Sind diese Progressionen jazzig oder einfach nur "falsch"?

  • Ersteller Ex-The Maniac
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Wie kann ich denn aus dem Flamenco Pop einen Flamenco Jazz machen, das ist nämlich mein Ziel, Flamenco mit Jazz gemischt. Indem ich viel mehr mit Dissonanzen arbeite ?
Wenn ich Jazz Theorie lese, tauchen dort auch immer nur diatonische Skalen und Akkorderweiterungen auf, selten mal alterierte Akkordtöne. Also was unterscheidet dann den Jazz Sound von anderen Musikarten. Spricht man schon von Jazz, wenn man statt einem Am ein Am7 oder ein Am7b5 oder etwas ähnliches spielt. Und wie sieht es bei den Skalen aus, ich muss doch bei Moll, Dur und den Modes bleiben und kann nur über bestimmte Akkorde z.b. "mal" eine diminished oder Ganzton-Halbton Skala spielen. Die restlichen Akkorde gehen doch nur mit modalen Skalen. Oder sehe ich das falsch ?
 
Ex-The Maniac schrieb:
Spricht man schon von Jazz, wenn man statt einem Am ein Am7 oder ein Am7b5 oder etwas ähnliches spielt. Und wie sieht es bei den Skalen aus, ich muss doch bei Moll, Dur und den Modes bleiben und kann nur über bestimmte Akkorde z.b. "mal" eine diminished oder Ganzton-Halbton Skala spielen.

Am7b5 ist nun bestimmt kein Akkord, der so ohne weiteres in "üblichen" Pop-Songs vorkommt, im Jazz aber gewissermaßen zum Handwerkszeug gehört. Oder "offene", d.h. nicht präzise tonal bestimmbare Akkorde wie Db(b9): das würde den meisten Popularmusikhörern dissonant oder falsch vorkommen.

Mit den Skalen tu ich mir selbst noch sehr schwer. Blues und GTHT kann ich mittlerweile ganz ordentlich bestimmten Akkordtypen zuordnen, aber im Zweifelsfall klingts auch bei mir noch nicht wirklich jazzig, rein harmonisch gesehen. Ich denke, man braucht wenigstens Jahre, um die tonalen Möglichkeiten einer Jazz-kompatiblen Harmonik in Echtzeit in den Fingern umsetzen zu können.

Was mir bei deinem Flamenco-Pop-Beispiel noch aufgefallen ist: Virtousität ist nicht alles (das hast du selbst an anderer Stelle schon bemerkt). Meine Empfehlung: geh mal musikalisch zwei Schritte zurück, schau dir die Akkordfolgen genau an, lass den virtousen Überbau einfach mal weg und konzentrier dich auf den Klang, die Eigenheiten, die Spezifika jedes einzelnen Akkordes. An was erinnert er dich? Welche Bilder spielt er dir in den Kopf? Was empfindest du dabei?

Es gibt für diese Herangehensweise ein schönes Beispiel: Bjornstad/Darling "The River" (ECM). Klavier und Cello. 60 Minuten gebrochene Dreiklänge in praktisch endloser Variation. Harmonisch sehr simpel. Aber durch die bewusst reduzierte Spielweise entsteht eine sogartige Wirkung. Oder schau dir Jan Garbarek an: früher virtuoser Vielspieler, heute reduziert auf Klangfarben. Reduktion auf das wesentliche. Und trotzdem "Jazz".

Von ihm stammt auch ein schönes Zitat, das hier jetzt gut passen würde, wenn es mir nur einfiele....
 
Hm ich hab mir heute nochmal 5 Stunden Zeit genommen um von dem Gitarrentrio Al Di Meola, John McLaughlin und Paco de Lucia "Passion, Grace & Fire" zu analysieren. Habe mal soweit die Solostimmen nachgespielt (viel Arbeit nach Gehör das rauszufinden) und es ist so gut wie alles diatonisch mit ein bisschen harmonisch Moll gemischt. Kaum Modulationen. Also nichts besonderes aber dennoch klingt es extrem nach Jazz. Ich schätze mal die haben andere Instrumente die einfach auch einen jazzigeren Sound erbringen, ja und die Akkorde kann man ja dummerweise nicht raushören, warscheinlich sind die der Clou, also die Melodien usw. bauen auf der Diatonik auf, aber an den Stellen wo Akkorde vereinzelt mal zu hören waren habe ich mal versucht herauszufinden um welche es sich handelt, aber das hat nicht geklappt, die AKkorde konnte ich nicht identifizieren, es scheint sich also um besondere Erweiterungen, Alterationen usw. zu handeln. Also müsste es offenbar möglich sein über komplexe Akkorde (bzw. nicht diatonische) diatonische Skalen zu spielen, dass heißt ich muss nicht unbedingt die Akkorderweiterungen /Alterationen mit in die Melodik einbauen , oder sehe ich dass falsch ?
 
