der ultimative- wie macht man stimmung im publikum thread... (...) also würdet ihr eher sagen, man sollte intuitiv handeln (publikum singen lassen, witze etc) oder doch einen plan haben und auch mit der band absprechen?
Eine schöne Idee, so einen Thread zu machen! Das Thema hat was sehr Essentielles an sich! Wieder einmal interessant, dass Du über die SuFu keine Antwort gefunden hast. Wie auch immer ... hier mein Beitrag, eine Mischung aus persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen:
Das ultimative Rezept gibt es meiner Erfahrung nach nicht. Zumindest nicht pauschal. Aber es gibt einige Gesichtspunkte, nach denen man seine eigene Performance ausrichten sollte.
- Publikum will unterhalten werden. Die Bühne ist genau der Ort, wo jene stehen, die es sich selbst zutrauen, andere hervorragend zu unterhalten. Wer damit nicht umgehen kann, sollte besser Studiomusiker werden
- das erfolgreichste Konzept ist absolut unbrauchbar, wenn es auf das falsche Publikum stößt. Darum sollte man sich ganz genau überlegen, mit welcher Musik man vor welchem Publikum auftritt
- nicht mit jeder Musik kann man die gleichen Begeisterungsstürme im Publikum auslösen. Ein klassisches Orchester, eine Musicalproduktion, eine Tanzkapelle, eine Jazz Formation, eine Metal Gruppe oder eine Rock Gruppe folgen jeweils sehr unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten
- das Publikum hat eine Erwartungshaltung, wenn es vor der Bühne steht. Die meisten Menschen gehen auf ein Konzert, weil sie Musik hörne wollen und in ein Kabarett, wenn sie lachen wollen. Bei einem Zeltfest wollen sie beides, aber primär mit Freunden beim Essen quatschen. Bei Fredl Fesl wollen sie Musik hören und lachen. Es hilft der Selbstorientierung, wenn man sich bewusst macht, warum man selbst auf der Bühne steht, dazu selbstbewusst steht und mit den eigenen Fans im regen Austausch bleibt, ob die Erwartungen der Fans durch die eigene Show erfüllt werden
- Frauen und Männer reagieren auf Musik sehr unterschiedlich, will man eine tanzende, sehr bewegte Menge, sollte man sein Set primär am Musikgeschmack der Frauen orientieren
- ein Set, mit dem man häufig Begeisterung auslösen will, muss sich am Musikgeschmack der Mehrheit orientieren und darf nicht zu ausgefallen sein (auch ein Deep Purple Cover lebt sehr stark von Smoke On The Water)
- man muss selbst sehr gut zwischen Beeindrucken wollen und Stimmung verbreiten unterscheiden können. Was Musiker am Instrument beeindruckend finden erzeugt beim breiten Publikum sehr schnell Langeweile
- ein gutes Set ist das Um und Auf! Wer eine gute Stimmung verbreiten will, sollte sich durchaus schon bei der aller ersten Probe zur ersten Nummer Gedanken darüber machen, wie diese Nummer ins Gesamtprogramm passt, ob sie überhaupt eine Daseinsberechtigung hat
- ein Set, dass das Publikum zum Mittanzen, Mitklatschen und Mitsingen mitreißt, besteht zum überwiegenden Teil aus Nummern, die rocken, Power haben oder grooven
- wenn Du als unbekannte Band mit eigenen Nummern das Publikum zum Toben, Hüpfen, Tanzen, Klatschen oder Mitsingen bringen willst ist das keinesfalls unmöglich Du musst nur Dein Songwriting genau danach ausrichten. Und konsequent und über Jahre an dem Aufbau so eines Sets arbeiten. Solche Nummern sollten etwas länger sein und genügend Wiederholungen aufweisen, damit sich das Publikum einhören kann, der Refrain sollte eine schnell reproduzierbare Melodie und einen rasch verständlichen Text haben. Passagen zum Anheizen des Publikums und zum Mitsingen animieren müssen an der richtigen (!) Stelle fertig ausarrangiert aber flexibel und spontan einsetzbar sein und Euch sollte es nicht peinlich sein, wenn Euch die Presse im Nachhinein aufgrund banaler Textpassagen mit la, la, la zitiert
- beim Soundcheck lässt es sich oft nicht vermeiden, dass das Publikum bereits anwesend ist und erwartungsvoll auf die Bühne blickt. Keine Band (zumindest so eine, die dies im Board hier liest) kann dieser Situation ausweichen ... aber manche verstehen diese Situation zu inszenieren, denn ihre Show beginnt, wenn sie die Bühne betreten ... und nicht erst mit der ersten Nummer
- man braucht mitunter einfach Glück, weil überraschender Regen ist ein Stimmungskiller und lässt sich bei einem Open Air Gig nicht verhindern. Über andere Situationen sollte man sich im Vorfeld schon Gedanken zur Lösung machen: die Stimmung über eine mehrminütige Technikproblemzwangspause erhalten zu müssen, davor ist niemand gefeit
- der Frontman sollte eine charismatische Persönlichkeit sein, der sympathisch rüber kommt und über die Begabung und den Mut verfügt, mit dem Publikum zu kommunizieren. Wenn der Part zwischen zwei oder mehr Bandmitgliedern aufgeteilt ist, sollten die sich über Blicke eindeutig verständigen können um sich nicht gegenseitig ins Wort zu fallen
- wenn dem Publikum die Musik gefällt und die Typen auf der Bühne sympathisch empfunden wird, dann lässt es sich auch leichter zum Mitmachen animieren und stimulieren ... je unsympathischer die Band, je schlechter die Musik in deren Ohren ist, desto schwieriger wird dieses Vorhaben ... da nützen auch die besten Tricks und Witze nichts
- was wie Improvisation im Umgang mit dem Publikum wirkt, ist in Wahrheit über lange Zeiträume erprobt und mit viel Erfahrung zur Perfektion gebrachtes Know How im Umgang mit großen Menschenmassen
- die Stimmungslage des Publikums ist nicht über zwei (oder auch mehr) Stunden konstant ... man sollte dem Publikum zwischendurch auch Zeit zum Regenerieren geben, damit man es dann wieder zum nächsten Höhepunkt führen kann ... Stimmung macht man mit jedem Atemzug neu ... mit der Musik ... und in den Pausen ... solange man auf der Bühne steht
Manchmal muss man sich auch eingestehen, dass die eigene Musik nicht dazu taugt, die Stimmung zu verbreiten, die man sich erwünscht ... dann sollte man daraus lernen, an der eigenen Performance arbeiten, am Set drehen und die Erwartungen gegebenenfalls künftig auch nicht zu hoch ansetzen.
Ansonsten kann ich noch empfehlen, die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren und die Stimmungslage bei anderen Bands zu beobachten. Live, im Fernsehen, auf Videos ... wo auch immer ... bei den Profis kann man sich eine Menge abgucken.
Es kann mitunter auch sehr hilfreich sein, mal in ein anderes Genre reinzuschnuppern ... nicht wegen der Musik dort ... sondern auch um zu sehen, wie dort Stimmung gemacht wird.
Wer mit meinem Zugang zu dem Thema was anfangen kann, dem möchte ich noch eine ans Herz legen, eine Band in Hinblick auf ihre
Publikumswirksamkeit zu studieren, die in meinen Augen und Ohren zu den besten im Stimmungsmachen zählt. Ihr findet sie in diesem Thread, den ich grade erst gestern erstellt habe:
https://www.musiker-board.de/vb/rock/237395-simple-minds.html
So long ... viel Spaß und Erfolg beim Stimmung verbreiten!
Heizt Eurem Publikum richtig ein!
Greetz relact