Takt: Wieso darf ein Zähler größer als der Nenner sein?

  • Ersteller Vilaine
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Muss das alles erstmal sacken lassen. Bin da voll im Mathe Mindset gefangen.
Vielleicht sagst Du mal, ob es um ein ganz konkretes Beispiel geht, wo Dir etwas nicht einleuchtet oder um ein Grundverständnisproblem.

Und: es ist gut, nachzufragen. Denn vieles beruht auf Konvention, auf historisch Gewachsenem und man darf nicht erwarten, dass alles logisch aufgebaut ist.
Viele haben so ihr eigenes Verständnis davon entwickelt anhand dessen, was für sie tauglich ist. Wenn man sich allerdings darüber verständigt, ist es wichtig zu wissen, was jeweils der andere unter den Begriffen versteht und wie er oder sie sie benutzt.

Als Schlagzeuger ist mir das mit den Taktangaben lange schleierhaft geblieben, bis ich mir das so erklärt habe:
Musik ist aus Einheiten zusammen gesetzt. Eine rhytmische Einheit ist der Takt. Das heißt: es geht darum, wie lange eine Einheit dauert, bevor sie sich wiederholt.
Das sind eben bei einem 3/4tel 3 Einheiten, bei einem 4/4tel vier Einheiten, bei einem 5/4tel fünf Einheiten, bei einem 6/4tel sechs Einheiten (die eben oft vom musikalischen Gefühl nichts damit zu tun haben, dass man auch zwei 3/4tel hintereinander spielen könnte, obwohl das passen würde) und so weiter.
Im Grunde ist für mich die Zahl unten (also die 4tel) eine überflüssige Information, denn die Geschwindigkeit eines songs ergibt sich bei modernen songs (in der Abgrenzung zur Klassik) aus der Angabe beats per minute.
Aber ich bin ja auch nur Schlagzeuger ...

x-Riff
 
Im Grunde ist für mich die Zahl unten (also die 4tel) eine überflüssige Information, denn die Geschwindigkeit eines songs ergibt sich bei modernen songs (in der Abgrenzung zur Klassik) aus der Angabe beats per minute.
Aber ich bin ja auch nur Schlagzeuger ...

Nicht ganz überflüssig, denn überflüssig wäre die Zahl im "Nenner" nur dann, wenn es immer eine 4 wäre.

Beim bereits angesprochenen 6/8-Takt steht dort aber eine 8.
Und diese 8 braucht man auch, weil (eine dieser Konventionen) im "Nenner" nur Zweier-Potenzen stehen können: 1, 2, 4, 8, 16, ...

Es gibt deshalb auch keinen 2/3-Takt oder 7/5-Takt, nicht mal einen 4/6-Takt.
Und "punktierte Viertel", im "Nenner", wie man sie bei einem 6/8-Takt vielleicht eigentlich erwarten könnte, können so ebenfalls nicht geschrieben werden, weshalb man auf die Achtel ausweichen muss.

@Vilaine
Ganz unmathematisch ausgedrückt:
Man kann an einem Abend auch mehr als vier Viertel Wein trinken.
Und man kann mehr als zwei Halbe Bier trinken.

Warum sollte eine Taktangabe nicht mehr als vier Viertel enthalten dürfen?

Es geht wie gesagt um die rhythmische Struktur und sich wiederholende Betonungsmuster, nicht nur um Rechnerei.
Deshalb ist so manches aus rein mathematischer Sicht nicht zu ergründen.

Viele Grüße
Torsten
 
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Nicht ganz überflüssig, denn überflüssig wäre die Zahl im "Nenner" nur dann, wenn es immer eine 4 wäre.

Beim bereits angesprochenen 6/8-Takt steht dort aber eine 8.
Und diese 8 braucht man auch, weil (eine dieser Konventionen) im "Nenner" nur Zweier-Potenzen stehen können: 1, 2, 4, 8, 16, ...

Es gibt deshalb auch keinen 2/3-Takt oder 7/5-Takt, nicht mal einen 4/6-Takt.
Und "punktierte Viertel", im "Nenner", wie man sie bei einem 6/8-Takt vielleicht eigentlich erwarten könnte, können so ebenfalls nicht geschrieben werden, weshalb man auf die Achtel ausweichen muss.

