Wiederholung in aktuellen Texten

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Seid gegrüßt, ihr Wahnsinnigen, die ihr der Sprache Tag für Tag neue Zugeständnisse an euren kreativen Geist abgewinnen wollt! (das war ja mal ne lange Anrede...)

Dies ist ein Thema ohne Songtext, trotzdem mit ein paar Gedanken, die mir kamen.

Ich experimentiere gerne, musikalisch und textlich, und habe in letzter Zeit über die herkömmlichen Strukturen des populären Liedguts nachgedacht. Nicht direkt "Pop" als Musikstil, denn erwähnte Paradigmen finden sich auch beispielsweise im Rock oder Jazz. Mir geht es vor allem um ein wichtiges Element der heutigen Musik, ein Element, das gefühlte 100 Prozent aller Texte hier (realistisch wohl 98 Prozent) beinhalten.

Mir geht um die Wiederholung, die in Musik und Text sehr oft vorzufinden ist. Egal ob Lady Gaga, AC/DC oder Roger Cicero: es gibt "Hooks", die im Ohr bleiben sollen, dementsprechend oft wiederholt werden. WARUM es das gibt, darüber will ich nicht streiten. Der Gedanke eines Grundthemas in der Musik, welches das Stück lang präsent ist, ist Jahrhunderte Jahre alt, und nun in klarer Form auch in aktuellen Texten vorzufinden. Es war also schon immer so überpräsent, dass man sich wirklich sehr daran gewöhnt hat.

Nun gibt es natürlich auch neue Musik, welche diese Struktur aufbricht - ob Zwölftonmusik da als gutes Beispiel genannt werden kann weiß ich nicht, aber es ist klar, was ich meine. Auch Texte sind hier geschrieben worden, die aufgrund der fehlenden Eingängigkeit nicht im öffentlich Ohr verhaftet sind. Das gibt es alles, keine Frage - aber auch darauf zielen meine Überlegungen nicht ab.

Es geht mir vielmehr um etwas ganz simples: kann es "populäre" Musik (oder U-Musik, wenn diese Unterscheidung jemandem eher geläufig ist) geben, welche keine Wiederholung beinhaltet? Kann ich als Musiker, der etwas für die breite Masse schaffen will, mich von den alteingebrachten Strukturen lösen? Und, ganz wichtig: wurde das schon getan, und mir fällt grad einfach kein gutes Beispiel ein?

Ich frage hier, weil es mich interessiert, ob vielleicht die erfahrenen Texter unter euch sich schon Gedanken darüber gemacht haben, neue Wege zu beschreiten, zu probieren - vielleicht es getan und damit untergegangen sind. ;)

Danke im Vorraus für interessante Anregungen. :)
 
Eigenschaft
 
Hey Mondluchs.

Du wirst hier denke ich viele verschiedene Meinungen zum Thema hören! :)

Hier die meinige.

Ich halte es nicht zwingend für nötig die Struktur des Refrains oder eines Hooks einzuhalten. Ich merke bei vielen Songs die ich so höre, dass es häufig auch andere nur einmal auftretende Stellen sind, die sich mir besonders einprägen, von denen ich nen Ohrwurm hab etc. Ich denke auch, dass die musikalische Unterlegung da eine große Rolle spielt. Ein guter Riff, ein einprägender Schlagzeugbeat, was weiß ich, kann noch effektiver sein, als eine Textstelle selbst.

Aber back to Topic.
In der Tat ist es ja eine altbewehrte Form, die im Großen und Ganzen besser anzukommen scheint, als diese "aufgebrochene Strukturen", wie du sie so schön nanntest.

Da komm ich gerade aber noch auf einen ganz anderen Gedanken. Gedichte z.B., die teilweise gut an Songtexte in dem Sinne herankommen, bleiben auch im Kopf und verwenden häufig keine Hooks oder Refrains.

Wie dem auch sei, hoffe mein wirres Zeug versteht man überhaupt :D

Gruß,
huzzi
 
W
  • Gelöscht von foxytom
  • Grund: ein wenig mehr Inhalt darf es schon sein
Ah, Herr Dylan kreuzt wieder meinen Weg - so langsam sollte ich mich mit diesem Monolithen des Textschreibens intensiver beschäftigen...

Der Song hat per se keine direkte Hook, das stimmt schon, und trotzdem ein allgemeines Thema, welches gut rüber kommt (auch wenn ich bei Dylan noch nicht sicher bin, wie ich ihn einschätzen soll - er ist der Erste, wo ich mehr mit dem Herz als mit dem Kopf die Texte verstehe). Jedoch gibt es auch hier zwei ganz stark wiederkehrende Elemente in der Form: zum Einen die Musik, ein sich wiederholender Blues (schließlich geht es hier um SONGtexte, hab bewusst Musik in meinem Anfangsbeitrag angesprochen), zum Anderen das Reimschema. Bei nochmaligen Drüberschauen sehe ich einen weiteren Aspekt: die Anrede, in jedem Vers gibt es mindestens einen Imperativ, wie das besungene Du sich verhalten soll.

Das soll den Song nicht abwerten, im Gegenteil: genau das ist die Kunst, das Grundschema der Wiederholung auszudehen, zu variieren und damit etwas Tolles zu schaffen. Aber ist halt wieder das Grundkonzept der Wiederholung, das für mich sehr präsent ist...
 
Der Song hat per se keine direkte Hook, das stimmt schon, und trotzdem ein allgemeines Thema, welches gut rüber kommt (auch wenn ich bei Dylan noch nicht sicher bin, wie ich ihn einschätzen soll - er ist der Erste, wo ich mehr mit dem Herz als mit dem Kopf die Texte verstehe). Jedoch gibt es auch hier zwei ganz stark wiederkehrende Elemente in der Form: zum Einen die Musik, ein sich wiederholender Blues (schließlich geht es hier um SONGtexte, hab bewusst Musik in meinem Anfangsbeitrag angesprochen), zum Anderen das Reimschema. Bei nochmaligen Drüberschauen sehe ich einen weiteren Aspekt: die Anrede, in jedem Vers gibt es mindestens einen Imperativ, wie das besungene Du sich verhalten soll.

Das soll den Song nicht abwerten, im Gegenteil: genau das ist die Kunst, das Grundschema der Wiederholung auszudehen, zu variieren und damit etwas Tolles zu schaffen. Aber ist halt wieder das Grundkonzept der Wiederholung, das für mich sehr präsent ist...

