Zunächst mal für die, die es nicht wissen: Ich spiele in keiner Tributeband. Ich habe es auch nicht vor. Denn momentan spiele ich in einer "normalen" Hobby-Coverband, habe aber jetzt schon streckenweise Ansprüche und Ambitionen, die an eine Earth, Wind & Fire-Tributeband erinnern, die aus welchem Grunde auch immer keine Bläser haben, wo das Gebläse also komplett von den Tasten kommen muß. (So bescheuert das auch klingt.) Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ich in einer richtigen Tributeband landen würde, die nicht einfach nur 'n bißchen Piano, Rhodes und Hammond im Hintergrund braucht.
Tribute - Band ist ja bekanntlich eine einem einzelnen Künstler oder einer einzelnen Band zugewandte Coverband, die versucht, die Originale so genau wie möglich wiederzugeben.
Dazu zählt sowohl die musikalische Interpretation (Original-Sounds, Spielweise) wie auch der Look des Original-Acts.
Hier zählt also mehr als bei einer normalen Cover-Band: wie nahe komme ich an die Originale ran? Wobei diese sich durchaus rausnehmen dürfen, live ihre eigenen Werke mal völlig anders zu verwursteln, während dies in einer Tribute-Band keine Option ist...
Trefflich beschrieben.
Live-Umarrangieren ist ein Thema für sich. Gerade bei komplizierteren Acts, deren Studioversionen live nur unter großen Schwierigkeiten umsetzbar sind, heißt es immer wieder: Spielt doch 'ne Liveversion!
Das Problem dabei ist: Nicht bei jedem Vorbild kennen die Zuschauer originale Liveversionen.
Ich zitiere mich mal aus einem anderen Thread über Tributebands:
Ich würde grundsätzlich unterscheiden zwischen vier Zuhörergruppen:
- Der Gelegenheitshörer. Kennt die Originale hauptsächlich aus dem Rundfunk.
- Der moderate Fan. Hat zumindest die wichtigsten Alben, kennt musikalisch also mehr als das, was im Radio läuft, sowohl reine Albumtracks als auch Albumversionen von Songs, die für den Singlerelease oder fürs Radio gekürzt wurden. Kann das eine oder andere Livealbum haben, muß aber nicht.
- Der Hardcore-Fan. Hat mindestens alle regulären Releases, häufig zusätzlich Raritäten, definitiv auch diverse Livealben/-videos, und auch Konzertbootlegs finden sich in seiner Sammlung. Verfügt außerdem über ein umfassendes Wissen über das Original.
- Der Musikerpolizist. Überlappt mit einem der drei obigen Typen, achtet aber zusätzlich auf das verwendete Equipment, die Spielweise der Musiker und je nachdem, welchem Instrument er sich normalerweise widmet, noch mehr auf die klangliche Authentizität als der Hardcore-Fan, weil er als Musiker hören und nachvollziehen kann, wie der Klang gemacht wird.
Mit Sicherheit mit Live-Versionen kriegt man nur die Hardcore-Fans, die diese Live-Versionen auch kennen. Bei moderateren Fans sind es vielleicht einige wenige, die die eine oder andere Live-Version kennen. Und unter den Nicht-Fan-Gelegenheitshörern ist das niemand. (Ausnahmen wie Blues Brothers oder Cheap Trick, wo manche Sachen
nur in Live-Versionen bekannt sind, zählen hier mal nicht.)
Beispiel wäre The Musical Box, eine kanadische Band, die die Genesis der 70er nachspielt, vornehmlich aus der Zeit, als Peter Gabriel noch dabei war, und komplett prä-
And Then There Were Three, als Steve Hackett noch dabei war. Ich wage mal zu behaupten, das Publikum von The Musical Box besteht zu mindestens 80%, wenn nicht 90% aus 70er-Jahre-Genesis-Fans, also Progheads. Einige gehen da hin, um die alten Genesis mal live zu sehen, aber ich schätze, mindestens 30% haben das als Hardcore-Fans schon entweder sie waren selbst damals dabei, oder sie haben die entsprechenden offiziellen oder Bootleg-Livemitschnitte oft genug gesehen und wissen daher ganz genau, wie die
Selling England By The Pound-Tour aussah.