Viele Grüße
Torsten
Das mag so sein.
Meine Frage war nicht allgemeiner Natur, sondern hat einen konkreten modernen Kontext:
Wenn ich weiß, dass sechs Einheiten gibt, bevor sich die Einheit wiederholt (6/8tel) und ich habe die Geschwindigkeitsangabe (120 bpm), weiß also, wie schnell diese Einheit zu spielen ist, welche zusätzliche Information bietet mir dann die Angabe hinter dem Schrägstrich?

Als Schlagzeuger würde ich sagen: keine zusätzliche Information.
Ob das für Instrumentalisten anders ist, kann ich nicht sagen.

Mehr wollte ich mit meinem post nicht sagen - außer, dass es meines Erachtens um das Zählen von Einheiten geht und das, was oben steht angibt, wie viele Einheiten ein Takt enthält, bevor er sich wiederholt.

x-Riff
 
Warum sollte eine Taktangabe nicht mehr als vier Viertel enthalten dürfen?
Naja, weil in der Alltagsmathematik halt nur vier Viertel in ein Ganzes passen. D.h. eigentlich würde ich erwarten, dass ein 5/4 Takt eigentlich ein 4/4 Takt und ein folgender 1/4 Takt wäre. Der ganze Sinn ist meines Erachtens ja sich eine Struktur zu schaffen. Die Struktur sind die Takte. Und ein Takt kann nun einmal nur maximal 100% haben. 101% geht nicht. Ein Glas Wasser kann ja auch nicht 1/4 mehr haben als es haben kann.

Zu dem Rest schreibe ich später noch. Muss mich da erstmal durch kämpfen.
 
Wenn ich weiß, dass sechs Einheiten gibt, bevor sich die Einheit wiederholt (6/8tel) und ich habe die Geschwindigkeitsangabe (120 bpm), weiß also, wie schnell diese Einheit zu spielen ist, welche zusätzliche Information bietet mir dann die Angabe hinter dem Schrägstrich?

Ja, so kann man das tatsächlich sehen.
Und man hat es auch mal so gesehen!

Das Konzept der Takte ist ja noch relativ modern, ich möchte hier auch nicht zu weit ausholen.
Es gab eine Phase, in der man tatsächlich nur den "Zähler" geschrieben hat:

1650643080050.png



Als Schlagzeuger würde ich sagen: keine zusätzliche Information.
Stimmt, man könnte es sich auch ausrechnen, wenn man einen Takt analysiert. Aber direkt aufschreiben ablesen ist doch bequemer, oder?

Ein Nachteil der etablierten Schreibweise ist allerdings, dass man z. B. keine punktierten Viertel in den "Nenner" schreiben kann.

1650643343026.png


Die klassischen Tempo-Angaben (im Gegensatz zur technokratischen und wohl durch das Sequenzer-Wesen eingeführten BPM-Angabe) enthalten deshalb auch den Grundpuls, der z. B. im 6/8-Takt in der Regel eine punktierte Viertel ist und somit von der theoretischen Einheit "Achtel" abweicht. Diese triolische Dreiergruppierung der Achtel wird auch durch die Verbalkung klar.

Und: Wenn man da Achtel zählt, wird man ja bekloppt.

Viele Grüße
Torsten
Beitrag automatisch zusammengefügt:

Naja, weil in der Alltagsmathematik halt nur vier Viertel in ein Ganzes passen.

Ah, OK, das ist auch eine Sichtweise.
Aber wie gesagt kann man an einem Abend auch mehr als vier Viertel trinken und man kann auch drei halbe Laib Brot kaufen.


Die Struktur sind die Takte. Und ein Takt kann nun einmal nur maximal 100% haben. 101% geht nicht. Ein Glas Wasser kann ja auch nicht 1/4 mehr haben als es haben kann.

Hier liegt, glaube ich, Dein Denkfehler.

Ein Takt hat keinesfalls immer "100 %".
Dann wäre ja ein 3/4-Takt auch nicht möglich!

