War es nicht so (korrigiere mich bitte gegebenenfalls), daß man bei diesen Instrumenten keine Klangfarben (d. h. Register) kombinieren konnte?
Doch, das können alle Orgeln, sonst wären es keine Orgeln. Alle haben sie unterschiedlich viele beliebig kombinierbare Sinus- und teilweise auch andere Register. Es müssen nicht immer die 9 Zugriegel pro Manual sein.
Die SX-C700 beispielsweise hat in den Tab Voices fürs obere Manual in dieser Reihenfolge:
- 16' (Sinus, Digital Drawbar)
8' (Sinus, Digital Drawbar)
5⅓' (Sinus, Digital Drawbar)
4' (Sinus, Digital Drawbar)
2⅔' (Sinus, Digital Drawbar)
2' (Sinus, Digital Drawbar)
1⅓' (Sinus, Digital Drawbar)
1' (Sinus, Digital Drawbar)
Strings 8' (String-Register à la Surf-/Psychedelic-Orgel)
Strings 4' (String-Register à la Surf-/Psychedelic-Orgel)
Percussion 5⅓' (Sinus)
Percussion 4' (Sinus)
Percussion 2⅔' (Sinus)
Percussion 2' (Sinus)
Key Click
Das zweite und dritte Register sind bei japanischen Orgeln generell gegenüber Hammond vertauscht. Und 1⅗' haben exklusiv die Vollorgel SX-F3 und die daraus abgeleitete Konzertorgel SX-A1, die teuerste Technics aller Zeiten. Dafür hat man vier Register gleichzeitig perkussiv und nicht perkussiv statt wie bei der B-3 umschaltbar.
Typische Sakralregister wie Diapason oder Tibia gibt's überhaupt nicht – wie auch, die Orgel kommt aus einem buddhistischen Land.
Das untere Manual ist etwas reduziert:
- 8' (Sinus, Digital Drawbar)
4' (Sinus, Digital Drawbar)
2' (Sinus, Digital Drawbar)
1' (Sinus, Digital Drawbar)
Strings 8' (String-Register à la Surf-/Psychedelic-Orgel)
Strings 4' (String-Register à la Surf-/Psychedelic-Orgel)
SX-F3 und SX-A1 haben zusätzlich 5⅓' und 2⅔', die übrigen Sinuschöre sowie Percussion und Key Click gibt es in keinem Modell.
Die Digital Drawbars gehen nur per Programmierung, es gibt also keine tatsächlichen Zugriegel, sondern die Taster sind als Wippen ausgeführt, mit denen in den Organ Presets (4 fürs obere Manual, 1 fürs untere; entsprechen ungefähr den Reverse-Tasten der B-3) oder in den Tab Voices direkt in Stufen von 0 bis 7 die Lautstärke geregelt werden kann. Aber Zugriegelreißen in voller Fahrt à la Gregg Rolie oder Jon Lord geht nicht.
Für jedes Manual separat gibt es zusätzlich noch den String-Ensemble-Bereich. Das heißt, bei den halbdigitalen Technics-Orgeln gibt es separate Registerbereiche für 60er-Jahre-Surf-/Psychedelic-Strings à la Farfisa/Vox (in einem Bereich mit den Sinusregistern) und 70er-Jahre-Ensemble-Strings à la Eminent/Solina mit jeweils eigenen Generatoren. Das obere Manual hat 16' Cello und 8' Violin, das untere hat 8' Cello und 4' Violin, jeweils einzeln oder auch beide zusammen einsatzbar.
Dann gibt es noch vier Klanggruppen, die jeweils entweder dem oberen oder dem unteren Manual zugeordnet werden können:
- Vocal Ensemble (chorartiger Sound, analog, Ensemble)
- Percussive Presets (Piano, Gitarre, Harpsichord etc., Multisamples, eigenes in drei Stufen regelbares Tiefpaßfilter)
- Poly Presets (hauptsächlich Bläser, nichtperkussiv, analog-subtraktiv, eigenes in drei Stufen regelbares Tiefpaßfilter mit per Preset festgelegter AD-Filterhüllkurve)
- Solo Synthesizer Presets (monophon, nichtperkussiv, Multisamples, eigenes in drei Stufen regelbares Tiefpaßfilter, Portamento zuschaltbar)
Das Vocal Ensemble hat nur einen Sound, die anderen Gruppen sind typische Presetgruppen im Stil der zweiten Hälfte der 70er, wo man jeweils nur eins wählen kann, ähnlich wie bei Multikeyboards oder einigen der ersten japanischen Synthesizer.