Gelegenheitshörer spielen in so einem Publikum keine Rolle. Denen bringt es nichts, eine Band wie The Musical Box zu sehen, weil sie gar keine Vergleichsmöglichkeit haben. Ich meine, die alten Progsachen von Genesis laufen weder im Popradio noch im Schlagerradio noch im Oldieradio. Womöglich verirren sich diese Leute teilweise ins Konzert (Konzert, nicht Gig), weil sie Genesis gelesen haben und jetzt die Ab-1986-
Invisible Touch-Poprock-Genesis erwarten, die sie aus dem Radio kennen, um dann festzustellen, daß sie nicht einen einzigen Song kennen, der da gespielt wird, und die Musik gar nicht nach dem klingt, was sie unter Genesis verstehen, sondern total kompliziert und verkopft ist. Und Peter Gabriel kennen diese Leute prä-
Up! ("Sledgehammer") sowieso nicht.
Weil nun geschätzte 30-40% des Publikums die originalen Live-Versionen kennen und auch zuordnen können und der Rest auch Fan genug ist, um sich von Abweichungen der Live-Versionen von den Studioversionen nicht beirren zu lassen, und tatsächlich erwartet, daß
The Musical Box ein tatsächliches Genesis-Konzert repliziert, statt eine Art Best of Genesis-Studioversionen auf die Bühne zu bringen, ist hier der Nährboden für den Erfolg von Live-Versionen vorhanden.
In vielen anderen Fällen hingegen ist das Publikum eventueller Live-Versionen nicht kundig/bewußt und wird mit Befremden darauf reagieren, wenn man Elemente (gerade Kompromisse, aber auch Arrangementänderungen) von Live-Versionen verwendet. Die kennen ihre Lieblinge aus Radio (Radio Edits, Single Edits, hinreichend kurze Albumversionen, 100% Studio), Fernsehen (Sendungen wie
Top of the Pops sind 100% Playback, also auch wieder Studio; Livemusik kriegt man heute fast nur noch auf 3sat und ZDF Kultur) und Studioalben bzw. Studiodownloads. Sie haben aber keine Livekonserven. Folglich wissen sie nicht (jedenfalls nicht mit Sicherheit), was ihre Lieblinge live so machen, wie ihre Lieblinge live so klingen. Wenn die zu einer Tributeband gehen, wollen sie hören, was sie kennen. Und das sind die Studioversionen, Punkt.
Bei Gelegenheitshörern ist es schon schwierig genug, die sechsminütige Albumversion zu spielen, wenn sie aus dem Radio nur die dreieinhalbminütige Single- oder Radioversion kennen. Die Fans wiederum werden einem das übelnehmen, wenn man eine gekürzte Fassung spielt. Als ob man das Album nicht kennt und aus dem Radio nachspielt.
Für den Keyboarder heißt das in der Praxis nun: Kompromisse, die beim Original bei Liveversionen angewandt werden, sind in den meisten Tributebands tabu. Bei Tributebands, die eher in Arenen und auf der NDR-Bühne spielen als im Vorabendslot auf einer 8×6-Meter-Bühne auf einem kleinen Stadtfest als Vorprogramm zu einer Top40-Band, die Begriffe wie "Illusion" oder "perfekte Kopie" verwenden oder gar mit Superlativen um sich werfen, bedeutet das: Studioversion replizieren. Das ganze Arrangement und alle Sounds, und zwar nicht so ungefähr, sondern so nah am Original wie menschenmöglich. Im Falle von Queen hieße das: Die Prophet-5-Akkorde von "Who Wants To Live Forever" kommen vom Pro-12 ASB oder vom Origin, idealerweise von einem leibhaftigen Prophet-5 der richtigen Bauserie,
aber ganz bestimmt nicht von einem Rompler.