Das Beispiel mit dem Glas, das nicht mehr als voll (also 100 % gefüllt) sein kann, passt eben genau deshalb nicht, weil es nicht um Vollständigkeit, sondern - ganz allgemein - um eine Anzahl von Einheiten/Elementen geht.
Und diese Anzahl wird von der rhythmischen Struktur bestimmt.


[off-topic]
Zum Vergleich: Brüche im alten Ägypten
Ist zwar off-topic, aber Deiner Sichtweise durchaus vergleichbar.

Die Ägypter kannten schon Brüche, allerdings nur immer mit 1 im Zähler!
Für die Ägypter wäre also eine für uns selbstverständliche Angabe wie 3/4 unnötig und sinnlos gewesen.
Der Grund liegt darin, dass sie damals 1/4 wörtlich als "jeder Vierte" gesehen haben. Und es kann ja nur einen Vierten geben, nicht drei.
[/off-topic]

Viele Grüße
Torsten
 
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Die Struktur sind die Takte.
Eben.
Bzw. sind die Struktur die Grundschläge pro Takt.
Ein Takt ist also die wesentliche Zeiteinheit, die sich immer wieder wiederholt.

Wenn jetzt also ein Takt 5 Schläge haben soll, was sollte man dann Deiner Meinung nach zur Verbesserung tun ?
Fünfteln erfinden ?
Und, als Konsequenz: Zehntel und Zwanzigstel ?

Das wäre wohl kaum praktikabler als der jetzige Ist-Zustand.

LG
Thomas
 
Danke, @Be-3, Du hast meine Frage beantwortet.

Ich vermute, die Angabe volle, halbe, viertel, achtel Noten entstand in einer Zeit, als es kein einheitliches exaktes und absolutes Bezugssystem wie beats per minute gab. Egal, wie schnell man letztlich ein Stück gespielt hat (innerhalb eines vorgegebenen, gefühlten Grundtempos wie Largo, Moderato, Presto etc.) wusste man, dass eine halbe Note doppelt so lange gespielt wird wie eine viertel Note und halb so lange wie eine ganze Note. Und das reichte mit Bezug auf den Takt und das Grundtempo.

Ich vermute weiter, dass die theoretische Einheit "Achtel" im damaligen geografischen und historischen Bezugssystem praktische und "ideologische" (ich meine damit bestimmte Schönheitsideale, z. B. der alten Griechen) Vorzüge hatte bzw. "nicht anders sein konnte" und kaum bzw. vernachlässigbare Nachteile, jedenfalls in Bezug auf die Musik, für welche die Notation entwickelt wurde und die sie zu erfassen suchte.

Dieses System empfinde ich als zunehmend brüchiger werdend, mehr Ausnahmen benötigend und tendentiell überkonventionell, wenn es darum geht, Musiken und Rhythmen aus anderen Kulturen oder der Volksmusik zu fassen oder wenn die theoretische Einheit "Achtel" Musik zu fassen versucht, die sich aus 5tel, 7tel etc. getakteter Musik (oder eben Musik, die eigentlich aus Dreiergruppen besteht) zusammensetzt.
Oder eben in einer Zeit, in der man weltweit über ein exaktes, einheitliches und praktisch überall zur Verfügung stehendes absolutes Bezugssystem bpm verfügt, mit deren Hilfe die Länge einer Note beschrieben werden kann.

Sorry für diesen Diskurs, aber er macht für mich erklärbar, warum es aus heutiger Sicht schwierig ist, sich in einem stark aus Konventionen bestehenden System rein mit logischen Überlegungen heraus zurecht zu finden.

x-Riff
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn jetzt also ein Takt 5 Schläge haben soll, was sollte man dann Deiner Meinung nach zur Verbesserung tun ?
Fünfteln erfinden ?

Ich glaube, @Vilaines Verständnisproblem liegt in den bei uns ein in dieser Hinsicht ein wenig unglücklich gewählten Bezeichnungen "Ganze, Halbe, Viertel, Achtel usw."

Allein der Begriff "Viertel" suggeriert, dass unbedingt immer vier Viertel ein Ganzes ergeben müssen.
Sie ergeben allerdings nur eine Ganze Note, was ja aber prinzipiell nichts mit Taktlänge zu tun hat.

