Widerspruch: "Musik" und "Persönlichkeit/Privatleben des Künstlers"

  • Ersteller DerZauberer
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(Ein) Kunst(werk), und dazu gehört Musik, kann (disclaimer: in gewissem Rahmen) "für sich selbst sprechen", d.h. eine eigene Bedeutung jenseits des jeweils Kunstschaffenden besitzen

Ich würde sogar noch weiter gehen.
Kunstwerke sprechen ausschließlich für sich.
In der Literatur gab es eine ähnliche Debatte in den 60ern, angestoßen durch einen Aufsatz mit dem Titel "Der Tod des Autors", in dem der Literaturwissenschaftler Roland Barthes "den traditionellen Biographismus, bei dem die Erklärung eines Werkes immer um die Person zentriert ist" kritisiert. (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tod_des_Autors_(Roland_Barthes))
Ich bin auch der Meinung, dass man Musiker und Werk grundsätzlich getrennt voneinander betrachten sollte.
Solange es an der Musik selber moralisch nichts zu beanstanden gibt, sehe ich keinen Grund das Werk wegen seines Erschaffers abzulehnen. Ein solche Verweigerung des Werks kommt mir irrational vor. Wenn zB ein Kücheninstallateur wegen Mordes überführt wird, würden seine Kunden ja auch nicht ihr Küchenmobiliar austauschen wollen.
Eine Frage, die ich mir vielleicht stellen würde in der Hinsicht: Möchte ich Musiker/Künstler, die wirklich schlimme Dinge getan haben oder in irgendeiner anderen Weise fragwürdig sind, auch noch finanziell durch CD-Käufe, Kinokarten etc. unterstützen?

- Michael Jackson - der Mega-Star schlechthin, aber sein Verhältnis zu Kindern war immer irgendwie seltsam

Obwohl Jackson den Ruf des Kinderschänders wohl für immer weghat, konnte ihm übrigens nie nachgewiesen werden, dass er Kindern in irgendeiner Form geschadet hat.
Die tatsächliche Rechtslage und das Rechtsempfinden sind leider zwei verschiedene Paar Schuhe. Die meisten Menschen sehen nicht Jacksons Schuld als zweifelhaft an, sondern seine Unschuld.
(Der einzige wirklich belegte Fall, wo er ein Kind in Gefahr gebracht hat, ist vielleicht der, wo er sein eigenes Baby zu Vorführzwecken aus dem Hotel-Fenster gehalten hat.)
Unter anderen Umständen, wenn Jackson kein Weirdo gewesen wäre, hätte man ihn vielleicht stets als besonders kinderlieben Star bezeichnet. Man weiß nie, hinter welcher Maske sich die Monster verstecken. Siehe Jimmy Savile.
 
Na ja, da gibt es ja die schöne Geschichte von Springsteen, wie er aus einer Striptease Bar kommt und draußen von zwei Fans "erwischt" wird. Die halten ihm dann vor, dass er da ja nicht machen könne, er hätte doch Vorbildfunktion usw. Da antwortet er: "Ja, Moment. Ihr müsst unterscheiden zwischen den Springsteen auf der Bühne und dem privaten Springsteen. Der Springsteen von der Bühne sitzt gerade zu Hause und begeht gute Taten, während sich der private Springsteen gerade etwas amüsiert hat." (Frei aus dem Gedächtnis übersetzt. Quelle: VH1-Storytellers.)
Was er damit sagen wollte, man muss unterscheiden zwischen der Person, die in der Öffentlichkeit steht und der privaten Person, die noch immer ein "normaler" Mensch ist, mit menschlichen Bedürfnissen und Verlangen.

Einen Punkt find ich hier sehr gut und wichtig: Nämlich, dass man bekannten Persönlichkeiten ihr Privatleben zugesteht und sie im Kern normale Leute sind wie jeder andere auch, also mit grundlegenden Bedürfnissen, die wir alle gemeinsam haben.

