Kleine Rezi von mir:
In den letzten Jahren sah es gelegentlich aus, als ob Neal Morse sich in einer kreativen Sackgasse befände. Zu schnell folgten zu viele Veröffentlichungen aufeinander, zu oft reduzierte das explizit christliche Textkonzept die Musik auf eine bloße Verpackung, zu oft und zu deutlich überschritt Morse songwritingmäßig die Kitschgrenze, zu viele Balladen lenkten vom progressiven Output ab. Aber mit "Whirlwind" strampelt er sich wieder frei.
Nicht dass "Whirlwind" eine "unchristliche" CD geworden wäre, ganz sicher nicht. Aber Morse kommt als Musiker rüber, nicht als Prediger. Er verzichtet texlich auf den platt- evangelistischen Holzhammer und belässt es bei dezenten Anspielungen, Metaphern, Allegorien und Perspektiven. Und das steht dem fertigen Produkt richtig gut. Zwar erwartungsgemäß reif und erwachsen, aber auch überraschend frisch und unverbraucht tönt "Whirlwind" aus den Boxen. Ein einziges Siebenundsiebzig- Minuten- Stück in zwölf Teilen wird geboten, genau wie der geneigte Retro- Progfan es sich wünscht. Und dem Mammutwerk geht nicht auf halbem Weg die Luft aus - bis zum Finale wird der Spannungsbogen perfekt gehalten.
Roine Stolt liefert kreative Ideen und Gitarrenparts, welche Morses Songwriting kongenial ergänzen, ohne in schmalzig- kitschige Gefilde abzudriften. Pete Trewawas am Bass ist ein ganz anderer Typ als der Melodicrocker Randy George, welcher sonst für Morse Tieftöne erzeugt. Und Mike Portnoy ist sowohl im geraden Vierviertel als auch im Frickelbeat gewohnt souverän.
Ich kann nur die Höchstnote geben und einen Kauftipp aussprechen - auch und insbesondere für jene, die Morse nach "Snow" abgeschrieben hatten. Für meine Ohren toppt "Whirlwind" das letzte Transatlantic- Studioalbum "Bridge across forever" mühelos.
Außerdem rate ich zum Kauf einer Ausgabe mit Bonus- CD. Neben vier weiteren eigenen Stücken (hier hängt Morse zumindest einmal dann doch den Prediger raus) gibt's eine Sammlung von Coverversionen: Das Quartett knöpft sich Songs von Genesis, America, Beatles, Procol Harum und Santana vor. Und es ist wieder mal eine Freude, wie man alle Songs dieser unterschiedlichen Autoren souverän interpretiert, ohne sich zu verschlucken. Ich trage ein breites und zufriedenes Grinsen im Gesicht. So stelle ich mir Prog vor.
Alex