Wie kamen wir zu unserem Tonvorrat?

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Scumdrummer
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Hallo Leute!
Ich habe eine Frage.
Wie sind wir auf die heutigen 12 Töne gekommen die wir verwenden in der westlichen Musik. Ich weiß warum es 12 sind (http://www.brefeld.homepage.t-online.de/tonsysteme.html), ich weiß dass es andere Systeme gibt wie das indische Shruti das 22 Töne hat, aber wie sind die Menschen darauf gekommen dass der Kammerton a eben die Frequenz hat die er hat. Es hätte doch auch 680 statt 440 Hz sein können. Also wie ist man auf das gekommen?
Lg
 
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Wie sind wir auf die heutigen 12 Töne gekommen die wir verwenden in der westlichen Musik.

Die mathematischen Hintergründe im von dir angegebenen Link erscheinen mir plausibel, aber ebenso wichtig dürfte starker Einfluss durch maßgebliche Schulen (Klöster, Kirchenmusik, Komponisten) und einfach Prägung durch Gewöhnung sein. Auch heute noch verändern sich ja Intonationsideale; in der Popularmusik ist der Einfluß des Blues seit 100 Jahren so groß, daß man m.M. nicht mehr vom absoluten Ideal der gleichstufigen Stimmung sprechen kann.

wie sind die Menschen darauf gekommen dass der Kammerton a eben die Frequenz hat die er hat. Es hätte doch auch 680 statt 440 Hz sein können.

Konvention. Übrigens ist nicht a der Kammerton, sondern a'.

Früher wurde a' auf 415Hz gestimmt, zeitweise auf 440Hz, heute oft auf 442Hz oder noch höher. Ein Klavierstimmer hat mir heute noch seine Einschätzung mitgeteilt, daß man einen Flügel (es ging um einen Steinway) durchaus auf 444Hz stimmen könnte, darüber wäre bedenklich. 680Hz wäre auch möglich, dann würden aber die grundlegenden Benennungskonventionen anders aussehen. Das a' ist ja kein inhaltlich begründeter Ausgangspunkt für Tonhöhenberechnung, sondern lediglich ein Ton, der zum Stimmen der meisten Saiten-, Blas- und Tasteninstrumente taugt.

Harald
 
Moin,

in dem von dir genannten Link ( http://www.brefeld.homepage.t-online.de/tonsysteme.html ) gibt es eine Aussage, mit der ich nicht ganz einverstanden bin:

Da sinnvollerweise alle Töne eines Tonsystems unterscheidbar sein sollen, ergibt sich für ein Tonsystem mit n Tönen pro Oktave die Bedingung, dass die n-te Wurzel aus 2 größer als 1.004 sein muss.
[...]
Ein Tonsystem mit mehr als ungefähr 173 Tönen pro Oktave macht also keinen Sinn.
Gegenbeispiel: Die 200-Stufige Stimmung kann durchaus als sinnvoll betrachtet werden. Sie besitzt gute Annäherungen an die reine Quinte (702 Cent) und an die mitteltönige Quinte (696 Cent), welche laut obiger Definition ununterscheidbar sind. Die großen Terzen, die man bei beiden Quinten jeweils durch viermalige Stapelung erhält, sind aber definitiv unterscheidbar:
- 4*702 Cent = 2808 Cent = 2400 + 408 Cent (gute Annäherung an pyth. große Terz 81:64)
- 4*696 Cent = 2784 Cent = 2400 + 384 Cent (gute Annäherung an reine große Terz 5:4)
In dieser Stimmung ist es also möglich, die Intervalle der mitteltönigen Stimmung mit denen der reinen Quint-Terz-Stimmung zu kombinieren (z.B. könnte man die Akkordgrundtöne aus der mitteltönigen Stimmung nehmen, aber die Akkorde selbst nach der reinen Stimmung aufbauen).

Des Weiteren kann man nicht einfach sagen, dass Intervalle unterhalb eines Faktors von 1.004 ununterscheidbar sind - das mag zwar bei Sinustönen evtl. der Fall sein, allerdings hat man bei natürlich erzeugten Tönen noch die Obertöne, die je nach Instrument unterschiedlich stark ausfallen, und wegen Obertonschwebungen sind auch kleinere Intervallunterschiede hörbar. Z.B. ist die mitteltönige Quinte von der Quinte mit reinem Verhältnis 3:2 insbesondere auf der Orgel unterscheidbar, obwohl der Unterscheidungsfaktor unterhalb von 1.004 liegt.