Gerade in wirklich hochwertigen, der Perfektion verschriebenen Tributebands kommt dann auch noch die Diskrepanz zwischen originalgetreuem Sound, originalgetreuem Bühnenbild und dem technischen und preislichen Aufwand zum Tragen. Nehmen wir mal als abstraktes Beispiel die im Rockbereich üblichen Hammond und Rhodes.
- Hammond plus Leslie und Rhodes kommen vom Rompler. Meinetwegen Roland Juno-Di. Ist billig, ist leicht zu transportieren, klingt aber nicht original (weil nur Festeinstellungen vorhanden sind und alles relativ einfach mit Samples abgewickelt wird) und sieht auch nicht original aus.
- Hammond und Rhodes kommen vom roten Schweden, das Leslie ist ein Ventilator. Klingt schon viel näher am Original, ist aber teurer und sieht immer noch nicht original aus.
- Echte Hammond B3, echtes Leslie 122, echtes Rhodes Mk II. Klingt absolut original, sieht absolut original aus, ist aber in Sachen Kosten (Hammond für 11.000 , Leslie für 5.000 usw.), Transport (Spezialflightcase für eine ungechoppte B3, die auch nur aufrecht transportiert werden darf) und Instandhaltung (Techniker und Ersatz für alle Verschleißteile werden vor Ort gebraucht) ein Alptraum.
Immer noch sind ABBA mein Lieblingsbeispiel für eine extrem schwer umzusetzende Band. Hier kommen Live-Versionen überhaupt nicht in Frage. ABBA leben von ihren Studioversionen, auch schon deshalb, weil das einzige Live-Album von ABBA drei Jahre nach der Auflösung der Gruppe und ohne deren Mitwirkung erschien und sogar noch nachbearbeitet wurde, und weil die Band schon so lange weg vom Fenster ist, daß kaum hochwertige Live-Bootlegs im Umlauf sein dürften. Somit ist der Anteil der Hörer, die man mit Live-Versionen verwirrt, relativ hoch. Und diejenigen, die sich darüber freuen, sind dieselben, die einen Nerdgasmus kriegen, wenn man einen der Songs einbaut, die ABBA live gespielt, aber nie auf ein Album gepackt haben, also die maximal 5% Hardcore-Übergeek-Fans, die besagte Songs bzw. besagte Live-Versionen innerhalb weniger Sekunden zweifelsfrei erkennen.
Die Frage, die man sich beim Replizieren von ABBA stellen muß, ist nicht: "Wie würden sich ABBA heute live anhören?" Auch nicht: "Wie haben sich ABBA 1980 live angehört?" Sondern: "Wie haben sich ABBA 1980
im Studio angehört?" Denn
der Sound ist es, den die Leute kennen. Der ist es, den die Leute hören wollen.
Somit sind ABBA einerseits sehr, sehr schwierig umzusetzen. Andererseits verlangen ABBA geradezu nach Perfektion. Und als ABBA-Tributeband muß man sich ständig gegen viel hochwertige Konkurrenz behaupten können, die zu mehr als der Hälfte mit Superlativen um sich schmeißt und in Sachen Optik und Sound (vornehmlich Gesang) in die Vollen geht.
Ich möchte mich zu dem Thema noch einmal selbst aus dem oben schon einmal genannten Thread zitieren, denn ich denke, zu ABBA ist hier alles gesagt.
ABBA wurden hier genannt, und ein ABBA-Tribute (bzw. meine Äußerungen dazu) war auch in einem anderen Thread der Auslöser für diesen hier. ABBA sind meines Erachtens ein Sonderfall, weil sie an sich eine breite Hörerschaft ansprechen von der Hausfrau bis zum Synthesizernerd. Somit hängt es von der Tributeband und deren Konzept ab, wie weit sie gehen muß.
