Ich kann mich da den anderen nur anschließen. Ich gehe selber den "steinigen" weg des Selbststudiums und man kommt hin und wieder an einen Punkt, in dem sich die Gesangstechnik auf die ein oder andere Art "festfährt". Dann ist es sehr sinnvoll mal einen Reset zu machen.
Kenshi hat es mal so formuliert: Wenn die Gesangstechnik ein Turm ist, dann ist es manchmal nötig den Turm teilweise oder sogar komplett wieder einzureißen. Danach kann man aber aus den Trümmern relativ schnell einen neuen und besseren Turm bauen.
Es hängt auch ein bisschen vom Lerntyp ab: Ich selbst lerne einzelne Konzepte (Twang, Abschlanken, Belting etc.) meist sehr intensiv und isoliert. Was dann leicht passiert ist, dass man zu sehr "verkopft" beim Singen oder einen zu starken Fokus auf die zuletzt geübte Technik legt.
Die Art, wie ich einen gesanglichen Reset mache, ist der sogenannte "Baby-Cry-Modus". Dieser Modus ist eine atemorientierte Gesangstechnik, d.h. der Gesangsvorgang wird durch Aktivität der Atem- und Stützmuskulatur gesteuert. Der Modus ist zu einem großen Teil intuitiv, Babys benutzen ihn zum Schreien. Besonders wichtige Eigenschaft dabei ist, dass der Kehlkopf komplett locker und entspannt wird, und genau dadurch wird so etwas wie ein "idealer Mix" erzeugt, bei dem Kopf- und Bruststimme immer in gleichem Maße aktiv sind. Dadurch entfällt der Unterschied zwischen Brust- und Kopfregister größtenteils. Das große ABER dieses Modus ist, dass der Atemdruck (und auch die Lautstärke) linear mit der Tonhöhe steigt, d.h. hohe Töne sind körperlich sehr anstrengend, deshalb sollte man es mit der Tonhöhe nicht übertreiben.
In den Baby-Cry modus kommst du z.B. so
Schritt 1: Enstpannen des Kehlkopfes
- Dazu ist es erstmal wichtig, dass dein Gesicht komplett entspannt ist, versuch dein Gesicht und deinen Unterkiefer einfach mal "hängen" zu lassen, völlig zu entspannen. Dabei wird sich der Mund leicht öffnen, der Gesichtsausdruck wird "leer" und geistesabwesend. Dieser Zustand wird manchmal auch "Dorftrottelblick" genannt.
- Die Zunge ist ebenfalls wichtig. Sie geht in der entspannten Position etwas nach vorne. Die Zungenspitze liegt dabei auf den unteren Schneidezähnen auf. Stell dir einfach vor, wie deine Zunge liegen würde, wenn du keine Zähne hättest.
- Es ist ganz wichtig, dass du diesen Modus über die gesamte Zeit beibehältst, also absolut keine Anspannung oberhalb des Brustkorbs. Stell dir vor dein Kopf wäre gar nicht da und du würdest nur "aus dem Bauch heraus" singen.
Schritt 2: Einatmen
- Mach dir übers einatmen nicht zu viel Gedanken, wichtig ist nur, dass du nicht hochatmest, was du daran erkennst, dass deine Schultern sich nicht heben. Ein guter Weg eine einfache Tiefenatmung zu machen ist ein kurzer und schneller Atemzug, indem man sich vorstellt, man würde sich erschrecken.
Schritt 3: Phonieren
- Aus dieser Grundstellung erzeugt du jetzt Töne auf dem Vokal "ahhh", beginne zunächst sanft und soft und erhöhe dann Schrittweise den Atemdruck. Dies geschieht in diesem Fall tatsächlich durch "pushen" von Atemdruck. Dieses "pushen" erzeugst du, indem du dir vorstellst du würdest den unteren Rücken nach hinten/unten drücken ("mit dem Rücken singen"). Mit steigendem Atemdruck wird sich die Lautstärke und Tonhöhe erhöhen.
- Um nochmal zu betonen: Wichtig ist, stell dir vor dein Kopf würde gar nicht existieren, alles oberhalb des Brustkorbs muss in dieser entspannten Stellung (Schritt 1) bleiben.
Ein sinnvoller Tonbereich ist leicht über den Bereich hinaus zu gehen, der typischerweise als Bruststimme bezeichnet wird, als Mann ist es meist sinnvoll zunächst etwa bis f' hochzugehen.
Der Sinn dieser Übung ist, das Gefühl des "entspannten Kehlkopfes" zu erzeugen. Das ist wirklich nur ein Gefühl, denn in Wirklichkeit steht der Kehlkopf (wie bei jeder Phonation) unter einer gewissen Spannung. Diese Spannung ist aber absolut ausgeglichen und gleichmäßig, deshalb nimmst du es als "enstpannt" wahr (man spricht auch von Indifferenzlage). Zudem ist es so etwas wie ein "full-body-workout" für Gesang, denn hier werden alle für den Gesang wichtigen Muskeln in sehr gleichmäßiger Weise aktiviert (Stützmuskulatur, Twang, innere und äußere Kehlkopfmuskulatur).
Wenn du eine Weile damit geübt hast, kannst du langsam wieder in eine kehlkopforientierte Gesangstechnik wechseln (in sofern du eine solche vorher benutzt hast). Versuche dabei vor allem dieses Gefühl des "entspannten Kehlkopfes" mitzunehmen während du deine bekannten Gesangsübungen machst. Denn das Ziel einer jeden Gesangstechnik ist es den "entspannten Kehlkopf" zu erzeugen und zu erhalten, was physiologisch letztendlich bedeutet, dass die Muskelgruppen, die die Brustimme bzw. die Kopfstimme erzeugen zu jedem Zeitpunkt etwa in gleichem Maße aktiv sind.