Hi ibba,
freut mich, dass durch die Sichtweise, das als Traum zu betrachten, eine neue Perspektive hinzugekommen ist ...
Was ich im letzten Abschnitt meine, ist ein wenig umfänglich, wenn man es in seiner Gänze darstellen wollte. Kennst Du eigentlich den "workshop lyrics" hier im Forum? Gibt es auch als PDF zum downloaden -. da wird auf so etwas eingegangen (link in meiner Signatur). Es geht im Grunde um zwei Ebenen: zum einen die Wirkung, die ein Text hat, zum anderen die sprachlichen und stilistischen Mittel, die diese Wirkung hervorrufen.
Wenn man von der Wirkung ausgeht, die ein Text auf das Publikum hat, gibt es unter anderem den Unterschied, dass ein Text die Leser unmittelbar anspricht und sie sozusagen in die Handlung hineinzieht: die Leser fühlen sich so, als würden sie das, was (meist) der Hauptperson geschieht, selbst geschehen - sie fühlen, was diese fühlt, sehen, was diese sieht etc. Im Grunde identifizieren sich die Leser eine Zeit lang mit dem Lyrischen Ich (meist die Hauptperson, der Ich-Erzähler). Wobei wir schon bei den sprachlichen Mitteln wären, die so eine Wirkung erzeugen. Benutzt der Autor im Text die Ich-Perspektive (Ich ging über die Straße), schildert das Geschehen also aus Sicht der Hauptperson (dem Lyrischen Ich), baut er dem Leser dazu sprachlich und bildlich eine Brücke - dem Leser fälllt es leicht, das "ich sah ..." "ich schmeckte ..." "ich war erstaunt" etc. wörtlich zu nehmen und und sich so zu fühlen als seien sie das "Ich" des Textes. Neben dieser Erzählperspektive gibt es weitere sprachliche Mittel, die Distanz zwischen Leser und der im Text beschriebenen Person zu verringern: eine unmittelbare Schilderung, nicht nur des Geschehens, sondern auch der Gefühle, Gedanken etc - also alles, was in einer Person stattfindet und von Außen nicht erkennbar ist; aktive statt passive Sätze und weiteres mehr.
Auch die gegenteilige Wirkung - die Distanz zur geschilderten Person - läßt sich durch die Erzählperspektive (etwa die Schilderung "von oben" oder "von Außen": Eine Frau ging über die Straße. Oder: Wir sehen eine Frau, wie sie über die Straße geht. ...) in einem Text herstellen sowie durch andere sprachliche Mittel: beispielsweise alles, was eine Beobachtung aus der Distanz unterstützt: Beschreibungen des Äußeren statt Beschreibung des Innenlebens einer Person etc.
Man kann das auch so ausdrücken wie ich es oben machte: die eine Perspektive macht einen zum Teilhaber des Geschehens, die andere zum Beobachter des Geschehens.
Wenn Du einen Text schreibst, wählst Du eine bestimmte Perspektive und einen bestimmten Stil, manchmal bewußt, manchmal unbewußt. Auf jeden Fall erzielst Du damit eine bestimmte Wirkung bei den Leserinnen und Lesern: nämlich ob sie sich eher mit dem Lyrischen Ich (oder der geschilderten Person) identifizieren, ob sie das Gefühl haben, sie erleben das Geschilderte selbst - oder ob sie das Geschilderte aus einer Distanz heraus betrachten, einen Abstand dazu gewinnen. Das eine ist nicht "gut", das andere nicht "schlecht" und umgekehrt. Es geht nur darum, welche Wirkung Du als Autor bzw. Autorin erzielen will und welche sprachlichen und stilistischen Mittel Du dazu benutzt.
Da diese Wirkungen und Mittel sehr unterschiedlich sind, entscheidet man sich in kurzen Texten oft entweder für die eine Perspektive (Innensicht, Ich-Perspektve) oder die andere Perspektive (Außensicht, Beobachter-Perspektive). Beim Traum ist es nun so, dass man beides auch kombinieren kann: wir kennen sowohl Träume, bei denen wir das Erlebte unmittelbar erleben (und dies könnte dann in einem Text auch so geschildert werden) als auch Träume, in denen wir selbst das Ganze nur zu beobachten scheinen, als auch Träume, in denen wir uns selbst zu beobachten scheinen - und wilde Schwenks zwischen diesen Perspektiven. So sind eben Träume - alles ist möglich.
Das wären quasi aus Autoren-Sicht die Vorzüge, die der Rahmen eines Traums für das Erzählen bildet. Wie stark man dabei sozusagen eine Interpretationsleitflanke oder Zaunpfähle bereit stellt, damit die LeserInnen kapieren, dass es sich um einen Traum handelt, ist eine zweite Frage. Ich kann mir gut vorstellen, dass man einfach so in die Geschichte einsteigt und darauf vertraut, dass die LeserInnen irgendwann verstehen, dass es sich um einen Traum, eine Phantasie etc. handeln könnte. Das reicht im Grunde. Der Erzählrahmen "Traum" hat natürlich auch den Vorzug, dass der Träumer - wie der Autor - nicht in Gänze verstehen muss, was oder warum das alles passiert oder was es bedeutet: er muss nicht allwissend sein. Das kann das Erzählen leichter machen: man muss nichts erklären, Dinge können sonderbar oder mehrdeutig sein, können real oder symbolisch sein etc. Das alles kann die Neugier des Publikums wecken und schüren und es dazu verleiten, über das Geschehen nachzudenken, es nachzuempfinden, auf sich wirken zu lassen - und das ist schon eine ganze Menge von dem, was man mit einem Text bewirken kann.
Herzliche Grüße
x-Riff
P.S.: Es gibt in der Literatur viele unterschiedliche Perpektiven, die manchmal auch anders benannt werden. Die zwei grundlegenden Perspektiven, die ich geschildet habe, finden sich allerdings so oder so ähnlich auch in der Literatur bzw. der Betrachtung von Literatur wieder.