Eigentlich ist es so, in je besseren Venues man als Mischer arbeiten kann, desto weniger krasse Skills braucht man.
Das is SO wahr, dass es zum heulen ist
Ich will aber noch mal was aus einer eher akademischen Ecke schreiben. Akademisch meine ich diesesmal so: In der Praxis habe ich das so 100%ig noch nie durchgezogen - die Zeit dafür war nie da, und man kommt ja auch mit den Ohren zu guten Ergebnissen. Aber lassen wir uns mal drauf ein. Die Hintergrundgeschichte ist also zu 20%Fiktion, kein richtiger Erlebnisbericht.
Die Situation: Live-Konzert, ich mache FoH-Sound, ich will eine Live-Aufnahme (Multitrack) machen, ich will die SPL-Pegel im Auge halten (Ohren ermüden, man wird ja manchmal unwillkürlich lauter über den Abend) und dokumentieren, ich will die PA nicht nur mit den Ohren einmessen, sondern Subwoofer und Main PA vernünftig abstimmen, denn ich habe da so den Verdacht.
Für meine Aufnahme muss ich ein Raum-Mikrofon oder zwei aufhängen - ich denke mir, ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe und hänge einfach mein Messmikrofon auf. Mit seiner Kugelcharakteristik und linearem Frequenzgang ist das SOOOO anders nicht als meine zwei alten Audio-Technica Kugel/Druckempfänger-Kleinmembraner. Ich suche mir einen repräsentativen Ort überm Publikum, Haken sind an der Decke vorhanden, fein.
Bevor ich aber an die Decke klettere, bereite ich das vor, was im amtsdeutsch eine "Ersatzortmessung" ist. Dazu lasse ich die Anlage ein rosa Rauschen abspielen, laufe ich mit einem SPL-Meter (in A-gewichtung) im Raum herum, und zwar vorne an der PA, die lauteste zu erwartende Stelle im Saal - diese gilt nämlich für Messungen zum Thema Lärmschutz. Gemein, aber wahr.
Der lauteste Ort ist diesesmal vor der rechten PA, auf statistisch durchschnittlicher Ohrhöhe gemessen: an dem Ort, wo ein Gast der PA am nächsten kommen kann.
Dort kann ich während der Show das Mikro für meine SPL-Messung nicht stehen lassen, weil brüllendes Publikum die Messung verfälschen, oder einfach das Mikro klauen könnte.
Darum halte ich das Messgerät danach an die Stelle wo das Messmikro hängen wird - das ist der Ersatzort, und notiere die Differenz im Schallpegel.
Daß es ein billiges Messgerät, ist unerheblich - denn für solchen relative Messunge (mich interessiert die Differenz, nicht die beiden Absolutwerte!) braucht es die amtliche Eichung nicht. Ich weiss nun, daß diese Stelle x dB leiser als der lauteste Ort ist. Ich muss das in meinen Schallpegel-Messungen natürlich nachher berücksichtigen.
Ich nehme nun den Calibrator und stecke ihn auf das Messmikrofon. Er tut wie er soll und betüdelt die Mikrokapsel mit einem 94dB lauten Sinuston. Da mein Messmikro laut Datenblatt jenseits 130dB einknickt und zerrt (die teuren können mehr Pegel ab!) stelle ich nun den Gain an meinem Mischpult so ein, daß die 130dB gerade noch so darstellbar sind ohne daß es klippt = 0dBFS (null dB digitales "Fullscale" = d.h. die digitalen Werte der "Linie" schlagen oben und unten an der Grenze des mathematischen Wertebreichs an - mehr geht nicht). Das heisst, ich gebe genau so viel Gain am Mic-Pre-Amp daß die 94dB vom Calibrator bei -36 dBFS liegen. Nach Adam Riese läge ein 130dB lautes Signal dann bei 0dB.
Davon mache ich eine kurze Aufnahme, REW wird sich später (nach dem Konzert) mit dieser Aufnahme kalibrieren lassen, so daß ich z.B. die Durchschnitts-Schallpegel, also die "Dosis" der Zuschauer (in dB LA
eq) der Show anhand der kalibrierten Aufnahme von REW messen lassen kann. Aber das nur am Rande, es geht weiter:
Auf diese Weise kalibriert, hänge ich das Messmikro nun auf, und schreibe mir den Mic-Pre-Gain auf - den muss ich GENAU SO in jeder Mixerszene des Abends haben, sonst ist die Messung futsch.
