Zweierlei Dinge sind für mich sehr wichtig in dieser Frage: zum einen wäre da der intellektuelle Anspruch der Kunstmusik, der in ihr unabhängig von der Intention, die Gefühle und Emotionen des Rezipienten anzusprechen, existiert (der Streitpunkt, inwiefern doch eine stringente Trennung von geistigen Überlegungen und unterbewussten Erfahrungen auf dem Gebiet der Emotionen möglich ist, also jenen Gedanken, die wir nicht zu erklären vermögen und deshalb unter ebenjenen verbuchen - oder anders gesagt: möglicherweise gar nicht erst auf eine Bewusstseinsebene bringen können oder wollen, die eine intensive Auseinandersetzung mit ihnen erst ermöglichen würde, unter der allgegenwärtigen und so gefürchteten Gefahr ihrer Entmythisierung und Entzauberung, dieser Streitpunkt also, der sei hier außen vor gelassen) und eine Äußerung allerhand rationaler Entscheidungsfindungen ist, die auf dem Gebiet notwendig werden, wenn man, und dies ist auch schon mein zweiter Punkt, die Entwicklung eines oder mehrerer musikalischer Gedanken im Zuge der
Formbildung als materielle Konsequenz und natürlich der zu legitimierenden Form des sich entwickelnden Materials anstrebt.
Schönberg etwa spricht in diesem Zusammenhang sinngemäß vom Aufzeigen aller Konsequenzen eines musikalischen Gedankens, wobei jene, die an dieser Stelle zahllose Beispiele der europäischen Neuen Musik nach 1930 in den Zeugenstand für das Gegenteil berufen möchten, sich vorher bitte vergegenwärtigen mögen, dass Schönberg, was formbildende Entscheidungsfindungen angeht, noch stark im Denken der Romantiker und deren Formen verhaftet war.
Aber das ist ein fürchterlich komplexes Thema, und so wenig, wie es möglich sein wird,
alle Konsequenzen eines musikalischen Gedankens darzustellen (und besteht nicht Kunst gerade dadurch, dass sie, nach Schönberg, im Gegensatz zur Wissenschaft nur einige wenige zweckdienliche Aspekte einer Sache, nie jedoch vollumfänglich alle aufzuzeigen sucht?) werden wir in der Sache Erfolg verbuchen können, die Frage nach einer eindeutigen Abgrenzung von Kunstmusik wissenschaftlich adäquat zu beantworten. Wer hier den Wunsch herausliest, sich durch die Hintertür von diesem Thema klammheimlich davonzustehlen, bevor man noch die Türschwelle überschreitet: Volltreffer!