Eine Sache stört mich aber bei dem, was du sagst. Wenn ich das richtig verstehe (und wenn nicht, korrigier mich gerne), findest du es legitim, dass Künstler ein positives Bild von sich aufbauen, das sie dann auf der Bühne präsentieren und damit andere Menschen inspirieren. Dem müssen sie aber im echten Leben nicht entsprechen. Das klingt für mich so, als müssten bekannte Künstler das Recht haben, absolute Heuchler zu sein, um als Inspiration für andere Menschen irgendwie tauglich zu sein. Genau das ist grundlegend falsch. Wenn jemand als Vorbild gilt und andere sich ein Beispiel an ihm nehmen, obwohl das vermeintliche Vorbild gar nicht so lebt, dann eifern andere nur einem Märchen nach und es wüsste nicht, warum das zu etwas Gutem führen sollte. Eher sehe ich die Gefahr, dass Fans dann einem Idealbild nachfolgen, von dem sie am Ende nur enttäuscht werden.
 
Wenn jemand als Vorbild gilt und andere sich ein Beispiel an ihm nehmen, obwohl das vermeintliche Vorbild gar nicht so lebt, dann eifern andere nur einem Märchen nach
Naja, der ganze Zirkus heißt nun mal Showbusiness, vieles ist da nun mal Märchen, man sollte nicht so naiv sein alles zu glauben was da so passiert.
 
In der "Klassik" finde ich dazu nicht so viele Beispiele, jedenfalls, was in eine wirklich kriminelle Richtung geht.
Da fällt mir spontan nur Carlo Gesualdo ein, der mit seinen so außerordentlich stark mit Chromatik durchwebten Madrigalen einen faszinierenden Beitrag zur Musikgeschichte geliefert hat, der aber auch nachweislich einen Mord (aus Eifersucht, aber geplant, nicht aus Affekt) begangen hat [https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Gesualdo].

Ansonsten gab es natürlich den einen oder anderen "Kotzbrocken" an dessen Musik wir uns erfreuen, den wir in der persönlichen Begegnung aber wohl eher gemieden hätten.
Als ´Paradebeispiel´ dazu möchte ich W.A. Mozart nennen. Über seine Musik muss man keine Worte verlieren, über seine Persönlichkeit wurde aber erst in der neueren Musikwissenschaft konkreteres berichtet. Der Geniekult vor allem des 19. Jahrhunderts hat systematisch alle negativen Aspekte seiner Person kräftig ausgeblendet. Angefangen hat schon seine Witwe Constanze damit, die viele Briefe vernichtet bzw. viele Stellen darin geschwärzt hat. Allerdings auch, um ihre eigne (und die ihrer Familie) höchst unrühmliche Rolle als massive Geldverschwenderin zu verschleiern.
Mozart muss nach allem, was man heute weiß auf keinen Fall ein umgänglicher Zeitgenosse gewesen sein, eher ein richtiger Unsympath. Dazu hat er, obwohl selber Großverdiener, sich fortwährend Geld geliehen um nicht zu sagen geschnorrt um die Verschwendungssucht seiner Frau (aber auch seine eigene) zu kompensieren.
So hat er nicht nur viele Freunde und Bekannte regelrecht ausgenommen, sondern auch vor allem seinen Vater und seine Schwester. Als er starb hatte er bei Ihnen noch jede Menge Schulden, die auch von der Witwe nie zurück gezahlt wurden.
Definitiv kein feiner Zug.
Seine Musik wird gleichwohl landauf, landab täglich gespielt. Wäre aber auch schade drum.

Von Berthold Brechts Verhältnis zu Frauen weiß man auch nichts Gutes zu sagen, und in persönlichen Dingen hat er überhaupt oft heftig gelogen.
Ein revolutionärer Neuerer des Theaters bleibt er gleichwohl.
 
Ein gutes Beispiel, das Wolferl :great: ;)
 
Ansonsten gab es natürlich den einen oder anderen "Kotzbrocken" an dessen Musik wir uns erfreuen, den wir in der persönlichen Begegnung aber wohl eher gemieden hätten.