Über alles regiert der Orchestral Conductor, den Technics erfunden hat für die vorhergehende Orgelgeneration (SX-U
xy, bis auf die Drums der SX-U90 vollanalog), den sie bis zum Schluß sogar in Arrangern hatten, und den diverse andere Hersteller abkupferten. Der ist sozusagen eine zentrale Instanz, die Manualkoppeln und Löschregister einerseits vereint und andererseits durch etwas Effizienteres ersetzt. Da kann man nämlich jedem Manual jeweils die Klanggruppen zuweisen. Tonradorgeln haben nichts Vergleichbares.
Unterm Strich könnte ich am oberen Manual, wenn ich wollte, 21 Register gleichzeitig ziehen: 8 Sinuschöre, 2 60er-Jahre-Strings, 4× Percussion, Key Click, 2 Ensemble-Strings, Chor, 1 Percussive Preset, 1 Poly Preset, 1 Solo Synthesizer Preset. Dann bleiben mir unten noch 4 Sinuschöre, 2 60er-Jahre-Strings und 2 Ensemble-Strings.
Ach ja, das Baßpedal (13-Tasten-Stummelpedal, aber die Begleitautomatik dieser Orgelgeneration spielt jeden Hand-und-Fuß-Orgler an die Wand). Da sind immerhin noch die beiden nicht als Digital Drawbars ausgeführten Sinusregister mischbar (tatsächlich hat man da immer 16', wenn man eins wählt; 8' kommt dazu, wenn man beide wählt), mehr würde zu Mulm führen. Zusätzlich gibt es vier perkussive Register (Samples AFAIK) und vier nichtperkussive Register (analog), von denen eins ein Stringensemble ist; die übrigen acht gehen jeweils nur alleine.
Mal so am Rande: "Multi-Tremolo". Ein Rotary-Effekt, der näher an einem 122 oder 147 ist als alles, was Lear Siegler je an echten Rotaries in Farfisa-Heimorgeln geschmissen hat. Das "Multi" besagt nämlich, daß die Hörner separat emuliert werden und für Hörner und Trommel die Geschwindigkeiten (slow, fast) individuell einstellbar sind. Der Effekt ist auf OM und UM separat schaltbar und im Ganzen umschaltbar auf (Scanner-)Vibrato. Das einzige, was das Ding nicht kann, ist bremsen und Röhrenemulation.
Wie gesagt, damals war die Einstellung zur Orgel eine ganz andere. Entsprechend waren auch die Orgeln anders. Spätestens in den 80ern war Jazz an der Orgel nicht mehr Jimmy Smith auf der B-3 nebst Leslie 122 (außer man ist mit Klaus Wunderlich groß geworden, und selbst dann nicht immer), sondern Glenn Miller oder Benny Goodman nebst Big Band. Da kamen aus der Orgel dann die Drums, der Upright-Baß und Hörner, jede Menge Hörner, die sich auch tunlichst wie Hörner anzuhören hatten und nicht wie 9 Zugriegel und Tonräder. Das war auch die Zeit, wo James Last, Max Greger, Hugo Strasser & Consorten mit ihren Orchestern sehr groß waren und die großen Orgelentertainer wie Franz Lambert schon lange nicht mehr nur die Sinusregister spielten, sondern aus den zumeist deutschen Luxusorgeln (Wersi, Dr. Böhm) rausholten, was drinsteckte.
Auch der Hobbyist spielte damals nicht auf einer Clonewheelorgel Musik von Deep Purple oder Pink Floyd, sondern auf einer zumeist in Castelfidardo zusammengezimmerten Heimorgel die Musik aus der
ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck und/oder
Disco mit Ilja Richter und natürlich die Orgelarrangement-Klassiker von Wunderlich (Tico Tico!) bis Lambert, so weit das mit der 4000-Mark-Fiatorgel eben ging. (Orgeln waren teuer. Unter 2000 Märker blieb einem kaum was anderes als Bontempi oder billige Versandhausorgeln, die größte Farfisa kostete in den frühen 80ern DM 12.000, und Japaner waren noch teurer – die SX-C700 kostete damals neu 20 Riesen, für das Geld bekam man auch einen Opel Rekord Caravan, wo das Ding reingepaßt hat. Von den Preislisten von Wersi oder Böhm will ich mal lieber nicht reden, und dann mußte man die Dinger auch noch selber zusammenbauen. Dafür konnte man sie häppchenweise kaufen. Fertige Wersis oder Böhms hatten nur die, die damit Geld verdienten oder gar einen Endorsementvertrag hatten.)