Auch die an anderer Stelle erwähnten Gedichte bleiben meist deshalb gut hängen, weil irgendeine Regelmäßigkeit vorliegt. Sei es ein Reim (Klangwiederholung), eine sich wiederholende klangliche Phrase, ein bestimmter Rhytmus, der sich wiederholt, oder auch eine Wiederholung, die durch die Realisierung mehrerer Strophen entsteht, die ihrerseits auf der gleichen Melodie gesungen werden. Selbst wenn diese Melodien nur ähnlich sind, etwa weil der Lauf der Melodie in einer anderen Tonart auf gleiche Weise seinen Gang nimmt, ist das auch wieder nur eine Art von Wiederholung.

Das Thema finde ich sehr interessant. Wenn man sich ältere poetische oder musikalische Werke anschaut, sind jene, die zu Evergreens geworden sind, fast immer solche, die sich durch besondere Reime, durch einprägsame, sich wiederholende Melodien oder durch besondere Rhythmik auszeichnen, ob es nun Gedichte oder Musikstücke sind. Regelmäßige Strukturen fallem einem mehr auf als unregelmäßige, beliebige; man kann sie sich oft besser merken - ganz unwillkürlich.
Schon eine einprägsame Melodie hat etwas von "Wiederholung", nämlich die Wiederholung bekannter Melodieverläufe, die man schon beim ersten Hören im Voraus ahnt. Melodien dagegen, die chaotisch organisiert sind, bleiben nicht so leicht hängen, es sei denn, die unerwarteten Akkorde erzeugen in ihrer Folge eine besondere Spannung, die die Aufmerksamkeit fesselt. "The House Of The Rising Sun" ist für mich so ein Beispiel. Erst gestern habe ich mal versucht, dieses Lied (aus dem Kopf) nachzuspielen. Ein D-Dur, gefolgt von einem F-Dur hätte ich nach a-moll und C-Dur nicht erwartet, denn es klingt irgendwie schräg. Aber genau das macht den Charakter dieses Stückes aus und brennt sich in das Feeling dieses Liedes ein.

So gesehen kann auch mal eine krasse Abweichung von einem bekannten Schema sehr einprägsam sein.

Freundliche Grüße,

guri311
 
Hi,
ich glaube die sinnvolle Reduzierung der "Message" eines Textes auf eine eingängige Hookline im Refrain,
ist genauso wie die Verwendung von immer wieder erfolgreichen Kadenzen oder Intervallen (Vergl. "Die Pop-Formeln")
eine gute Strategie für den erfolgsuchenden Songwriter und Texter.

Innovativ ist das allerdings noch nicht und der kreative Künstler (immer auf der Suche nach dem Besonderen, dem Alleinstellungsmerkmal) wird sich damit nicht zufriedengeben.

Bezogen auf die Texte sind es oft nicht die ständig wiederholten Refrainzeilen, sondern einzelne (für mich und wohlmöglich nur für mich) geniale Wortverknüpfungen oder Satzkonstruktionen, die mir einen Emo-Kick geben. Die mich an den Autor (die Autorin) binden und das Bedürfnis erzeugen mehr zu hören und mehr zu lernen über ihn (sie) und mich.

Wiederholungen, feste Strukturen und Reimschemata, sind dabei oft das Stützkorsett, der Anker um Haltung und Bodenkontakt zu bewahren.
Wenn sie der Entfaltung des freien Geistes offensichtlich im Wege stehen wirkt es gequält.
Der Künstler nutzt sie nicht als Krücke oder Prothese, sondern als Klingeldraht und Megaphon.

Das ist ungefähr im Moment so meine Ansicht.
Grüße
willy
 
Es geht mir vielmehr um etwas ganz simples: kann es "populäre" Musik (oder U-Musik, wenn diese Unterscheidung jemandem eher geläufig ist) geben, welche keine Wiederholung beinhaltet?
hmm, schwierig. das kommt wohl auf die wiederholung an.
ich habe die beobachtung gemacht, dass in clubs bestimmte songs (die charts, i presume) jeden abend einmal gespielt werden, über wochen hinweg. überleg dir das mal: wir tanzen zu immer derselben musik. nicht die geringste variation ist da drin. dass uns dabei nicht langweilig wird! offenbar wird manchen menschen doch langweilig, denn irgendwer erbarmt sich dann mal und macht nen remix, der eine weile den alten song ersetzt, bis auch der aus dem repertoire verschwindet.
was schließe ich daraus? es scheint in der populärkultur (u-kultur ;) ) erwartungshaltungen zu geben. zum beispiel, dass bloß nix außer 4/4-takten gespielt wird, weil die meisten menschen keinen walzer oder tango tanzen können, aber immer wieder das gewicht von einem bein aufs andere verlagern, das ist immer drin. gewisse wiederholungen sind also nötig, um ein publikum nicht zu verprellen. da gibt es viele faktoren: taktart, tonleitern, verwendete instrumente, länge des songs, etc.
es gibt einen song, der viele leute in clubs immer wieder irritiert, und das ist shiny toy guns - le disko. der song ist absolut konventionell, musikalisch gesehen. aber was glaubst du, was da los ist, wenn es im club, inmitten einer tobenden menge, für eine ganze sekunde mal mucksmäuschenstill wird?

Kann ich als Musiker, der etwas für die breite Masse schaffen will, mich von den alteingebrachten Strukturen lösen?
ich denke schon, es kommt nur auf das maß an.
irgendwann dachte mal jemand, ich hab keinen bock auf das standard-bluesschema mehr, also variiere ich das.
irgendwer dachte mal, die bluestonleiter kann ich doch abspecken, das fetzt mehr.
irgendwer dachte mal, wozu brauchen wir eine big band, wenn 4 leute doch reichen.
irgendwer dachte mal, ich will mal diese neuen elektrischen gitarren ausprobieren.
irgendwo da lagen die anfänge des rock.