Also Mozart find ich sympathisch, mich hat er nie angepumpt.
Aber wenn ich an R.Wagner denke:evil:
 
@Zauberer: mmn zeigst du die absolut richtige reaktion und du bist da nicht der einzige, ich kann das voll nachvollziehen.

künstler die privat unmenschen sind, in welcher weise auch immer sie anderen schaden, lehne ich ab.

kann man das werk eines künstlers überhaupt von seiner person trennen? ich meine, was könnte persönlicher für einen künstler sein, als sein werk?
 
Das klingt für mich so, als müssten bekannte Künstler das Recht haben, absolute Heuchler zu sein, um als Inspiration für andere Menschen irgendwie tauglich zu sein. Genau das ist grundlegend falsch.
Nein. Anders. Beispiel. Ich hatte mal einen Arbeitskollegen und Vorgesetzten, der war auf der Arbeit absolut korrekt und humorlos. Dann habe ich ihn mal auf einer privaten Party getroffen. Da hat er einen Blondinen-Witz nach dem anderen vom Stapel gelassen. Am nächsten Tag war er wieder der absolut korrekte Arbeitskollege und Vorgesetzte. Es gibt eben die private Person und die öffentliche/arbeits Person. Oder anders gesagt man verhält sich in unterschiedlichen Situationen/Umfeldern unterschiedlich. So wie es manche Künstler und eben auch Springsteen auch tun. Wobei ich denke, dass es bei Springsteen nicht so extrem ist. Oder nimm dir Kiss. Es wäre wohl sehr befremdlich, wenn sie so geschminkt, wie auf der Bühne, zum Einkaufen gehen würden. Das ist eben das Showbusiness, was eben erwähnt wurde. Noch mal ein Springsteen Beispiel. Es gibt da so eine jährliche Charityveranstaltung. Da stand ein Springsteen auf der Bühne, der zotige Witze erzählt hat während des Auftritts. Ich dachte: "Was ist denn das für ein Springsteen? Das ist eine Charityveranstaltung und der erzählt da zotige Witze. Was soll denn das? So kenne ich ihn ja gar nicht." Ich war etwas verstört. Dann habe ich eine Bekannte aus den USA, die auch Springsteen Fan ist gefragt, was da los ist. Die hat mir dann erklärt, dass das vollkommen in Ordnung ist, da es so Tradition ist bei der Veranstaltung. Aber so Witze würde er nie bei einem Konzert mit der E Street Band erzählen.
 
Wie sieht es denn aus, wenn es nicht beim Konsum bleibt [...]
Da liegt es nahe, dass sich eine gewisse Identifikation mit dem Künster einstellt [...] und dieses Band [...] brüchig wird, wenn als inakzeptabel angesehene Handlungen oder auch Haltungen bekannt werden - oder?
Sicher. Identifikation mit einem Künstler geht ja weit über die bloße Beschäftigung mit einem Kunstwerk hinaus (ich denke bei deiner Frage vor allem an z.B. Tribute-Bands); da scheint mir die Verbindung mit der Person des Künstlers kein Bug, sondern ein Feature des ästhetischen Urteils, das folglich sehr viel mehr mit dem ethischen Urteil ineinanderfließt als sonst.

"Der Tod des Autors" [...] Roland Barthes
Ein guter und wichtiger Hinweis!
Allerdings würde ich sagen, dass Barthes in seiner Einschätzung den Bogen etwas zu weit spannt, oder vielleicht anders/besser: Seine These vom Tod des Autoren (hier natürlich als pars pro toto für den Künstler allgemein) ergibt dort Sinn, wo eine Dichotomie aufgespannt wird zwischen einer rein "objektiven" Bedeutung des Kunstwerks, die ausschließlich beim Kunstschaffenden verortet wird, und einer rein "subjektiven" Bedeutung des Kunstwerks, die ausschließlich in den Augen des Betrachters liegen soll. Hier ist der "Tod des Autors" wesentlich dafür, dem Betrachter überhaupt einen Möglichkeitsraum zu eröffnen, damit ein Kunstwerk für diesen eine eigene Bedeutung haben kann. So hat die These in Relation zu dieser Dichotomie eine nicht zu vernachlässigende Berechtigung, insofern sie den Grundstein dafür legt, dass ein Kunstwerk ein Sinnpotenzial besitzt. Über dieses Sinnpotenzial wiederum erschließt sich das Kunstwerk dann über die konkrete(n) Zeit(umstände) seiner Entstehung hinaus, so dass es nicht rein auf die innerlichen und äußerlichen Bedingungen des Kunstschaffenden reduziert werden kann.
Außerhalb der o.g. Dichotomie jedoch hängt die These eher in der Luft. Schließlich ist der Autor überhaupt erst einmal die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass ein Gegenstand zum Artefakt ("etwas künstlich Gemachtes", "Kunstwerk") wird und infolge überhaupt Bedeutung haben kann. Sinn ist immer an Sinn-Stiftung gebunden, und ohne den Kunstschaffenden fehlt das.