Es gab ja damals auch so Notenhefte wie "pop e-orgel", die sich auch schon nicht mehr die Mühe machten, Begleitung auszunotieren, weil einerseits eh jede Orgel der späten 70er und der 80er einen Begleitautomaten hatte, andererseits die ersten Arrangerkeyboards noch so mickrig waren, daß viele trotz der horrenden Preise und Ausmaße des Instruments weiterhin zur Orgel griffen. Machte ja auch was her im Wohnzimmer, das Trumm in italienischem Walnußfurnier neben der Schrankwand in deutscher Eiche rustikal massiv. Daß eine Orgel intensiv genutzt wurde, erkannte man am obligatorischen irgendwo drapierten Kopfhörer zum Üben und den Noten auf dem immer aufgestellten Notenständer. Und wenn zu Familienfeiern bzw. Weihnachten das Ding in Betrieb genommen wurde und Papa (oder besser noch der Nachwuchs) damit auch umgehen konnte, war das immer ein großes Hallo in der Family, zumal Schwesterchens Blötflocke gegen die 2×40 Watt unterm Spieltisch nicht anstinken konnte (ich glaube nicht, daß je irgendjemand in einem Privathaushalt eine Heimorgel voll durchgetreten hat). Hausmusik 2.0 – einer für alles.
Die Generation "pop e-orgel" war auch die erste, die sich von Sinusregistern ab- und den anderen Registern verschärft zuwandte. Die waren nicht groß geworden mit Orgeln, die viele Sinuschöre und sonst nichts hatten; die Orgeln ihrer Zeit hatten entweder nur wenige andere Register, dafür aber auch nur 3 oder 4 Chöre am oberen Manual, oder sie hatten entsprechend mehr Register, daß niemand mehr die Sinuschöre wirklich brauchte, sofern es nicht wie Orgel klingen sollte. Letzteres war bis einschließlich obere Mittelklasse sowieso relativ sinnfrei; kein Hammondorgler hat je 80 8808 000 gezogen. Gängige Bauanleitungen für Streicher oder Bläser mit 9 Zugriegeln fielen auf keinen fruchtbaren Boden, wenn die Orgel nur 4 oder 6 Fußlagen hatte, dafür aber dedizierte "Strings"- oder "Brass"-Register. Als in den 80ern Samples sich mehr und mehr durchsetzten und einige Orgeln gar neben den gewohnten Sinusregistern
Samples anderer Orgeln enthielten, waren es endgültig nur noch Altorgler, die die klassischen Sinuschöre benutzten.
Zwischen den Profis, bekannt aus Funk und Fernsehen, und dem Heimorgler stand damals der Alleinunterhalter. Mambo Kurt macht das, was er macht, weder grundlos, noch hat er es erfunden. Der Alleinunterhalter kam nicht von der Tonradorgel über die Comboorgel. Wenn, dann kam er vom Klavier oder Akkordeon plus Rhythmusgerät (man machte ja Tanzmusik); noch eher kam er aus dem Nichts. Weil er mit dem Tastensarg Geld machte, hatte er ein besseres Budget als Papa zu Hause und konnte sich zum einen bessere Orgeln und zum anderen öfters mal 'ne neue leisten als Papa zu Hause.
In der ersten Hälfte der 70er zog man noch mit Heimorgeln los, weil die Combos nichts konnten. Was Choppen war, wußte damals kaum einer, außerdem hatte man an einer ungechoppten Orgel die Lautsprecher gleich mit dran. Man saß zwar mit dem Rücken zum Publikum, aber das tat auch der Pianist, und so konnten die Leute einem zumindest beim Spielen zugucken. Die Hersteller dachten zumindest für den Heim- und Mobilentertainer so weit, daß sie den meisten Orgeln inzwischen Rhythmusgeräte einbauten, die berüchtigten vollanalogen Klopfgeister, die qualitativ nicht selten noch unter analogen Standalone-Rhythmusmaschinen standen.
Mitte der 70er wurden dann die ersten Heimorgeln mobil. Gerade aus Deutschland (Wersi) und Italien (Elka, in geringerem Umfang Farfisa) kamen damals Instrumente, die man nicht mehr wirklich als Comboorgeln bezeichnen konnte, weil der ungeschrumpfte Spieltisch einer Heimorgel der gehobenen Mittel- oder Oberklasse in Tolex gewickelt und auf Chrombeine gestellt wurde. Das war auch die Zeit, wo die italienischen Orgelbauer sich stilistisch von deutschen oder niederländischen Orgeln mit leichtem Sakraleinschlag ab- und amerikanischen Orgeln zuwandten. Aber nicht alten Hammonds, sondern aktuellen Lowreys mit Unmengen an bunten, marmorierten Schalterkappen, goldener Beschriftung und beleuchtetem Spieltisch oder gar amerikanischen Theaterorgeln mit um den Orgler herum gebogenem Bedienpaneel. In den frühen 80ern verließ man den Ami-Kitsch mehr und mehr und orientierte sich Richtung Japan oder versuchte in Farfisas Fall was ganz Eigenes.