Ich frage hier, weil es mich interessiert, ob vielleicht die erfahrenen Texter unter euch sich schon Gedanken darüber gemacht haben, neue Wege zu beschreiten, zu probieren - vielleicht es getan und damit untergegangen sind. ;)
warum willst du musikalisch von vorne anfangen? es gibt einen nicht gerade bequemeren, aber viel naheliegenderen weg, etwas zu tun, was musikalisch vor dir nur sehr wenig andere musiker_innen getan haben. du kannst musikalisch absolut konservativ sein und trotzdem etwas vielleicht nie zuvor dagewesenes erschaffen!
was ist das geheimnis? nun, es ist keins, denn es ist hinlänglich bekannt, dass
- 90% aller jemals performten songs sich um die immer gleichen themen drehen
- meistens ohne deren inhalt zu variieren
- und deren wortwahl
- und szenetypisch ständig dieselben klischees, stereotypen etc. in der sprache reproduziert werden
- ohne das mal zu reflektieren.
mach das einfach alles anders, und du eroberst dir garantiert eine nische in deiner musikalischen subkultur. songwriter_innen kommen textlich aus den kinderschuhen nicht raus, wenn sie sich nicht mit sprache (der eigenen, der szenetypischen und insgesamt), der rolle der sprache in der musik, sprache als kommunikationsform (auch und gerade in songtexten) und der eigenen rolle als akteur_in innerhalb einer musikalischen kultur auseinandersetzen.
die beatles haben unzählige schnulzige lieder nach immer demselben inhaltlichen schema produziert, trotzdem bleibt für mich ihr bester song "i am the walrus". nicht nur musikalisch, sondern weil das thema so unkonventionell (und der text so unglaublich witzig :) ) ist. und mein herz hüpft vor freude, wenn ich mal schwulenfreundlichen rap höre oder metal, der sich die frage stellt, was eigentlich hinter dem ganze "böse sein"-getue steckt.. da weiß ich, die texter_innen verstehen ihr handwerk. reime und wortschätze sind nunmal nicht alles.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

ich drücke mich gerade vorm Texten. Also schreibe ich hier. Auch eine Regelmäßigkeit:D
Ich scheine das so zu brauchen.

Wiederholungen scheinen also einen Nutzen zu bringen. Oder wenigsten etwas, das man als Nutzen empfindet.

Auf Anhieb würde ich sagen: Wiederholungen scheinen ein Aushängeschild für Nützlichkeit zu sein!

1. Wiederholungen prägen sich ein.
2. Wiederholungen setzen Schwerpunkte
3. Wiederholungen gestatten es, mit EINER Zeile unbegrenzt zu spielen.
4. Wiederholungen können ein passives Zufallspublikum in einen gewaltigen aktiven Massenchor verwandeln.

Ansonsten stimme ich vor allem guri311 zu

Auch die an anderer Stelle erwähnten Gedichte bleiben meist deshalb gut hängen, weil irgendeine Regelmäßigkeit vorliegt.
und erweitere wie folgt:

Das ganze Leben ist voller unbeachteter Wiederholungen: Die Schrittfeqenz, die Atem- und Herzfrequenz, der Tagesablauf, die Rotation der Erde um die Sonne und der Zeiger hinterm Glas, die täglichen Routinehandlungen, das Fernsehprogramm:D
Wahrscheinlich brauchen wir diese angeblichen Kreisläufe, um unserem Leben einen Sinn zu geben.

Mondluchs, wenn ich Deine Frage konsequent verfolge, dann bedeutet Verzicht auf Wiederholung also, dem Leben seinen wiederholbaren Sinn absprechen.

Texte oder Musiken ohne Wiederholungen wirken so einmalig wie eine Windhose auf dem Kuhdamm. Wem nützt eine Erfahrung, die schon äußerlich das Etikett trägt: EINTAGSFLIEGE?

Gerade weil die meisten Mitbewerber mit dem Prädikat: typisch und deshalb nützlich bewerben, sollte man als Verkäufer nutzloser Produkte keinen Stand am Mainstream betreiben.

Jedenfalls nicht, solange man sich die Nützlichkeit der nutzlosen Ware noch nicht herumgesprochen hat.:D
 
Vor allem als Frage des Experiments, als Versuch, Regeln außer Kraft zu setzen und Erwartungshaltungen zu brechen, neue Ufer anzustreben, kann ich Deine Frage verstehen.

Und da hat es imho immer Musiker oder generell kreative Menschen gegeben, die das gleiche Interesse hatten und das umgesetzt haben.
Gestern hatte ich einige Beispiele als links zusammengetragen, aber der Beitrag stürtze mir ab - man verzeihe also, dass ich es jetzt beim Benennen belasse:
In den 70ern hat Rick Wakeman eine musikalisch-textliche Umsetzung des Jule Verne-Romans journey to the centre of the earth unternommen - eine Mischung aus Oper, Erzählpassagen und wenigen songartigen Versatzstücken - derlei Versuche gab es im Prog-Rock mehrere. Zumindest werden hier üblich Wiederholungen gebrochen. Ob das nun "populär" genug ist mögen andere entscheiden.

Gleichenfalls hat Frank Zappa eine Phase gehabt, in der er - oft live extrem stark variierende - extrem lange ... musikalisch untermalte, psychodelische, bizarre und skurrile Textwerke (etwa Bill the mountain, mit einer Erzählzeit von über einer halben Stunde - der "song" mußte gekürzt werden, um überhaupt auf eine LP-Seite zu passen ...) auf das Publikum loslies. Auch das sind eher musikalisch-textliche Collagen, die vor allem live sehr gut funktioniert haben.

Auch das wesentlich bekanntere - und durchaus populäre - Werk "Tobacco Road" von Eric Burdon & War bricht durchaus mit üblichen songstrukturen und enthält sehr freie und live wohl auch improvisierte Passagen, die schon allein mit einer Länge von teils über 10 Minuten mehr einer erzählten Geschichte gleichen als einem in die Länge gezogenen Gedichts. Aber musikalisch gesehen besteht es aus ein bis drei Riffs und ein paar durchgehenden Rhytmus-Patterns. Weshalb es populär wurde?

Etlich Musiker waren regelrechte Improvisations-Monster, die das nicht auf die musikalische, sondern auch auf die textliche Ebene bezogen und vor allem auch das Publikum in einer live-Version einbezogen.

Dennoch liegt mir bei allem der Gedanke nahe, dass sich der Anspruch, Erwartungen und Regeln zu brechen, schlecht mit dem Anspruch der "Popularität" (Beliebtheit) verträgt. Experimente werden vor allem zunächst von einem kleineren Kreis (den man nicht unbedingt Elite oder Avantgard nennen muss) erzeugt und auch gehört, können dann populär werden - aber oft um den Preis, dass sie eben "wiedererkennbarer" werden - wobei wir wieder bei der Wiederholung landen ...

