Back to topics versuche ich es noch mal von vorne
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ich beschäftige mich nun seit ein paar Monaten mit der Musiktheorie. Im Unterricht haben wir mit meinem Gitarrenlehrer mit den Dur-Tonleitern bzw. den Parallelen Moll-Tonleitern angefangen.
Das ist meines Erachtens einfachste Skalensubstitution, der Ersatz einer Tonleiter durch eine andere, die ebenfalls passt. Unter anderem Pat Martino hat sich ausgiebig mit den Möglichkeiten substituierender Moll-Skalen beschäftigt (-> YT).
Ich bitte Xkillerx380 sich beim Lesen sicher zu sein, dass er/sie jeden Absatz des Beitrags verstanden hat, ansonsten bitte nachhaken.
Das gewählte Beispiel
The Thrill Is Gone ist etwas delikat, weil es ein Moll Blues ist, der sich für Takt 9 etwas einfallen lässt. Am Ende des Songs wird außerdem die Formwiederholung aufgegeben und B.B. King soliert gut anderthalb Minuten lang Blues über einen einzigen Akkord (Bm).
Zunächst kann/sollte man eine Akkordfolge und eine Form für einen Solochorus festlegen.
Im Rock/Pop/Jazz entsprechen die folgenden Bezeichnungen den anglo-amerikanischen Gepflogenheiten, die leider nicht immer einheitlich sind.
http://de.wikipedia.org/wiki/Akkordsymbol
http://www.jazzbooks.com/mm5/download/FREE-nomenclature.pdf
http://www.jazzbooks.com/mm5/download/FREE-scale-syllabus.pdf
Wichtig in unserem Fall:
Bm -> Akkord B minor: B D F#, auf Deutsch
H moll: h d fis
Ich verweise aber wegen des Einsteigerbereichs auch auf die deutschen Bezeichnungen.
Here we go, no thrill at all
Bm / / / | Bm / / / | Bm / / / | Bm / / / |
Em7 / / / /| Em7 / / / | Bm / / / /| Bm / / / |
G / / / / | F#m7 / / / | Bm / / / | Bm / / / |
Die Akkordtöne selbst verraten uns etwas über den harmonischen Zusammenhang und liefern das wesentliche Tonmaterial für ein Solo. Das hört man bei B.B. King sehr gut, er hält Akkordtöne gerne schön lange aus.
Immer gut zu wissen, dies sind die Akkorde und Töne der Hauptkadenz I - IV – V:
Bm = B D F#
Em = E G B, Em7 = E G B D
F#m7 = F# A C# E
Diese Akkordtöne ergeben als Tonleiter zusammengesetzt:
B C# D E F# G A B
Das nennt sich B minor, B Aeolian oder auf Deutsch: H natürlich moll, die Töne der Paralleltonart von D Dur, was automatisch den gleichen Tonvorrat bedeutet, Modus auf der sechsten Stufe von D Dur oder auch H äolisch. Das ist die
Moll-Parallele von D Dur, um auf den Bezug deines Lehrers zurückzukommen.
D Dur = D E F# G A B C# D
Offenbar die gleichen Töne, nur in der Abfolge ab dem Ton D statt dem Ton B.
Dieser Umstand bedeutet übrigens nicht, dass jeder Ton von theoretisch passenden Tonleitern oder Ersatztonleitern zu jedem Akkord und an jeder Stelle des Songs tatsächlich gut klingt.
Man könnte nun auch auf das Material der passenden Pentatonik schauen. Durch die b5 Blue Note (F) wird die Pentatonik zu einer Blues Scale erweitert:
B D E (F) F# A B
Diese Pentatonik wirkt wie ein Ausschnitt der Moll Tonleiter, der nur die Töne 2 (C#) und 6 (G) gegenüber H natürlich moll (= äolisch) fehlen.
Bezieht man die Tonleiter
H äolisch / B Aeolian auf den
G Dur Akkord in Takt 9, so ergibt sich aus den gleichen Tönen durch das bereits erprobte einfache Umsortieren:
G A B C# D E F# G
Wie wir aus der Information Paralleltonart der Durtonleiter (VI. Stufe bzw. H äolisch) wissen, sind das
die Töne von D Dur, hier aber als Modus der vierten Stufe und deshalb auch
G lydisch genannt.