P.S.: Wenn man bei gleichstufigen Stimmungen nur nach der besten Annäherung der Quinte geht, übersieht man einige interessante Stimmungen, z.B. 17et, 19et, 22et, 31et, 34et, 43et, 65et, 72et, 171et, ...
Ausprobieren kannst du die z.B. mit scala: http://www.huygens-fokker.org/scala/
 
Wobei man anmerken muss, dass die beste Approximation dann entsteht, wenn man die Kettenbruchentwicklung abbricht. Damit ist die Quinte beim 53er ganuer als bei jedem anderen System mit weniger als 300 Stufen, siehe verlinktes PDF.

Interessant finde ich auch diesen Link:
http://www.hermode.com/html/hermode-tuning-examples_de.html

Computerkorrigierte Stimmung. Hatte schon der Microwave von Waldorf in den 90ern (HMT). So, das doch bitte an den Flügel schrauben ... oder an die Pfeifenorgel ... :)

Grüße
Roland
 
Wobei man anmerken muss, dass die beste Approximation dann entsteht, wenn man die Kettenbruchentwicklung abbricht. Damit ist die Quinte beim 53er ganuer als bei jedem anderen System mit weniger als 300 Stufen, siehe verlinktes PDF.
Ich kann dir da nicht ganz folgen, und ich sehe auch kein PDF. Ich weiß dass sowohl |3/2 - 2^(31/53)| > |3/2 - 2^(117/200)| gilt, als auch |log(3/2) - log(2^(31/53))| > |log(3/2) - log(2^(117/200))| - also dass die Quinte in beiden Darstellungen in 200et genauer angenähert ist als in 53et, und ich wüßte jetzt nicht warum sich das mit der Kettenbruchentwicklung ändern soll.

Ja, an so etwas ähnliches hatte ich bei der Anwendung der 200-Stufigen Stimmung auch gedacht, nur dass man selbst die Anpassungen vornehmen kann. Ich hab mal ein bisschen herumexperimentiert, und die Akkordfolge C Dm G7 C umgesetz, indem ich Dm auf dem mitteltönigen Ganzton (oder dem "Mittelton") über C spiele, und die anderen Akkorde in quasi-reiner C-Dur-Stimmung lasse. Ich bin allerdings eher enttäuscht von dem Ergebnis, der verschobene Dm wirkt hier irgendwie leicht fehl am Platz, insbesondere wenn der G7 erklingt und die Töne d und f plötzlich um 12 Cent verschoben sind. Naja, wieder was gelernt. :D
 
Ich kann dir da nicht ganz folgen, und ich sehe auch kein PDF.

Ganz unten:
"Christian Hartfeldt: Mathematik in der Welt der Töne"

"Mathematik in der Welt der Töne"
ist ein Link auf
http://www.math.uni-magdeburg.de/reports/2002/musik.pdf

Grüße
Roland


PS:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kettenbruch#Rationale_und_irrationale_Zahlen
Dort steht was zum Thema "Näherung irrationaler Zahlen".

Wir wollen ja "2^m (Frequenzverhältnis Oktave) näherungsweise (3/2)^n (Frequenzverhältnis Quinte)" für passnede n, m haben.
Das ist exakt aber nicht möglich, weil das Verhältnis irrational ist (genauer sogar transzendent).
Via Kettenbruchentwicklung kann man die optimalen Werte finden.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich hab' mir mal die pdf angeschaut: Der Autor schreibt, dass er für die Gleichung 3/2 = 2^x eine möglichst gute Annäherung ermitteln will - und zwar so, dass |log_2(3/2) - x| minimal ist, wobei x eine rationale Zahl der Form m/n ist - also eine einfache Annäherung der Quinte in der logarithmischen Darstellung.

Die Werte in der Tabelle auf Seite 21 scheinen soweit korrekt zu sein (abgesehen von einem Rundungsfehler), allerdings fehlen die Näherungen 17/29 (0.0012) und 117/200 (0.00004), die bessere Annäherungen darstellen als ihr jeweiliger Vorgänger. Damit wird die folgende Aussage von ihm falsch:

Aus der Theorie der Kettenbrüche folgt, daß eine Erhöhung der Tonzahl n nur dann eine Verbesserung in der Quinte bringt, wenn man mindestens bis zum nächsten Kettenbruchnenner erhöht, speziell folgt also: Unter allen Stimmungen, bei denen die Oktave in höchstens 300 gleiche Teile zerlegt wird, ist die 53-Ton-Musik diejenige mit der genauesten Quinte. Unter allen Stimmungen, bei denen die Oktave in höchstens 40 gleiche Teile zerlegt wird, ist die 12-Ton-Musik diejenige mit der genauesten Quinte; "genaueste" heißt "es gibt keine genauere"

