Motivation der aktiven Ablehner atonaler Musik?

  • Ersteller Alff Orden
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2. Leute, die Marktanteile halten, und ihr Geschäftsfeld durch fortschrittliche und internationale Musik bedroht sehen.

Das ist eine Verkehrung von Tatsachen, da das große Geld im Bereich der so genannten "E-Musik" eben nicht mit tonaler, sondern mit atonaler Musik gemacht wird. Ein Hans Werner Henze hätte es mit tonaler Musik sicher nicht zum Millionär gebracht. Genauso wie ein zeitgenössischer bildender Künstler heute auf abstrakte Kunst setzen muss, wenn er Reibach machen will, so müssen zeitgenössische Komponisten auch auf "abstrakte Musik" setzen.
Der Begriff "abstrakte Musik" trifft es übrigens besser als der Begriff "atonale Musik".

Das hat Sauter sehr gut dargestellt:

Auch die Kreativität der "modernen" Künstler ist abstrakt: Das Neue erscheint als Wert für sich, getrennt von allen ästhetischen Gesichtspunkten. Das Ideal der modernen Kunst ist die Originalität. In diesem Ideal nehmen sich die Künstler ihre Lebensgrundlage in der bürgerlichen Gesellschaft persönlich zu Herzen: das Urheberrecht, mit dem Geistesprodukte zu Geld gemacht werden können. Entsprechend sind die Komponisten mit ihrer Besonderheit befasst, suchen beim Komponieren nach ihrer Identität, fragen sich lebenslang, wer sie sind und wie sie ihre innerste Persönlichkeit dem Publikum mitteilen können. Denn aus dem geistigen Ursprung der Kunstwerke schließen sie ganz selbstverständlich, dass es darin um sie ganz persönlich ginge und dass sich in der Musik der Künstler ausdrücke. So wird die ganze Dürftigkeit der Abstraktion Identität zum Inhalt der Botschaften, um derentwillen Musikinstrumente und Ohren strapaziert werden. Dem Publikum wird mit atonaler Musik nichts Genießbares geboten, sondern Gewöhnung abverlangt. Geboten wird dafür ein "Material", das jeder deuten kann wie er will, also ein Betätigungsfeld für abstrakte Freiheit.
http://www.tonalemusik.de/musiklexikon.htm


Perfide Diffamierung!
 
Der Begriff "abstrakte Musik" trifft es übrigens besser als der Begriff "atonale Musik".

Das hat Sauter sehr gut dargestellt:

Ich habe den Eindruck, weder du noch Herr Sauter hat sich eigentlich gefragt, was das Wort "abstrakt" bedeutet. Mir will sich da beim besten Willen keine Verbindung zu: "das Neue als Wert für sich" oder "getrennt von ästhetischen Gesichtspunkten" einstellen. Abstraktion ist, vereinfacht gesagt, schlicht die Verallgemeinerung eines spezifischen Gegenstandes zu einer weniger spezifischen (und meist auf bestimmte Parameter fokussierten) Idee.

Abstraktion und Konkretion können nun durchaus Teil des kompositorischen Prozesses sein - oder eigentlich: Sind wohl beide immer seit jeher Teil des kompositorischen Prozesses. Komponisten (wie alle anderen Menschen) nehmen konkrete Dinge aus ihrer Umwelt wahr und abstrahieren davon gewisse, für sie interessante, Ideen. Dies ist schon mal die Grundvoraussetzung der menschlichen Wahrnehmung schlechthin, denn diese Abstraktion ist es, welche uns nicht nur einen unüberblickbaren Klumpen aus Sinneseindrücken als ganzes erleben lässt, sondern einzelne Aspekte dieses Klumpens als (auch sprachlich) abgegrenzte Objekte erkennen lässt. So können wir einen "Baum" sehen und uns an ihn erinnern, ohne uns jedes einzelne Blatt eingeprägt zu haben, die Textur seiner Rinde, der Boden auf dem er steht, etc.

Aus einer Vielzahl von solchen abstrakten Ideen, welche unsere Erfahrung, unser Wissen formen, schafft nun ein Komponist erneut ein mehr oder weniger konkretes Musikstück, welches gewisse abstrakte musikalische Grundideen (der Form, der Harmonie, und so weiter) in eine ganz spezifische, daher konkrete, Ausprägung bringt. Und dieses Produkt wird dann natürlich durch eine spezifische Interpretation eines Musikers weiter konkretisiert.

Daher lässt sich schon einmal festhalten, dass jegliche Form der klingenden Musik erstens einmal ein konkretes Ereignis ist, zweitens aber bestimmte abstrakte Hintergründe hat (sei dies die Idee eines Hundegebells, sei dies eine Sonatenhauptsatzform, sei dies eine Zwölftonreihe).