Es liegt nahe, als Nächstes wieder einen Blick auf die Anwendung der H
Moll Pentatonik zu werfen.
B D E F# A B
Es gibt offenbar keinen Ton, der nicht auch in der G lydisch Tonleiter enthalten wäre. Es gibt außerdem die Möglichkeit, sich für Takt 9 die Töne der G
Dur Pentatonik anzusehen.
G A B D E G
Man sieht, dass gegenüber der Tonleiter G lydisch die Töne 4 (C#) und 7 (F#) fehlen, aber kein Ton der Pentatonik im Widerspruch zur Akkordskala G lydisch steht. Also könnte man auch diese Möglichkeit in Takt 9 ausprobieren, wenn man sich mit der Akkordfolge (Form) sicher fühlt.
Will man im Solo bewusst gewählte Skalen ausprobieren, wäre es am Schlauesten, zunächst mit der Tonleiter der Grundtonart oder noch einfacher deren Pentatonik/Blues Scale anzufangen. Damit würde man im Beispiel gut zurechtkommen, wie B.B. King demonstriert. Es liegt nahe, dabei an den besonders wichtigen Zählzeiten 1 und 3 eines Taktes passende Akkordtöne auszuprobieren.
Zum Spielen braucht man zumindest ohne Begleitband nun noch passende Akkordformen (Voicings).
Einfaches Solo dazu:
https://www.musiker-board.de/attach...3/?temp_hash=d12b7c631a66b738ed705d6ffcb08194
Häufig ist das Ergebnis nicht so befriedigend, wenn man sich solistisch unerfahren gleich auf Akkordskalen oder noch schlimmer auf möglichst viele und abgefahrene Akkordskalen statt auf den soliden Umgang mit Akkordtönen und deren An- und Umspielen stützt.
Gegen einen langweiligen Eindruck bei solch einfachen Mitteln helfen die rhythmische Gestaltung, die Lage einzelner Töne, die gesangliche Entwicklung von Ideen zu einer melodiösen Linie, die Beachtung von Dynamik sowie der Artikulationsmittel, Verzierungen, die Ausdrucksmittel nennt man zusammengefasst das Phrasing.
Im Idealfall folgt ein Solo intuitiv dem, was man innerlich singt und hört. An dieser Intuition kann man arbeiten, das mach(t)en biografisch belegbar auch die bedeutendsten und begabtesten Solisten über Jahre ihres Lebens höchst ausführlich.
Beim Üben wäre es gut, sich die Akkordfolge aufzunehmen (Backing Track) und ein paar Mal entpannt anzuhören, bis kleine Solo-Ideen im Kopf aufsteigen. Die kann man für sich singen und ausprobieren. Wenn sich Ideen gefestigt haben, kann man sich aufnehmen, das geht mit sogar jedem Smartphone.
Nun hört man sich seinen Gesang an und spielt die Aufnahme nach. Vielleicht kommen dabei auch neue und bessere Ideen, das wäre insgesamt optimale musikalische Arbeit an der Sache.
Durch diesen Weg lernt man, immer besser das zu spielen, was man hört. Man übt dadurch außerdem musikalische Aussagen statt Fingergymnastik und es gibt deshalb kaum die Gefahr, sich selbst oder ein Publikum mit „Skalen-Gedudel“ zu langweilen.
Andererseits kann es sein, dass solche Solos zunächst sehr einfach gestrickt sind, aber das entspricht dann eben ganz ehrlich dem Stand der eigenen Entwicklung als Instrumental-Solist.
Außerdem beweist gerade B.B. King, wie verdammt gut einfache Mittel klingen,
wenn sie musikalisch gekonnt präsentiert werden. Er ist durch den gekonnten Einsatz überschaubarer Mittel ein sehr gutes Beispiel für solistisches "Know How".
Die in der laufenden Diskussion bisweilen verwendeten Schlagworte mögen auf musiktheoretische Kompetenz verweisen, aber sie bringen nichts für den Thread, wenn sie ohne einen konkreten harmonischen Zusammenhang genannt werden (z.B. zwei- oder viertaktiges Beispiel oder Chorus oder auffindbare Stelle in bekanntem Song).
Wenn wir dagegen nahe am konkreten Beispiel bleiben, sollten sich auch die steilsten Thesen bei allem Engagement für die Sache im Stil ganz cool diskutieren lassen.