HaraldS
Mod Emeritus
Wie lernt oder übt man das Benden?
"Fragen Sie besser jemanden, der sich damit auskennt" - der Telefonbuchslogan ist hier sicher nicht ganz falsch.
Wenn man's ganz genau nimmt: Deine Fragestellung ist eine didaktische, keine musikalische. Du fragst nicht "wie verwendet man den Pitchbender" sondern "wie lernt und übt man es". Für Fragen der Musikpädagogik und -didaktik sind natürlich Musikschulen und Musiklehrer zuständig. Jeder Keyboardlehrer sollte in der Lage sein, einem Keyboardschüler eine vernünftige Unterrichtseinheit anzubieten, an deren Ende der Schüler mit einem Pitchbender stilgerecht und musikalisch sinnvoll umzugehen weiß.
Wenn ich die Sprache Französisch lernen will, dann kommt auch nicht jemand und zeigt mir ein Video einer Rede des französischen Staatspräsidenten und sagt: "Ganz einfach, so musst du das machen!"
Sehr richtig. Französisch wird für Unterrichtszwecke analysiert und didaktisch reduziert, sodaß die Vermittlung in Portionen nach und nach zu einem umfassenden Wissen wieder zusammengesetzt werden kann. Letztlich funktioniert Musikdidaktik genauso. Daher sollte man mit der Analyse beginnen, wo und wie der Pitchbender überhaupt eingesetzt wird (und will man Portamento oder auf Pitch Bend geroutete Ribbon-Controller dazunehmen?).
Ich sehe da zwei Hauptgebiete: die Imitation akustischer Instrumente und synthetische Sounds. Wenn ich eine Mundharmonika imitiere, muß ich halt wissen, wie ein echter Mundharmonikaspieler bendet, analog bei Gitarre. Also ist Instrumentenkunde angesagt. Bei synthetischen Sounds muß man die Funktion eingrenzen, meist wird es wohl um Lead-Sounds gehen, die wie bei Herrn Rudess solistisch improvisiert verwendet werden.
Dann müßte man schauen, wann der Einsatz eines Pitchbenders bei fähigen Keyboardern vielleicht dazu dient, Blue Notes oder ungenaue Intonation zu imitieren. Auch das Spielen von Wechselnoten (ähnlich den Mordenten in der Klassik, aber halt mit gleitender Tonhöhe) kann man damit machen. Ich würde sagen: in dem Moment, wo man den Einsatz des Pitchbenders auf ein musikgeschichtlich bekanntes Prinzip zurückführen kann, ist der entscheidende Schritt zur didaktischen Reduktion schon getan. Als konkretes Beispiel: wenn ich ein Synth-Solo in tiefer Lage spiele und einen Blue-Note-Effekt erzielen will ist es sicher richtig, mich daran zu orientieren, wie es ein Posaunist machen würde.
Das Verändern einer Tonhöhe kann ja viel ausmachen; insbesondere der Eindruck von Kraft, Energie und Beweglichkeit spielt ja bei Synthsolos eine große Rolle und kann mit dem Pitchbender unterstützt werden. Zumindest sind das die Faktoren, die ich in meinem Unterricht als wesentlich ansehe.
Außerdem gibt es ja 2 unterschiedliche Bendingmöglichkeiten: du kannst bei losgelassener Zieltaste nach unten oder oben benden, die Zieltaste drücken und dann den Bender loslassen. Dann wird die Zieltonhöhe automatisch erreicht. Oder aber du drückst die Starttonhöhe und ziehst von da aus mit dem Bender den Ton ins gewünschte Ziel. Man sollte beide Methoden kennen und je nach musikalischem Inhalt auswählen. Ein Problem beim Spielen von Legatophrasen ist ja zudem, daß der Bender in seine Ruheposition zurück muß, sonst hat man eine transponierende Tastatur vor sich (was ja durchaus kurzzeitig auch gut sein kann).
Außerdem gibt es auch halbes Bending, bei dem der Pitch Bender nicht ganz bis zum Ausschlag bewegt wird. Das ist aber eher für Fortgeschrittene brauchbar, die sich über die Relation von zurückgelegtem Weg zu veränderter Tonhöhe genau im Klaren sind. Für den Anfang nicht zu empfehlen.
Aber wie übe ich jetzt Bending?
Wenn du es umfassend lernen willst und neuen Input von außen brauchst, suche dir einen Lehrer. Wenn du es für einen konkreten Fall lernen willst, schildere den hier und viele Leute werden sicher Lösungmöglichkeiten anbieten.
Pentatonische Skalen erscheinen mir zum Üben als weniger gut, weil sie unterschiedlich Intervalle haben. Nimm dir doch lieber eine Ganztonskala und stelle den Bender auf -2/+2 Halbtöne, dann mußt du dir erst mal keine Gedanken über korrekte Intonation machen. Damit könntest du üben, glaubhafte Phrasen zu bauen, bei denen man den Einsatz des Pitchbenders möglichst nicht bewußt als Controllereinsatz wahrnimmt.
Harald