In diesem Sinne sind die britischen Bezeichnungen viel neutraler:
(breve), semibreve, minim, crotchet, quaver, semiquaver (und, OK, danach wird es albern).



Ich vermute, die Angabe volle, halbe, viertel, achtel Noten entstand in einer Zeit, als es kein einheitliches exaktes und absolutes Bezugssystem wie beats per minute gab.
Aber irgendwann muss man doch definieren, welcher Notenwert nun einem "Beat" entspricht, oder?
Bei einem alla-breve-Takt (2/2) wird man in Halben zählen/dirigieren, dann hätte eine Viertelnote einen halben "Beat".
Im 4/4-Takt entspräche eine Viertelnote aber einem "Beat".
Im 6/8-Takt, wo der Grundbeat dann in punktierten Vierteln läuft, hätte eine Viertelnote 2/3 "Beats" und eine Achtelnote 1/3 "Beats".

Hmmm...
Von daher kann ich mich aus rein musikalischer Sicht mit dem modernen "BPM"-Begriff nicht so recht anfreunden.
Für (Step-)Sequenzer und Computer aber sicher sinnvoll. Ich bin aber kein Computer.


(ich meine damit bestimmte Schönheitsideale, z. B. der alten Griechen)

Achtung: Hier bitte nicht weiterlesen, wenn man nicht sattelfest genug ist - der historische Ausflug wird sonst eher zur weiteren Verwirrung als zur Klärung beitragen!

Interessanterweise galt früher (zu Zeiten der Mensuralnotation) der "gerade Takt" als unvollkommen ("tempus imperfectum") und der "ungerade Takt" als perfekt ("tempus perfectum" mit einem Kreis als Symbol.
[Achtung: unzulässige Vereinfachung, aber hier möge das genügen]
Der unterbrochene Kreis 𝇋 für "tempus imperfectum" ist wohl der Vorgänger unseres heutigen "C" für 4/4-Takt.
Trotzdem galt die Dreizahl als perfekt.

1650647688916.png

[Bild aus Wikipedia]

Nur am Rande...
Soll nur zeigen, dass sogar die "Rhythmuspyramide" bzw. Aufteilung der Notenwerte tatsächlich Taktabhängig war!
Die Brevis (das Quadrat) bestand, je nach Takt, aus zwei oder drei Semibreves (!!!) und eine Semibrevis wiederum, je nach Taktart, aus zwei oder drei Minima.

Und auch da schon war der ausgerechnet der perfekte "Tempus perfectum" (mit prolatio maior), wenn man ihn als modernen 9/8-Takt sieht, schon "länger als 100 %".
Und auch die angesprochene "Ganze Note", die einen 3/4-Takt voll ausfüllt, hätte es gegeben.

Das war also eigentlich deutlich verwirrender als heute.

Also: alles schon mal dagewesen, alles nur Konvention und die heutigen Konventionen sind keineswegs zwingend und man kann sie nicht nicht vollständig logisch erklären, sondern muss sie als Konventionen akzeptieren.

Viele Grüße
Torsten
 
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Ich glaube, @Vilaines Verständnisproblem liegt in den bei uns ein in dieser Hinsicht ein wenig unglücklich gewählten Bezeichnungen "Ganze, Halbe, Viertel, Achtel usw."
Ja. Das habe ich schon verstanden.
Deswegen wollte ich ihn gedanklich davon wegbringen, daß ein Takt rechnerisch unbedingt 100 % ergeben müßte ...
 
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Stimme Euch beiden zu.

Vielleicht hilft folgendes Bild:
Ich gehe in Schritten vorwärts. Die Zahl der Schritte gibt an, ab welcher Anzahl von Schritten sich der Takt wiederholt. Also 2, 3, 4, 5, 6, 7 etc. (Das, was bei der Taktangabe oben steht.)

Die Angabe unten gibt Auskunft über die Länge der Schritte: gehe ich also ganze Schrittlängen, halbe Schrittlängen oder viertel Schrittlängen.

