clemens schrieb:
Sehr empfehlenswert: das (fast schon Konzept-)Album Obsolete von Fear Factory.
ich würde sogar sagen, dass
obsolete definitiv ein konzept-album ist!
gerade in dem angesprochenen themengebiet (
überwachung, polizeistaat) ist dieses album in seiner aufrüttelnden textlichen und musikalischen intensität höchst geeignet. neben einer spannenden und als gelungen zu bezeichnenden geschichte von burton c. bell bietet dieses album einige der nachdenklichsten lyrics in dieser szene: ein imposanter beweis für das kritische potential dieser musik.
die zugrunde liegende problematik, die sich wie ein roter faden durch die geschichte des albums zieht, behandelt eigentlich ein paradoxon: die helfer, die wir einst riefen, um unser leben angenehmer und beschwerdeloser zu gestalten, diese schöpfung wendet sich immer mehr gegen uns, sie bringt uns einen schritt näher an den abgrund unserer kultur/zivilisation.
bedeutsame,
plakative statements wie "
freedom or fire" beschreiben die hoffnungslosigkeit eines unterdrückten bürgers, der sich mit einem kraftvollen akt gegen die herrschenden missstände auflehnt. in der gegenwärtigen - von polizeirobotern und sicherheitskräften kontrollierten - umgebung empfindet die angesprochene person das leben nicht mehr als
lebenswert.
es sind in der person von
edgecrusher auch durchaus fragmente
christlicher symbolik und erzählstrukturen zu finden (in "
resurrection" beispielsweise, ein sanfter, atmosphärischer track von ungeahnter getragenheit - eingebettet in ein korsett von aufrüttelnder aggression), er ist der erlöser, der messias des 21. jahrtausends. eine figur, in der viele menschen ihre hoffnung setzen und deren mut und entschlossenheit als lichtblick in einer von lethargie und gleichgültigkeit geprägten welt gilt. ein couragierter charakter, der ein leuchtendes beispiel für den widerstand der menschen gegen unterdrückung, resignation und die eigene vernichtung durch die maschinen darstellt.
selbst der letzte absatz der einleitung von resurrection (
[
] Now standing adjacent to the statue, he [edgecrusher, anm.] extends his arm with a curious hand to touch the tired-looking face of the forgotten man.) beschreibt die eindrucksvoll und religiös-rituell aufgeladene bewegung des
hand-auflegens, einerseits als
beschützender gestus aber auch als
segnung interpretierbar. in diesem fall ein letztes, bedeutungsschwangeres
symbol für die menschheit vor der
auferstehung des edgecrushers (
[
] I must remove my skin to see belief in your eyes [
]).
im musikalisch überragenden
titeltrack "
obsolete" - meiner meinung nach eine der gelungensten metal-kompositionen der neuzeit! - verschmilzt der verzweifelte schrei der menschheit ("
[...] Man is obsolete! / Our world, obsolete! / Man is obsolete! / Erased, extinct! / Obsolete! [...]") gegen die degradierung zum blossen objekt mit der unbeugsamen energie von
fear factory's industrial-artigen stakkato-riffing. das wunderbare, präzise drumming von
raymond herrera bildet ein solides, maschinelles fundament für bell's wut- und aggressionsgeladenen vocals, die wie ein irritierender fremdkörper in dem technoiden industrial-death-metal von
fear factory wirken. und dennoch ist es ein organisches album, ein musikalischer
appell an die menschlichkeit in einer seelenlosen - von nullen und einsen regierten - welt.
in hinblick auf das veröffentlichungsjahr 1998 sieht man in den zugehörigen texten erschreckenderweise viele entwicklungen bereits vorweggenommen, eine entwicklung, die ich im höchsten masse für bedenklich halte.
ich möchte diesen beitrag mit einem ausserordentlich umsichtigen
gedanken von
benjamin franklin schliessen - und ihn als denkanstoss für die gegenwärtige generation verstanden wissen:
"Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."