Stadtmensch
Registrierter Benutzer
Ja Fero63, ich denke die Worte "unbewusst" und "unabsichtlich" führen uns zu deinem Kernproblem: dein Werk wirkt nicht, als ob sein Erschaffer zu jedem Zeitpunkt die vollkommene Übersicht und Kontrolle über sein Notenbild gehabt hätte. Du hast dir im Vorraus keine klavierfähige Skizze gemacht, sondern gleich munter mit dem Schreiben auf vier Systemen begonnen, liege ich da richtig? Leere Quinten und Quartsextakkorde passieren ja in der Regel nicht beiläufig, sondern sind von starker Wirkung, so man ihrer denn gewahr ist. Ohne jetzt nochmals das Notenbild abgerufen zu haben, meine ich mich auch nicht an irgendwelche Doppelgriffe in den Streichinstrumenten erinnert zu haben, was zudem auf unzureichende Instrumentierkenntnisse hindeutet. Mein Rat: lerne aus einer guten Instrumentationslehre erstmal die Griffmöglichkeiten und Spielweisen der Streichinstrumente, schreibe dir Beispiele auf, präge dir die leeren Saiten von Cello, Geige, Viola und Kontrabass auf der Klaviatur ein, bevor du dich langsam an das Arrangieren von leichteren Beethovensonaten für Streichquartett machst. Begleitend dazu lerne, Partituren von Streichquartetten flüssig zu lesen - nicht im Kopf, sondern am Klavier. Wenn du dich fit genug fühlst, kannst du dich ja mal an das Instrumentieren eines eigenen Beispiels machen, welches du vorher als kurzes Klavierstück skizziert hast. Also wirklich: nur skizzieren! Sonst verlierst du wie hier den Überblick, gerade als "Anfänger".
Das Komponieren klassischer Musik, wohlgemerkt. Den kreativen Akt des Kunstschaffens kann dir niemand beibringen. Kunst kennt an sich keine erlernbaren Grundlagen. Um zu komponieren, muss man kein Studium abgeschlossen haben oder Instrument erlernt haben, kreativ und einzigartig ist jeder Mensch ohnehin aus sich selbst heraus. Es gibt keinen Punkt, an dem man sagen kann, dieser und jener ist fortan befähigt, zu komponieren. Dein Hindernis jedoch ist eben ganz einfach jenes, dass du dich innerhalb eines historischen Mediums der Verständigung - dem der Tonalität - bewegen willst, für welches, das sei an dieser Stelle eingestanden, tatsächlich enormer Übungsaufwand vonnöten ist.
Die Frage ist allerdings, inwieweit unter diesen Prämissen das Schaffen eines schöpferischen Geistes noch als eigenständiges Kunstprodukt wahrgenommen werden kann. Mozart wäre nicht DER Mozart, hätte er sich der musikalischen Ausdrucksmittel Perotins bedient. Chopin wäre nicht DER Chopin, hätte er die spätbarocke Musik Bachs weitergeführt. Mahler wäre nicht DER Mahler, wenn er sich im Stil der Wiener Klassik bewegt hätte. Jeder dieser Komponisten hat einen einzigartigen, nur zu ebenjenem jeweiligen Zeitpunkt möglichen Fußabdruck hinterlassen, hat Stücke geschaffen, die nur zum Zeitpunkt ihres Entstehens möglich waren, weder früher noch später. Klar gab es Revolutionäre und konservative Bewahrer, doch die einen als auch die anderen stellten sich in ihrer Funktion als eigenständige Künstler letztendlich als berechtigt heraus. Selbst Pfitzner schrieb keine barocken Fugen.
Ein "starres Regelwerk" in der europäischen Kunstmusik ergibt sich allenfalls in der musiktheoretischen Nachbetrachtung, deren Aufgabe sich jedoch in der Analyse, weniger im Aufstellen von Regeln findet. Es gibt lediglich Tendenzen, zu was Komponisten geneigt haben, und was sie im Gegenzug eben vermieden haben, aus was man in späteren Generationen Regelwerk gemacht hat. Hätte man Mozart auf die Quintparallelen im übermäßigen Quintsextakkord, der sich in die Dominante auflöst, aufmerksam gemacht und auf das "Verbot" selbiger hingewiesen, hätte er vermutlich lapidar entgegnet: ich darf das!
Zu Recht.
Spätestens zudem, wenn du dich dazu enstchließt, Quintparallelen, emanzipierte Dissonanzen und später vielleicht Ganztonleitern in deine Stücke einzuführen, wirst du früher oder später enttäuscht feststellen, dass Wagner, Debussy und Bartok diese Ideen schon lange vor dir hatten und du doch nur deren schöpferischen Nachlass verwaltest. Epigonen leben in einer Vergangenheit, in der sie stets von der Zukunft eingeholt werden. Paradox.
Aber ich hab mich gehen lassen, tut mir Leid: ich akzeptiere deinen Entschluss fortan, klassisch Komponieren zu wollen und verweise nochmal auf den ersten, hoffentlich hilfreichen Absatz dieses Beitrages, damit ich dieses Geschreibsel hier ein wenig rechtfertigen kann. Bearbeite doch mal den ersten Satz von Beethovens 8. Klaviersonate für Streichquartett, das wäre eine gute Übung für den Anfang.
Klar, ich habe jüngst beispielsweise eine elektronische Komposition fertiggestellt und aufgeführt, die würde sich zum Verschicken ja an und für sich prima eignen. Allerdings komponiere ich nicht tonale Musik, sondern zeitgenössisch - nur so als Vorwarnung.
