Netzfilter, Stromschläge und FI-Schalter

  • Ersteller chris_kah
  • Erstellt am
Status
Für weitere Antworten geschlossen.
chris_kah
chris_kah
HCA PA- und E-Technik
HCA
Zuletzt hier
24.11.24
Registriert
18.06.07
Beiträge
9.532
Kekse
118.136
Ort
Tübingen
Kleine Stromschläge und Netzfilter

Einige Threads in der Vergangenheit im Bereich PA und Elektrik behandeln das Thema "kleine Stromschläge, wenn ich das Mikro berühre". Oft ist die Rede auch von: "tritt nur auf, wenn Gerät XY dabei ist"

Die Ursache ist vermutlich eine doppelte:
  1. Irgendwo unterwegs zur Steckdose (oder auch in der Steckdose) ist der Schutzleiter unterbrochen.
  2. Es ist ein Gerät mit Netzfilter im Spiel.

Warum Netzfilter?
Zunehmend werden Schaltnetzteile eingesetzt, was viele Vorteile hat (Gewicht, 100-230V, Effizienz, Schaltfrequenz deutlich höher als höchste wahrnehmbare Frequenz). Diese Schaltnetzteile erzeugen primärseitig Störungen und die dürfen gesetzlich festgelegte Grenzwerte nicht überschreiten (engl: conducted emmission). Daher werden solche Geräte mit Netzfiltern ausgestattet.

Ich verweise hier auf vorhandenes Material:
http://de.wikipedia.org/wiki/Netzfilter und dort auf die Punkte: "Aufbau und Gehäusepotential"

Netzfilter.GIF

R = 1,0 MOhm
CX = 100 nF (X-Klasse)
CY = 2,2 nF (Y-Klasse)
L = 2×1,0 mH (Stromkompensiert)

Wesentlich dabei ist die Tatsache, daß in diesen Filtern kleine Kapazitäten (Cy)zwischen den beiden eigentlichen Stromleitern (Phase und Null) und dem Schutzleiter eingebaut sind. Beide Seiten deshalb, weil man ja einen Schutzkontaktstecker beliebig in eine Steckdose stecken kann und dann nicht sicher ist, welche der beiden Seiten Phase ist, und welche Null. Die Kapazitäten sind so klein gewählt, daß der Leckstrom sehr klein ist. Bei 2.2nF sind das knapp 160 uA (micro Ampere).


Ist nun der Schutzleiter auf dem Weg zum Potential Erde unterbrochen tritt auf allen angeschlossenen Geräten über den kapazitiven Spannungsteiler eine Spannung von 115V am Schutzleiter auf, deren Strom nur durch die Kapazität begrenzt wird. Sind mehrere derartige Geräte im Einsatz, so summiert sich im Fehlerfall natürlich der Strom, der fließen kann.

Was tun?

Wird so ein Phänomen festgestellt:
  1. nichts mehr anfassen! (Keine Gehäuse und leitenden Teile)
  2. falls ein Phasenprüfer http://de.wikipedia.org/wiki/Phasenprüfer (möglichst ein empfindlicher Typ 150V - 250V) zur Hand: an einer zugänglichen Stelle (freie Steckdose an einer Mehrfachsteckdose) den Schutzleiter prüfen. Leuchtet der Phasenprüfer da auf, ist vor dieser Stelle der Schutzleiter unterbrochen.
  3. Man kann sich so bis zur Wandsteckdose vorhangeln und den Punkt der Unterbrechung lokalisieren.
  4. Ist ein Mehrfachstecker oder ein Verlängerungskabel Schuld: sofort wegwerfen oder reparieren.
  5. Ist das Problem an der Wandsteckdose: zukleben, Zettel dran, Verantwortlichen informieren, reparieren lassen! Die Steckdose nicht mehr verwenden bis sie repariert ist!

Genau diese Vorgehensweise habe ich mit einem Schaffer Netzfilter im Labor nachgestellt und mit einem Phasenprüfer 150V - 250V getestet. Das funktioniert gut. Ein Multimeter zeigte in diesem Fall 109V an. Die Glimmlampe an einem Phasenprüfer sollte eigentlich schon bei etwas mehr als 60V anfangen zu glimmen.

Falls ihr das nicht selber prüfen könnt oder für euch die oben genannte Beschreibung nicht 100% verständlich ist:
Alles ausstecken (zuerst Stecker an der Wandsteckdose ziehen) und alles von einer Fachkraft prüfen lassen!

Wenn man es mal britzeln spürt, besteht potentiell Lebensgefahr, eventuell, wenn
man dann noch ein anderes Teil berührt. DAMIT IST NICHT ZU SPASSEN!

So das war Teil1 der FAQ
 
Eigenschaft
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
Werden mehrere Geräte mit derartigen Netzfiltern an einem Stromkreis betrieben, so kann es vorkommen, daß der FI Schutzschalter (Fehlerstromschutzschalter) auslöst, obwohl eigentlich nichts defekt ist. Die beschriebenen Netzfilter haben ja von der Phase einen kleinen Kondensator zum Schutzleiter (auch vom Nulleiter zum Schutzleiter, da ja die Polung nicht bekannt ist; den Schuko-Stecker kann man ja beliebig einstecken). Diese Verbindung von Phase über den Kondensator zum Schutzleiter stellt für den FI Schalter einen kleinen Fehlerstrom dar. Sind jetzt mehrere derartige Geräte hinter einem FI Schalter angeschlossen, so kann es sein, daß sich diese kleinen Leckströme soweit aufaddieren, daß der FI Schalter auslöst. Dabei ist kein einziges Gerät defekt, es ist nur eine ungünstige Konstellation.