Insofern würde ich eher sagen, dass Musiker und Werk zwar nicht getrennt, aber doch voneinander unterschieden betrachtet und beurteilt werden können und sollen. Die Frage läuft dann letztlich darauf hinaus, wo man mit der Betrachtung einsteigt, ohne die jeweils andere Seite gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen: beim ästhetischen Urteil bezogen auf das Werk, oder beim ethischen Urteil bezogen auf den Musiker?
 
Insofern würde ich eher sagen, dass Musiker und Werk zwar nicht getrennt, aber doch voneinander unterschieden betrachtet und beurteilt werden können und sollen. Die Frage läuft dann letztlich darauf hinaus, wo man mit der Betrachtung einsteigt, ohne die jeweils andere Seite gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen: beim ästhetischen Urteil bezogen auf das Werk, oder beim ethischen Urteil bezogen auf den Musiker?
Genauso sehe ich das auch.

Gerade aktuell: Nach Missbrauchsvorwürfen: Veröffentlichung von Ryan-Adams-Album gestoppt
https://www.faz.net/aktuell/gesells...g-von-ryan-adams-album-gestoppt-16044309.html
Ich denke, auf so was wollte der Threadersteller hinaus.
 
Genau um den geht’s mir auch gerade.

Es ist was anderes, ob man den Künstler als „Kind seiner Zeit“ sehen kann, als „damals war das halt so und insofern OK“, oder ob es eben einer ist der genau so alt ist wie man selbst und der noch ein paar Jahrzehnte Karriere vor sich hat.

Und... der eben bisher absolut wichtig für den persönlichen Soundtrack ist. Ich habe alle Alben, nicht nur Digital sondern auch auf Vinyl, das neue ist (war?) vorbestellt und ich habe für ~300 Euro zwei Tickets für das Konzert in der Royal Albert Hall ...
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Bei Heino oder Rex Gildo wäre eine Schlagzeile

"Heino verprügelt Portier und demoliert Hotelzimmer"

wahrscheinlich das Karriereende gewesen.
Bei einem Rockstar nicht.

Bei Gangster Rappern gehört zumindest der Anschein kriminell zu sein und Frauen wie der letzte Dreck zu behandeln einfach dazu.
 
https://www.nytimes.com/2019/02/18/...n=latest&contentPlacement=1&pgtype=collection

Wenn man sich das anhört, kann der Typ eigentlich für einen nur erledigt sein. Ich hab' jetzt £45 für die LP-Sonderedition und £250 für 2 Tickets zur UK-Tour wieder zurückzuholen.
Habe mich aber entschieden, die "alte" Musik weiterhin gut zu finden. Und wenn's nur im stillen Kämmerlein für mich allein ist - empfehlen kann ich den nicht mehr.
Echt schade.
 
Wie macht ihr das? Habt ihr ähnliche Erlebnisse/Stories? Könnt ihr trennen zwischen "tollen" Songs und "schwierigen" Künstlern?
Um mal auf die Frage einzugehen....mir ist erstmal völlig egal was ein Künstler/Künstlerin privat anstellt. Um bei der Musik zu bleiben, wenn mir ein Lied oder ein ganzes Album gefällt tut es das auch wenn der Interpret oder ein Teil davon (im Falle einer Band) priv. die absoluten Arschlöcher sind.
Wenn ich alle CD's aus dem Regal verbanne bei dem die Künstler gewaltätig waren/sind einen sehr lockeren Umgang mit Alkohol und zahlreichen weiteren Drogen pflegen....naja...dann wäre wahrscheinlich bis auf ein paar Kinder-Hörspielkassetten nicht mehr viel da.
Auf der andere Seite kann man sich ja auch fragen, ob der Künstler mit dem wir uns als Privatperson im Leben nicht abgeben wöllten überhaupt in der Lage wäre so kreativ zu sein wenn er so wäre wie wir in gern hätten.
 