Die zwei Angaben beziehen sich also nicht auf die gleiche Einheit, ergeben aber zusammen genommen alle Informationen, die ich brauche, um einen konkreten Takt zu beschreiben:
Wie groß ein Schritt ist, sagt mir, wie schnell es insgesamt geht (kleine Schritte sind schneller als große Schritte).
Wie viele Schritte ich hinter einander gehe, bevor der Takt sich wiederholt, sagt mir etwas über die Anzahl der Schritte, die ein Takt enthält, also die Taktlänge.

So würde es jedenfalls mir plausibel sein ...

(Das mit den bpm würde auf ein anderes Gelände führen, das lass ich jetzt mal weg.)

x-Riff
 
Okay, vielen dank schon mal. Ich werd das alles noch mal genauer durchdenken.

Hat mich echt bewegt, wieviel Hilfe ich hier sofort bekommen habe. Respect.
 
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Dass Musik eng mit der Mathematik verwandt sei, gehört zu den leider unausrottbaren Vorurteilen über Musik im allgemeinen. Sicher, es gibt die Notenwerte mit der Folge, dass der nächstkleinere Notenwert halb so lang ist wie der Vorherige (also 1 Halbe = 2 Viertel, 1 Viertel = 2 Achtel usw.), jedenfalls in der regulären Teilung. In der irregulären Teilung sind es jeweils drei kleinere Notenwerte, die dann "Triolen" genannt werden - und üblicherweise mit einer kleinen"3" als Zusatz gekennzeichnet werden.
Aber das war es dann auch schon mit der angewandten Mathematik.

Ansonsten geht es auch bei Taktnotierungen immer wieder auch um den Ausdruck in der Musik, jedenfalls gilt das im Wesentlichen in der "Klassik".
Wenn ein Komponist einen Achtel-Takt notiert, und dann auch noch einen ganz langen 12/8-tel-Takt, und dann auch noch in einem sehr langsamen Tempo zu spielen, wie es Beethoven im langsamen Satz der 6. Sinfonie ("Pastorale") macht, der "Szene am Bach", dann steckt da eine Absicht dahinter. Und die wird unmittelbar klar, wenn man den Satz mal selber spielt.
Es hat eine (erst mal unbewusste" Wirkung, wenn man einen eher und "normalerweise" nicht langen Notenwert wie es eine Achtel meistens ist, plötzlich ganz langsam spielen soll. Und wenn dann noch die nächste "1" quasi unendlich lange auf sich warten lässt, weil der Takt ganze 12 Stück von diesen langsamen Achteln hat, dann, ja dann bleibt regelrecht die Zeit stehen (ich habe es immer genau so erlebt). Auskomponierte Dehnung der Zeit, Ruhe und Idylle pur, Enstpannung, Seele baumeln lassen.
Hier eine Interpretation, die das für mich gut deutlich macht (mal die ganz langsamen Achtelschläge mitzählen):


Das andere Extrem ist ein schneller Alla-Breve-Takt. Hier wird ein "normalerweise" eher langer Notenwert plötzlich ganz schnell gespielt und mit ihm natürlich alle anderen Notenwerte, Achtel fühlen sich an wie Sechzehntel usw.
Auch hier gibt es bei Beethoven ein sehr schönes Beispiel, das Finale des 4. Satzes der 5. Sinfonie ("Presto" - Finale in der folgenden Aufnahme ab 7:55, der Beat sind Halbe!):


Zeitraffer, wilde Jagd, furioser Galopp, ´Affenzahn´ ...
Als Musiker, der Gelegenheit hatte, beide Werke an der Klarinette öfter mit zu spielen, kann ich nur sagen, dass diese Art der Taktnotierung eine unheimlich suggestive Wirkung entfaltet, die schon zwingend den jeweiligen Ausdruck eindrücklich hervor lockt, man kann sich dem nicht entziehen.