Jedenfalls, mit den "transportablen Orgeln" ging einiges mehr. Schwer waren sie immer noch, teuer auch, aber man mußte nicht mehr alles auf einmal tragen und konnte Boxen und etwaige Verstärker separat aus dem Kombi holen, in dem sich der ganze Krams dann auch noch kleiner machte. Und man konnte die Orgel mit der Rückseite (die jetzt nicht mehr einfach eine dünne Faserplatte war) zum Publikum drehen, den Leuten beim Tanzen zugucken und allen zeigen, von welcher Marke die Orgel war.
Die Bandbreite des Könnens bei den Entertainern war groß. Auf'm Dorf kam man schon mal mit Skills knapp oberhalb des orgelnden Familienvaters oder -opas, entfernt erkennbaren Wunderlich-Arrangements und ohne Gesang davon; machte ja nichts, wenn die Konkurrenz auch nicht besser war. Dann gab's aber auch die, die so ziemlich jede Gesellschaft zum Kochen brachten, eine breitere Musikpalette drauf hatten und aus den Orgeln einiges rauszuholen vermochten. Geld war damals so oder so damit zu machen, und wenn's gut lief, konnte Mitte der 80er auf Japaner upgegradet werden – Elka X605 wich Technics SX-C600, Elka X705 und Farfisa Professional 120 wichen Technics SX-C700, letztere ersetzte bei einigen Großen im Geschäft auch mal die riesige SX-U90 Professional. Mit besseren Sounds und besseren Rhythmen ging's in die nächste Saison.
Das heißt, Mitte der 80er kam ja der erste große Arranger für Entertainer – das Yamaha PS-6100, das das klappbare Paneel des Technics SX-KN7000 vorwegnahm und zusätzlich einen versenkbaren Notenständer hat. Wer das kaufte, hatte aber entweder vorher keine Orgel besessen oder "Rücken", denn vor Publikum machte der halbe Zentner Orgel mehr Eindruck als dieses dunkelgraue Brett auf X-Ständer. Gerade Yamaha verjüngte die Orgel damals radikal; zur 4OP-FM-Klangerzeugung kam bei den H-Modellen ein jugendzimmerkompatibles Gehäuse, das leicht in mehrere Teile zerlegbar war und nicht mehr die Anmutung des wuchtigen Musikmöbels hatte. Die Konzertorgel HX-1 (GX-1 meets Tarnkappenbomber und nimmt den FS1R vorweg) geriet gar so abgespacet, daß sie im Schwarzenegger-Streifen
Running Man vorkommt; Sinusregister hat sie keine mehr, ist also eher ein zweimanualiger, zwei Zentner schwerer AWM/FM-Arranger, aber die Zielgruppe benutzte eh keine Sinusregister für die Popmusik, die sie nachspielte. Andere Hersteller hielten ihre Orgelgehäuse fortan zumindest dunkler oder gar schwarz und nicht mehr in Naturholzoptik.
Die 80er gehörten noch lange der Orgel, auch wenn in Einsteigerbereichen sich langsam Keyboards ausbreiteten. Technics brachte ja sogar noch die volldigitalen transportablen SX-C300 und SX-C800 (letztere mit einem Flugzeugcockpit von einem Spieltisch, der aber keine 30 Kilo mehr wiegt), zog in den späten 80ern aber im Profi-Arrangerbereich an Yamaha vorbei, und als das SX-KN800, eigentlich fast schon eine "Workstation mit Begleitautomatik", von den Möglichkeiten her auch Technics' transportable Orgeln überflügelte, gab's kaum mehr einen Grund, noch mit Orgeln loszuziehen, die SX-C800 sollte die letzte transportable Technics-Orgel bleiben, und der eigentliche Siegeszug des Arrangers ging los. Derweil griff Elka mit der Concept-Reihe und Yamaha-FM-Technik nach den Sternen, verhob sich aber und wurde von GEM geschluckt. Von da an konnten Orgeln allenfalls noch in Japan, Yamahas nie versiegender Propaganda sei Dank, Neueinsteiger gewinnen; anderswo wurden Orgeln fast nur noch von denen gekauft, die sie schon in den 70ern spielten, sonst würde Lowrey a) schon lange keine Orgeln mehr bauen und b) sie bestimmt nicht so stylen, wie sie es tun.
Die elektronische Orgel geriet derart schnell in Vergessenheit, daß Musikergenerationen nachwuchsen, die mit "Orgel" nur noch die Hammond B-3 assoziierten, weil die mit der Vintage-Retro-Welle der 90er wieder in Mode kam, zusammen mit dem Analogsynthesizer und dem Rhodes, das endlich den DX7 wieder verdrängte.
Martman