Für den Musiker, der sich als kreativ versteht, ist das Brechen von Mustern, Erwartungen (auch seinen eigenen) sicher sinnvoll und notwendig - ich persönlich würde aber immer den Ansatz vorziehen, dass auch das Brechen einen Sinn machen muss, um wirklich musikalisch oder textlich Bedeutung zu erlangen. Mit der gebotenen und/oder erworbenen Freiheit "sucht sich" die Bedeutung, das Gefühl seine adäquate Form - und die mag Wiederholungen beinhalten oder aus Wiederholungen bestehen oder sie vernachlässigen oder negieren. Auf einer frühen Pink Floyd Doppel-LP gibt es einen - auch längeren - "Song", der "be careful with the axe, henry" heißt und der nach ruhigem Beginn in ein orchanisch sich steigerndes, dann explosives Ende mündet, das durch einen langen Schreih (dem einzigen Text- bzw. Gesangsbeitrag) begleitet wird. Auch eine Möglichkeit ...

x-Riff

Generell
 
sehr geschätzter x-Riff,

jetzt wird es kompliziert.

Wenn wir Musik ins Gespräch über Wiederholungen einbeziehen, verwirren mich Deine Beispiele.

"Tobacco Road" ist ein schlichter Blues, also quasi die Großmutter aller Wiederholungen;)
Die anderen Songs hätte ich gern als Link, aber ich vermute vorab, dass sie musikalisch ebenfalls zahlreich Wiederholungen enthalten.

Du musst etwas im Sinne haben, was ich noch nicht begreife...:gruebel:

--------------------------------------------------

Und was verstehen wir nun beim Texten unter Wiederholungen?

Nur Refrains oder Hooklines?

Was aber ist mit all den vielen Stilmitteln der Wort- und Satzwiederholung:

Anapher, Epipher, Klimax, Antiklimax, Alliteration, Anadiplose, Antithese, Epanalepse, Epanodos, Epipher, figura etymologia, Hendiadoyn,Homoioteleuton, Homoioarkteon, Isokolon, Geminatio, Kyklos, Parallelismus, Paronomasia, Pleonasmus, Polyptoton, Repetitio, Symploke, Tautologie, Trikolon, variation, Wortspiel?...:D

Übrigens sind das WIRKLICH Stilelemente der Wiederholung, hier sehr gut erklärt: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_rhetorischer_Figuren

Gerade Wiederholungen wie Anapher, Epiphern, Antithese, Parallelismus, Klimax und natürlich Alliterationen nutze ich tatsächlich auch recht bewußt.

Mondluchs sei dank für diesen Thread!

Denn er führt uns in die Tiefe der Welt und ihrer menschlichen Sprache.

Aber er beweist mMn nebenbei auch, dass ohne Wiederholung gar nichts geht!

Die Frage scheint also eher zu lauten, wie weit und wie lange man sich von den unvermeidbaren Wiederholungen entfernen darf...:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir scheint die Frage eher zu sein: Warum keine Wiederholungen?

Außer um des Experimentes Willen.

Bei Tobacco Road sprach ich ja die musikalischen Wiederholungen an:
Auch das wesentlich bekanntere - und durchaus populäre - Werk "Tobacco Road" von Eric Burdon & War bricht durchaus mit üblichen songstrukturen und enthält sehr freie und live wohl auch improvisierte Passagen, die schon allein mit einer Länge von teils über 10 Minuten mehr einer erzählten Geschichte gleichen als einem in die Länge gezogenen Gedichts. Aber musikalisch gesehen besteht es aus ein bis drei Riffs und ein paar durchgehenden Rhytmus-Patterns. Weshalb es populär wurde?

Hör-Proben für die anderen von mir genannten Beispiele sind schon deshalb recht schwierig im Netz zu finden (youtube et al), weil sie eben recht bis sehr lang sind, an die 40 Jahre auf dem Buckel haben und überwiegend live dargeboten wurden ... d.h. die frühe Ummagumma von Pink Floyd wird man noch bekommen, bei Zappa bin ich mir nicht so sicher (allerdings erinnere ich mich, eine etwa halbstündige Fassung von Bill the Mountain von einem live-Mitschnitt gehöhrt zu haben) und die Rick Wakeman-Geschichte wird man wohl auch noch aufstöbern können.

Allerdings ist das alles ja dann noch nicht weit genug - weg vom Standard der Wiederholungen oder loops bis hin zu ... ja zu was eigentlich: keine Textzeile darf sich wiederholen, keine Wortfolge - und dann ein Verzicht auf rhytmische und melodische Patterns, das erneute Spielen von Akkordfolgen ist zu vermeiden - und das Tempo: soll es nicht auch heftig schwanken bzw. sich einzigartig entwickeln ohne sich zu wiederholen?

Ich denke, man wird eher im Free Jazz fündig oder in jeglicher, sehr experimenteller, vorwiegend improvisierter, expressiver und performanceartig dargebotenen Form von Musik - vielleicht wie Fluxus in der Kunst ...
 
xRiff schrieb:
Bei Tobacco Road sprach ich ja die musikalischen Wiederholungen an:

Richtig! Hatte ich überlesen. Sorry.

XRiff schrieb:
Mir scheint die Frage eher zu sein: Warum keine Wiederholungen?
Außer um des Experimentes Willen.

Ja. Diese Frage würde ich ebenfalls gern an Mondluchs zurückgeben wollen.

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Sie erinnert mich daran, dass mich mal ein Sänger fragte, nachdem ich bereits 5 Jahre mit ihm arbeitete, warum ich nie Refrains schriebe mit nur EINER Zeile, die dann entsprechend wiederholt würde.

Damals antwortete ich: "Weil ich das für einfallslos halte"... Auweia:D

Heute würde ich sagen, je mehr Wiederholungen man sich leisten kann, um so frischer scheint die Idee zu sein.

Heute halte ich Wiederholungen für wichtig.

Ich meine echte! Nicht all die großartigen Gedankenkarussells, die nur verbergen sollen, das man einem dünnen Einfall zu einer geschmacklosen Wörtersuppe aufkocht.

Nein ich meine das identische Wiederholen einer starken Zeile.

Oder das Wiederholen einer guten ersten Strophe an statt einer uninspirierten dritten Strophe. Einfach, weil das so AUCH machbar ist.

Das empfinde ich noch heute als mutig. Weil viele Partner dann quängeln: " Mönsch, muss det sein? Fällt Dir da nich noch wat Jutes ein? DU kannst det doch!"

