Da frage ich mich, wozu überhaupt eine Takteinteilung? Wäre das Ergebnis nicht gleich gewesen, wenn er auf Takte ganz verzichtet hätte?
Bei Stücken für Ensemble oder Orchester ist es noch eher verständlich - da muss der Dirigent ja schließlich wissen, was er zu schlagen hat
bzw. die Spieler brauchen einen Anhaltspunkt, um sich zu sammeln, aber die Stückchen für Klarinette Solo sind ja nur für einen enzelnen Spieler ... der würde auch ohne Taktstriche nicht stärker die Orientierung verlieren als mit ...
Bei dem Stravinsky wechselt der Takt aber so oft und stark, dass sich mMn eine taktlose Notation mit ein paar Betonungszeichen angeboten hätte (und wahrscheinlich auch weniger verwirrend wäre).
Da ich nicht nur dieses Solo-Stück, sondern auch andere Sachen von Stravinsky selber schon gespielt haben, kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass jede andere Notation dieses Stück entweder unspielbar oder zu einer Art freier Improvisationsvorlage gemacht hätte wo es bei jedem Spieler bzw. jeder Aufführung anders geklungen hätte. Stravinskiy wollte es aber
genau so haben und dem Interpreten eine möglichst exakte Noten-Vorlage geben, die die Musik und ihre Abläufe so genau wie möglich wiedergibt. Es sind je gerade die Taktstriche, die dem Spieler die Orientierung geben über alle Schwerpunkte. Die Funktion des Taktstriches schlechthin ist es ja, die nächste "Eins" anzuzeigen, die ja
immer den Hauptschwerpunkt darstellt (im übrigen unabhängig davon, ob auf der betreffenden "Eins" ein Ton angespielt wird oder eine Pause oder eine übergebundene Note steht - es geht immer darum, die "Eins" sicher zu fühlen). Nur diese genaue Notationsweise gibt dem Interpreten die Möglichkeit, den Intentionen des Komponisten nahe zu kommen und nur sie gewährleistet eine möglichst gleichgestaltige Interpretation über die Zeiten hinweg und bei wechselnden Interpreten.
Letztlich habe ich mich (mit mir selbst) auf einen 4/4-Takt mit einem einzelnen eingeschobenen 2/4 geeinigt; bin mir aber nicht sicher, ob das die einzig mögliche Lösung war.
aber da ich es nicht "einfach spielen", sondern als Arrangement für drei Spieler (halt wie die Vorlage) hernehmen wollte, musste ich es notieren und notieren hieß für mich, auch den passenden Takt zu finden (auch wenn ich zwischendurch mal stark in Versuchung geraten war, es ohne Takt zu notieren).
Die lange Einleitung von "Ajde" von Motion Trio wäre in der Tat ein Kandidat für eine freiere Notation. Dieser Teil ist stark rhapsodisch und rezitativhaft, für mich klingt es wie eine Improvisation über einen liegenden Bordun (ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass es sich aus einer Improvisation entwickelt hat oder sogar in der Aufnahme eine Improvisation mit nur wenigen Festlegungen und Absprachen ist). Wenn es im Takt notiert ist, können Fermaten helfen, Takt-Dehnungen anzuzeigen oder auch nur der einfache Hinweis "frei im Metrum". Der liegende Bordun braucht keinen Takt und der improvisierende Solist kann durch kleine Zeichen (Kopfnicken usw.) Abschnitte anzeigen, wo sich nach vorheriger Absprache bei den Mitspielern etwas ändert bzw. entwickelt.
Ganz frei und ohne Metrum notierte Musik gibt es, bzw. gab es schon vor langer Zeit: die "Gregorianische Musik". Aber auch hier gibt es metrische Strukturen, die aber schlicht durch die Textdeklamation vorgegeben ist. Ohne derartige Strukturen hätte ja auch kein ganzes Mönchskonvent gemeinsam unisono so etwas singen können.
Hier als Beispiel die herrliche Ostersequenz "Victimae Paschali Laudes":
Aber der Takt gibt ja (meines Wissens) auch die Betonung an, warum es einen 2/4 und 4/4 Takt gibt.
2/4 + 3/4 ergibt nicht 5/4... Beim 5/4 (siehe mein Brubeck Link) gibt es die eine Betonung auf der 1.
Eben doch, denn wie
@Claus schon schrieb, gibt es Haupt- und Nebenbetonungen. Ein 5-er Takt kann also 2+3 oder 3+2 zusammengesetzt sein.
Im Grunde gibt es in der Musik nur die metrischen Grundelemente 2 und 3, also "schwer-leicht" und "schwer-leicht-leicht". "schwer-schwer" oder "schwer-leicht-leicht-leicht..." gibt es nicht als
metrische Grundelemente. Alle Taktarten kann man aus diesen beiden Grundelementen zusammen setzen, wobei die "Eins" immer der Hauptschwerpunkt bleibt und alle anderen schweren Zählzeiten dann Nebenbetonungen sind. Bei einem 4/4-tel Takt ist es dann "schwer-leicht-nichtganzsoschwer-leicht". 7/8-tel kann 3+2+2, 2+3+2 oder 2+2+3 sein, 9/8-tel üblicherweise 3+3+3, aber auch 2+2+2+3 usw.
Als Rhyhtmus kann es natürlich schon Betonungen geben, die schwer-schwer usw. kombinieren. Das ist ja gerade der ´Gag´ von Rhythmus, dass er
über einem Metrum stattfindet und sich die ganze rhythmische Spannung erst aus dem Verhältnis Metrum-Rhythmus ergibt. Wenn wir die "Eins" nicht schwer fühlen würden, könnten wir die betonte "Zwei" (oder wo sonst die Betonung hin verschoben wurde) nicht als Synkope spüren und erkennen.
Wenn du Taktartwechsel in moderner Rock-Musik suchst, ist vielleicht Oceansize etwas für dich.
Danke für den Tip, hört sich spannend an!
Hier habe ich das bis zum Beginn der Strophe mitgezählt, es geht anscheinend auf.
Ich würde sagen, Volltreffer!
Das "Neudeutsche Marschlied" von Schobert und Black, dass
@peter55 zitierte, spielt schön mit einer Abwechlsung aus 6/8-tel und 5/8-Taktabschnitten, wo nun gewiss keiner mehr drauf marschieren kann. Im Grunde einfach, aber gut.
Von Ravel gibt es einen Walzer für Orchester, auf den man besser auch nicht tanzt wenn man nicht riskieren will, auf die Nase zu fallen. Das Stück fängt ganz wie ein üblicher schwungvoll-schmalziger Walzer an und nur ab und zu deutet sich zuerst an, dass rhythmisches Unheil droht. Ab der 10. Minute dann geht es immer mehr ´rund´ und schließlich detoniert die ganze Walzerseligkeit und der Takt fliegt einem regelrecht um die Ohren. Man darf dieses kurz nach dem 1. Weltkrieg entstandenen Werk ruhig als Abgsang auf die soeben untergegangene K.u.K. Donaumonarchie sehen (siehe auch hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/La_Valse).
Hier eine Fassung dirigiert vom kongenialen Leonard Bernstein:
Viel Spass!