Im Gegensatz zu vielen anderen sehe ich den Synthesizerteil bei ABBA als sehr anspruchsvoll und nicht zu unterschätzen an. Gerade die Alben ab Arrival leben von einem dichten Elektronikarrangement und ganz besonderen Klängen, die eben nicht jeder x-beliebige Rompler aus dem Ärmel schüttelt. Diesen ganz besonderen Sound nimmt selbst der Nichtnerd, sogar der Nichtmusiker, unbewußt wahr und wird es sicherlich nicht negativ auffassen, wenn man schön nah an den Originalsound kommt. Noch dazu ist ABBA mit zwei Händen nicht spielbar. Wenn nun eine ABBA-Tributeband der gehobenen Mittelklasse die vier Frontleute optisch und stimmlich sehr treffend nachbildet, und dann steht da ein (1) Keyboarder und spielt auf einer Yamaha MOX8 eine schmerzhaft aufs Allerallernötigste kastrierte Fassung von Benny Anderssons einst so opulenten Arrangements, dann paßt das in meinen Augen nicht zusammen.
Auch wenn es wirklich schwierig ist, Bennys teilweise arg exotische und heutzutage immer noch nicht geklonte Synths (z. B. Moog Polymoog, Yamaha GX-1, NED Synclavier) überzeugend oder auch nur strukturell nachzuahmen, so sollte man trotzdem nicht vollends resignieren und sich aus absolute Minimum beschränken, wenn mehr als die Hälfte der Band auf Authentizität erpicht ist. Da sollte man schon mindestens den Aufwand betreiben, den man normalerweise einer Hammond mit Leslie oder einem Rhodes widmet.
Wohlgemerkt, das ist noch für ungefähr dieselbe Zielgruppe wie Mamma Mia. Noch schwerer hat es eine Tributeband, die die perfekte ABBA-Illusion bieten will, um im gnadenlosen Konkurrenzkampf der hochwertigen ABBA-Tributebands bestehen zu können, und neben Softoldiehörern und alten wie neuen ABBA-Fans sicherlich auch den einen oder anderen Synthfreak und/oder Angehörigen der Musikerpolizei anlockt, der sehen will, ob die Band hält, was sie verspricht. Zum einen braucht man entweder Zuspieler oder vier Keyboarder. Fünf, wenn der Bühnenbenny auch in die Tasten zu greifen gedenkt, denn manche Songs erfordern auch mal weit mehr als zwei oder vier Hände an Synthesizern, man kann nicht alles zweihändig spielen (als nicht klavierverdorbener Vollblut-Synthfreak schon gar nicht), und den Bühnenbenny kann man nicht überzeugend in eine Tastenburg setzen, die unter anderem ein bis zwei Arturia Origins oder gar einen Laptop enthält.
Denn das Equipment ist das andere Problem. Originalsound auf dem Niveau der besten Tributebands der Welt erfordert Originalequipment. Ausweichen auf ABBAs Livegear kommt nicht in Frage, weil von ABBA nicht so viele Liveaufnahmen, offiziell oder Bootleg, kursieren (es gibt genau ein offizielles ABBA-Livealbum), als daß auch nur die Hardcorefans, geschweige denn moderatere Fraktionen, sich an replizierten Original-ABBA-Liveversionen ergötzen würden, jedenfalls weniger als an den Albumversionen. Somit ist man als ABBA-Tributeband praktisch gezwungen, die Studioversionen zu spielen zu replizieren, wenn man wirklich eine ABBA-Illusion auf absolutem Top-Niveau anstrebt.