So ähnlich verhält es sich auch mit dem Komponieren langer Pausen:)
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir schwirrt der Kopf vor Text, Musik und bürgerlichem Recht, welches ich mir in den nächsten zwei Tage 570 Seiten lang zur Brust nehmen will. Ist das geschafft, werde ich hier antworten - sehr interessante Antworten jedenfalls, sehr spannend! :)
 
Mir schwirrt der Kopf vor Text, Musik und bürgerlichem Recht, welches ich mir in den nächsten zwei Tage 570 Seiten lang zur Brust nehmen will. Ist das geschafft, werde ich hier antworten - sehr interessante Antworten jedenfalls, sehr spannend! :)

Ach daher weht der Wind - Du suchst eine Möglichkeit, das BGB musikalisch zu bearbeiten, um es besser memorieren zu können und es populär zu machen - und das funktioniert natürlich mit den althergebrachten songstrukturen und dem wechselspiel von strophe-refrain nicht ...

Hättste aber auch gleich sagen können ... :gruebel:

Neee - dann hau mal rein und viel Erfolg: sowas muss ja auch vernünftig im Kopf ankommen, damit irgendwas hängen bleibt. :cool:

x-Riff
 
So, liebe Leute!

Die Schlacht ist geschlagen, sieglos ziehe ich vom Feld, doch habe ich nicht nur verloren. Anders gesagt: abgemeldet von der Prüfung und gelernt, dass ich meine Zeit wohl doch anders einteilen muss in Zukunft.

Doch nun zum Thema!

Ich will direkt die Frage aufgreifen, die an mich zurückgeworfen wurde.

"Warum keine Wiederholungen? Außer um des Experiments willen?"

Die Wiederholung, wie hier vielfach schon dargelegt wurde, ist durchaus als "sicherer Hort" zu betrachten, als etwas, an dem man sich festhalten kann, was sehr nützlich ist. Die Vorzüge der Wiederholung wurden vielfach schon angeführt, interessanterweise wurden die "Nachteile" nur angestreift. Vor allem jongleurs Argumentation wirkte so, als wenn er begründen möchte, warum Wiederholung TROTZDEM gut ist.

Wiederholung kann ja nicht nur deswegen negativ gesehen werden, weil es "einfallslos" ist. Sehr oft wird ja das Problem angesprochen, dass man in der Wiederholung feststeckt, ein in der Kunst sehr beliebtes Thema (hier ein Spiel, wo das Thema wieder recht präsent ist). Wiederholung steht ja auch für die Negierung neuer Einflüsse, Eindrücke. Die große Kunst besteht ja auch oft darin, in den sicheren Gefilden der Wiederholung mithilfe der Variation neue Ufer zu erreichen.


Dazu, was ich mir etwa vorgestellt hätte an "wiederholungsfreien" Werken:

Der Chor, in dem ich bin, singt jetzt Ave Maris Stella von Javier Busto, ein modernes Kirchenstück, welches stets voranschreitend ist. An dieser Stelle will ich auch meine Idee der "Nicht-Wiederholung" näher erklären (welche mir erst mit Lesen dieses Themas klar geworden ist): in den einzelnen Teilen des Stückes sind Wiederholunge ruhig zuzulassen, doch soll diese gesamte Form nicht auf Wiederholung ausgerichtet sein. Auch sollen nicht gewisse Motive das ganze Stück lang durchgetragen werden - die Beschreibung gilt sowohl für die Musik, als auch für den Text.


Nachdem nun also zwei Wochen vergangen sind, kann ich langsam die vagen Gedanken, die ich zu Beginn des Themas ausdrückte, konkreter ergreifen. Mein Hauptproblem mit dem Stilelement der Wiederholung ist sehr gut erkennbar in Jongleurs Beitrag, wo er die verschiedenen Figuren aufzählt, welche mit der Wiederholung im Zusammenhang stehen. Wie man gesehen hat, sind es verdammt viele. Das Progressive als eigenes Element wird kaum beachtet. Natürlich: wie ich weiter oben schon sagte, geht man von der sicheren Wiederholung aus, bevor man zum Voranschreitendem geht.

Auch Texte, welche eine Geschichte erzählen, sind selten einfach voranschreitend, sondern versuchen eine Struktur zu etablieren, in der man sich dann sicher bewegen kann. Dies kann aber nun so weit gehend, dass das Moment der Wiederholung immer mehr strapaziert wird - es fängt ja damit an, dass eine Änderung der Gesamtsituation mal allein in eine Bridge gepackt wird. Innerhalb des Textes ist dann dieser Songteil das Stilelement des "Twists", der Änderung - des Progressiven. Nur, um dann wieder im Refrain zu münden.

Die Entwicklung geht aber weiter, dass die Bridge immer weniger "twist" bringt, dass die darin aufgeführte Änderung keine Änderung, sondern eine Ergänzung ist. Und ja, mir ist klar, dass das auch vor 60 Jahren so war, dass auch die Beatles in ihren Liebesliedern in der Bridge kein "Öhm, eigentlich bin ich schwul und will an deinen Besten ran" brachten. Es geht eher darum, dass, je populärer es ist, desto mehr geht man auf die Wiederholung. Das Schlimme ist: das wirkt sich dann auch auf unpopuläre Musik aus, welche eigentlich durch besondere Elemente auffallen will. Wenn ich Metaltexte lese, welche von der Struktur her einem Popsong alle Ehre machen, finde ich das irgendwie bedenklich.


Nach drei Wochen nachdenken und einem elendslangem Beitrag nun mein Aufruf: mehr Progressivität in Texten! Wiederholung ja, aber nicht nur! Nachdem die Wiederholung schon bis ins Extrem praktiziert wurde (Beispiele fallen mir grad keine ein, aber es gibt sicher GENUG annehmbare Texte, die mit wenig Worten und vielen Wiederholungen punkten), darf nicht auf das Progressive vergessen werden!


@X-Riff
AGBG ;-) und würde ich das vertonen wollen, würde das sicher mit sich wiederholenden Themen verwendet werden. Man nehme einfach die Grundprinzipien als Leitthema, mit denen sich das meiste begründen lässt - interessant wirds höchstens, die zahlreichen Ausnahmen so einzubauen, dass sie die Grundstruktur nicht sprengen. Aber ernsthaft: man könnte das bürgerliche Recht durchaus populär vertonen.
 
Lieber Mondluchs,

zunächst ein kräftiges DANKE für deinen Text: Ich liebe prinzipielle Infragestellungen! - Und die entsprechenden Fragesteller. - Meine folgenden Gedanken sind also nicht ironisch zu verstehen.