Mit tonalen Arbeiten könnte ich höchstens im Rahmen von Arrangements von einigen Beethoven. - und Schubertstücken für klassisches Orchester dienen. Oder mit Zeug aus dem Tonsatzseminar.
Dies ist die zweite wichtige Frage, die ich zu beantworten gedenke:
"Ich möchte das Komponieren erlernen"
Das Komponieren klassischer Musik, wohlgemerkt. Den kreativen Akt des Kunstschaffens kann dir niemand beibringen. Kunst kennt an sich keine erlernbaren Grundlagen. Um zu komponieren, muss man kein Studium abgeschlossen haben oder Instrument erlernt haben, kreativ und einzigartig ist jeder Mensch ohnehin aus sich selbst heraus. Es gibt keinen Punkt, an dem man sagen kann, dieser und jener ist fortan befähigt, zu komponieren. Dein Hindernis jedoch ist eben ganz einfach jenes, dass du dich innerhalb eines historischen Mediums der Verständigung - dem der Tonalität - bewegen willst, für welches, das sei an dieser Stelle eingestanden, tatsächlich enormer Übungsaufwand vonnöten ist.
Die Frage ist allerdings, inwieweit unter diesen Prämissen das Schaffen eines schöpferischen Geistes noch als eigenständiges Kunstprodukt wahrgenommen werden kann. Mozart wäre nicht DER Mozart, hätte er sich der musikalischen Ausdrucksmittel Perotins bedient. Chopin wäre nicht DER Chopin, hätte er die spätbarocke Musik Bachs weitergeführt. Mahler wäre nicht DER Mahler, wenn er sich im Stil der Wiener Klassik bewegt hätte. Jeder dieser Komponisten hat einen einzigartigen, nur zu ebenjenem jeweiligen Zeitpunkt möglichen Fußabdruck hinterlassen, hat Stücke geschaffen, die nur zum Zeitpunkt ihres Entstehens möglich waren, weder früher noch später. Klar gab es Revolutionäre und konservative Bewahrer, doch die einen als auch die anderen stellten sich in ihrer Funktion als eigenständige Künstler letztendlich als berechtigt heraus. Selbst Pfitzner schrieb keine barocken Fugen.
Ein "starres Regelwerk" in der europäischen Kunstmusik ergibt sich allenfalls in der musiktheoretischen Nachbetrachtung, deren Aufgabe sich jedoch in der Analyse, weniger im Aufstellen von Regeln findet. Es gibt lediglich Tendenzen, zu was Komponisten geneigt haben, und was sie im Gegenzug eben vermieden haben, aus was man in späteren Generationen Regelwerk gemacht hat. Hätte man Mozart auf die Quintparallelen im übermäßigen Quintsextakkord, der sich in die Dominante auflöst, aufmerksam gemacht und auf das "Verbot" selbiger hingewiesen, hätte er vermutlich lapidar entgegnet: ich darf das!
Zu Recht.
Spätestens zudem, wenn du dich dazu enstchließt, Quintparallelen, emanzipierte Dissonanzen und später vielleicht Ganztonleitern in deine Stücke einzuführen, wirst du früher oder später enttäuscht feststellen, dass Wagner, Debussy und Bartok diese Ideen schon lange vor dir hatten und du doch nur deren schöpferischen Nachlass verwaltest. Epigonen leben in einer Vergangenheit, in der sie stets von der Zukunft eingeholt werden. Paradox.
Aber ich hab mich gehen lassen, tut mir Leid: ich akzeptiere deinen Entschluss fortan, klassisch Komponieren zu wollen und verweise nochmal auf den ersten, hoffentlich hilfreichen Absatz dieses Beitrages, damit ich dieses Geschreibsel hier ein wenig rechtfertigen kann. Bearbeite doch mal den ersten Satz von Beethovens 8. Klaviersonate für Streichquartett, das wäre eine gute Übung für den Anfang.
Ich würde ja echt gerne mal eine Musik von euch hören, Gentlemen. Einfach weil es mich interessiert, wie das klingt, was ihr propagiert. Ist vielleicht das falsche Wort, aber mich interessiert eben nicht nur, was der Künstler über die Kunst zu erzählen hat, sondern was er selbst zu erzählen hat bzw. für erzählenswert hält. Oder erzählen möchte. Oder zu Gehör bringen. Denn wenn wir ehrlich sind, lassen wir uns doch lieber vom Klang selbst berauschen, als von den Worten über den Klang. Das klingt jetzt vielleicht etwas wagneresk, aber in Sachen Schreibwut habt ihr u.U. auch etwas mit ihm gemein. Es geht mir übrigens gar nicht darum, den Wert eurer Aussagen an der Musik messen zu wollen oder irgendwelche naiven Kritiken abzugeben, es interessiert mich einfach nur, wie euer kreatives Schaffen so klingt, da ja so eine tief reflektierte Herangehensweise "zu beobachten" ist. War das jetzt OT? Oh dear... Wäre das denn etwas, was sich im Rahmen des Möglichen bewegt?
Klar, ich habe jüngst beispielsweise eine elektronische Komposition fertiggestellt und aufgeführt, die würde sich zum Verschicken ja an und für sich prima eignen. Allerdings komponiere ich nicht tonale Musik, sondern zeitgenössisch - nur so als Vorwarnung.
Mit tonalen Arbeiten könnte ich höchstens im Rahmen von Arrangements von einigen Beethoven. - und Schubertstücken für klassisches Orchester dienen. Oder mit Zeug aus dem Tonsatzseminar.