Jetzt fange ich an, die PA einzumessen. Dazu spiele ich angenehme Musik auf der PA ab, auf einer angenehmen Lautstärke. Nein, kein rosa Rauschen, das will keiner hören und nervt nur.
Ich starte den Laptop die Software OSM. Das ist eine "transfer function" Software, die eine zweikanaligen Messung durchführt. Hä? Mit nur einem Mikrofon zweikanalig messen?
Ja genau. Die Software kriegt zwei Signale zugeführt. Einmal ein Signal direkt vom Mischpult, also Main L oder Main R, und das andere Signal ist das Messmikro.
Was OSM draus macht ist folgendes: Einmal kann ich mir natürlich einen normalen RTA/FFT Frequenzschrieb anzeigen lassen. Langweilig. Das kann ich auch mit dem Handy oder REW etc etc.
Viel spannender: "transfer function" heisst, die Software wertet die beiden Inputs in Relation zueinander aus. D.h. sie vergleicht in Echtzeit, wie die Musik unverfälscht aus dem MainOut des Pultes klingt, und wie das ganze sich in Zeit/Phase und Frequenzgang VERÄNDERT hat, bis es durch die Anlage/Boxen/Saal gelaufen ist und am Messmikro ankommt.
Der schöne Effekt: Ich lasse jetzt also irgendeine schöne Musik ablaufen, und OSM sagt mir, wie der Frequenzganz der Anlage ist. Wichtig natürlich, die Musik muss fullrange sein - wenn kein Bass im Signal vorhanden ist, kann OSM auch keinen auswerten.
Dafür gibt es extra eine separate Anzeige "Coherence" in OSM, ob über den gesamten Frequenzbereich überhaupt auswertbares Signal zwischen Signal A und B "wiedererkannt wird".
Wenn das Publikum später abends die PA mal so richtig überbrüllt, kann die Coherence-Anzeige übrigens schon mal kurzzeitig wegsacken, weil das Brüllen ja nicht aus meinem Pult und durch die Anlage kommt, aber trotzdem vom Messmikrofon gehört wird.
Ich schaue mir den sog. "Magnitude Trace" an, der mir den Frequenzgang meiner PA zeigt.
Unschön. Im Tiefmittenbereich ist ein ziemliches Loch. Ich ziehe gleich mal am EQ meines Main Busses genau diesen Bereich hoch. Es klingt im Raum gleich ganz anders, aber ziemlich scheiße. Die Anzeige "RTA" macht gleich eine ziemliche Aufwärts-Beule an der Stelle, aber der Magnitude Trace zeigt KEINE Veränderung? DAS (die EQ-Anhebung) ist also nicht die Lösung
Aber ich bin ja auch doof. Ich habe mit dem EQ ja auch das "A" Signal verändert, und "B" nimmt die Veränderung halt mit auf. Ich habe, anders gesagt, ja auch nicht den Frequenzgang der PA verändert, sondern nur das, was ich mit meinem Pult in das System reinschicke.
Also ran an die Frequenzweiche. Sieh an, das ist dort, sagen wir "kreativ" eingestellt. Zwischen der oberen Grenzfrequenz der Subs und der unteren Grenzfrequenz der Tops klafft eine Lücke. Kein Wunder, daß das so scheisse klingt wie das billige Sub-Sat System mit den winzigen Satelliten in meinem Wohnzimmer daheim. Da fehlt auch ne gute Oktave zwischen Subs und Sat. Nun, hier an dieser PA kann ich das glücklicherweise einstellen, bei dem billigen Teufelszeug zuhause geht das nicht <- soll kein Hinweis auf irgendeine Marke sein)
Ich schließe die Lücke, in dem ich die Tops auch wirklich bis runter zu den Subs spielen lasse. Während ich an den Parametern drehe, schaue ich immer mal auf den Magnitude Trace. Schiebe ich die Grenzfrequenzen zu eng zusammen, erzeuge ich, gut zu sehen, zuviel Überlappung zwischen Subs und Tops (der Frequenzgang beult sich dann nach oben auf), zu weit auseinander entsteht eine Lücke. Ich stelle es so ein, daß der Magnitude Trace an der Stelle möglichst eben verläuft. Soviel zum Frequenzgang.
Dann öffne ich den "Phase" Trace. Der zeigt mir an, wie die Phasenlage ist.
Funktionsweise dieser Anzeige: X-Achse ist Frequenz, wie bei RTA/Magnitude auch. Y-Achse ist Phasenlage.