Aber warum hast du in deiner letzten Antwort 19 mal das Wort "Wiederholung" wiederholt?

Was ist mit Synonyme wie: repetieren, rekonstruieren, imitieren, ein zweites Mal, mehrfach, vielfach, erneut, erneuern, auffrischen, kopieren, nachbilden, zurückbringen, wiederkehren...?

Als Antonym für "Wiederholen" wählst du NUR fortschreiten.
Was ist mit: einmalig, beispiellos, nicht mehr, unterbrechen, aqbbrechen, pausieren, stecken bleiben (gut, das hast du auch angesprochen), Original, entfernen, fortgehen....?

Der plausibelste Grund für deine monotonen "Wiederholungen" ist, dass Du Deine Leser mit ins Boot nehmen willst!
- Mit dem stets gleichen Wort schaffst Du einen Wiedererkennungseffekt.
- Deine "Wiederholungen" setzen Akzente, mit denen wiederum Du Deine Zuhörer beeinflussen willst!

Du berücksichtigst also das Bedürfnis deiner Leser, nicht überrumpelt, sondern geduldig überzeugt zu werden!

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Ich verstehe Dich so, dass für Dich "Wiederholungen" die Gefahr anhaftet, beim Kreisen um das Thema gleichzeitig im Kreisen gefangen zu sein. Sich selber beim Repetieren einzuschläfern.

Ja, das mag eine Gefahr sein. Die aber mehr verrät über den Autoren, als über die prinzipielle Möglichkeit, Neuland mehr- oder vielfach zu erforschen, um Sicherheit zu gewinnen.

Beispiele können verflachen ODER vertiefen! Am Ende beispielloser Reihungen können wilde Spekulationen ODER zufällige Entdeckungen stehen.

Viele Entdecker machen Erkundungsreisen und kehren immer wieder ins Basislager zurück. Solange, bis sie sicher sind, das nächste Lager auf neu erkundetem Boden aufbauen zu können. - Was ist gegen solche Vorsicht einzuwenden?

Neue Medizin wird ja ebenfalls vielfach getestet, bevor sie auf die Menschen losgelassen wird.

Oder nimm Dein Musikbeispiel: es besteht aus zahlreichen sich wiederholenden Tonreihen. - Warum auch nicht!

Es gibt Künstler, die ihre Vielseitigkeit zeigen wollen. Für die bedeutet "zum zweiten mal" bereits Stagnation.

Essentielle Artisten wiederum empfinden das Leben als einen dualen Prozess, wie etwas das Ein- und Ausatmen.
Die wollen sich nicht abgelenken lassen von ihrer Absicht, alles als endlose Variationen des EINEN Grundimpulses darzustellen.

lg

Übrigens kann ich sehr, sehr gut verstehen, dass man in Vorbereitung einer Rechtsklausur beginnen kann, Wiederholungen, Kanonisierungen zu verabscheuen :D

Kopf hoch!
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo jongleur!

Ich bin allgemein ein des Freund klaren und direkten Ausdrucks. Dazu kommt noch, dass mein Sprachgebrauch durch Jus ebenfalls stark beeinflusst wurde. Ich verwende sie "systematischer", um Missverständnisse auszuschließen.

Darüber hinaus war ich krank, als ich diesen Beitrag schrieb, die Lust daran, ein stilistisch wertvolles Werk zu liefern war deswegen etwas gehemmt. ;)

Damit lässt sich auch die Wortwahl erklären. Aber natürlich: du willst darauf hinaus, dass auch hier bereits das wiederholende Moment sehr präsent ist, durchaus zweckgebunden verwendet wird.

Wie bereits gegen Ende meines letzten Beitrages angedeutet, habe ich die Wichtigkeit der Repetition anerkannt - jedoch bin ich trotzdem der Meinung, dass ihr Gegenstück, die Progressivität, vergleichsweise weniger beachtet wird.

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Natürlich spielt bei dieser Diskussion meine persönliche Position ganz stark rein. Einer der Gründe, warum ich gerade jetzt auf das Thema gekommen bin, ist die Begegnung mit einer jungen Frau, deren Vater Koryphäe auf dem Gebiet der elektroakustischen Komposition ist. Als ich ihr ein Lied von mir vorspielte, meinte sie, ob ich nicht vielleicht etwas Neueres versuchen will.

Man muss hinzufügen: ich habe durchaus Stücke, welche abwechslungsreicher als dieses eine sind, jedoch habe ich es nicht ohne Grund zum Präsentieren ausgewählt. Ich bin ein Freund der Wiederholung, stark geprägt worden durch z.B. Yann Tiersen. Das ist ein Prozess für mich, der gerade stattfindet, mir dieser verschiedenen Elemente bewusst zu werden. Und ich freue mich natürlich, hierbei im Forum so tolle Untersützung zu finden. ;)

Auch das Nichtverwenden verschiedener Wörter spielt da mit rein: ich bin ihrer verschiedenen Bedeutung einfach noch nicht so bewusst. So hat zum Beispiel "einmalig" für mich eine völlig andere Bedeutung als "fortschreitend", bzw. ist eine ganz andere Ebene gemeint. Auch pausieren oder entfernen, bei beidem schwingt was Anderes mit... dieser ganze Themenbereich, wie mir immer mehr bewusst wird, ist sehr umfangreich und differenziert. (dasselbe gilt natürlich auf für die Begriffe Wiederholung betreffend)

Ich weiß nun nicht, wie viel du schon über das ganze Konstrukt nachgedacht hast, wie präsent dir die verschiedenen Unterschiede sind, die man in einen Song packen kann, jenseits von "sich wiederholend" und "voranschreitend". Deiner für mich bisher erkennbaren Erfahrung nach wirst du wohl wissen, was für Begriffe du da verwendest - und es würde mich jetzt interessieren, ob du dir da vielleicht nochmal Gedanken gemacht hast. Nicht allein zum Thema "Wiederholung", sondern von der ganzen Palette an Stilmitteln, die es in diesem Bereich gibt. Natürlich, du hast sie einmal aufgezählt - doch kam zumindest für mich zu diesem Zeitpunkt nicht rüber, dass du jedem dieser Stilmittel einen eigenen, tiefer gehenden Gedanken zugestehen würdest.