Nun ist mir aber klar, dass der obige Gebrauch des Wortes "Abstrakt" wohl mehr auf die etwas verfremdete Verwendung angelehnt ist, welche aus der Malerei der Moderne stammt. Aber hier meint "abstrakt" eigentlich immer noch dasselbe: Abstrakte Malerei (wie sie Picasso etc. praktizierten) hat nichts mit einer Loslösung von ästhetischen Kriterien zu tun, noch bezeichnet sie prinzipiell ungegenständliche Malerei. Die Abstraktion dieser Malerei ist genau was das Wort sagt: Von einer mehr oder weniger exakten gegenständlichen Malerei ausgehend, werden nun Stück für Stück einzelne spezifische Parameter beiseite gelassen, andere fokussiert (und natürlich und unvermeidlich: letztendlich wieder in eine konkrete Form gebracht). Wichtig dabei ist, das sich abstrakte Malerei stets noch auf die gegenständliche Abbildung bezieht, wenn auch über den Umweg der Abstraktion.

Dabei sei natürlich auch angemerkt, dass dies keinesfalls eine Erfindung des 20. Jh. ist. Bereits die mittelalterliche Malerei veranschaulicht sehr schön, wie gewisse Parameter der gezeigten Dinge ausser Acht gelassen werden, um das dem Künstler wesentlich erscheinende stärker in den Vordergrund zu rücken.

Nun aber zur Musik: Es gibt nun einige seltsame Menschen, welche die abstrakte Malerei der Moderne für unästhetisch halten (das sei ihnen ja gewährt) und daraus für sich ableiten, den Terminus "abstrakt" ebenso für andere Kunstrichtungen zu verwenden, welche ihnen nicht zusagen. Aber leider passt das so gar nicht in die Musik...

Die Auflösung der Tonalität hat nun wirklich gar nichts mit einer Abstraktion zu tun. Wer etwas anderes behauptet, soll mir erst einmal erklären, welches tonale Konkretum nun eigentlich abstrahiert wurde...

Sauters Zitat ist geradezu lächerlich. Er redet von einer Trennung "von allen ästhetischen Gesichtspunkten" - wobei doch "ästhetische Gesichtspunkte" an sich schon der Inbegriff einer Abstraktion sind. Wenn schon, wäre eine Musik, welche "nur sich selbst genügt", dem Begriff des Konkreten viel näher als eine, welche aus einer jahrhundertelangen Tradition der Stilisierung (unserem "westlichen tonalen System") hervorgegangen ist.

Des weiteren ist es äusserst belustigend, wie Sauter vorgibt, die Gedankten sämtlicher Komponisten und deren Hörer lesen zu können. Woher weiss er denn, dass für alle diese Komponisten Ästhetik oder ein "schöner Klang" keine Rolle spielen? Woher weiss er, mit was diese Komponisten alle "befasst sind"? Woher weiss er "dass sie ihre Persönlichkeit ausdrücken" wollen, oder "Botschaften vermitteln" wollen? Und woher weiss er, dass es nicht viele Hörer gibt, die diese Musik tatsächlich genissen?

Ich jedenfalls, erlebe ganz anderes von mir selbst und meinem Bekanntenkreis...
 
Nun aber zur Musik: Es gibt nun einige seltsame Menschen, welche die abstrakte Malerei der Moderne für unästhetisch halten (das sei ihnen ja gewährt) und daraus für sich ableiten, den Terminus "abstrakt" ebenso für andere Kunstrichtungen zu verwenden, welche ihnen nicht zusagen. Aber leider passt das so gar nicht in die Musik...

Ich muss dich da eines Besseren belehren: Der Terminus "abstrakte Musik" wird durchaus im wissenschaftlichen Kontext gebraucht. Es gibt sogar eine eigene Musikrichtung der Moderne, die sich von der "abstrakten Musik" (12-Ton-Musik, Serialismus) abgrenzen wollte: Die "musique concrète".

Es gibt überhaupt keinen Grund, warum man von "abstrakter Malerei", nicht aber von "abstrakter Musik" reden sollte.

Was ist unter abstrakter Musik zu verstehen? Abstrakte Musik ist Musik, die mit Ideen und Konzepten arbeitet - und sich dabei von konventionellen musikalischen Modellen verabschiedet hat.
Der Schöpfer abstrakter Musik lädt sein Werk mit Bedeutung auf - er fordert den Zuhörer zur Deutung heraus. Der Hörer kann sich dabei nicht mehr auf konventionelle Hörerfahrungen stützen.