Er hat recht damit, dass der Nenner erhöht werden muss um eine bessere Annäherung zu erreichen, hat aber scheinbar ein paar Annäherungen bei der Erhöhung des Nenners übersehen. Korrekt ist, dass man bis 29 Töne gehen muss um eine bessere Quinte als die der 12-Stufigen Stimmung zu erhalten, und bis 200 um eine bessere Quinte als die der 53-Stufigen Stimmung zu finden. Dabei sagt die Annäherung an die Quinte allerdings nur begrenzt etwas über die Qualität der Stimmung aus.
 
Hallo, nochmal, nach einwöchiger Internetabstinez!

Die Werte in der Tabelle auf Seite 21 scheinen soweit korrekt zu sein (abgesehen von einem Rundungsfehler), allerdings fehlen die Näherungen 17/29 (0.0012) und 117/200 (0.00004), die bessere Annäherungen darstellen als ihr jeweiliger Vorgänger. Damit wird die folgende Aussage von ihm falsch:

Ohne es direkt durchrechnen zu wollen:
17/29 und 117/200 fehlen nicht, sie sind nicht in der Kettenbruchentwicklung.
Die Formulierungen im pdf sind mathematisch unpräzise bis missverständlich, leider.

Also, nochens:
Beim Abbruch einer Kettenbruchentwicklung ist der Fehler ganz besonders klein, das ist erstmal eine mathem. Tatsache.
Es gibt auch Näherungen, die nicht aus der Kettenbruchentwicklung kommen (natürlich!).
Aber, und das ist der Clou an der Sache:
Zu einem gegebenen Kettenbruch als Näherung einer irrationalen Zahl gibt es keine Näherung, die gleichzeitig besser ist und einen kleineren Nenner hat.

Ich kann viele Näherungsbrüche ausrechnen, genaugenommen zu jedem n einen. Aber der Fehler aufgetragen über den Nenner ist dort minimal, wo der Näherungsbruch aus einer abgebrochenen Kettenbruchentwicklung kommt. Es kann natürlich bessere Näherungen geben zwischen zwei Werten (der Kettenbruchentwicklung), aber die haben nicht diese Optimalitätseigenschaft.

Vergleiche mal die 117/200 mit dem nächsten Kettenbruch-Term 179/306:
Obwohl der Nenner nur um etwas als die Hälfte grösser ist, ist der Fehler nur ein 1/8 so gross! Und 117/200 hat einen Fehler, der 2/3 so gross ist wie 31/53, aber das mit einem fast vierfachen Nenner.

Der "Nutzen" (also: wieviel reine Quinte pro Tonschritt) ist bei den abgebrochenen besonders gross.

Zwischen 31/53 und 179/306 gibt es bessere Näherungen als 31/53 für Nenner n mit 53 <n < 306, aber garantiert keine, die besser ist als 179/306.

Für 117/200 wäre das erst explizit zu zeigen, dass es keine bessere Näherung für n < 200 gibt. Und dann ist sie ja nicht optimal, siehe Vergleich oben.


Gute Nacht (oder Guten Morgen!?)
Roland
 
Hallo,

vielen Dank für deine Antwort! Habe ich das richtig verstanden, dass es dem Author darum geht, dass das Verhältnis "Fehler der Quinte"/"Größe des kleinsten Intervalls" minimal ist? Falls ja, dann habe ich den Text tatsächlich missverstanden. Ist auf jeden Fall nicht uninteressant, diese Sichtweise - ob das jetzt tatsächlich so gemeint war oder nicht.

Für 117/200 wäre das erst explizit zu zeigen, dass es keine bessere Näherung für n < 200 gibt. Und dann ist sie ja nicht optimal, siehe Vergleich oben.
Ich habe das irgendwann mal mit 'nem Programm ausgerechnet, und ich bin mir relativ sicher mich zu erinnern, dass die besten Näherungen für die Quinte (bei logarithmischer Annäherung, ab 12) der Reihenfolge nach in Stimmungen mit 12, 29, 41, 53, 200, ... Einteilungen pro Oktave liegen. Einen mathematischen Beweis habe ich nicht, ich vertraue da einfach mal der Rechengenauigkeit meines PCs. ^^

Dass 29et und 200et nach dieser Definition nicht optimal sind mag sein - ich schau mir das die Tage noch mal an.

