Richtcharakteristik von Mikrofonen richtig verstehen

Roland Gibson
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Es geht hier um die Richtcharakteristik von Mikrofonen, speziell die Nierenform bei einem Großflächenmikrofon.

Wie habe ich mir die unterschiedlichen Charakteristiken zu verstehen?
  • Die Kugel kann doch gar nicht überall gleich gut aufnehmen, denn die Membrane lässt das in Richtung des Haltestückes bzw. Kabelanschlusses garnicht zu?
  • Die Niere ist keine "Niere" in dem Sinne, wie man es vom Körper kennt, sondern eher eine "Kappe", also dreidimensional, fast wie ein Ausschnitt des Kugelformates?

Und jetzt speziell auf das NT1/A und andere senkrecht stehende Mikrofone:
  • Wo sitzt jetzt die Niere?
  • Gibt es sowas wie Vorne auf einer Seite?
  • Oder ist die Nierenform immer an der Spitze des Microfons anzusetzen, also "nach oben"?

Hier nochmal zum Nachlesen:
https://www.fairaudio.de/hintergrun...n-und-mikrofonierung-recording-artikel-3-dwt/
 
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Hm, da kommst Du an den Unterschied, wie "man es sich vorstellt", und wie es wirklich ist. Hier zwei Links:
Gerade im zweiten geht es auch (am Rande) um die Frequenzabhängigkeit der Richtcharakteristiken:
500px-Polar_pattern_freq_response.svg.png


Woraus Du auch siehst:
  • im Polarplot sitzt "die Membran" im Ursprung
  • das Mikro zeigt im Plot "nach oben"
  • Frequenzabhängigkeit kömmt hier i.W. über Welleneigenschaften, ist also ein bischen verwickelter als vereinfachte Vorstellungen ;)
 
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Hallo, @Roland Gibson ,

...versuchen wir's mal mit einer Erklärung... Dein Grundgedanke: Ein Mikrofon mit Kugelcharakteristik kann doch "von hinten" durch die Bauform gar nicht angeregt werden. Scheint logisch, ist aber im Mikrofonbau nicht so.

Ein Mikrofon mit echter Kugelcharakteristik kannst Du Dir in grober Vereinfachung vorstellen wie einen geschlossenen Becher, über den die Membran gespannt ist. Hier wirkt also nur der Druck ein - nimmt der Druck von außen zu, geht die Membran nach innen und umgekehrt. Von wo die Welle einwirkt, von vorne oder von hinten, bleibt hierbei vollkommen egal für alle Wellenlängen, die größer sind als der Durchmesser des Mikrofons. Druckempfänger sind daher, bis auf diese Einschränkung, immer ungerichtet, d. h. als Richtcharakteristik erhält man eine Kugel.
Das ist natürlich idealisiert - die Kugel wird zu höheren Frequenzen hin nach hinten immer mehr "eingedrückt". Auch kann man eine vollständig abgeschlossene Membran in der Praxis nicht verbauen, sonst bekommt man ein Barometer statt eines Mikrofons... ;) In der Praxis bleibt, daß Druckempfänger die idealen Mics sind, wenn sehr tieffrequenter Schall aufzunehmen ist... eine gute Orgelaufnahme in einer gutklingenden Kirche mit Kugelmikrofonen kann verflixt beeindruckend sein... ;)

Wenn man jetzt von diesem idealisierten "Becher" weitergeht zu einem "Becher mit Löchern drin", so daß der Druck auch von hinten an die Membrane kommt, sind wir bei den sogenannten "Druckgradienten-" bzw. "Druckdifferenz-Empfängern". Warum? In der Praxis bekommt die Kapsel für die Membranrückseite winzige sogenannte "akustische Laufzeitglieder" - der Druck der Schallwelle kommt also nun auch von hinten an die Membran und kann einwirken, aber eben mit einer Verzögerung, dadurch ergibt sich eine Druckdifferenz, die Einfluß auf die Membran nimmt. Je nachdem, wie nun in der Praxis die Konstruktion ausgeführt ist, ergeben sich die unterschiedlichen Richtcharakteristiken, z. B. breite Niere, Niere, Hyperniere,

Nehmen wir den dritten idealisierten Sonderfall: Die Membran ist völlig frei eingespannt, so daß der Schall ungehindert von beiden Seiten einwirken kann. Hier ist wieder die Empfindlichkeit von vorne und hinten gleich, aber 90 ° von der Seite her gleich Null, und wir erhalten eine Achtercharakteristik.