Es gibt Abstraktes auch schon in der traditionellen Musik, denkt man etwa an Zahlensymbolik bei Bach. Der Unterschied ist, dass der Hörer die abstrakten Ideen nicht kennen muss, um Bachs Werke als "sinnvoll" und "schlüssig" zu erfahren. Denn hier kann sich der Hörer auf über Jahrhunderte gewachsene Hörerfahrungen stützen: Dies erlaubt es ihm, die Musik Bachs auf einer sinnlich-konkreten Ebene erleben zu können. Gerade das ist aber bei abstrakter Musik der Moderne nicht mehr möglich.

Um beispielsweise serielle Musikwerke, die mit mathematischen Verfahren errechnet wurden, zu verstehen, muss ich die zugrunde liegenden Formeln kennen. Er-hören kann ich sie nicht. Sie sind ja schließlich auch nicht "mit dem Ohr" komponiert wurden, sondern "mit dem bloßen (mathematischen, nicht-musikalischen) Intellekt".
 
Ich bin mit der Geschichte der elektroakustischen Musik genug vertraut, um die Musique concrète zu kennen. Und nicht bloss deren Namen.

Ganz im Gegensatz zu deiner Behauptung jedoch, setzt sich die Musique concrète keinesfalls nur gegen 12-Ton-Musik ab, sondern gegenüber die gesamte europäische Tradition des Komponierens als eine Folge von geistiger Konzeption und einer darauf folgenden konkreten Realisation. Bach und Verdi sind in Pierre Schaeffers Bild der "abstrakten Musik" genauso enthalten wie Schönberg.

Es ging Schaeffer dabei primär um den Arbeitsprozess: Die Frage ob von einer geistigen Konzeption ausgegangen werde, welche sich dann in einem Werk materialisieren (wie es die Komponisten traditionellerweise taten), oder von konkreten Klangobjekten, welche erst nachträglich intellektuell gefasst werden. Die Frage ist also primär nur an welchem Punkt des Kompositionsprozesses Abstraktions- und Konkretionsprozesse auftreten. Wie du siehst, deckt sich das mit meiner oben angeführten Erläuterung, dass alle komponierte Musik aus einer Wechselwirkung solcher Prozesse hervorgeht.

Aber schön, wenn du die Musique concrète verfichtst. Ich mag sie auch.

Aber mal abgesehen davon: Die Tatsache dass Pierre Schaeffer (und Henry etc.) ihre Musik "Musique concrète" nennen, macht aus "abstrakter Musik" noch lange keine "wissenschaftliche Bezeichnung". Und selbst wenn einige Wissenschaftler einen bestimmten Begriff gebrauchen, heisst das noch lange nicht, dass er gut oder eindeutig gewählt wäre. Klar, es gibt aberhunderte von "wissenschaftlich verwendeten" musikalischen Begriffen. Aber viele davon machen nur in einem bestimmten Kontext (oder einer bestimmten Zeit, oder einem bestimmten Kulturkreis) überhaupt Sinn.

Zu deinen restlichen Sätzen: Ich kenne äusserst wenig Musik, welche nicht mit Ideen und Konzepten arbeitet und sich nicht von gewissen konventionellen musikalischen Modellen verabschiedet hat. Dies hat aber absolut nichts mit Abstraktion zu tun. Wie gesagt: Abstraktion ist nicht die Verweigerung von etwas Gegebenem, sondern dessen Verallgemeinerung/gedanklicher Reduktion. Aber damit solltest du dich ja auskennen, bist du doch in der Lage, deine eigenen musikalischen Vorlieben dementsprechend zu "abstrahieren", dass sie zu ganz generellen, für alle Menschen gültigen Wertprinzipien werden. Dass ich serielle Musikwerke ganz sinnlich-konkret erlebe muss wohl aus einer geistigen Umnachtung meinerseits herrühren - genauso wie die Tatsache, dass Xenakis-Werke, denen mathematische Formeln zugrunde liegen, häufig grossen Erfolg bei Leuten haben, welche garantiert nichts von deren zugrunde liegenden Formeln verstehen. Ich hielt sie immer für äusserst direkt sinnlich erfahrbar, aber offenbar irre ich mich hier. Danke, dass du mich aufgeklärt hast. Danke auch, dass du endlich Licht ins Dunkel darüber bringst, welche Komponisten alle "mit dem Ohr" schreiben, und welche nicht. Du musst es ja wissen.


Im Ernst aber: Ich habe absolut kein Problem damit, wenn Leute serielle Musik und Ähnliches nicht mögen. Ich habe viel Verständnis dafür. Was mich aber auf die Palme bringt, ist wenn Leute mir einzureden versuchen, ich habe eine bestimmte Musik nicht als schön und sinnlich zu empfinden.
 

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