Ich versuche noch einmal meine Fragestellung zu präzisieren: was sind deine Erfahrungen, jetzt nicht mit "Wiederholung" allgemein, sondern mit den verschiedenen Facetten, die zwischen den Extremen "Wiederholung" und "Voranschreiten" liegen?

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Ach, das mit Recht ist schon okay. So schlimm ist das Abmelden von einer Prüfung nicht, muss halt schauen, was mitzunehmen.... übrigens, bisher hat das Rechtswissenschaftsstudium mein künstlerisches Wirken bewusst noch gar nicht beeinflusst. ;)
EDIT: Wenn man von der ober erwähnten "Systemisierung" meiner Sprache absieht.
 
Hi Mondluchs und Jongleur
(zwei bedeutsam sprechende Namen treffen sich!)

ich finde diesen bewußten Umgang, das Experimentieren mit und das Kennenlernen und Vertiefen von Stilmitteln, Bedeutungen, Methoden großartig, da es einen Zugang der Vertiefung und Intensität ermöglicht und eine Reflexion entstehen läßt, erfordert und einfordert, die eben über den üblichen, den halbbewußten, einem von jeher Zugänglichen oder stets Geübten, Verwendeten erhebt und aus neuer Perspektive darauf schauen läßt.

Gibt es etwas jenseits von dauernder Widerholung und seinem Gegenpunkt, dem stetigen Voranschreiten?
Ja - und für mich ist es mehr als ein Kompromiss, für mich ist es eine neue Form, die über das Vermitteln hinausgeht: es ist die Spirale. Der Kreis ist die Widerholung, der loop, die Wiederkehr des Bekannten als dem Identischen. Die Gerade ist das stete Fortschreiten - jeder Punkt, den man durchläuft, ist neu und liegt ab da für immer hinter einem.
Beides thematisiert auch notwendige Bewegungen des Lebens selbst: als Widerholung kennen wir Einatmen-Ausatmen, Herzschlag, Blutkreislauf, Aktion-Reaktion. Das Fortschreiten ist Wachstum, das älter werden, das Reifen: man ist nie der identische, selbe - das Fortschreiten liegt im Organismus, in der Organisation des Lebens.

Dieses Dritte, die Spirale scheint mir mindestens genau so nahe am und im Leben zu sein.
Man wächst und schreitet fort, aber man kommt immer wieder an Punkte, an Themen, an Entscheidungsknoten, die einem bekannt vorkommen und vor die man auch schon gestellt war, aber noch nie genau so: der Abschied von den Eltern ist etwas anderes als der Abschied von seiner ersten Liebe oder dem Abschied nach dem Studium, der Stadt in der man geboren ist, dem Abschied vom ersten job oder dem Abschied eines geliebten Menschen. Die Themen und großen Motive des Lebens (und damit auch der Kunst): Liebe, Abschied, Beginn, Trauer, Reifen, Entscheidung, Freundschaft, Treue, Kampf, Identität - all das begegnet einem nicht nur einmal im Leben, sondern immer wieder und in unterschiedlichen Phasen neu (aber eben weder als ewiger Kreislauf des Gleichen noch als dauerndes Fortschreiten des Nur-Neuen - auch wenn einem dies innerhalb eines Teils dieser Phasen genau so vorkommen mag) - denn man ist immer ein anderer und die Liebe des Kindes ist etwas anderes als die Liebe des Erwachsenen - aber es ist immer Liebe. Man begegnet der Liebe in seinem Leben immer wieder - aber nie als Identisch/Gleiches noch als etwas vollkommen Neues.

Und das beinhaltet in der Kunst das Erinnern, das Assoziieren, Vergleichen - denn das ist die Suche nach dem, was gleich ist, was man kennt oder zu kennen meint. Und es ist der Versuch, dem Neuen einen Raum zu geben, über das Vergleichen hinaus den Unterschied zu markieren, zu umreißen, zu beschreiben, zu fassen was eben neu ist und deshalb noch nicht gefaßt werden kann.

Auf Musik und Text bezogen, denke ich, dass dies die bestimmenden Elemente sind - und sich eben bei jedem Thema, jeder individuellen Bewältigung, jedes Augenblicks auf neue Art mischen und mischen müssen, um dem Ausdruck zu verleihen, was Leben ausmacht: dem Prozeß, dem Werden innerhalb von Widersprüchlichem.

So scheint mir der Versuch, sich einem Element - sei es dem loop oder sei es dem Fortschreiten - intensiv zu widmen, gelungen und notwendig.
Um es genau zu spüren, genau kennenzulernen, jede Faser mit den Sinnen zu tasten - und um es genau einsetzen zu können in diesem unaufhaltsamen Spiel der Vermischung von Bekanntem und Neuem, das Leben ausmacht.

*Ich hoffe, das alles klingt jetzt nicht zu sakral - ich höre gerade Orgelmusik*

x-Riff
 
Auf einer frühen Pink Floyd Doppel-LP gibt es einen - auch längeren - "Song", der "be careful with the axe, henry" heißt

ahem..."Careful with that axe, Eugene", genau genommen:



Kann man aber nur STATT Dope konsumieren, nicht MIT........:D

"Vermeidung von Wiederholung" kann für einen Text gut funktionieren - wenn man denn keinen Refrain braucht.
Variation von Wiederholungen kann aber auch sehr reizvoll sein - z.B. "Every breath you take" arbeitet damit ganz wunderbar.
Letzlich geben geschickt angewendete Wiederholungen einem Text auch einen gewissen Beat, einen Puls. Für mich ist das keine Frage von besser oder schlechter, richtig oder falsch, sondern Geschmackssache. Wenn man diesen Puls will, sind Wiederholungen und deren Variation ein geeignetes Mittel. Man kann ein "Voranschreiten" aber auch auf Basis eines textlichen Grundthemas darstellen - indem man eben ein sich wiederholendes Thema immer neu ergänzt.
Wiederholung heisst ja nicht, auf der Stelle zu treten, sondern kann geeignet sein, einen Gedanken zu verankern und sich sozusagen um ihn herum zu bewegen, vor und zurück zu schwingen oder ihn auszuloten.
 
Hallo Mondluchs,

Ich bin allgemein ein des Freund klaren und direkten Ausdrucks. Dazu kommt noch, dass mein Sprachgebrauch durch Jus ebenfalls stark beeinflusst wurde. Ich verwende sie "systematischer", um Missverständnisse auszuschließen.
Eben: klar und direkt! Den Synonymen haftet natürlich im juristischen Sinne immer eine ungewollte Unschärfe an. -

Darüber hinaus war ich krank, als ich diesen Beitrag schrieb, die Lust daran, ein stilistisch wertvolles Werk zu liefern war deswegen etwas gehemmt. ;)
Damit lässt sich auch die Wortwahl erklären.
Einerseits natürlich verständlich!