Schluß mit den Idealfällen - wir machen jetzt das große Faß mit Verwirrung auf. Wie kann ich denn dann umschaltbare Charakteristika haben, wenn ich nach diesen Idealen gehe? Für die Kugel brauche ich einen abgeschlossenen Topf, für die Niere etwas halboffenes??
Auch das löst sich in der Praxis... man kann eine Doppelmembrankapsel konstruieren, und wenn man die elektrisch entsprechend zusammenschaltet, kann man sich aus den beiden Membranen theoretisch alles bauen, was man haben will, von der Kugel bis zur Acht. Das gelingt mit der Polarisationsspannung, man hat aber dann auch bei einer Kugel keinen echten Druckempfänger, sondern zwei (geschickt) zusammengeschaltete Druckgradientenempfänger...
Auch hier zur Vollständigkeit die Ausnahme von der Regel: Schoeps baut eine Wechselkapsel (MK5), die mechanisch zwischen Kugel und Niere schaltbar ist, das nur zur Vollständigkeit.

Weiter in Deinem Fragenkatalog ;):
Die Niere ist keine Niere in dem Sinne, wie man es verstehen würde, sondern eher eine "Kappe", also dreidimensional,
Kann man so sagen. Ein Polardiagramm ist ja erstmal praktisch nur die platte Draufsicht von oben, aber die Niere Deines Beispieles würde ja bei Drehung um die 0-°-Achse ja mitrotieren. Die "Kappe" ist ein ganz gutes Bild.

Als nächstes: Was ist mit seitlich besprochenen Mikrofonen?
Die allermeisten Großmembranmikrofone werden von einer Seite besprochen ("Haupteinsprechrichtung"). Was daran liegt, daß ihre Membran eben nicht quer zur Mikrofonlängsachse, sondern parallel dazu verbaut ist (und auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel... z. B. Electrovoice RE20).
Der Einfachkeit halber ist nun bei den Großmembran-Mics die richtige Einsprechseite meist mit dem Firmenlogo gekennzeichnet. Oder wie bei Rode durch einen goldenen Punkt. Alles andere über Richtcharakteristiken gilt ebenso für Mikrofone, die man von vorne wie von der Seite anspricht.

Und jetzt noch mal der Sprung zurück, zu Deiner allerersten Frage. In der Praxis wird man nie die ideale Kugel, Niere oder Acht erreichen, das bleibt immer frequenzabhängig. Deshalb sind seriöse Polardiagramme immer für mehrere Frequenzen ausgestellt. Da kommen dann gegenüber dem idealisierten Fall auch Reflexion und Beugung mit ins Spiel. Man kann jedoch "ungefähr" ganz gut mit den Angaben wie Kugel, Niere, Superniere, Hyperniere und Acht arbeiten.

So, ich denke, das war erstmal genügend Verwirrung ;) - ich hoffe, es konnte ein paar Fragen beantworten.

Viele Grüße
Klaus
 
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Werde ich mal ausprobieren. Es lässt sich auch gar nicht anders in der Spinne montieren, glaube ich. Jedoch könnte es auch sein, dass die "Nierenglocke" nach unten geschlossen ist und den "Raum" mit einfangen soll.
 
Diese Richtcharakteristiken sind natürlich in 3-D, also als Form im Raum. Dann sind sie per Frequenz unterschiedlich. Dann reagieren sie alle felsenfest auf Schallhindernisse im Raum um sie herum. Stell dir das ein bißchen vor, wie den Lichtkegel einer Taschenlampe, aber verbeult und verbogen. Und verstehen ist eins, hören ist einfacher: einen Kopfhörer aufsetzen, der um den Kopf herum dicht macht. Das Mikrofonsignal auf den Kopfhörer, so daß du hörst, was und wie das Mikrofon hört. Das sagt mehr als eine Woche Internet-Dinge-lesen.
 
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Das Problem in der Vor- bzw. Darstellung von Richtcharakteristiken (oder dem Gegenstück, der Rundstrahlcharakteristik eines Lautsprechers) ist, dass mehr Parameter darzustellen sind, als für den Menschen darstellbar: Raum, Pegel und Frequenz. Man kann entweder nur eine Frequenz betrachten und erhält dann Ballon- (3D) oder Polardiagramme (2D). Oder man betrachtet nur eine Schnittebene im Raum und erhält die sogenannten Isobarendiagramme. Aber eine vollumfängliche Darstellung ist nicht möglich. Man muss sich gedanklich also immer mehrer Darstellungen kombinieren, um das Verhalten zu erfassen.
 

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