Es ist eine mühsame, aber lohnende Arbeit, sich die Harmonik und Melodik von Aufnahmen herauszuhören. Aber wie du nun selbst gemerkt hast: auch die Stars der Branche kochen oft genug nur mit Wasser. Melodik heraushören ist noch relativ einfach, für komplexe Akkorde brauchts ein gutes Gehör und viel Erfahrung.

Du schreibst, es klingt trotz relativ simpler Melodik irgendwie "jazzig". Kannst du beschreiben, welche Elemente der Musik dich zu dieser Einschätzung bringen? Warum klingt es jazzig? Die Melodik kann es ja im vorliegenden Fall nicht sein....
 
Es klingt einfach im Gegensatz zu Popmusik usw. viel stärker nach kleinen Intervallen, obwohl die Skalen diatonisch sind. Die Progression des Stückes "Mediterranean Sundance" der Live Aufnahme "Friday Night ind San Francisco" zum Beispiel von den dreien ist : Em / Am Am7 Am6 / D7 / G / C / B7
Diese wird zum Teil über mehrere Zyklen immer wiederholt (minutenlang), im zweiten Teil des Stückes folgt dann die Progression Em / D7 / C7 / B7 , also praktisch eine stinknormale phrygische Progression. Ich habe die kompletten Transkriptionen der Songs des Albums, und owbohl dieses Stück z.B. nur auf E-Moll basiert und B-phrygisch klingt es absolut jazzig und wird auch als Jazz bezeichnet im Internet und überall. Du kannst dir ja mal irgendwo im Internet den Song oder mehrere des Trios anhören und mir sagen ob es für dich auch jazzig klingt und wenn ja woran das liegen könnte. Ich kann es nämlich nicht beschreiben, es ist zwar stinknormale Harmonik usw. aber es klingt trotzdem nach Flamenco-Jazz.
 
Ex-The Maniac schrieb:
Ich kann es nämlich nicht beschreiben, es ist zwar stinknormale Harmonik usw. aber es klingt trotzdem nach Flamenco-Jazz.

Naja, so ganz glaube ich dir das nicht. Warum klingt es denn für dich nach Jazz? Irgendwelche musikalischen Elemente musst du doch mit der Bezeichnung Jazz verbinden, sonst würdest du diese Musik doch nicht einfach jazzig finden. Ich denke, DAS ist der Schlüssel zu deiner ganzen Problematik: Warum klingt das für DICH nach Jazz?
 
Das ist ja der Witz, ich weiß ja nunmal nicht was diesen Jazz-Sound verursacht, ob es nun Dissonanzen sind oder was auch immer. Aber wenn ich mir richtigen Jazz anhöre, klingt der für mich auch völlig harmonisch und nicht dissonant aber eben nach Jazz. Ich weiß nicht wodurch dieser Sound entsteht, vielleicht Modulationen ? Oder bestimmte Phrasierung oder Intervallkombinationen (dennoch diatonisch) ?
 
Oder du hörst es dir mal kurz bei Amazon.com an und sagst mir ob es nun jazz ist oder nicht. Jedenfalls bin ich mir mit der progression Em / Am / D7 / G / C / B7 100%ig sicher und die ist ja nun wirklich völlig gewöhnlich und eigentlich nicht gerade jazzig.
 
Nachdem ich "Sundance" mit deinem Beispiel-Track verglichen habe, fällt mir vor allem eines auf: "Sundance" groovt und ich meine eine Blues-Skala entdeckt zu haben, dein Beispiel klingt eher "klassisch". Ich denke, es ist harmonisch kein großer Unterschied, sondern eher eine rhythmische Frage.

Insgesamt würde ich aber sagen, dass du nicht so weit von dem entfernt bist, was du haben willst. Die Harmonik ist praktisch deckungsgleich, das schenkt sich nicht viel. Ich denke, du solltest noch an der Rhythmik feilen (Bereich Latin: Samba, Salsa, Tango usw.) und vor allem dich mit Melodie- und Themen-Bildung beschäftigen. Klassik ist dafür ziemlich gut geeignet (Schubert-Lieder bspw.). Da geht es dann um Begriffe wie Variation, Krebs, Krebsumkehr usw. Wenn du ohnehin vorhast, Musik zu studieren, wirst du um solche Themen nicht herumkommen.
 
