Ich denke, nicht nur das Aufnehmen, sonder auch das Musikmachen an sich hat sich zum "Massensport" entwickelt und das ist auch absolut gut! Wenn man mal ein paar Jahrzehnte zurückschaut, dann war Musizieren/Musikunterricht noch ein relativ elitäre Angelegenheit. Zum einen kamen dann Bewegungen in der Musik (vor allen Dingen Punk), bei denen nicht mehr die handwerklich perfekte Ausführung oder eine besonders anspruchsvolle Komposition im Vordergrund stand, sondern ein, wie auch immer geartetes Statement, eine Haltung, eine Aussage.
Ich will damit NICHT sagen, daß man Haltung und Statement nicht haben kann, wenn man handwerklich auf einem höheren Level unterwegs ist. Aber die meisten Leute (ich auch) honorieren heute einfach einen guten Song oder eine gute Idee, auch wenn in der Ausführung vielleicht zu simpleren Methoden gegriffen wird. Dazu kommt sicher auch, daß soundmässig irgendwie alles schon mal dagewesen ist, und daß es manchmal gerade spannend ist, Musik (im Internet) zu entdecken, wo Leute mit begrenzten technischen Möglichkeiten aus der Not eine Tugend machen. Außerdem ist es auch einfach so, daß zu bestimmten Bands eine supersaubere High-End-Produktion vielleicht gar nicht passen würde. Wenn ich mir z.B. die Yeah Yeah Yeahs oder die ersten Sachen von Beck anhöre, dann denke ich, daß es bei diesen Leuten genau so klingen muß! Es gab halt lange Zeit beim Aufnehmen eine Entwicklung nach immer genaueren, sauberen Produktionen was dann irgendwann in den 80ern in fast schon sterilen Sounds a la Culture Club, Duran Duran etc endete, ohne diese Bands jetzt schlecht machen zu wollen. Ich liebe Duran Duran.
Aber irgendwann hat das halt wieder aufgehört. Ich meine Bands wie die Hives, Mando Diao o.ä. geben wahrscheinlich ein Vermögen für 70er-Jahre Studio-Equipment aus, um das ganze Retrobild perfekt zu machen. Ein Punkt ist meiner Meinung nach auch, daß es seit Techno eigentlich nichts wirklich total neues mehr gab. Wenn Du heute anfängst in einer Band zu spielen kannst Du Dich an allen möglichen Sachen von den Beatles über Led Zeppelin, den Ramones, U2, Slipknot, Zombie Nation, Modern Talking, etc orientieren weil es (außer Hip Hop vielleicht) keine eindeutig "vorherrschende" Musikrichtung mehr gibt. Es ist halt total offen, und wenn Dein Herz jetzt eher für die 70er oder 80er schlägt, dann wirst Du auch versuchen den Sound der Zeit möglichst authentisch einzufangen um Deine Songs und Deine Band zu positionieren.
Und durch billiges, digitales Equipment ist es halt heute auch vielen Leute möglich Musik aufzunehmen, die vor 10 oder 15 Jahren keine Chance dazu gehabt hätten, außer vielleicht auf einem 4-Spur-Tape aufzunehmen, oder Ewigkeiten auf einen richtigen Studioaufenthalt zu sparen. Insofern finde ich diese Bewegung absolut großartig. Daß dabei auch viel Schrott rauskommt ist klar. Aber dadurch, daß es generell mehr Bands und mehr Aufnahmen gibt, steigt halt auch der positive Output und nicht nur der Schrott, auch wenn man nach den Perlen im Netz relativ lange suchen muß. Das Internet bietet halt wirklich jedem eine Bühne, um seine Songs vorzustellen. Und ich hab da wirklich schon Sachen gehört, bei denen ich dachte, ich hätte echt nicht den Mut so einen Schrott irgendwem vorzuspielen, aber halt auch viele sehr gute Sachen. Die Erfahrung und das Know How mit seinem Equipment umzugehen ist sicher ein extrem wichtiger Faktor. Und ich kann es auch verstehen, wenn Studiobetreiber mit jahrelanger Erfahrung, sehr gutem fachlichen Wissen und hochwertigem Equipment sauer sind, weil sie von Leuten mit 6 Monaten Erfahrung und wirklich furchtbarer Qualität in einen krassen Preiskampf gezwungen werden. Meine Erfahrung mit Bands zeigt allerdings auch, daß Bands mit zunehmender Erfahrung auch höhere Ansprüche an ihren Sound stellen. Vielleicht ist Homerecording bei vielen eine Einstiegsdroge und wenn sie dann länger dabei bleiben und generell besser werden, kommt dann irgendwann auch der Schritt in ein "richtiges" Studio.
Was halt auch für das Homerecording spricht, ist daß Du überhaupt keine Einschränkungen in der Zeit hast. Wenn Dein Kram sowieso ständig im Proberaum steht kannst Du je nach Lust und Laune über Monate an Songs arbeiten. Die Stimmung ist auch entspannter weil man in seiner vertrauten Umgebung ist und nicht innerhalb einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Pensum schaffen muß weil der finanziellen Druck da ist. Dazu kann man Proben relativ probemlos aufnehmen, jeder nimmt ein MP3 mit nach Hause und macht sich in Ruhe noch mal Gedanken zu seinen Parts. Es gibt wirklich sehr viele positive Aspekte dieser Entwicklung. Aber mir ist eigentlich das was ich am Anfang gesagt habe am wichtigsten: der Sound muß zur Band passen und bei vielen Bands ist es nicht unbedingt gefragt eine technisch perfekte Aufnahme zu haben. Wenn Inspiration und handwerkliches Können zusammentreffen ist das toll. Aber wenn ich mich für eines von beidem entscheiden müßte, dann wäre mir Inspiration wichtiger, also eher das Modell Sonic Youth als Dream Theater