Fällt die Linie von den Bässen zu den Höhen hin ab, eilt der Bass voraus. Steigt sie an, hängt er zeitlich nach. Die Kurve kann in dieser Anzeige auch unten aus dem Bild rauslaufen, dann läuft sie oben wieder rein(dann haben wir 360° versatz)
So, was sehe ich da gerade. Sieht zuerstmal ziemlich wild aus. Die Kurve fällt pro Oktave mehrfach durchs die Anzeige, unten rein oben raus, CHAOS. Kein Wunder, ich muss der Software noch sagen, wie weit die zwei Signale verzögert zueineander sind. Den Wert kann ich in millisekunden mit zwei Nachkommastellen eintippen, aber es gibt auch einen "Estimate" Button - wie gesagt, diese Software vergleicht A und B Signal, und "erkennt" das Signal wieder, und demnach auch die zeitliche Differenz.
Nach dem Klick auf "estimate" beruhigt sich der Phase Trace sofort - schön gerade ist er aber immer noch nicht. Weiter rechts im Mitten-Höhen-Bereich hubbelt es. Na gut, das ist die interne Frequenzweiche in den Tops, die zwischen Woofer und Tweeter auftrennt. Die ist halt so wie sie ist. Nicht drüber nachdenken, lääst sich eh nur durch bessere Tops beheben.
Viel fieser hubbelt es aber an der Grenzfrequenz zwischen Subs und Tops, und da kann man was machen. Die Einstellungen in der Frequenzweiche sind eigentlich unverdächtig, ich gehe zu den Subs. Ach sieh an, die alten Kübel haben solche "Phase" Drehregler, und die sind beide auch noch unterschiedlich eingestellt. Na danke schön. Schnell korrigiert.
Der Phase Trace sieht nun besser aus, aber ist immer noch nicht wirklich gut. Irgendwie hängt der Sub-Bereich noch nach, die Kurve hängt links an der Grenzfrequenz unten tief drin, und läuft weiter nach links ein paarmal durchs Bild. Dann verzögern wir eben die Tops ein Stück in der Weiche (ich hätte sie eher Systemprozessor nennen sollen, weil das trifft es eher). Sieh da, es wird gleich besser,nicht perfekt, aber besser.
Lassen wir nun die Kirche im Dorf. Die Phasenlage ist zwar nicht perfekt, aber es ist vermutlich das erste mal, daß sich überhaupt jemand mit dem Time-Alignment dieser Anlage befasst hat.
Die Anlage ist jetzt also für sich genommen, aus technischer Sicht, gut eingemessen. Wäre ich eine Beschallungs-Planungs-und Installationsfirma, wäre mein Job als Systemdesigner hier zu Ende. Es könnte jetzt ein Tontechniker einer Band ankommen, sein Pult anstöpseln, und sich über eine gut vorbereitete Anlage freuen. Ich bin ja aber keine Installationsfirma, sondern ja selber der FoH-Mensch des Abends. Es gibt noch zu tun.
Am Main-Out EQ meines Mischpulte Anlage kann ich jetzt noch nach Geschmack Veränderungen vornehmen. Aber das zählt dann nicht mehr als Einmessen, sondern als persönlicher Geschmack und gehört zum Soundcheck und zum Mixen dazu.
Also mache jetzt in der Software die ganzen Traces weg, und rufe statt dessen die SPL = Schalldruck-Anzeigen auf und stelle diese in der Software ein - ihr wisst schon, 94dB Kalibrator, Differenz zwischen lautester Stelle und Ersatzort und so. Ich habe also jetzt auf meinem Laptop-Monitor eine Anzeige, die mir den Pegel an der lautesten Stelle des Saales anzeigt, obwohl das Mikro ganz woanders hängt - nämlich da, wo es mir für meine Aufnahme (Raummikro) taugt!
Ich schalte jetzt die Spuren für die Multitrackaufnahme scharf, ich will schon den Soundcheck testweise aufnehmen. In der Zwischenzeit, habe ich gar nicht gemerkt, ist die Thekenmannschaft schon fleissig am Kisten reintragen, und auch die Band schon angekommen und hat angefangen, ihr Zeug in den Saal zu räumen. Ich sage Hallo und wir sprechen kurz ab, wie es weitergeht.
Jemand kommentiert die Hintergrundmusik. Sie gefällt ihm. Mir auch. In jedem Fall besser als Rosa rauschen.