Zum Metrum (nicht Rhythmus!) an sich lässt sich grundlegend sagen, dass es nur zwei Modelle der Schwerpunktfolgen gibt: "schwer - leicht" und "schwer-leicht-leicht". Restlos alle Taktarten lassen sich aus diesen Modellen zusammen setzen.
2/4-tel und 3/4-tel (aber auch 2/8-tel und 3/8-tel usw.) - selbsterklärend
4/4 = Schwer - leicht + etwas-weniger-schwer - leicht
5/4-tel = schwer - leicht + etwas-weniger-schwer - leicht -leicht, oder schwer - leicht - leicht + etwas-weniger-schwer - leicht
Und so weiter ...

Wichtig ist, dass es in einem Takt metrisch immer nur 1x "schwer" geben kann, das ist die "1", alle anderen "schwer" sind daher "etwas-weniger-schwer" vom Metrum her. Das ist auch die tiefere Bedeutung der Taktstriche: Achtung, jetzt kommt wieder "schwer".

Darum haben Takt und Metrum auch nicht wirklich etwas mit Mathematik zu tun. Es geht beim Takt und seiner Notierung um die Struktur der Schwerpunktfolgen. Darum ist der 6/8-tel-Takt auch niemals in einen 3/4-tel-Takt zu überführen, es sind wirklich zwei Welten (wie in dem ersten Video in Post #20 schön erklärt wird).
In der "Szene am Bach" folgt das nächste "schwer" erst nach einer schier endlosen Zeit, was wie schon beschrieben eindrücklich die Ruhe musikalisch ausdrückt. Im Finale des 4. Satzes der 5. Sinfonie hämmern dagegen die "schwer" so rasend schnell und fliehend auf einen ein, dass man durch diese schnelle Flut regelrecht mitgerissen wird.
Das ist, wie gesagt, auch der suggestive Eindruck der jeweiligen konkreten Taktnotation.

@Be-3: Der Kreis (0) und der offene Kreis (C) dieser alten Notation aus deinem Post #28 sind tatsächlich von der Bewegung her gedacht.
Einen 3-er-Takt ("schwer-leicht-leicht") kann man tatsächlich mit der Hand mit einer kreisenden Bewegung darstellen, wenn man z.B. des Metrum in dieser Form mit dirigiert. Beim 2-er-Takt ("schwer-leicht") geht das nicht, die Bewegung wird automatisch zu einer mehr oder weniger linearen Auf- und Ab-Bewegung.
Da der Kreis im spirituellen Sinne, wie er damals dominierte, "vollkommener" ist als die lineare Auf- und Ab-Bewegung, bekam das 3-er-Metrum den Kreis als Symbol und das 2-er-Metrum den geöffneten (="unvollkommenen") Kreis, das insofern wie ein C aussieht - aber eben keines ist.
 
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Ich leite aus der oberen Zahl ab, wie viele „Einheiten“ verstreichen, bevor wieder eine Betonung kommt. (Kapitelüberschrift).

Aber ich kann eh nicht zählen 😜

Wenn du es dir mal komplett geben willst, dann das Freak Guitar Camp mit Mattias Eklund ..



Gruß
Martin
 
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Ja. Das habe ich schon verstanden.
Deswegen wollte ich ihn gedanklich davon wegbringen, daß ein Takt rechnerisch unbedingt 100 % ergeben müßte ...

Da sind wir uns einig - und es ist mir auch klar, dass Du das verstanden hast.

Ich wollte lediglich auf die etwas unglücklichen Bezeichnungen "Viertel" usw. hinweisen, weil sie eben suggerieren, dass man unbedingt vier Viertel braucht, um ein Ganzes (100 %) zu erhalten.

Die erwähnten englischen Bezeichnungen und somit die lateinischen sind da viel flexibler:
Wenn man sich an der Brevis orientiert, heißt Semibrevis eben streng genommen nicht "Halbe Brevis", sondern eher "Teil-Brevis".
Also "semi" nicht im mathematischen Sinne von "Hälfte", sondern viel allgemeiner nur einen Teil meinend.
Dann ist es auch kein Widerspruch, dass im tempus perfectum drei (!) Semibreves eine Brevis ergeben.
Genau wie "semipermeable Membran" nicht bedeutet, dass die Membran genau die Hälfte durchlässt, sondern einfach nur einen Teil.

