Noch mal in aller Deutlichkeit: Ein Phasenverschiebung hat NICHTS mit einer Zeitverschiebung zu tun und eine Polaritätsumkehr und eine 180° Phasenverschiebung sind exakt dasselbe!!!
Na klar kannst du ganzen Sägezahn um 180° verschieben ohne ihn erst mal in seine "Einzelteile" zu zerlegen. Du kannst im übrigen jedes beliebige Signal um 180° in der Phase verschieben, völlig egal ob periodisch oder nicht. Wenn dabei hinterher aber etwas anderes rauskommt, als bei einer Umkehr der Polarität, hat man irgendetwas falsch gemacht.
Ich bin ein Freund der praktischen Versuche getreu dem Motte "Versuch macht kluch" - manchmal hat man aber hinterher mehr offene Fragen als vorher.
Zu der Frage, ob eine Phasenverschiebung von 180 Grad einer Verpolung der signale gleichkommt habe ich mal einen Versuchsaufbau mit meinem (2-Kanal) Funktionsgenerator und Oszilloskop gemacht. (Die weiße Linie in der Mitte ist das aus entweder Addition oder Subtraktion resultierende Signal, ob addiert oder subtrahiert wurde steht im Text).
Zunächst ein einfacher Sinus mit 500 Hz:
Beide Signale sind in Phase und bei einer Addition gibt es einen Sinus mit doppelter Amplitude.
Wird eines der beiden Signale um 180 Grad verschoben, löschen sich die Signale bei der Addition aus:
Dasselbe passiert bei 0 Grad und Subtraktion der Signale, die Subtraktion entspricht dem Polumkehrschalter:
Mit einem ein klein wenig komplexeren Signal, einem Doppelton mit 500+2500 Hz (das Verhältnis 1:5 ist vorgegeben) passiert dasselbe.
Hier 180 Grad und Addition:
Hier 0 Grad und Subtraktion:
Auch ein Rechtecksignal verhält sich so, zuerst wieder 180 Grad und Addition:
Dann wieder 0 Grad und Subtraktion:
Mal sehen, wie sich ein etwas komplexeres, aber streng periodisches Signal verhält. Hier ein Cardiac-Impuls,
jetzt aber zuerst mit 0 Grad und Subtraktion:
Wie zu erwarten löschen sie sich aus. Jetzt mit 180 Grad und Addition:
Was für eine Überraschung, sie löschen sich nicht aus. Aber eigentlich logisch, denn jetzt stehen sich immer ein Impuls und eine Null-Durchgangslinie gegenüber, woraus eine neue Cardiac-Kurve folgt, jetzt aber mit verdoppelter Impulsfrequenz.
Jetzt aber zum Sägezahn, der wurde ja schon mehrfach im Thread erwähnt. Auch hier zuerst 0 Grad und Subtraktion:
Klar, sie löschen sich aus. Was passiert mit 180 Grad und Addition? Siehe hier:
Ups, ähnlich wie beim Cardiac-Impuls eine neue Sägezahn-Kurve mit doppelter Frequenz. Von Auslöschung keine Spur.
Und weil ich mal dabei war, noch ein Signal. Es ist insofern komplex, weil hier dem Sinus ein Rauschen überlagert wurde.
Wieder zunächst 0 Grad und Subtraktion:
Sie löschen sich ganz ordentlich aus.
Nun wieder mit 180 Grad und Addition:
Der Sinus ist weg, hat sich ausgelöscht wie bei 0 Grad und Addition, aber das Rauschen hat sich verstärkt.
Genug der Bildchen. Irgendwie scheint die Wirkung bei einer Phasenverschiebung von der Komplexität der Signale abzuhängen. Mir fehlt das Wissen um die dahinter liegenden mathematischen Zusammenhänge und Formeln, aber dieser Versuch legt nahe, dass sich "komplexere" Signale (ich kann es nicht genauer definieren und ausdrücken) bei einer Phasenverschiebung von 180 Grad nicht mehr so verhalten wie z.B. einfache Sinussignale. Während die Umpolung (hier Subtraktion von nicht Phasen-verschobenen Signalen) immer und zuverlässig zu einer Auslöschung führt (natürlich nur, wenn die Signale zu 100% identisch sind), geschieht das bei der Verschiebung gegeneinander um 180 Grad in den gezeigten Fällen nicht (die Signale sind dabei ebenfalls zu 100% identisch bis auf die Phasenverschiebung um 180 Grad.
Nun haben wir es bei Musik-Signalen so gut wie nie mit nur einfachen, gar nur mit reinen Sinus-Schwingungen zu tun. Musikalische Signale sind praktisch immer ziemlich komplex, da aus vielen Obertönen zusammengesetzt, oft auch mit einem gewissen Geräuschanteil.
Aus meinem Versuch würde ich daher Schlussfolgern, dass für Musiksignale eine Phasenverschiebung von 180 Grad nicht mit einer Verpolung gleich zu setzen ist.
Tatsächlich ist es in der Praxis noch komplexer, denn an den Pulteingängen liegen so gut wie nie zwei wirklich exakt gleiche Signale an. Sie haben maximal eine hohe Kohärenz, sind aber nicht genau identisch. Selbst wenn zwei Mikrofone auf dasselbe Instrument gerichtet sind bewirkt ihr unvermeidlicher Abstand, dass die Signale nicht mehr zu 100% gleich sind. Auch ein Umpolschalter würde die Signale daher nicht zu 100% auslöschen.
Oder wo liegt da der Fehler???