Genau das solltest Du nicht tun.
Viele Grüße,
McCoy
Ganz mein Reden.
@Nebelparder : Dass man am Anfang nur mit den Fingern spielen und sonst alles still halten soll, ist meines Erachtens einer der sowohl körperlich als auch seelisch schädlichsten Irrwege in der Geschichte der Klavierpädagogik. Man muss sich nur einmal klarmachen, dass diese isolierte Bewegung doch eigentlich eine völlig unnatürliche und unökonomische ist, die man sonst niemals so anwenden würde. Warum also soll man gerade beim Musikmachen, das ja eigentlich in ganz besonderem Maße Ausdruck des ganzen Menschen sein soll, Teile desselben geradezu abschalten?
Außerdem beraubt man sich mit dem Festhalten an isolierten Bewegungen enormer Ressourcen. Um das zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, sich einige physiologische Grundlagen klarzumachen, die alle mehr oder weniger miteinander zusammenhängen:
- In unserer Muskulatur befinden sich zahllose Sensoren, die permanent Rückmeldung ans Gehirn über die Stellung der Gelenke, die Spannung der Muskelfasern und den Ablauf von Bewegungen liefern. Wenn Du nun einen großen Teil davon ausblendest, fällt die Rückmeldung ans Gehirn ziemlich dürftig aus. Dementsprechend unscharf ist das Bild, das oben ankommt, und in der Folge sind auch keine sinnvollen Steuerprogramme möglich.
Unter anderem dadurch bedingt funktionieren unsere Bewegungen eben nicht wie eine Maschine. Unsere Bewegungen sind interessanterweise dann am ökonomischsten, wenn »alle mit anpacken«: Zwar wird die Bewegung von der Fingerkuppe, die den Kontakt mit den Tasten herstellt, her gedacht, aber an der Spielbewegung ist im Prinzip der ganze Körper beteiligt: Man wendet sich der Taste zu, idealerweise mit einer Klangvorstellung vor dem inneren Ohr, die ganze Muskulatur macht sich für das, was nun kommt, bereit, der Arm führt die Hand zur Taste, der Finger, dessen bewegende Muskeln zum allergrößten Teil im Unterarm sitzen, nimmt eine ganz bestimmte Spannung ein, sodass am letztendlichen Spielen der Taste unzählige Muskelfasern beteiligt sind, die - und jetzt kommen wir wieder zum Anfang - dem Gehirn ein umfangreiches Feedback liefern, sodass dieses die Bewegung extrem präzise steuern kann.
- Durch die Beteiligung einer ungemein hohen Zahl an Muskelfasern verringert sich logischerweise die Belastung der einzelnen Fasern enorm. So funktioniert Energiesparen im Muskelsystem: Alle packen mit an, so ist es für jeden einzelnen ein Klacks.
- Feinmotorik ist im Prinzip nichts anderes als verfeinerte Grobmotorik. Wenn man Kinder beim Erlernen neuer Bewegungen beobachtet, fällt auf, dass die ersten Versuche immer extrem und ausladend ausfallen. Erst nach und nach lernt das Gehirn, die Bewegungen genauer zu steuern, indem die Ansteuerung eines Teils der Muskelfasern gehemmt wird. Ein lauter Ton unterscheidet sich im grundsätzlichen Ablauf der Bewegung nicht groß von einem leisen, nur dass die Bewegung beim letzteren insgesamt tendenziell kleiner und langsamer abläuft.
Das Bestehen auf isolierten Fingerbewegungen in Anfängerschulen könnte auf die Beobachtung von professionellen Pianisten durch die Autoren zurückzuführen sein. Bei erfahrenen Spielern sieht es tatsächlich häufig so aus, als würden nur die Finger spielen. Aber es sieht eben nur so aus! Tatsächlich ist das zuvor beschriebene komplexe Zusammenwirken von unzähligen Muskelgruppen durch das langjährige Üben und die Erfahrung bei professionellen Pianisten meist so ausgereift, dass von den anderen Bewegungen so gut wie nichts mehr zu sehen ist - schon gar nicht, wenn sie, wie es sich für anständige Menschen gehört, bekleidet spielen. Das heißt aber keinesfalls, dass da nichts mehr passiert!
Natürlich kann es hin und wieder sinnvoll sein, Teilbewegungen wie das gezielte Strecken einzelner Finger isoliert zu üben. Aber das ist niemals der erste Schritt und sollte sparsam dosiert werden! Außerdem macht das nur Sinn, wenn diese Teilbewegungen anschließend auch wieder in den größeren Bewegungsablauf integriert werden und einen klaren musikalischen Zweck erfüllen.
Zum Abschluss noch ein wichtiger Hinweis: Am besten funktionieren Spielbewegungen paradoxerweise, wenn man nicht über sie nachdenkt, sondern einfach nur spielt. Das Niederdrücken einer Taste sollte genauso flüssig und undurchdacht ablaufen wie das Aufheben eines Schlüsselbunds, das Anheben einer Kaffeetasse oder das Werfen eines Balls. In all diesen Fällen denkt man über die Bewegung nicht nach, sondern man denkt bestenfalls daran, was man tun will, was das Ziel ist, und dann tut man es einfach. Beim Klavierspielen heißt das idealerweise: Man will, dass es so klingt, wie man es sich vorstellt (das Ziel), weiß, welche Tasten dazugehören und dann spielt man es einfach, oder versucht es zumindest. Und wenn es dann noch nicht so klingt, wie man es sich vorgestellt hat, probiert man es eben noch mal, reduziert eventuell die Komplexität der Stelle (spielt nur einen Takt, evtl. einzelne Stimmen et c.), kurz: man übt. Und das immer mit offenem Ohr!
Übrigens: Der (leider schon vor drei Jahren verstorbene) Instrumentalpädagoge Gerhard Mantel hat dafür plädiert, den Begriff »Lockerheit« durch »Bewegungsbereitschaft« zu ersetzen. Ein sehr weiser Gedanke, wie ich finde. Denn dem Begriff »Lockerheit« haftet auch etwas schlaffes an, während etwas, das bereit zu einer Bewegung sein soll, weder verspannt noch inaktiv sein darf.