Die alte Brevis-Länge, die sich tatsächlich nach dem Takt richtet (bzw. deren Aufteilung in zwei oder drei Semibreves), ist in ähnlicher Form noch bei den Ganztaktpausen erhalten geblieben.
Da schreibt man auch (fast) immer eine "ganze Pause" (hängender Kasten) trotz unterschiedlicher Taktlängen:

1650672570162.png



Dass Musik eng mit der Mathematik verwandt sei, gehört zu den leider unausrottbaren Vorurteilen über Musik im allgemeinen.

Nun ja, das hat aber eine alte Tradition:
Musik zählt zu den "Sieben freien Künsten", die sich von den "praktischen Künsten" (artes mechanicae) abgrenzen.

Die Sieben freien Künste werden jedoch in zwei Kategorien eingeteilt:
  • Das "Trivium", bestehend aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik
  • und das "Quadrivium", bestehend aus Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie
Die Musik wird also schon traditionell mit Mathematik in einen Topf geworfen. :)

Ändert aber natürlich nichts daran, dass wesentliche Eigenschaften der Takte (eben die Betonungsmuster) nicht rein mathematisch begründet sind (sonst könnte man ja 6/8 zu 3/4 "kürzen"), sondern über die Mathematik hinausgehen.


@Be-3: Der Kreis (0) und der offene Kreis (C) dieser alten Notation aus deinem Post #28 ist tatsächlich von der Bewegung her gedacht.
Das klingt plausibel.
Passt auch zur Vermutung, dass die Neumen ("Fingerzeige") auch Handbewegungen symbolisieren, mit denen die Melodie "angezeigt" wurde.
Und außerdem, wie Du auch schreibst, galt der Kreis als vollkommen, das passt ja ebenfalls zum tempus perfectum.

Dennoch ist aus dem offenen Kreis heute (!) eindeutig ein C geworden, was oft mit "common time" für 4/4 begründet wird. Die wahren Hintergründe kennen wir jedoch.


Ich leite aus der oberen Zahl ab, wie viele „Einheiten“ verstreichen, bevor wieder eine Betonung kommt. (Kapitelüberschrift).

Darauf kommt es ja auch an (und auf sonst nichts), wenn man sich an der Ausgangsfrage orientiert.
Dass Du nicht zählen kannst, nehme ich Dir allerdings nicht ganz ab. Das wäre bei Deinem Beruf ja lebensgefährlich! ;)

Viele Grüße
Torsten
 
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...Ich leite aus der oberen Zahl ab, wie viele „Einheiten“ verstreichen, bevor wieder eine Betonung kommt...
da gibts aber ziemlich viel Ausnahmen!

bei den ganzen "zusammengesetzten" Rythmen kommen deutlich mehr Betonungen als Takteinheiten, z.B. bei der "Balkan-Musik", oder bei Rhythmen, bei denen die Phrasen über zwei Takte (z.b. Bossa Nova oder bayr. Zwiefacher), oder noch mehr Takte laufen.
 
bei den ganzen "zusammengesetzten" Rythmen [...]

Ja, aber wollen wir für den Anfang (Einsteigerforum) erst einmal die Kirche im Dorf lassen. :)
Und im Grunde "denkt" man ja auch z. B. 5/4-Takt zusammengesetzt als 2+3 oder 3+2.

Der Vollständigkeit halber natürlich trotzdem gut und richtig, dass Du's erwähnt hast. (y)

Viele Grüße
Torsten
 
Ich denke, langsam aber sicher, hab ich es gecheckt. Ich glaube, das Grundproblem war, dass mir gar nicht bewusst war, dass sich das Tempo auf die Viertelnoten bezieht. Hatte also keine absolute Orientierung. Und habe dann irgendwie geschlussfolgert, dass jeder Takt gleich lang sein muss, so dass letztendlich irgendwie eine absolute Orientierung rauskommt.
 
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das ist der richtige Weg! Weg von der "Mathematik" hin zur Musik.

Gibt auch ausreichend Musik, wo das mit der Homogenität auch noch sehr relativ ist - z.B. auch für den Laien merkbar: vergleiche, wenn die Wiener Philharmoniker Wiener Walzer spielen und wenn es ein US-amerikanisches philharmonisches Orchester macht.
 