Andererseits offenbarte MIR deine durchgängige Verwendung von "Wiederholung" eine bisher noch zu "starre" Sichtweise.

Ich will mal ehrlich sein: ursprünglich schummelten sich auch in meine Antwort einige "Wiederholungen" .

Deshalb benutzte ich anschließend meine Wörterbücher (Synonyme/Antonyme) und ersetzte ohne groß zu überlegen fast alle "Wiederholungen". und siehe da...

... vielleicht verschwamm teilweise das Prägnante, aber an jedem neuen ähnlichen Begriff oder Gegenwort haftete automatisch ein zusätzlicher Sinn - ein leicht gewonnener zusätzlicher Denkanstoß. - Und DAS ist bei mir kein Zufall mehr.

Ich weiß nun nicht, wie viel du schon über das ganze Konstrukt nachgedacht hast, wie präsent dir die verschiedenen Unterschiede sind, die man in einen Song packen kann, jenseits von "sich wiederholend" und "voranschreitend".
Wenn ich mein Thema gefunden habe, sammle ich als Erstes alle verfügbaren Wortverbindungen. Das garantiert mir automatisch eine große Reflexionsbreite.

Dem Dichter droht ja auch kein rotes "Anspruchsgrundlage verfehlt" am Seitenrand:D
Er muss sich unter den verfügbaren Möglichkeiten wohl eher für die subjektivste Variante entscheiden, um Erfolg zu haben:D

Deiner für mich bisher erkennbaren Erfahrung nach wirst du wohl wissen, was für Begriffe du da verwendest - und es würde mich jetzt interessieren, ob du dir da vielleicht nochmal Gedanken gemacht hast. Nicht allein zum Thema "Wiederholung", sondern von der ganzen Palette an Stilmitteln, die es in diesem Bereich gibt. Natürlich, du hast sie einmal aufgezählt - doch kam zumindest für mich zu diesem Zeitpunkt nicht rüber, dass du jedem dieser Stilmittel einen eigenen, tiefer gehenden Gedanken zugestehen würdest.
Wir diskutieren hier nicht zufällig ;)

Meine ersten Erfahrungen mit Stilfiguren der Wiederholung verdanke ich einem meiner Lieblingsdichtern: JACQUES PREVERT!

Ich glaue, Prevert eroberte mich mit dem Gedicht "Le grasse matinee", von seinem kongenialen Übersetzer Kurt Kusenberg als "So leben wir" eingedeutscht.

Ein Hungriger ermordet am Ende einer recht langen Ballade einen geachteten Mann für die Beute von zwei Francs.

Das Gedicht beginnt:

oder besser aus Jaques Preverts "So leben wir" schrieb:
So leben wir

Schrecklich
kracht ein hartes Ei das man auf der Theke zerschlägt
Schreckliches Krachen
Wenn es einen hungrigen Mann erregt
Schrecklich auch des Mannes Kopf
Der Kopf des Mannes der Hunger hat
Wenn er frühmorgens in der Stadt
Seinen Kopf im Schaufensterglas sieht
Einen erdigen Kopf
Doch sein Kopf macht ihn nicht satt
Er träumt
Er träumt sich einen anderen Kopf
Einen Kalbskopf zum Beispiel
Mit Sülze
Oder sonst einen Kopf der essbar ist
Und er mahlt mit den Kiefern
ganz sacht
Und er mahlt mit den Zähnen
Das es leise kracht
Denn die Welt pfeift auf seinen Kopf
Und er vermag nichts gegen die Welt
Was hilfts dass er sich seit tagen sagt
Das kann nicht so weitergehn
Das geht weiter
Tage
Nächte
Das geht tage und Nächte so weiter
Ohne Essen
Und hinter den Scheiben stehen Delikatessen
Tote Fische von Dosen bewacht
Dosen von Schaufenstern beschützt
(Schaufenster von Schupos beschützt - hat der Jongleur im Geist ergänzt)
Schupos von der Furcht beschützt....
So viele barrikaden für 6 armselige Sardinen...
.............................................
...............................................
.............................................

Und endet:

Am helllichten Tage ward ein Mann erschlagen
Der in seinem Viertel große Achtung genoß
Nicht viel hat der Mörder davon getragen
Zwei Francs
Das ist mit der Speisekarte verglichen
Ein Kaffee mit Rum
Null Francs siebzig
Zwei Brötchen dünn bestrichen
Null Francs fünfzig mal zwei
Ein Franc
Und dreißig Centimes Trinkgeld für den Kellner

............................................
............................................

Heute weiß ich, dass ich damals zum ersten Male perfekt meine Sehnsucht nach der Entdeckung des Großen im Kleinen widergespiegelt sah!

damals stürzte ich mich wie besessen auf die Stilfiguren und entdeckte
Wortwiederholungen wie Anapher, Epipher, Klimax und Antiklimax...
und Gedankenwiederholungen wie Isokolon oder Antithese.

Vor allem faszinierte mich diese spiralförmige Steigerung ab den Delikatessen bis hin zur Furcht (was ich als "Anadiplose" bei den Stilfiguren wieder fand) bis hin zur völlig verblüffenden Pointe mit den "So viele barrikaden für 6 armselige Sardinen" (was ich als eine Art Antiklimax bei den Stilfiguren fand).

Unter diesem Einfluss schrieb ich die nächsten Wochen begeistert Texte, die ich heute noch mag.

@x-Riff:

hab aus den Augenwinkeln gesehen, dass Du erfreulicher Weise mitdiskutierst. Unschwer wirst du in diesem gedicht die spiralförmige Steigerung entdecken. Ein Mittel, welches ich ebenfalls SEHR mag.

Wenn ich einen Text schreibe mit Parallelismen, also Gedankenwiederholungen, achte ich sehr darauf, dass sie sich spiralförmig steigern. Also einen Höhepunkt anstreben, der in der Zeile danach nur unscheinbare Plattform für den den nächsten Anlauf ist.

Und soweit ich Deine Gedanken unter Zeitdruck überfliegen konnte, stimme ich ihnen zu und empfinde sie als lesenswerte Ergänzungen oder Weiterführungen.
 

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