Alles klar, ich glaube du hast vollkommen Recht, es muss am Rhythmus und der Phrasierung liegen. Die drei spielen vor allem auch wesentlich perkussiver und genau diese rhythmischen Phrasierungen etc. fehlen bei mir, nicht um sonst bist du jetzt schon der was weiß ich wievielste, der in meinem Stil etwas klassisches entdeckt, viele sagen ich spiele ziemlich Klassik-angelehnt, daher ergeben sich bei mir, wenn ich Melodien bzw. Soli improvisiere oder komponiere auch immer automatisch solche klassischen Phrasierungen usw., da ich jedoch mehr in Richtung Latin gehen will, muss ich lernen rhythmischer zu phrasieren.
Melodik und Themenbildung steht zur Zeit bei mir an erster Stelle, daher werde ich mal deinen Tipp verfolgen und bei Schubert z.B. die Melodik analysieren.
 
Schubert-Lieder sind auch in Bezug auf Verarbeitung des literarischen Materials sehr erhellend zu analysieren: was macht die Figur des "Erlkönig" rein musikalisch zum "Erlkönig"?

Ich würde mich aber angesichts deines Hintergrundes nicht zu intensiv mit Klassik beschäftigen, weil das kannst du ja schon besser als es dir lieb ist. ;) Lieber mehr und viel Jazz hören bzw. Latin (z.B. Sachen von Jobim) und wenn möglich per Real-Book oder Song-Sheet vergleichen: was ist rhythmisch notiert und was wird dann letztlich gespielt. Die Notation ist in fast allen Fällen lediglich das stark vereinfachte Fundament, sozusagen eine Gedächtnishilfe, auf deren Grundlage dann die rhythmisch aberwitzigsten Sachen hergeleitet werden.

Zusammen mit den zentralen Elementen klassischer Melodiebildung dürftest du dann auf einem guten Weg zu deinem musikalischen Ziel sein.
 
Ich brauche noch einmal einen Rat und zwar geht es um das Album "The Guitar Trio"
von Al Di Meola, John McLaughlín und Paco de Lucia, man kann irgendwie absolut keine der normalen Skalen wie Modes, Moll, Dur, Blues Skala, Ganzton-Halbton, Diminished, Pentatonik usw. zu ihren Stücken spielen, dass klingt alles schief, aber das Solo welches sie in ihren Stücken selbst spielen klingt wiederum nicht schief, wie kommt das ?
 
Bestimmte Skalen passen nur auf bestimmte Akkorde. Es ist keineswegs so, dass dir eine einzige Skala pro Solo reicht. Interessant wird es erst dann, wenn du je Akkord (und für jeden einzeln) dir die "passenden" Skalen zurechtsuchst. Das klingt dann auch plötzlich überhaupt nicht mehr nach Popmusik: da reicht eine Skala schon mal für ein ganzes Album....:rolleyes:
 
Moment ..... aber wenn ich ein Stück in A-Moll z.b. habe, dann ist es ja klar das ich über die Tonika eine andere Skala spiele als über die anderen Stufen, dass sind ja dann die Modes zu den jeweiligen Stufenakkorden. Das meinst du ja nicht, also was genau meinst du mit Skalen zu bestimmten Akkorden ?
 
Das geht schon in die richtige Richtung. Simples Beispiel: Blues in es-moll. "Blue Note" ist A. Über einem es-moll Akkord klingt das schön bluesig. Aber über as-moll klingt A schon nicht mehr so nett (außer als Gleitton). Dann lieber einfach as-moll-Skala spielen.

Darüber hinaus ist es m.E. ganz entscheidend, welcher Ton der jeweiligen Skala im jeweiligen harmonischen Zusammenhang durch Dynamik oder Rhythmik zum zentralen Ton wird. Das hat dann wieder viel mit Melodiebildung bzw. musikalischer Aussage zu tun. Bspw. könnte man im o.g. Fall das A über as-moll gegen alle Regeln bringen, vielleicht sogar betonen, um eine bestimmte Stimmung rüberzubringen, und dann erst im letzen Moment auflösen. Dazu muss man aber wissen, was man mit dem Solo transportieren, bzw. rüberbringen will, sonst bleibts eine blutleere akademische Übung ("A über as-moll ist ja "nur" ein b9").
 

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