Preise unter 450 € für ein AX-1 oder AX-7 zum Himmel stinken würden, weil die Dinger heute noch gebraucht teurer sind als damals neu.
Prinzipiell gibt es sowas im großen Stil, wenn auch eher in heimischen Wohnzimmer. Ich meine damit Billigst-Klaviere aus China, Korea usw., die mit hochwertig klingenden deutschen Markennamen geschmückt werden. Diese Marken hatten oft sogar eine ruhmreiche deutsche Klavierbauervergangenheit, die Schrott-Instrumente haben damit aber nichts mehr zu tun.
Markennamen, ja, das stimmt, und das gibt's auch im elektromagnetischen oder elektronischen Bereich. Hammond-Suzuki ist ja zum Beispiel auch nicht mehr die Marke Hammond, die damals die B-3 gebaut hat. Und in den 90ern steckte unter Geräten, auf denen "Oberheim" stand, Technik vom italienischen Ex-Heimorgelbauer Viscount. Warum wohl waren Oberheims auf einmal 1. bezahlbar und 2. virtuell-analog?
Aber ganze Modelle werden nicht als Billigvarianten aus Fernost importiert. Okay, viele Niedrigpreisgeräte werden sowieso schon in z. B. China gefertigt, aber outsourcenderweise mit dem Know-How und der Qualitätskontrolle des Markeninhabers. Ist also nicht so, daß - semi-fiktives Beispiel - Waldorf die Neuauflage des Q statt mit eigener Technik nur mit eigener Frontblende und in China
entwickelter, funktional minderwertiger Technik produzieren ließ.
Zum Thema Korea: "Made in Korea" gebietet bei Keyboardern Ehrfurcht. Es war nämlich die südkoreanische Pianoschmiede Young Chang, die mit ihren Kurzweil-Überfliegerworkstations (zu Überfliegerpreisen) in den 90ern der versammelten etablierten japanischen Konkurrenz in den Hintern getreten ist. Eine Grund-K2xxx kostete damals nicht selten so viel wie ein entsprechendes Gerät von Roland, Korg oder Yamaha mit einer ziemlichen Ausbaustufe, konnte aber Sachen, die man bei den Japanern nicht mal nachrüsten konnte. Kurzweils Ankündigung, der K2000 FM zu verpassen, die von Yamahas Anwälten gestoppt wurde, hatte übrigens nichts mit Piraterie zu tun - Kurzweil erdreistete sich einfach, selbst eine FM-Funktionalität zu entwickeln, mit der die K2000 einem SY77 wohl überlegen gewesen wäre, statt brav beim FM-Monopolisten Yamaha die drittklassigen 4-Operatoren-OPL-Chips zu kaufen, die eh nicht in V.A.S.T. integrierbar gewesen wären.
Martman