Also den Einfluß von Drogen (egal ob nun positiv oder negativ) auf die Musik kann man sicher stehenlassen. Aber ich denke nicht, dass sich z.B. Gewalttätigkeit, Mord o.ä. qualitativ auf die Musik auswirkt?
 
Aber ich denke nicht, dass sich z.B. Gewalttätigkeit, Mord o.ä. qualitativ auf die Musik auswirkt?
Ich sage es mal so....Musik ist doch auch immer eine Ausdrucksform und viele Verarbeiten da, ob nun bewusst oder unbewusst, etwas. Also spielt die Persönlichkeit eines Künstlers da selbstverständlich mit rein.
Manch einer stellt sich vielleicht so dar wie er/sie gern wäre...das kann so weit gehen das man fast von 2 Persönlichkeiten sprechen kann.
Anders herum,wenn ich Wert darauf lege das der Künstler auch privat nichts tut was mir nicht zusagt,muss ich dann bei jedem Interpreten der mir gefällt erstmal einen Background-Check machen um dann zu entscheiden ob mir seine Musik gefällt?
Und wie weit geht das zurück...zählen Jugendsünden dazu? Geht es mich als Hörer überhaupt etwas an was berühmte Musiker/Schauspieler privat so treiben? Geht es mich etwas an wenn jemand auf Schweinkram steht?
 
Ich würde die Grenze auch immer dort ziehen, wo der Bereich persönlicher Unzulänglichkeiten und der Charakterfehler überschritten ist und die betreffende Person ins Kriminelle abdriftet. Bei Komponisten und Musikern aus der Vergangenheit werden einen heute manche Verfehlungen schon aufgrund des zeitlichen Abstandes nicht mehr berühren, das meiste ist ohnehin vergessen. Und wenn, wie in meinem obigen Beispiel bei Gesualdo seinerzeit andere Maßstäbe galten und er als Adeliger für den Eifersuchtsmord nicht bestraft wurde, so mag uns das heute zwar sehr befremden, wir müssen es aber als Tatsache aus dieser Zeit anerkennen.

Bei einem Zeitgenossen wie in deinem beispielhaften Fall Ryan Adams, @DerZauberer, würde ich auch Abstand von ihm und seiner Musik nehmen.

Ich vergleiche das mal mit meiner Haltung zum Fleischkonsum. Ich bin weder Vegetarier noch gar Veganer, bin in einer Familie und einer Zeit groß geworden, als der Sonntagsbraten Standard war und auch wochentags gerne Fleisch gebraten wurde. Es war ja auch immer billiger zu haben und schon damals lachten einen die Prospekte mit ihren reißerischen Sonderangeboten allwöchentlich an.
Mittlerweile haben wir, ich und meine eigene Familie, uns weitgehend vom Fleischessen verabschiedet. Etwas Wurst gibt es noch, Braten, Steaks usw. gar nicht mehr, bzw. nur ab und zu mal von einem Bioland-Hof aus der näheren Region (vorzugsweise dessen exzellentes Geflügel).
Nicht, dass wir Fleisch per se verabscheuen würden oder es uns grundsätzlich nicht mehr schmecken würde, nein, es waren und sind vor allem die üblen Bedingungen in der Massentierhaltung, die uns Abstand davon nehmen lassen, irgendwelche Braten etc. aus dem Supermarkt auf den Tisch zu stellen - neben den zusätzlichen negativen Aspekten wie der Rodung von Regenwäldern für den Anbau von Futter-Soja und so weiter.