Erstes Problem damit: Für die perfekte Replica auf dem Niveau der Australian Pink Floyd Show bräuchte man das Originalequipment. Und noch mehr Keyboarder, weil ABBA sich aufgelöst haben, bevor es MIDI gab. Das Originalequipment ist aber teilweise selten, teuer, schwer zu handhaben und anfällig. Der gern für Bässe eingesetzte Minimoog ist da noch am einfachsten zu kriegen und zu warten wohlgemerkt, man braucht immer noch mehrere, weil es in einer Livesituation undenkbar ist, mal eben einen anderen Sound einzudrehen, weil 1971 die Synthesizer noch keinen Speicher hatten man konnte froh sein, den Minimoog nicht mehr mit Patchcords verdrahten zu müssen , und weil der Synthlauf in S.O.S. alleine schon drei Minimoogs benötigt. Das krasse Gegenteil ist die schon erwähnte Yamaha GX-1. Ein weißer Koloß im Gewand einer zweieinhalbmanualigen Konzertorgel. Ungefähr 13 (dreizehn) Stück haben Japan nur verlassen, vermutlich wurden weniger als 50 gebaut, und man darf eine mittlere bis hohe fünfstellige Summe in Euro zahlen, um eine zu erwerben, so denn mal eine zum Verkauf angeboten wird (Benny Andersson hat für seine um die 70.000 US-Dollar hingelegt). Der Spieltisch wiegt 300 kg, die Bank wiegt 67 kg, das Vollpedal wiegt 20 kg. Backstage müssen zwei schalldichte Kammern eingerichtet werden zum originalgetreuen Abmikrofonieren der beiden jeweils 141 kg schweren Yamaha-TX II-Röhrenkabinette. Das Ding ist vollanalog, 100% spannungsgesteuert, diskret aufgebaut (nix mit Chips oder so), und wenn sie nach einer Weile warm ist, darf man 36 Voicecards einzeln nachstimmen. Normalerweise sollte die GX-1 sich nach einem Temperaturwechsel zwei Wochen akklimatisieren. Und wenn mal was kaputtgeht, braucht man Yamaha-Techniker, um sie zu reparieren, und einen Schutzengel, der dafür sorgt, daß nichts kaputtgeht, wofür es keine Ersatzteile mehr gibt. ABBA sind (im Gegensatz zu Led Zeppelin) meines Wissens nie mit der GX-1 getourt, aber wir wollen ja keine Tour nachspielen, sondern die Studioversionen. Außerdem
haben Abb Again wohl mal in Erwägung gezogen, tatsächlich eine GX-1 anzuschaffen, dann aber statt dessen die halbe Welt nach einem (mutmaßlichen) CS80 abgegrast.
Man könnte versuchen, dieses Problem mit realitätsnahen Emulationen zu umgehen. Minimoog-Klone gibt's genügend, sogar in reiner Hardware hat man die Wahl zwischen Arturia (Origin) und Creamware (Use Audio Plugiator, Creamware Noah, Creamware/Sonic Core Minimax ASB), die sind alle näher am Minimoog als ein Voyager. Origin deckt außerdem noch ARP Odyssey Mk I und Avatar (mit 2600-Teilen), Roland Jupiter-8, Sequential Circuits Prophet-5 (sofern Benny keinen V3 mit CEM-Chips hatte), und mit etwas Glück kann man aus (hauptsächlich oder ausschließlich) CS80-Modulen einige der GX-1-Sounds basteln, die dann nur noch eine überzeugende Röhrenampsimulation brauchen. Mellotron M400 und Yamaha CP80 dürften auch nicht schwierig sein, Yamaha GS-1 schon eher mit seiner Klangerzeugung mit zweimal vier FM-Operatoren (wirklich Frequenzmodulation, nicht die Phasenmodulation vom DX7). Die Stringmachine Yamaha SS-30 gehört dann zu den ersten Geräten, für deren Emulation ziemlich zwingend ein Computer gebraucht wird auf Oktavteilern basierende Stringmachines können mit Samples nur sehr ungenügend und virtuell-analog überhaupt nicht nachgebildet werden. Vom Synclavier II (digital, sehr aufwendiger FM-Synth, kam zum Glück erst ab 1980 zum Einsatz) gibt es kein Modeling-VSTi, geschweige denn eine Emulation auf Modelingbasis in Hardware, da steht man also komplett im Regen. Ein ähnliches Problem gibt's beim Polymoog, von dem es nur Samples der Strings gibt und von der Vox Humana der zweiten Generation beides für ABBA nutzlose Sounds. Das Synclavier-Problem kann man umgehen, indem man nichts aus dem letzten ABBA-Album The Visitors spielt, aber ohne wirklich überzeugendes Polymoog-Oktavteiler-Piano kein Eagle (derweil die Polymoog-Strings von Arrival mit 16 Instanzen eines polymoogbestückten, nicht einfach nur auf Kontakt aufsattelnden Stringmachine-VSTi nebst Amp-Simulation machbar wären). Und andere Moog-Emulationen können diesen charakteristischen Sound ebensowenig gut genug reproduzieren wie generische virtuell-analoge Synthesizer, von Samplern/Sampleplayern oder gar Romplern ganz zu schweigen.