Was mich außerdem verwirrt hat: Ich hab auch eher selber rumprobiert mit Software und da war das Metronom oft so eingestellt, dass es nicht nur die Viertel gespielt hat, sondern auch die Achtel oder so. Aber ich denke mal, das ist nur ein Bonus? Das Metronom wurde also mitten im Song schneller, wenn ich von 4/4 auf 8/8 geswitcht habe.
 
Das Metronom wurde also mitten im Song schneller, wenn ich von 4/4 auf 8/8 geswitcht habe.

So, jetzt haben wir den Salat.

Beziehungsweise: Jetzt hast Du selbst ein Thema angeschnitten, das @WilliamBasie mit seinem Verweis auf "Balkan-Musik" und "zusammengesetzten Rhythmen" vorweggenommen hat.

Vorab:
Computer sind "dumm", denn sie verstehen nicht, was sie tun.
Und hier haben wir ein wunderbares Beispiel dafür, warum ich diese komischen "modernen" BPM-Angaben nicht mag:

Der Unterschied zwischen 3/4- und 6/8-Takt wurde ja schon erklärt und ist recht einleuchtend.

Aber warum um alles in der Welt sollte man einen 8/8-Takt benutzen bzw. was unterscheidet ihn von einem 4/4-Takt?

Antwort: der 8/8-Takt hat eine andere "Beat-Struktur" und es kommen wieder die bereits beim 6/8-Takt angesprochenen Dreier-Achtel-Gruppierungen zum Tragen.
Nur, dass das leider im 8/8-Takt nicht aufgeht und man einen "ungleichmäßigen Beat" erhält, dessen Gruppierung Sache des Komponisten ist und nicht automatisch vom Computer "richtig" vorherbestimmt werden kann.
Ein 8/8-Takt ist als zusammengesetzter Takt zu verstehen, der eigentlich frei definierbare 2er- und 3er-Gruppen enthalten kann:
  • 3+3+2 ("üblich", in den meisten Notensatzprogrammen die Voreinstellung)
  • 3+2+3
  • 2+3+3
Praxis
Ein Beispiel aus dem echten Leben kann man unter anderem bei Béla Bartók finden, und zwar beispielsweise im Microcosmos Nr. 153.
Da ist auch nicht 8/8 angegeben, sondern auch die "Beat-Gruppierung" mit aufgeschrieben:

[Edit: Beispiel Nr. 152 entfernt, denn das wäre ein 9/8-Takt]


Bartók, Microcosmos 153:
1650712961048.png


Da sind auch die "klassischen" Metronom-Angaben eindeutig. Und statt einer schwammigen 8/8-Angabe zeigt er durch die konkrete Zusammensetzung 3+3+2 genau an, welche "Beat-Gruppierungen" gemeint sind. Die Achtelbalken zeigen das übrigens auch.

Was aber macht man da mit einer technokratischen BPM-Angabe, wenn ein "Beat" manchmal 3 Achtel, manchmal 2 Achtel umfasst und somit nicht jeder "Beat" gleich lang ist?

Fazit:
Experimentieren ist schön und gut, aber man tut in der Regel schlecht daran, sich blind auf irgendwelche Software zu verlassen, die sich manchmal einfach unsinnig verhält.
Besser ist es, von einem guten Theoriebuch auszugehen und die Tatsache berücksichtigen, dass man in Programmen fast alles einstellen kann, dabei aber in exotischen Fällen mit seltsamem Verhalten rechnen muss.

Bei einem n/8-Takt ist der "Beat" eben keine Achtel, sondern eine Viertel oder punktierte Viertel (oder beides gemischt).

Bartóks Metronom-Angaben sind jedoch völlig klar und eindeutig.
Ein Wischi-Waschi-BPM-Wert ist es in solch exotischen Fällen aber durchaus nicht.

@Vilaine
Welche Software hast Du denn für Deine Experimente benutzt?
Bei Dorico oder LilyPond z. B. ändert sich am Tempo nichts, wenn man ohne Tempoangabe von 4/4 auf 8/8 wechselt.

Viele Grüße
Torsten
 
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