Durch den Vergleich mit den Produkten aus der Bioland-Quelle habe ich zwar zusätzlich den Eindruck, dass die "Massenware" auch geschmacklich minderwertig ist, aber das gleichen ja viele mit Gewürzen und Marinaden aus. Nein, es geht vor allem um das Prinzip, es geht um die von mir als kriminell eingestuften Bedingungen im Hintergrund.
So wie eben auch bei dem hier angesprochenen Thema.

Als ein grenzwertiges Beispiel fällt mir im übrigen noch des Saxophonist Charlie Parker ein, der bekanntlich auch ein cholerischer, streitsüchtiger, egoistischer und rüpelhafter Koztbrocken war. Er ist dann auch anfänglich aus allen Bands heraus geflogen und wahrscheinlich hätte er nie Karriere gemacht, wenn Dizzy Gillespie ihn nicht irgendwann sozusagen als Mentor betreut hätte. Aber auch Parker hat soviel ich weiß keine kriminellen Handlungen anderen gegenüber begangen, so dass es ´nur´ die negativen Charakterzüge sind, an denen ich mich stoßen könnte. Das kann ich ausblenden und als seine Privatsache betrachten, so dass für mich seine Musik mit ihren durchaus genialischen Zügen im Vordergrund bleiben kann.
 
Und wenn, wie in meinem obigen Beispiel bei Gesualdo seinerzeit andere Maßstäbe galten und er als Adeliger für den Eifersuchtsmord nicht bestraft wurde.


Nach meinen bescheidenen Geschichtskenntnissen war es damals ganz legal wen Adelige ihre Fremd gehenden Gattinnen nebst Liebhaber in flagranti gleich um brachten.
Gesualdo hat anscheinend nur beim in flagranti etwas manipuliert.:evil:
 
Das ist eine gaaaanz schwierige Sache.

Reden wir überhaupt von einem echten Widerspruch oder nur von unserer Wahrnehmung?
Wir bilden unsere Urteile über Menschen anhand von bekannten oder erzählten Bruchstücken aus deren Leben. Läuft jetzt ein Ryan Adams den ganzen Tag mit Unterdrückungsfantasien rum? Wo ist die Grenze zwischen emotionaler Ausbeutung oder emotionaler Abhängigkeit aus Liebe des anderen Partners? Wie oft kennen wir Fälle aus der eigenen Bekanntschaft ("weiß nicht wie der /die es mit dem/der aushält und sich das bieten lässt...") wo sich die Frage der emotionalen Ausbeutung nicht ohne weiteres entscheiden lässt und vor allem die Schuldfrage nicht?

Ich habe oft den Eindruck dass der Vorwurf selbst schon die Verurteilung ist, jedenfalls medial. (siehe Kachelmann)
Ich kenne freilich weder Ryan Adams persönlich noch sein Verhalten.

Unser Wissen über andere ist naturgemäß begrenzt. Wir extrapolieren aus dem uns Bekannten auf den Rest. Wäre jetzt ein sogar verurteilter Straftäter NUR das? Oder auch Familienvater oder -mutter oder -divElter oder liebevoller Onkel, fleissiger Arbeiter, begnadeter Musiker usw. usw. usw. ? Ich bin hier für eine möglichst klare Trennung obwohl mir das selbst auch oft genug schwerfällt ( Bill Cosby z.B.) und das meine Sichtweise auf andere Menschen natürlich auch beeinflusst.

Im Fall von Adams reden wir vermutlich von einem Verhalten innerhalb einer Beziehung (Ex-Partnerinnen) und/oder von vorhandenen oder gefühlten Machtstrukturen (junge Musikerinnen die er bedrängt haben soll). Jeweils ohne Mißbrauchsvorwürfe wie ich meine verstanden zu haben. Ist er also "nur" ein Manipulator? Ist das strafbar?

Das andere ist, einen Albumverkauf zu stoppen weil Vorwürfe im Raum stehen die mit der Musik als solche nichts zu tun haben. Warum tut man das? Sieht der Label-Vertrag das vor? Meint jemand, niemand wolle das Album kaufen wegen dieser oder anderer Vorwürfe und zieht vorauseilend den Schwanz ein (wirtschaftliche Gründe)? Oder wird jemand vorverurteilt? Wer zahlt hinterher den Schaden und welcher Schaden ist entstanden?
 

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