Auslöser für die Serielle Musik war das Stück
Mode de valeurs et d'intensités von Olivier Messiaen. Es war für ihn ein Experiment, zu dem er später sagte: "Ein bescheidenes Stück", "in musikalischer Hinsicht drei Mal nichts".
Er führte das Klavier-Stück seinerzeit in Darmstadt auf, doch es entfaltete seine Sprengkraft erst 1951 später am gleichen Ort. Messiaen war selbst nicht anwesend, als die jungen Komponisten sich magisch von der Plattenaufnahme angezogen fühlten und insbesondere Stockhausen die Aufnahme "zehn- zwanzig Mal" anhörte. 1952 besuchte letzterer das ganze Jahr die Kurse Messiaens in Paris. Stockhausens erste serielle Komposition "Kreuzspiel" (
Video) war die unmittelbare Folge von Messiaens Etüde. Er legte darauf Wert, daß Messiaen bei der Aufführung in Darmstadt 1952 persönlich anwesend war.
Das Konstruktionsprinzip von Messiaens Etüde:
Es gibt drei Zwölftonreihen in drei Registern, jeder Ton ist mit einer bestimmten Länge (aus einer Additionsreihe), einer bestimmten Dynamik und einer bestimmten Anschlagsart identifiziert. Die drei Tonreihen sind so organisiert, dass bei 36 Tönen 24 verschiedene Tonlängen vorkommen, 12 verschiedene Anschlagsarten und 7 verschiedene Dynamiken. Gleichnamige Töne haben in den verschiedenen Reihen verschiedene Attribute und unterschiedliche Oktavlagen.
Quelle: Hans Peter Reutter: Wege durch das 20. Jahrhundert
OLIVIER MESSIÆN (1908-92) – Mode de valeurs et d’intensités (1949) – Die zufällige Erfindung des Serialismus
Was begeisterte die Protagonisten der Seriellen Musik (Stockhausen und Boulez) an der Etüde von Messiaen, die für letzteren recht unwichtig war?
Es war wohl das Prinzip einer determinierten, sich selbst organisierenden Musik, mit einem Höchstmaß an Eigenständigkeit der Einzeltöne.
Stockhausen:
"..daß wirklich eine Idee, eine totale Vorstellung alle Materialdimensionen notwendig auswählt... - daß der Schreibende nur noch die Funktion des Aufführens, des Dienens hat und vollkommen unprometheisch, unfaustisch, unpersönlich wird - wenn Du willst unmenschlich, so wie seine Musik immer unmenschlicher, immer reiner wird... Wirkliche Schönheit findet sich da ein -, wenn man bereit ist sie anzunehmen, wird man ihr begegnen." (Brief an Luigi Nono 20.3.1952)
Hans Werner Henze setzt diesem Reinheitsideal später seine "musica impura" entgegen, da er in vollständig prädeterminierter Musik nichts sagen könne.
"Mich interessiert Musik um Stimmungen, Atmosphäre, Zustände wiederzugeben. Ich will keine absolut zugeschnürten Musikpakete." (ähnlich äußerte sich Luigi Nono)
Aus: Dietrich Kämper: Olivier Messiaen und die musikalische Avantgarde der fünfziger Jahre, S .24 ff in: Christoph von Blumröder, Tobias Hünermann: Kompositorische Stationen des 20. Jahrhunderts (2004) LIT Verlag Münster
In der seriellen Musik sollen alle Parameter kontrolliert werden. "Dies führte zwangsläufig zu einer (auch von Stockhausen selbst festgestellten) Degradierung der aufführenden Musiker zu reinen "Abspielmaschinen" bei gleichzeitig immensen technischen Schwierigkeiten, diese Werke zu spielen. Der Ausweg schien in der elektronischen Musik zu liegen, bei der keine Interpreten mehr vorkommen." (
Wikipedia)
Nach dem Zweiten Weltkrieg suchten die jungen Komponisten in musikalischer Hinsicht einen Neubeginn. Es wurde auch nachgeholt, was in Nazi-Deutschland verboten war (z.B: Zwölftonmusik). Die Übertragung des Prinzips der Zwölftonreihe auf die anderen Parameter (Tondauern, Intensitätsgrade (Dynamik) und Klangfarben) erschien unter den damaligen Bedingungen nachvollziehbar und das Entstehen der Seriellen Musik ist im Wesentlichen wohl auch nur so zu erklären.
Nach der obigen Aussage Stockhausens sollte sich die Serielle Musik aus einem Gedanken, wohl ziemlich automatisch ("unprometheisch, unfaustisch") entwickeln. Tonbeziehungen, wie sie aus der vorangegangenen Musik bekannt waren, wie Motive, Themen usw. sollten dabei unbedingt vermieden werden.
Stockhausen schätzte, an dem o.g. Stück von Messiaen gerade, daß jeder Ton für sich steht, ohne Beziehung zu den anderen, ausgezeichnet durch seine individuelle Höhe, Länge, Lautstärke - wie die Sterne im Weltall. Er nannte es tatsächlich auch eine "phantastische Sternenmusik" (und war später der Meinung, daß er auf dem Sirius ausgebildet wurde und dorthin zurück wollte). Der Sinn einer solchen Musik sollte sich aus dem jeweiligen Augenblick ergeben. Auch der Begriff der "Punktuellen Musik" wurde im Zusammenhang mit serieller Musik verwendet.
Was schreibt Boulez später zur
Punktuellen Musik?
Dennoch, einem Übermaß an Arithmetik zum Trotz hatten wir eine gewisse Punktualität des Klanges erreicht, worunter ich buchstäblich den Schnittpunkt verschiedener funktionaler Möglichkeiten in einem Punkt verstehe. Was hat dieser 'punktuelle' Stil gebracht? Die gerechtfertigte Ablehnung des Thematizismus.
http://de.wikipedia.org/wiki/Punktuelle_Musik
Ironischerweise klang die vollständig determinierte serielle Musik so ähnlich wie die gewürfelte Musik von John Cage.
Eigentlich nicht überraschend, wenn man der Musik genau das entzieht, was ihr wahrnehmbar einen Sinnzusammenhang verleiht.
Man wird daher wohl vergeblich Stücke suchen, wo Dynamikgrade in der Seriellen Musik so eingesetzt werden, daß sie einen (wahrnmehmungspsychologischen) Sinn ergeben, man also dadurch eine Art von Gestalt erkennt.
Konrad Boehmer kennt die Serielle Musik als Schüler von Gottfried Michael Koenig und Stockhausen von innen und antwortet heute auf die Frage "Wie hat das Publikum eigentlich angefangen, die Ernste Musik zu verachten?":
...die Intelligentesten blieben weg. Ich kenne bis heute keinen Geistesschaffenden, der sich zum Schäferstündchen 'nen Stockhausen auflegt.
Quelle: Im Gespräch: Konrad Boehmer - "Ein lächerlicher Clown"
weiter:
Wer Musik auf Ratio reduziert, der verhindert nicht die Verblödung der Masse. Er verekelt den Menschen die Musik.
...
Der Subventions-Komponist degeneriert zum Staats-Komponisten. Und er degeneriert zur alten Betschwester, die von den jungen Huren vom Markt gevögelt wird. Zum Beispiel von Andrew Lloyd Webber oder Phil Glass... Das hat man dann davon.
Quelle: Im Gespräch: Konrad Boehmer - "Ein lächerlicher Clown"