Vom-Blatt-Spielen hat bei mir nicht ganz so schlecht geklappt: Aber da gab es in der Jugend auch Noten-Lese-Bedarf genug: in der Bigband an der Trompete, im Posaunenchor mit gleichzeitigem Transponieren, bei Popsongs am Klavier etc. Nach alledem konnte ich sowohl einfache Noten als auch Rhythmen recht zügig erfassen und teilweise vom Blatt spielen. Außerhalb dieses angeeigneten Erfahrungsbereichs hat das aber nicht funktioniert - vor allem Begleiten habe ich nicht gekonnt. Mit Generalbass-Spielen ist es nichts geworden, auch sonst habe ich das Zeug zum Begleiten von Barock-Stücken am Klavier nicht gehabt. Später war ich daran interessiert, mir bekannte Choräle und Lieder nur mit Melodie-Noten am Klavier begleiten zu können - das ging nämlich auch überhaupt nicht, noch nicht einmal mit ausgesetzten Stücken, war anscheinend ein anderes, mir nicht verinnerlichtes Muster: also neu lernen mit Akkordfolgen, Stimmführung, Tonleitern, Gehörbildung, Akkorde inkl. Optionstönen sowie die richtigen Auslassungen, Rhythmus-Pattern - all das spielt da eine Rolle.
Ich kann normalerweise nicht mal eben am Notenbild erkennen, ob ein Dreiklang Dur oder Moll ist - die Grundnoten sind ja dieselben, nur die Vorzeichen unterscheiden sich. Willst du das spontan entziffern, wird das nichts - musst schon wissen, in welcher Tonart du bist. Aber inzwischen kann ich mir ja vorstellen, ob ein Dreiklang im Gefüge eher Dur oder Moll und ob er eher dominantisch oder subdominantisch sein müsste. Da denke ich aber inzwischen auch in Jazz-Kategorien, also in Stufentheorie u.ä.
Den Grundton lesen: Den muss man ja erst einmal erkennen, das ist ja nicht automatisch die tiefste Note. Du hast recht: Wenn man den "mal eben" erkennt, kommt man mit mancher Musik gut zurecht, aber das hat nichts mehr mit dem reinen Lesen zu tun - um das zügig zu erfassen, musst du zuhause in der Musiktheorie sein.
Ich behaupte also: Je nachdem, was du genau willst, wird das Ziel ein anderes sein, der Weg natürlich auch. Vom-Blatt-Spielen-Können halte ich jedenfalls nicht für eine allgemeine Fähigkeit, sondern für eine sehr kontextbezogene. In einer bestimmten Erfahrungswelt würde ich also mit dem Vertiefen mal anfangen - am besten da, wo du es können willst. Aber wie man das ohne Anlass hinbekommt, kann ich nicht sagen.