Das Ganze nun auf die Bühne zu bringen im Rahmen einer ABBA-Show, die nicht nur eine akustische, sondern auch eine optische Illusion sein soll, stellt das nächste Problem dar. Wie gesagt, der Bühnenbenny ist mitnichten der einzige Keyboarder. ABBA hatten selbst schon mal vier Keyboarder gleichzeitig auf der Bühne (Benny nicht mitgezählt), somit wäre eine Keyboarderarmada denkbar. Aber die würden dann dastehen mit in Hardware gegossenen VSTis (optional), Laptops und Masterkeyboards klanglich authentisch, optisch nicht. Origins, falls vorhanden (weil unnötig, wenn Laptops dabei sind) als Module statt als Keyboards, zusammen mit den anderen Modulen und den Laptops ab in den Backstage, Masterkeyboards vintagemäßig tarnen sieht schon besser aus, klingt genauso, aber die Keyboarder haben auf ihre Gerätschaften keinen Zugriff mehr und müssen sie blind fernsteuern, wenn man nicht ein, zwei Synth-Techs im Backstage hat. Außerdem muß man irgendwie die eine oder andere Stagebox in den Backstagebereich legen. Backingkeyboarder nebst Equipment komplett in den Backstage dann darf man dem Publikum erklären, wo die ganzen Synthsachen herkommen bei einer angeblichen (tatsächlichen) Live-Show, und dann ist da noch das Backstage-Stagebox-Problem.
Ganz ohne Zuspieler kommt man nicht aus. Um einen wirklich authentischen ABBA-Sound zu kriegen, braucht man mehr als nur vier Gesangsstimmen. Ich denke dabei an Songs wie Lay All Your Love On Me oder Move On.
Daß eine solche Produktion nichts für Stadtfestbühnen ist, nicht mal für eine große NDR-Bühne (es sei denn, das ist der einzige Auftritt auf der Bühne den Tag), dürfte klar sein. Die paßt eher in Hallen und Arenen, wo die entsprechend hochwertigere, leistungsfähigere PA dem Soundaufwand gerechter wird.
Kurzum: Der Weg, den praktisch alle ABBA-Tributebands gehen (1 Keyboarder mit 1-2 Romplern), wird dem Perfekte-Replica-, ABBA-Illusion- und "Die beste ABBA-Tributeband..."-Anspruch nicht mal in Ansätzen gerecht. Alles, was diesem Anspruch mindestens ansatzweise gerecht werden würde...
- 4 Keyboarder mit Masterkeyboards und Laptops on stage
- 4 Keyboarder mit Masterkeyboards on stage und Laptops backstage
- mindestens 4 Keyboarder mit Original-Studioequipment on stage
...hat jeweils seine eigenen Probleme. Und...
- 4 Keyboarder mit Original-Liveequipment on stage
...ist ein Aufwand, der mangels Bekanntheit und somit Akzeptanz unter den Zuhörern das Ergebnis nicht rechtfertigt.
Martman