Viele Grüße

P.S.: Ob "optimal" oder nicht - 29et ist als Näherung der pythagoreischen Stimmung recht brauchbar (b2 < #1, und wesentlich bessere Annäherung der Quinte als in 17et, bei der ebenfalls b2 < #1 ist), und 200et ist einfach interessant, weil sie für die reine und für die mitteltönige Quinte ziehmlich gute Annäherungen besitzt.
 
Ganz allgemein gesprochen, es ist ja nicht so, dass jenes, was (in dem Fall vornehmlich in der westlichen Kultur) die meisten Menschen verwenden, das einzig wahre oder das einzig brauchbare ist. Im Gegenteil, es ist nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten. Eine Möglichkeit, welche es im Laufe der Entwicklung zu einer extremen Verbreitung geschafft hat. Ich persönlich denke, dass diese heutige extreme Verbreitung des 12tet maßgeblich folgende Gründe hat:

1. Die Entwicklungen im Instrumentenbau in den letzten 300 Jahren hat zu einer starken Verbreitung von Instrumenten mit Hauptstimmung im 12tet geführt, so dass es schwierig ist, Alternativen zu finden oder überhaupt zu wissen, dass es Alternativen gibt.

2. Das 12tet passt gut zu vielen historischen Volksmusiken in Europa... welche dann in Amerika weitergelebt und verändert wurden. Früher, als es noch kein TV oder Internet gab, geschweige denn Tonträger, haben die Menschen viel mehr im Alltag in ganzen Gruppen gesungen und musiziert. Die Volksmusiken hatten so einen sehr hohen Stellenwert, und das 12tet ermöglichte weiterhin diese Musiken.

3. In der Gesellschaft in Europa und Amerika wurden Schulen aufgebaut, in großem und in kleinem Rahmen, in denen Musik gelehrt wurde. Die von vielen Leuten als angenehm empfundene tonale Musik, seit ca. 200 Jahren auf Basis des 12tet, wurde dabei bevorzugt, und dies ist heute noch an sehr vielen Orten des Lehrens so.

4. Intendanten, Direktoren und Verbände bevorzugen heute noch tonale Musik, da die meisten Menschen so konditioniert sind (durch Medien wie TV, Tonträger, Zeitschriften... aber auch durch Events), dass sie tonale Musik auf Basis des 12tet, oder auch auf an die "reine Stimmung" angelehnten Systemen, bevorzugen, und somit die Wahl von solcher Musik auf einfachere Art und Weise mehr Geld in die Kassen bringen kann.

5. Die Kirche hat Musik dahingehend entwickelt, sie einschläfernd und betörend klingen zu lassen. Diese Entwicklungen liegen allerdings schon weiter zurück als die Erfindung des 12tet. Hier liegt jedoch die Wurzel allen Übels begraben. Die Kirche hatte in Europa einen gewaltigen Einfluss auf die Gesellschaft, und das ist bis heute immer noch so. Damals fing sie an, die Menschen zu konditionieren mit tonaler Musik, und die Kirche beeinflusste dabei maßgeblich den Instrumentenbau.

6. Erst später, als die Bestrebungen der Kirche schon Früchte trugen, entstanden fortschrittliche Streich- und Blasinstrumente, Orchester und Opern. Die Komponisten und der Adel (damalige Intendanten und Direktoren stammten meist aus dem Adel) in der Zeit der Entstehung der klassischen Musik wie wir sie heute noch kennen waren letztendlich durch Kirche und Volksmusiken weitestgehend konditioniert, und so arbeiteten sie im Rahmen tonaler Musik. Im Barock und in der Klassik entwickelte man recht komplexe und intelligente Musik mit System, die jedoch durch Kirche und Volksmusiken sowie den daraus resultierenden Instrumentenbau ihren Rahmen bereits vorgegeben hatte: tonale Musik, die später dann im 12tet fortgesetzt wurde. Irgendwann wurden diese Barrieren, die langsam aber gewaltig entstanden waren, in Europa und Amerika wieder aufgebrochen (Romantik, dann zweite Wiener Schule, parallel zu letzterer Entdeckung des Jazz, Serialismus, Wiederentdeckung der "Mikrotonalität"), und dieser Prozess ist heute noch im Gange.


Ich erhebe hiermit natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist eine grobe Darstellung meiner Ansichten auf den musikalischen Kontext, in dem wir heute in der westlichen Kultur leben. Einige diese Ansichten beschreibt Thomas Levenson in seinem Buch Measure for Measure: A Musical History of Science. http://www.amazon.co.uk/Measure-Musical-History-Science/dp/0684804344
 
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