Das Problem wird in den nächsten Jahren zunehmend auftrerten, da immer mehr Geräte mit Schaltnetzteilen auf den Markt kommen. Im Labor, in dem ich arbeite, wurde der generelle FI Schutz daher abgeschafft, und Prüflinge mit offen zugänglichen Netzkomponenten werden durch einen gesonderten empfindlichen FI Schalter abgesichert.
Sonst müßte der generelle FI Schalter so unempfindlich sein, daß er seine eigentliche Funktion gar nicht mehr erfüllen kann.

Abhilfe ist schwierig, da der FI Schalter oft fest installiert ist.
Möglicherweise müssen die Stromverteiler (Drehstrom mit eingebauten Sicherungen) in Zukunft darauf angepaßt werden und mehrere getrennte FI Kreise bekommen.

Bleibt zu hoffen, daß die Hersteller Netzfilter mit sehr kleinen Kondensatoren verwenden, dann ist der "Leckstrom" klein.

Das war Teil 2 der FAQ

Gruß
Christoph

Bitte hier keine Fragen posten, höchstens weitere Anmerkungen. Für Fragen einen neuen Thread aufmachen.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
FI steht für F(ehler)- Strom (Symbol I). Ein weiterer gängiger Name ist RCD (Residual Current protective Device). Im weiteren Text verwende ich der Einfachheit halber nur FI.

Ein FI Schutzschalter vergleicht vereinfacht gesagt den Strom, der in die Phase fließt mit dem Strom, der am Nulleiter zurückkommt. Ist die Differenz größer als ein gewisser Schwellwert, so löst er aus und unterbricht den Stromfluß.

Das ist stark vereinfacht, denn es handelt sich ja um Wechselstrom. Konstruktiv ist das so ausgeführt, daß sich 2 Spulen - je eine für den Hin- und Rückstrom - auf einem Kern befinden. Deren Magnetfelder sind im Normalfall gegeneinander gerichtet, damit im Gleichgewicht und heben sich daher gegenseitig auf.
Sobald die Ströme nicht mehr übereinstimmen, entsteht ein Magnetfeld, daß dazu verwendet wird, den Schalter auszulösen und damit den Stromkreis zu unterbrechen.
FI Schalter können sehr empfindlich gebaut werden bei gleichzeitig sehr großem Laststrom.

Ein FI Schalter erkennt also, wenn ein Strom den vorgesehenen Stromkreis verläßt, sei es durch eine Ableitung zum Schutzleiter oder über einen Körper zur Erde.
Bei diesen Fehlerfällen schaltet er sehr schnell ab.

Ein FI Schalter kann aber nicht erkennen, wenn ein Strom über einen Körper von Phase zum Nulleiter fließt, wenn man also beide Leiter gleichzeitig berührt. Das ist ja vom Nutzstrom nicht zu unterscheiden.

Ein FI Schalter begrenzt auch nicht den Strom bei Berührung. Das geschieht nur durch den Körperwiderstand. Aber er schaltet sehr schnell ab und verhindert dadurch meist das Schlimmste. Die größte Gefahr bei einem Stromschlag ist das Herzkammerflimmern, verursacht durch die 50 Hz Wechselstrom. Ein FI Schalter schaltet beispielsweise nach 30 ms ab, das sind gerade mal 3 Halbwellen.

Es gibt verschiedene Ausführungen von FI Schaltern, mit unterschiedlichen Auslösezeiten, Ansprechschwellen und Art der Trennung.
Eine schöne Übersicht gibt es bei Kopp. Ich wollte das verlinken, habe aber festgestellt, daß sich die Übersichtgeändert hat.
Für die Anwendung im Musikerbereich ist die verbreiteteste Variante (Zweipolige Abschaltung, Schutzleiter nicht getrennt) die Sinnvollste.
Zu den Auslösezeiten: Netzstrom hat 50 Hz, eine Periode 20 ms, jede Halbwlle 10 ms.
Vorgeschrieben ist eine Auslösezeit unter 200 ms.
Eine Auslösezeit von 30 ms ist schon ganz gut. Wenn Werte unter 10 ms angegeben sind, würde ich von Fantasiewerten ausgehen.

Übliche Auslöseströme sind 30 mA, es gibt auch empfindlichere mit 10 mA.
Mit der 10 mA Version kann man Probleme bekommen, wenn zuviele Geräte mit Netzfilter angeschlossen sind. (Im Beitrag eins drüber beschrieben).

Mit der 30 mA Version kann ein höherer Strom fließen, ohne daß der FI auslöst. Und schon 10 mA sind SEHR unangenehm.

Trotz FI ist eine fehlerfreie Verkabelung wichtig, um den Schutz zu gewährleisten. Und ein Freifahrschein für allzu sorglosen Umgang mit Netzstrom ist er auch nicht.

-------

Eine ausführlichere und gut geschriebene Abhandlung gibt es bei Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/FI-Schutzschalter

Das war Teil 3 der FAQ

Gruß
Christoph
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 6 Benutzer
Status
Für weitere Antworten geschlossen.

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben