"Menschsein ist Aua"

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Hallo Forum!

Hier kommt ein neues Gedicht im Pelz eines Songtextes.
Wie immer bin ich Euch für schonungsloses Feedback sehr dankbar.
Wichtig ist mir dabei zu wissen, wo die Brüche und Unverständlichkeiten liegen und ob eine gewisse Atmosphäre 'rüberkommt.

Danke!
Grüße
willy


Menschsein ist Aua

Wenn Bauern suchen.
Millionäre werden.
Frauen sich vertauschen.
Sieh’, wie wir Herden werden.

Sieh’ in den Spiegel
Sieh’ deine Zeit
Schau deine Tage.
Heute bright und morgen bright.

Sieh’, wie wir werden.
Und dann vergehn’.
Nichts zu bewegen.
Immer nur sehen.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Wenn Putins siegen,
Chinesen noch reifen,
wollen wir Kinder wiegen
und wie Wunder begreifen.

Sieh’ dieses Leuchten.
Es kennt keine Nacht.
Viel mehr als alle Fragen,
ist’s diese Macht, die über uns wacht.

Sieh’, wie wir geben-
und sie verliern’.
All unser Rufen,
werden sie nicht hörn’.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun’
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun’


Wenn Väter suchen.
Und Mütter auch.
Suchen Männer und Frauen,
denn das war’n sie ja auch.

Sieh’, was wir fanden.
Wie ruhig wir sind.
Wir können uns drehen,
im warmen Abendwind.

Sieh’, wie wir tanzen-
Kein Bild ist so wahr.
In deinen Armen versinken.
Vienna ist nah’.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun’
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun’

 
Eigenschaft
 
Willy, so unkonventionell deine Ausdrucksweise an manchen Stellen sein mag. "Aua" ist für mich das Wort "Schmerz" nur nett verpackt für Kinderohren. Ich denke uns Erwachsenen darf man schon eine andere Sorte Wort entgegen pfeffern.

Auch hier muss ich wieder sagen, ich fühle mich so gut wie gar nicht vom Text angesprochen. Das Thema ist interessant, bleibt interessant, mehr kann ich nicht loben und positiv hervorheben.

Klar, du versuchst deine eigentliche Aussage nett und kreativ zu umschreiben. Doch mich spricht die Umsetzung einfach nicht im geringsten an.

Sachlicher kann ich es dir wirklich nicht erklären. In Sachen Lyrik und Songwriting bin ich auch nicht so bewandert, dass ich dir hier mit Fachausdrücken in Petto detailgenau erklären könnte, was mir hier missfällt.

Wie gesagt, mich springt im Text einfach nichts an, da sind keine Worte die draus hervorgehen, kein Reim der beim lesen auf der ideellen Zunge zergeht, einfach nichts.

Mal ein Beispiel, welchen gesellschaftskritischen Song ich sehr mag:
http://www.youtube.com/watch?v=6_-gYjZJ9j0

"Hab dich gesehen und gleich gehasst,
Schublade auf, gut reingepasst.

Ich werf den ersten Stein,
bin ohne Schuld,
trag den Heiligenschein,
was keiner weiß,
ich werde unter all den letzten Ketzern
der Erste sein."

Reime die mich total begeistern, die sich verdammt gut lesen, noch besser klingen.
Und vor allem greift Daniel zu Wörtern die aufhorchen lassen, die nicht im Alltag verwendet werden: Ketzer.
Oder auch extreme Metaphern = Leichen im Keller.

Soetwas fehlt bei dir einfach. Überschall ist ein Wort, dass doch irgendwo eine Extremtität ausdrückt und dem Ganzen Charakter verleiht.
Sogesehen ist dein Text ein leises vor sich hin nuscheln und kritisieren, ohne HEY! Aufgepasst! Was hier läuft ist fragwürdig, beschäftigt euch damit!

Und beschreib nicht so viel, kritisere viel mehr. Bringe viel mehr eigene Gedanken ein, als in etlichen Zeilen zu benennen wer denn hier wen sucht und warum.


Und zum Schluss, nur weil ich für einige Geschmäcker extrem, teils unsachlich kritisiere, heißt dies nicht dass ich es besser könnte.
Ich entgegne mir selbst mit dem selben Maß an Kritik, daran gehe ich regelmäßig kaputt.
Aber ich glaube nur so, wirst du eines Tages eines Text schreiben, der dich echt selbst vom Hocker reißt.

Vielleicht bringen dir meine Kritikpunkte ja tatsächlich etwas.
 
Lieber willy,

die Zeit ist gekommen, dass ich mich mal intensiv mit einem deiner Texte auseinandersetze und das Ergebnis davon auch veröffentliche. Du gehörst zu den Wenigen hier, die einen ganz eigenen Stil haben, die authentisch wirken. Jedoch ist es für mich schwer einen Zugang zu deinen Texten zu finden - das liegt wohl sicherlich daran, dass dein Stil mich nicht so berührt. Trotzdem will ich versuchen, irgendetwas Konstruktives beizutragen.


Wenn Bauern suchen.
Millionäre werden.
Frauen sich vertauschen.
Sieh', wie wir Herden werden.

Ich spüre Gesellschaftskritik aufkommen, es werden mehrere Schlagwörter genannt, der Leser darauf eingestimmt, in welche Richtung der Text wohl gehen wird. Ein wenig stoß ich mich an der letzten Zeile, sie ist mir etwas zu belehrend, ich sehe den unreflektierten Finger von mir wackeln - klar, ist ja nur ein Finger, die allein können selten reflektieren.


Sieh' in den Spiegel
Sieh' deine Zeit
Schau deine Tage.
Heute bright und morgen bright.

Das Gegenüber wird direkt angesprochen - im Gegensatz zu oben ist die Aufforderung "Sieh" eine Einladung, sich selbst was anzuschauen, und keine Feststellung, weswegen das hier nicht falsch kommt. Der Gedanke kommt auf, ob mit der Erwähnung des Spiegels das LI sich selbst meinen könnte, damit eigentlich sich selbst kritisiert.


Sieh', wie wir werden.
Und dann vergehn'.
Nichts zu bewegen.
Immer nur sehen.

Dieser Absatz gefällt mir schon besser. Die ersten beiden Zeilen wirken etwas trivial (natürlich stimmt's, aber Allgemeinplätze um einen neuen Gedanken zu etablieren - nämlich die Vergänglichkeit, die bisher nicht so vorkam - finde ich nicht so stark), die darauffolgenden jedoch legen das Thema des Passiven in sehr prägnanter Form schön da.


Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Der Refrain bzw. die Catchphrase fängt mich nicht ein. Ich glaube zu ahnen, wohin du willst (satirische Verwendung von Kindersprache als Zeichen für die simple Gesellschaft, Reizüberflutung durch sensationsgeile Bilder, der Überschall als Wiederholung der Sensationsgeilheit). Die heilige Trauer verstehe ich jedoch nicht, auch wenn ich darüber nachdenke: meinst du damit Religiösität? Wie oberflächlich der Glaube ist? Oder verwendest es nur als übertriebenen Begriff wieder, dass man heutzutage wie ein Religiöser den von dir genannten Dingen nachhhängt?
Mir fällt es mit diesem Refrain sehr schwer, in den Song zu kommen, auch nach mehrmaligen Lesen.


Wenn Putins siegen,
Chinesen noch reifen,
wollen wir Kinder wiegen
und wie Wunder begreifen.

Weitere Probleme werden angesprochen, die erste Zeile etwas platt, die zweite Zeile interessanter - die Zeilen danach sind entweder sehr kitschig oder sehr ironisch gemeint. Ich bin mir echt unsicher - wie die biedemeiersche Flucht ins Private als Reaktion auf die öffentlichen Probleme angesprochen? Oder sieht das LI hier wirklich einen Ausweg, einen Hoffnungsschimmer?


Sieh' dieses Leuchten.
Es kennt keine Nacht.
Viel mehr als alle Fragen,
ist's diese Macht, die über uns wacht.

Es geht positiv weiter, der angesprochene Hoffnungsschimmer wird ein Leuchten jenseits jeder Nacht, eine schützende Macht wird heraufbeschworen. Ich hab das Gefühl, es ist ironisch gemeint, aber es könnte genauso gut sein, dass die Religiosität wirklich wieder angesprochen wird und die eine für mich unverständliche Zeile im Refrain das eigentlich Wichtige im Text ist (wogegen der Titel sprechen würde).


Sieh', wie wir geben-
und sie verliern'.
All unser Rufen,
werden sie nicht hörn'.

Wir haben auf einmal ein "sie", DAS wirft mich raus. Bisher war da ein Wir und ein Du, ich hab keine Ahnung, wer die "sie" sind. Sind es doch Dritte, die der Oberflächlichkeit verfallen sind? Warum können wir sie verlieren, müssen wir auf sie aufpassen? Wenn ja, wie kommen wir zu dieser Garantenstellung? Vor allem, was geben wir denn? Sind WIR die Macht, von der vorhin geredet wurde? Ich bin an diesem Punkt jetzt echt verwirrt.


Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Der Refrain ist für mich noch genauso unklar wie vorhin, weil die Strophe mir nichts Neues gebracht hat.


Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun'
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun'

Es wird wieder die Oberflächlichkeit aufgenommen, das "sie" wird ausgebaut - also sind es wirklich die Anderen, welche dieses negative Verhalten an den Tag legen. Jetzt finde ich langsam wieder rein, mir gefällt auch das Bild der leer wiedergekauten Bilder, aber so ganz drinnen bin ich nicht.


Wenn Väter suchen.
Und Mütter auch.
Suchen Männer und Frauen,
denn das war'n sie ja auch.

Okay, neues Thema? Sexuelle Beziehungen, der Verlust der Identität wenn man in das Rollenbild der Mutter bzw. des Vaters gesteckt wird? Jedenfalls kann ich grad nichts anderes rauslesen, etwas irritierend dieses plötzliche neue Thema.


Sieh', was wir fanden.
Wie ruhig wir sind.
Wir können uns drehen,
im warmen Abendwind.

Ich glaube, dass das Bild des Pärchens weiter geführt wird, das "wir" bezieht sich möglicherweise auf die beiden Personen - bezog sich vielleicht die ganze Zeit drauf? Ich werde nicht noch einmal alles darauf durchlesen, denn sogar wenn es so ist, hätte das meiner Meinung nach viel früher irgendwie etabliert werden sollen, sorry.


Sieh', wie wir tanzen-
Kein Bild ist so wahr.
In deinen Armen versinken.
Vienna ist nah'.

Vienna ist nah - Falcoreferenz? Oder warum wird dann die englische Bezeichnung von Wien genutzt? Hat das etwas von einem magischen Ort an sich, eine romantische Zuflucht? Es scheint als wenn der Text nun den weiten Bogen schlägt von den negativen Dingen, die es gibt, zu dem Positiven, wie man dem entkommt. Ich muss an deinen weihnachtlichen Text denken, wo ebenfalls nach kritischer Betrachtung deiner Umwelt das Motiv der Liebe als sicheren Hort aufkam.


Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun'
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun'

Es wird nicht mehr auf den Liebesaspekt extra eingegangen, der Refrain gibt mir also gleich viel bzw. gleich wenig wie zuvor.



So, das hat einige Zeit gedauert jetzt, aber ich bin durch. Sprachlich ist der Text gelungen, teilweise langweilige Plattitüden, teilweise tolle Ideen, sehr viel nette kleine Spielereien. Inhaltlich hat er mich sehr verwirrt zurückgelassen, ich hab nicht reingefunden. Mich würde sehr interessieren, wie denn gewisse Sachen nun gemeint waren.
 
Hallo Willy!

Im Moment ist ja wieder richtig Leben hier im Textforum. Gar nicht einfach da auf alle interessanten Beiträge einzugehen:).

Aber zu Dir, bzw. Deinem Werk:

Leider muss ich mich den Vorrednern anschliessen, was die Verständlichkeit Deines textes angeht:
Auch auf mich wirkt das ganze wie eine recht zerfahrene Ansamlung mehr oder weniger gelungener Bilder.
Es fehlt ein roter Faden. Auch kommen mir einige Formulierungen etwas unpassend vor.
Es wirkt wie spontan hingeschrieben und dann so stehengelassen.
Meiner Meinung nach solltest Du Dich noch mal dransetzen und schauen, was der Text DIR sagen wil
und das dann so formulieren, dass auch andere eine Chance haben, Deinen sonst so interessanten Gedanken und Gefühlen zu folgen.

Menschsein ist Aua (Super Titel!!! (NEID!!!), aber: wo tut es denn genau weh?

Wenn Bauern suchen.
Millionäre werden.
Frauen sich vertauschen. Bis hier erinnert es mich noch an den "Ich will fernseh'n" song von Killing Tofu, der vor einiger Zeit hier für etwas Furore sorgte
Sieh', wie wir Herden werden. Der Reim überzeugt mich leider gar nicht

Sieh' in den Spiegel
Sieh' deine Zeit
Schau deine Tage.
Heute bright und morgen bright. kommt das gesungen rüber? Finde das Wortspiel jetzt auch nicht so gelungen (soll es auf "bright future" abzielen)

Sieh', wie wir werden.
Und dann vergehn'.
Nichts zu bewegen.
Immer nur sehen. Interessanter Ansatz, aber das hätt ich gern etwas konkreter ausgeführt

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer Im Überschall klingt total super - sagt mir nur leider nix:gruebel:

Wenn Putins siegen, Wieso Putin (was macht ihn hier so besonders?)
Chinesen noch reifen,
wollen wir Kinder wiegen
und wie Wunder begreifen. Wo ist der Zusammenhang?

Sieh' dieses Leuchten.
Es kennt keine Nacht.
Viel mehr als alle Fragen,
ist's diese Macht, die über uns wacht. Religion? oder was? und was würde uns das dann sagen?

Sieh', wie wir geben-
und sie verliern'.
All unser Rufen,
werden sie nicht hörn'. Bitte WER?

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun'
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun' Hier gehen mir die Zeiten, Personen, die Metrik und der Sinn total durcheinander

Wenn Väter suchen.
Und Mütter auch.
Suchen Männer und Frauen,
denn das war'n sie ja auch.

Sorry, aber hier steige ich komplett aus! Hier geht's nur noch drunter und drüber und einem solchen Dichterfuchs wie DIR
kann und will ich das nicht durchgehen lassen. Mich verlässt endgültig das Interesse, hinter das Geheimnis Deines Textes
zu kommen. SCHADE!!!


Sieh', was wir fanden.
Wie ruhig wir sind.
Wir können uns drehen,
im warmen Abendwind.

Sieh', wie wir tanzen-
Kein Bild ist so wahr.
In deinen Armen versinken.
Vienna ist nah'.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun'
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun'
 
Hallo ihr drei,
vielen Dank für eure Kritik.
Auch wenn mich eure Beiträge nicht glücklich machen, so ist es hoch interessant, dass ihr völlig unterschiedliche Eindrücke beschreibt und dennoch in Einigkeit dem Text nicht viel abgewinnen könnt und ein überwiegend negatives Urteil fällt.

Obwohl speziell Mondluchs (vielen, vielen Dank für die inhaltlich intensive Auseinandersetzung und die Zeit, die Du Dir genommen hast.)
einige Textstellen durchaus richtig gedeutet hat, verlässt euch übereinstimmend im Verlauf des Textes die Lust am Weiterlesen oder/ und Verstehen.
Ihr geht vom Haken- das Schlimmste, was passieren kann.

Ich vermute, dass der Text in der Stunde seiner Entstehung vielleicht von einer zu persönlichen und isolierten Situation meiner Selbst getragen war und viele nicht vollständig aufgelöste Bilder transportiert- zudem mehrere Lebensphase nur Schlaglichtartig thematisiert.

Auch wenn das Erklären von Texten immer ein Eingeständnis des Scheiterns ist, so komme ich in diesem Falle nicht darum herum.
Schon alleine, weil ihr euch soviele Gedanken habt.

Der Text behandelt natürlich eine gewisse Medienkritik.
Doch die zentrale Message beschreibt die schmerzliche Erfahrung als Vater seine Kinder an die Bilder zu verlieren. Kommunikation und Bindung verliert an Bedeutung.
Bevor ich selbst als Vater, bevor die Mutter dabei mit verloren geht, bestimmt mich das "Loslassen" dieser Rolle sehr stark und mündet in die Flucht wieder Mann und Partner sein zu wollen.
Vienna (vergl. Ultravox) ist nah, weil damit wohlmöglich die letzte Lebensphase eingeläutet wird.

Ich denke das diese Stimmung, dieser Text eine Berechtigung hat- wahrscheinlich ist aber viel zuviel drin.
Diese sehr isolierte Erfahrung ist wohl sehr schwer nachvollziehbar und es ist mir eben auch nicht gelungen, mit interessanten Bildern ein tieferes inhaltliches Interesse zu erzeugen. Dieser Text ist dann nur für mich.

Daher danke ich Euch noch einmal für die ehrlichen und deutlichen Worte, die mir wieder einmal klar machen, dass selbst sehr geneigte Leser/Hörer von Texten nicht grenzenlos belastbar sind.

Viele Grüße
willy
 
Lieber Willy,

Der Titel "Mensch sein ist aua" entspricht meiner Sehnsucht nach der klaren Vermittlung von Gefühlen.

Der Rest....

Menschsein ist Aua

Wenn Bauern suchen.
Millionäre werden.
Frauen sich vertauschen.
Hm... Medienschelte eignet sich immer gut für brave Protestresolutionen.
Und alle auf die gleichen Sendungen
Vielleicht sind ja "Tagesthemen" noch verblödender...?

Sieh’, wie wir Herden werden.
Wieo "werden"?
Das kleine Wörtchen "werden" beschreibt wohl unseren entscheidenden Unterschied im Reflektieren dieses Themas.
Für mich haben diese Sendungen Erfolg, weil sie einige unserer Urinstinkte in einer wenig urigen Gegenwart bedienen
.
Ich verweigere mich ihnen eher aus Zeitgründen als aus Ekel.


Sieh’ in den Spiegel
Sieh’ deine Zeit
Schau deine Tage.
Heute bright und morgen bright.

Ja wir verblöden. Aber system-atisch und flächendeckend.
Widerstand ist IMMER möglich
Unseren passiver Widerstand haben die neoliberalen Fürsten der Demokratie halbwegs locker eingeplant.


Sieh’, wie wir werden.
Und dann vergehn’.
Nichts zu bewegen.
Sehe ich überhaupt nicht so.
allen gesellschaftlichen Wenden gehen tiefe depressionen voraus
Immer nur sehen.
Spontan möchte ich korrigieren (um meine Sicht zu verdeutlichen)
"Es gibt viel zu bewegen
schaun wir mal"




Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Wenn Putins siegen,
Chinesen noch reifen,
wollen wir Kinder wiegen
und wie Wunder begreifen.
Ernsthaft: was haben denn fremde Diktatoren und eigene Kinder gemeinsam:gruebel:
außer vielleicht, dass sie sich wegen ihrer Unterschiedlichkeit für eine ungewöhnliche metapher eignen

Sieh’ dieses Leuchten.
Das Leuchten der Elternaugen:gruebel:
Es kennt keine Nacht.
Viel mehr als alle Fragen,
ist’s diese Macht, die über uns wacht.

Sieh’, wie wir geben-
und sie verliern’.
All unser Rufen,
werden sie nicht hörn’.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun’
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun’


Wenn Väter suchen.
Und Mütter auch.
Suchen Männer und Frauen,
denn das war’n sie ja auch.
Ach ja... diese unsere vitalen Vorfahren
das wir aber auch so gar keine Ähnlichkeit mehr mit ihnen haben:bang:...;)


Sieh’, was wir fanden.
Wie ruhig wir sind.
Wir können uns drehen,
im warmen Abendwind.

Sieh’, wie wir tanzen-
Kein Bild ist so wahr.
In deinen Armen versinken.
Vienna ist nah’.

Menschsein ist Aua
Bilderterror überall-
Ich fühle
Heilige Trauer
Im Überschall

Menschsein ist Aua
Sie wollen nur schaun’
Die Bilder
Die Sprache verloren
Und leer wiederkaun’
Willy, weißte was mich am meisten berührt: Die Vorstellung, dass zwischen deinem letzten Apostroph und dem klick auf "speichern" kaum mehr als eine Sekunde vergangen sein könnte...

Besäße ich wirklich hellseherische Kräfte, müßte ich fragen: warum diese Eile?

Liebe Grüße

Edit:

Nachdem ich nun deine letzte Erwiderung lese, bwegt mich speziell :

Doch die zentrale Message beschreibt die schmerzliche Erfahrung als Vater seine Kinder an die Bilder zu verlieren. Kommunikation und Bindung verliert an Bedeutung.
Bevor ich selbst als Vater, bevor die Mutter dabei mit verloren geht, bestimmt mich das "Loslassen" dieser Rolle sehr stark und mündet in die Flucht wieder Mann und Partner sein zu wollen.

Ich empfinde den Generationskonflikt mit meinen Kindern nicht selten schmerzlich.

Zumal ja Sprüche wie: "Früher war alles besser. Klar doch...!" ja speziell für Söhne und deren gelegentliche Treffen mit ihren Vätern erfunden wurden:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi Willy.

Ich bin gerade in Senf-dazugeben-Stimmung.
Also, frisch ans Werk! ;-)

Bevor ich in die absolut vernichtende Kritik einsteige ( ;-) Scherz!!!) etwas anderes.
Aus Deinem ganzen Gedicht, dass sich mir leider auch nicht erschlossen hat (und Deine Erklärung habe ich nur teilweise überflogen - ich will sie gar nicht wissen!), aus Deinem ganzen Gedicht streckte sich mir, wie aus einem Wust von wirrem Gestrüpp eine wunderbare, sanfte Zeile entgegen:

Sieh, was wir fanden.

Ist sie nicht wunderschön? Sieh, was wir fanden?
Es ist gut möglich, dass ich einmal einen deutschen Text schreibe (ich schreibe fast nur englische Songtexte), in dem ich mir diese Zeile "ausborgen" werde.

Sieh, was wir fanden -

- höre ich nicht hastig, nicht vorwurfsvoll, nicht zerknirscht, sondern:

ruhig, innehaltend, souverän, besänftigend ... irgendwie weiblich ... irgendwie tröstlich.
Die folgenden Zeilen bestätigen diesen Eindruck.
Diese 8 Zeilen ab incl. Sieh, was wir fanden finde ich die schönsten des Gedichtes.

Den Rest finde ich aus diversen Gründen ... nun ja, nicht besonders gelungen.
Aus Gründen:
- des Reimes (inkonsequent durchgezogen)
- des Versmaßes (inkonsequent durchgezogen)
- der springenden Zeitformen
- des fehlenden roten Fadens
- der sich jagenden Bilder, von denen jedes in eine andere Richtung flieht

und natürlich des unsäglichen Titels wegen.

Aua????? Oh Mann. Bist Du ein Mann oder ein Baby?
Oder meinst Du, dass wir alle im Angesicht des Schmerzes wieder zu Babys werden?
Dagegen würde zumindest ich mich verwehren.

Die Anonymität des Netzes erleichtert es mir, eine teilweise harte Kritik zu üben.
Ich hoffe, Du überlebst es. Es ist nicht böse gemeint.



Sieh, was wir fanden...

Das ist es!
;-)



1788
 
Mir ist ein Gedanke gekommen, während ich deine Antwort las, der Schlüssel, wie ich eher verstanden hätte, um was es geht: wenn ich die Identität des LI gekannt hätte, gewusst hätte, dass er Vater ist. Denn wenn ich das weiß liest sich der Text wirklich viel besser.

Du behandelst ja nicht wie die Welt ist, sondern wie du dich deswegen fühlst. Das LI sagt was es sieht, was es in ihm auslöst. Würde dieser Text von einem Vater gesprochen werden, Tränen in den Augen, hinter das Wartezimmer des Krankenhaus wo er drauf wartet etwas über seine Frau zu hören - während der Sohn zuhause sitzt und sich nicht von seiner Konsole reißen will... Dann fände ich den Text wirklich wunderbar, jedenfalls stark genug um so ein Bild zu beschwören. ;)
 
Hallo Willy!

Ich möchte mich entschuldigen - es war vielleicht wirklich zu hart, was ich geschrieben habe.
Dass ich Deine Erklärung nicht lesen wollte, rührt nicht daher, dass ich das Gedicht besonders schlecht fand (finde ich nicht), sondern weil ich nicht wollte, dass Deine Erläuterung mir meine eigene Wahrnehmung von dem Geschriebenen durchkreuzt.
Nun habe ich sie doch gelesen ... und es wurde ein bisschen klarer dadurch.

Also denn,

1788
 
Aua????? Oh Mann. Bist Du ein Mann oder ein Baby?
Oder meinst Du, dass wir alle im Angesicht des Schmerzes wieder zu Babys werden?
Dagegen würde zumindest ich mich verwehren.

Wer weiß das schon genau, ob er dem Baby oder dem Greis näher ist?
Die Lebenstreppe betrachtend, unterscheiden sich die beiden ja nicht so sehr.:)

Bezüglich meiner Einstellung zur Medienkritik ist gut zu hören, dass eure Überzeugung das Heft (bzw die Fernbedienung) noch in der Hand zu haben und somit der drohenden Verblödung etwas entgegensetzen zu können durchaus selbstbewußt 'rüberkomt.
Ich sollte wohl nicht so schwarz sehen. Also colour you life.

Nein- das war auch nur der allgemein verständliche und weithin akzeptierte Aufhänger in einem ansonsten verwirrenden Sammelsurium an Eindrücken und Emotionen- irgendwohin muss die Schuld ja getragen werden. Ich erliege wohl immer wieder dem Reiz populistische Phrasen zu dreschen und gebeugte Sündenböcke zu vierteilen, nur um ein Kopfnicken der Hörerschaft abzuholen. Was zum Festhalten braucht doch jeder... oder was?
(Da frage ich mich dann immer, woher so komplett kryptische Texte von etablierten deutschen Musikern ihre Faszination ziehen.)

Selten habe ich hier für einen Text soviel verschriftlichtes Kopfschütteln, soviel "Dresche" erhalten. Ja, das tut weh'
Das gute daran ist, dass meine eigenen Kritiken dadurch an Substanz gewinnen könnten.
Die Bewertungen lassen mich aber grübeln, ob eine größere Distanz zwischen dem LI und mir nicht doch ratssam wäre.
Ich kann diese Entfernung jedoch nicht mehr wirklich spüren.

Sehr froh war ich dann, als ich Mondluchs' Beitrag las:
Du behandelst ja nicht wie die Welt ist, sondern wie du dich deswegen fühlst.

Und du hast vor Kurzem mal behauptet, du fändest keinen rechten Zugang zu meinen Sachen.;)
Vielen Dank für deine Worte!

Und @1788: Entschuldigungen sind nicht nötig. Du hast gelesen - Du hast geurteilt. Ich wollte das ja hören. Andernfalls sollte ich aufhören zu schreiben und zu posten.
Ich glaube, soweit bin ich noch nicht.
Egal ob Baby oder Mann.
Grüße
Willy
 
Lieber Willy,
zu lange habe ich gewartet, um mich in die Reihe des berechtigten Kopfschüttelns einzureihen und wirklich nötig wärs und ist es auch nicht gewesen. Gut so.
So nehme ich denn den Einstieg nach der kurzen Erklärung Deinerseits und und Deiner erneuten Replik, in der Du Schlüsse aus dem Feedback ziehst - und hier drängt es mich, meine Worte in den Ring zu schmeißen.

Die Bewertungen lassen mich aber grübeln, ob eine größere Distanz zwischen dem LI und mir nicht doch ratssam wäre.
Ich kann diese Entfernung jedoch nicht mehr wirklich spüren.

Hier rufe ich Dir ein beherztes MITNICHTEN zu!
Was haben die Medien damit zu tun, dass sich der Fokus Deiner Kinder nicht mehr auf Dich richtet? Ist es Putins Werk und Chinas Vergehen, dass die zu Erwachsen Werdenden ihre Zeit anders verbringen als in trauter oder wie immer Verbundenheit zu ihren Eltern. Ist´s die böse bunte Medienwelt, die Deinen Verlust einleitet, vollzieht und besiegelt - den Verlust von Nähe oder Kommunikation? Liegt es an DIESER Art der Welt, dass sich Eltern verwundert fragen, in welcher Welt sie leben und in welcher Welt ihre Kinder und wie es geschah, dass es zwei Welten sind und in beiden sind die jeweilig anderen fremd sich fühlen: durch Sitten, Sprache, Gesten, Gedanken, Taten, Selbstverständlich- und Unselbstverständlichkeiten, vor Welten an der gatekeepern hocken, deren codes man nicht kennt und wo Türen den Zugang verschließen, von denen man noch nicht mal weiß, ob es überhaupt einen Schlüssel gibt oder ob quasigenetisch eh nur undertwenties Zugang erhalten?

Nein- das war auch nur der allgemein verständliche und weithin akzeptierte Aufhänger in einem ansonsten verwirrenden Sammelsurium an Eindrücken und Emotionen- irgendwohin muss die Schuld ja getragen werden. Ich erliege wohl immer wieder dem Reiz populistische Phrasen zu dreschen und gebeugte Sündenböcke zu vierteilen, nur um ein Kopfnicken der Hörerschaft abzuholen. Was zum Festhalten braucht doch jeder... oder was?

Und erneut MITNICHTEN, Willy!
Der gewählte Aufhänger sorgt nicht für ein Einschwingen in das Thema, bereitet den Boden nicht auf, in den die Setzlinge des eigentlichen Themas sich entfalten können. Sie lenken ab, es werden Nebelkerzen gezündet - und da vermögen auch Deine sprachlichen Zünder nicht zu wirken: denn wozu dieses Feuerwerk an Medienkritik und Weltschelte, wenn es doch darum geht, einen Schmerz zu beschreiben, über einen Verlust zu berichten, eine Ratlosigkeit zu teilen: wie es denn kommt, dass die eigenen Kinder (Ich vermeide hier die noch bei meinen Eltern und Großeltern übliche Formulierung des eigenen Fleisches und Blutes - komme aber darauf zurück.) der Welt, der Obhut, derm Radius und Verständnis, ja der Liebe der Eltern entfleuchen, mit einer begründungslosen Selbstverständlichkeit, die gen Himmel schreit: zumindest dem Himmel, zu dem man sich doch mit dieser Familie die Welt machen wollte? Unerhört! Ungerecht! Undank (man will doch diesen verdammten Dank nicht, aber man hätte gern gewußt, ob er nicht doch gefühlt wird, ab und an ...) und das, wo man sich so bemüht hat, anders zu sein als die eigenen Eltern, von denen man - natürlich gut begründet und selbstverständlich und mit der Verve der Heranwachsenden - sich dereinst distanzierte, um für sich ganz andere Eltern zu sein. Eltern, denen dies nicht passiert?

Willy: Nicht mehr Distanz zum LI, sondern weniger!
Beschreib den Verlust, den Schmerz, die Sorge, das Sehnen, das Unverständnis - was weiß ich! Wie fühlt es sich an? Wie fühlt man sich als Mann, als Vater, als Ehepartner wenn sich seine ganze Welt verändert - weil es eben den Gang der Welt nimmt. Wie richtet man sich als Eltern ein, wenn einen die Kinder nicht mehr brauchen? Und möglicherweise als etwas ganz bestimmt nicht: als Welterklärer, als Bilderinterpretierer, als Bilderlieferant? Denn - nun komme ich zurück zur Bemerkung oben: dies ist seit biblischen Zeiten so und war davor schon so und wird auch weiter so sein. Und muss so sein. Natürlich ist die Welt immer anders, in der sich das vollzieht. Und das Personal wechselt. Und man hat zeit- oder sonst geist- oder nichtgeistgeprägt andere Vorstellung von diesem Verhältnis (ja ja - die Eltern als die größeren Kameraden der Kinder, die Teenyversteher, die mit denen man doch über alles reden kann ...). Und die Medien sind anders. Und es gibt Fernseh und Spiele. Wahrscheinlich schmeckt auch das Bier anders und der Joghurt dreht sich nun anders rum als früher. Womöglich verändert sich sogar das Klima und die Pizzapreise sinken!

Aber sonst?

Die Weltbeschreibung: das sind doch nur Randglossen, das sind Notizen damit man weiß, wo das stattfindet (falls es denn wichtig ist und man es wissen soll oder beschreiben will). Wichtig ist das Drinnen: die Gefühle, die Versuche es zu verstehen, die Gespräche oder Nichtgespräche, die Taten ... und nicht Putin oder China - und schon gar nicht die erweiterte Distanz zu dem LI.
Wie weit soll es denn noch weg sein von dem eigentlichen Thema, damit Du Dich oberflächlich beruhigen kannst, dass doch nur das stattfindet, was immer stattfindet und nur das passiert, was Du schon weißt? Schreib über Deine Beunruhigung und nicht über die Gewissheit dieser Welt! Schick ein Lyrisches Ich in den Ring - aber nimm eines, das teilt, was Du mitteilen willst und nicht eins, das Dir und den Lesern versichert, dass die Welt irgendwie gestört ist und das einen mit kryptischen Formulierungen und Wortbeziehungen geschickt dahin lockt, wo es nichts zu lösen und zu erklären und zu verstehen gibt und damit davon ablenkt, was Dich wirklich beschäftigt!

Wenn der Text dies vermag oder vermocht hat - dann ist der Text jedes geschriebene Wort doppelt wert.
Und macht Platz für einen neuen.

Herzliche Grüße,

x-Riff
 
Hallo x-riff,
ich schätze deine Beiträge sehr, sie sind so voller Herzblut, so engagiert. Wie ein eindringliches Gespräch unter vier Augen- Danke!

Erneut fällt mir eine angemessene Erwiderung schwer, wie sooft. Was könnte ich schreiben, was nicht wie schale Rechtfertigung klingt.

Du plädierst dafür die Gefühle "den Verlust, den Schmerz, die Sorge, das Sehnen, das Unverständnis " ungeschminkt, ohne irritierendes oder ablenkendes Beiwerk zu beschreiben.

Doch das will ich nicht, denn das Geschriebene ist mein bereits analysiertes Selbstverständnis, das ist meine Sachlichkeit mein Anspruch an Vernunft, meine Vermeidung von Selbstmitleidsgesängen, meine Vermeidung von Kitsch. Meine Berechtigung es aufzuschreiben.
Ich kann so nicht ans Herz gehen, wie es ein Herr Unheilig (wie heißt das Ding, wo er über seine Mutter sing "Unter deiner Flagge?) tut. Bei solchen Texten läufts mir Kalt und Heiss den Rücken runter.

Abgesehen davon, weiß ich dass meine Situation völlig eindeutig ist. Ich weiß, dass dier Ablösungsprozess passieren muss und wird. Es ist Normalität. In gewisser Weise ist mir nicht zu helfen.

Doch ein Bewußtsein kann auch als Träger von Emotionen beschrieben werden.
Die Bedeutungslosigkeit im großen Getriebe zwischen Diktatoren und Supermächten zu erkennen, ist für manchen schon ein Grund für Depressionen.
Die Flucht in die Elternschaft ist viellecht wie ein trügerisches Psychopharmaka.
Aus dem Rausch zu erwachen und eine neue Berechtigung für das eigene Leben zu finden, ist wohl manchmal eine unlösbare Aufgabe.

Die Schuld für ein in Bewegungslosigkeit verbrachtes Leben kann man schließlich nur bei sich selbst suchen. Aber den Trost wird man hier nicht finden.
Aus diesem Grunde sehe ich überhaupt keine Distanz zwischen dem LI und mir.
Eine Traurigkeit ist dem LI nicht zuzugestehen. Mitleid wäre verschwendet. In Anerkenntnis der Gesetzmäßigkeiten. Diese Isolation aufzubrechen ist ein lohnendes Ziel. Das gilt es mitzuteilen. Das beschäftigt mich.

Der Mann sagt: Was ist das Menschsein?
Das Baby sagt "Aua"

Der Text wird sicher nicht Platz machen für einen Neuen. Er wird einen Neuen beeinflussen, genauso wie deine freundschaftlichen und mitfühlenden Worte.
Grüße
willy
 
Lieber willy und lieber x-Riff,

danke für die letzten Postings. Sie führen zum Kern aller Texterei.
Ich benutze mal Willys Antwort, in der Hoffnung, sie halbwegs verstanden zu haben.
Weil sie radikal nach einem Gegenpol zu x-Riffes Meinung sucht und deshalb hervorragen geeeignet ist, die Spielräume beim Texten zu veranschaulichen.
Und weil ich mit Urvertrauen auf Willys Verstand und Humor setze;)


willypanic schrieb:
Du plädierst dafür die Gefühle "den Verlust, den Schmerz, die Sorge, das Sehnen, das Unverständnis " ungeschminkt, ohne irritierendes oder ablenkendes Beiwerk zu beschreiben.

Irrtum! Weder "ungeschminkte Gefühle" noch "irretierendes oder ablenkendes Beiwerk" benutzte x-Riff als Argument.
Warum auch!
Jede verbale Äußerung gleicht einem "geschminktem Gefühl". Darin sind wir Drei uns sicher einig.
Und Irritataion und Ablenkung sollte jeder gute Texter im Repertoire haben, um Spannung und Frische eines Textes zu erhöhen.

willypanic schrieb:
das Geschriebene ist mein bereits analysiertes Selbstverständnis, das ist meine Sachlichkeit mein Anspruch an Vernunft, meine Vermeidung von Selbstmitleidsgesängen, meine Vermeidung von Kitsch.

Vermeidung von "Selbstmitleidsgesängen": Du hast kein Mitleid mit deinem LI...:confused:
Ein Mitleiden mit Deinem LI kommt für Dich automatisch "Kitsch" gleich...:eek:
Warum schreibst Du dann überhaupt über dieses arme Wesen ...:gruebel:
Irgendwer scheint doch in Deinem Drama zu leiden......:gruebel:
Putin und die Chinesen etwa? :cool:.....;)

willypanic schrieb:
Abgesehen davon, weiß ich dass meine Situation völlig eindeutig ist. Ich weiß, dass dier Ablösungsprozess passieren muss und wird. Es ist Normalität. In gewisser Weise ist mir nicht zu helfen.

...sagt wer?
Der Psychiater in deinem Kopfkino?

Und was ist mit den zig Millionen Vätern, die immer wieder den Kontakt zu ihren Kindern suchen und bei DIESER Gelegenheit Mißachtung, aber auch Familienzusammenhalt und Dankbarkeit erfahren?
Unzählige problematische Kontakte zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern ....Alles Kitschköppe, die nur zu doof sind, der unbestechlichen Vernunft Deines Kopfkino-Psychiaters zu folgen?

Du mußt ja nicht über diese Leute schreiben. Aber HIER schreibst Du unter anderem FÜR diese Leute.
Und bilden diese Menschen nicht viel mehr Realität ab ... als irgendwelche abstrusen Glaubenssätze?

Doch ein Bewußtsein kann auch als Träger von Emotionen beschrieben werden.
Die Bedeutungslosigkeit im großen Getriebe zwischen Diktatoren und Supermächten zu erkennen, ist für manchen schon ein Grund für Depressionen.
Die Flucht in die Elternschaft ist viellecht wie ein trügerisches Psychopharmaka.
Aus dem Rausch zu erwachen und eine neue Berechtigung für das eigene Leben zu finden, ist wohl manchmal eine unlösbare Aufgabe.
Bedeutungslosigkeit, Depression, Flucht in und aus illussionärer Nähe - ´klar, auch DAS spielt während der Odyssee jeder Familie eine große Rolle. - aber wen interessiert eine Heldenreise mit einem Helden, der "fertig" ist...:gruebel:
---------------------
Willy, wenn Du Dich wirklich auf Vernunft und Sachlichkeit berufen würdest, müßtest Du mir in allen meinen Argumenten und rhetorischen Fragen wenigstens theoretisch Recht geben;)
So gesehen: nicht Deine Vernunft, sondern Deine widersprüchlichen Gefühle diktieren dir deinen Text.
Wobei Deine Traurigkeit einen Maulkorb trägt
Deine Vernunft überläßt der Enttäuschung (in diesem Text) die Spielwiese, damit diese ungeniert, als Weltverbesserer getarnt, in der Jauche der Menschheit planschen darf.

Deine kleinlauteren Gefühle hocken als stumme Betrachter im Dunkeln. Mich würde interessieren, was die von diesem Schauspiel halten...
Dabei könnte sie zusammen mit Deinem prächtig fabulierenden Geist ein Feuerwerk zwischen Sehnsucht und Ironie abbrennen!

willypanic schrieb:
Die Schuld für ein in Bewegungslosigkeit verbrachtes Leben kann man schließlich nur bei sich selbst suchen. A

Es gibt kein in Bewegungslosigkeit verbrachtes Leben! Warum sollte man also die Schuld für eine nicht existierende Erscheinung suchen?
Ich bin der Meinung, du sprichst eigentlich nur von momentanen Verlusten. Von einigen Schritten, die von der Umsetzung großer Träume wegführen. In eine Enttäuschung.
Du ignorierst in deiner Antwort außerdem auch die Schritten, die wieder hin zu Deinen Träumen führen können. Wann immer Du bereit dazu bist! Solange Leben in Dir ist.

willypanic schrieb:
Aber den Trost wird man hier nicht finden.

Trostlose Eltern ... vermiedene Kontakte!
Diktiert Dir DAS Deine Vernunft? :cool:
Nein, lieber Poet...nicht Deine Vernuft!


willypanic schrieb:
Aus diesem Grunde sehe ich überhaupt keine Distanz zwischen dem LI und mir.
Eine Traurigkeit ist dem LI nicht zuzugestehen. Mitleid wäre verschwendet. In Anerkenntnis der Gesetzmäßigkeiten. .

Nein. Nicht die Coolness ist die Quintessenz der Kunst! Nicht allein und noch nicht einmal vor allem die behaupete Gefühllossigkeit. - Coolness ist nur ein kleiner Ausschnitt des Lebens.
Je größer der Ausschnitt - umso größer das Interesse der Anderen.

willypanic schrieb:
Diese Isolation aufzubrechen ist ein lohnendes Ziel. Das gilt es mitzuteilen. Das beschäftigt mich.

Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt:)
Aber bitte, lieber Willy, selbst die Bibel kommt nicht ohne kleine, anschauliche Geschichten aus...;)

Liebe Grüße
 
Zuletzt bearbeitet:
na hier hat sich ja einiges getan...Ikonoklasmus im Lyrics board...Idole fallen uebrigens mMn, weil Reproduzierbarkeit und beliebige Verfuegbarkeit simple gesagt die Aura rauben. sind wir auch schon im Inet und bei dimensionslosen Bildentropien!

ich will den text nicht zerlegen, das hat bereits stattgefunden.
was ich beim lesen dachte war aber an keiner Stelle ein kopfschuetteln, sondern immer ein Nicken. Dass du nicht kanalisieren kannst, liegt an zu vielen Fixpunkten, zwischen denen Linien entstehen sollen. Ich denke, der Text ist zu sehr Kompromiss um wirklich zu fesseln...du konntest dich einfach nicht entscheiden zwischen klarer, tiefergehender Kritik an wenigen Punkten oder absolutem Chaos. Das wars, was ich gedacht habe, so beim lesen. Insofern kann ich nciht behaupten, die Nummer haette nichts ruebergebracht. Nicht dein bester vielleicht, aber sicher auch keine Fahrkarte!

(haette mich übrigens fürs Chaos entschieden...denn das ist genau die Emotion, die mir das Thema gibt...SO viele Gruende, sich in Pessimismus zu verlieren!)

gruesse,
jte
 
@ Jongleur & Willy

Ich glaube, Willys Welt ist ein bisschen "upside down". Die Lyrik scheint das Normale zu sein und das Normale wird zur Lyrik.
Sein Lyrisches Ich lässt er distanziert, nahezu emotionslos sprechen, gewährt ihm kein Mitgefühl - aber er/Du (Willy) selbst nimmst das, was eigentlich Deinem LI zustehen würde, direkt für Dich als Privatperson hier im Forum.
Soll ich mal ein halbes bis ein Dutzend Zitate aus Deinen bisherigen Kommentaren zusammen stellen, in denen Du Dich selbst bemitleidest und nach außen trägst, wie viele Fehler Du machst, dass es an Dir liegt, dass Du auch nicht weißt, wie Du es anders machen könntest, dass Du anscheinend wieder mal versagt hast, dass die Kritik schon berechtigt ist usw. ?
Ich spare mir die Mühe - ich denke, Du weißt schon, was ich meine.

Das weinerliche ist mir schon sehr früh aufgefallen. Ich glaube, Du versteckst Dich ein bisschen dahinter. Es gibt ja Menschen, die Befriedigung daraus ziehen, indem sie sich selbst vor anderen erniedrigen.
Ich hoffe nicht, dass Du dazu gehörst.
Aber ich muss den anderen zustimmen:

Die Emotion gehört ins Lyrische Ich und dafür muss man sich selbst zurücknehmen.
Und nicht umgekehrt.

(Ich hoffe, ich habe jetzt nicht völlig vorbeigeschossen.)


1788
 
Lieber 1788,

die Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit fällt uns doch allen gleichermaßen schwer.
Und nach den Gefühlen muß man so hartnäckig wie vorsichtig suchen, bis ein Licht am Ende des Tunnels schimmert.

Ich streite gerade mit willypanic gern, weil ich es mag, wie kompromißlos und feinfühlig er öffentlich über Texte und Texter nachdenkt. - Weshalb er zu meinen positiven Ausnahmeerfahrungen in diesem Forum zählt.

Wo ordentlich gehobelt wird, fallen viele Späne. Es lebe die Handwerkskunst:)
 
Zuletzt bearbeitet:
die Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit fällt uns doch allen gleichermaßen schwer.

Ist das so?
Fällt sie uns wirklich allen gleichermaßen schwer?
Das halte ich eher für Dichtung, als Wahrheit.

Wenn Kunst wirklich Handwerk ist - ein Gedanke, dem ich absolut zugetan bin - dann verstehe ich nicht, wieso man soviel selbstzentriertes Aufhebens darum machen muss.

Exhibiert ein Bäcker die ganze Zeit persönliche Empfindungen bezüglich seiner Semmeln?
Tut das ein Schmied? Ein Tischler?
Nein. Sie alle tun (und sie können gar nicht anders) folgendes:
Sie gehen zu den Leuten und sagen, hier, das habe ich gemacht. Wenn es Euch gefällt oder ihr es brauchen könnt, dann nehmt es, wenn nicht, dann lasst es.

Nun mag man einwenden, Kunst sei ja kein Gebrauchsgut. Das sehe ich anders. Meinem Ideal nach sollte Kunst auch immer Lebenshilfe oder zumindest Erfrischung für den Rezipienten bieten. Und so war es auch bis zur Romantik. Dann hat sich das Verhältnis nach innen gekehrt und seitdem sucht man als Künstler durch seine Kunst leider viel zu oft Absolution für die eigene, geschundene Seele. Wahrscheinlich ein Nebenprodukt der Abwendung vom Glauben an Gott - hervorgerufen durch Wissenschaft, Philosophie und die humanistische Idealisierung des Menschen.

Sicher gibt es auch heute noch Kunst, die sich als Dienst an den Menschen versteht. Aber es ist meinem Empfinden nach weniger geworden. Als Künstler hat man doch schon aus der Natur der Sache heraus mehr mit der Welt zu ringen, als ein "normaler" Mensch. Dieses Ringen könnte sich doch - anstatt in eine Dauerdepression zu münden (das ist jetzt nicht auf Willy bezogen!!!!!!!) - auch zu einer eigenen Art von Selbstbewusstsein kanalisieren lassen. Selbstbewusstsein im Wortsinne: Durch sein Ringen an und mir der Welt wird man sich seiner selbst viel stärker bewusst - und dieses tiefe Erfassen könnte doch genauso zu Haltung und innerer Stärke führen ... anstatt zu Verzweiflung.
Verzweiflung - wieder so ein Wort. Wahrscheinlich die letzte Steigerung des Zweifelns.
Zweifel nun lese ich wiederum v. a. aus Willys Antwortkommentaren heraus.
Ich frage mich: ist das nötig, dieses starke Zweifeln (v. a. an sich selbst)?

Welchen Grund hat man dazu?
Für sich selbst ist man doch so ziemlich das einzige Fixierte in dieser Welt. Man wacht jeden Morgen mit sich auf. Man geht mit sich durch den Tag. Man legt sich mit sich zu Bett. Man hat sich im Laufe der Jahre kennen gelernt. Man weiß, worauf man sich bei sich verlassen kann ... und worauf nicht. All das zusammen macht einen doch im Normalfall relativ sicher über sich selbst.
Zweifel kommen doch eher von außen. Werden an einen herangetragen.
Aber: sind die realer als man selbst?
Wer kann schon beweisen, dass diese an einen von außen heran getragenen Zweifel bezüglich der eigenen Person es wert sind, ernst genommen zu werden? Da müssen schon starke Argumente aufgefahren werden. Die meisten Zweifel beinhalten aber gerade das nicht: starke Argumente. Das meiste ist doch Augenwischerei und aufgeblasenes Zeug ohne Grundlage.

Also - ich drifte gerade vom Thema ab.
Ich finde, gerade ein Künstler sollte Selbstbewusstsein bezüglich seiner Kunst haben.
Wer, wenn nicht er???
Und wer, wenn nicht er, hätte das Recht dazu???

Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen.
;-)


1788
 
hi 1788,

1788 schrieb:
Und so war es auch bis zur Romantik. Dann hat sich das Verhältnis nach innen gekehrt und seitdem sucht man als Künstler durch seine Kunst leider viel zu oft Absolution für die eigene, geschundene Seele. Wahrscheinlich ein Nebenprodukt der Abwendung vom Glauben an Gott - hervorgerufen durch Wissenschaft, Philosophie und die humanistische Idealisierung des Menschen.

Könntest Du mir den von mir hervorgehobenen Gedanken etwas anschaulicher darstellen?
Was verstehst Du unter "humanistischer Idealisierung?
In welchem direkten Zusammenhang stehen Wissenschaft und der Wunsch nach Absolution der geschundenen Seele?

Wir leben in einer von religiösen Konflikten und Aufrufen bewegten Zeit. Hunderttausende skandieren: Tötet die Ungläubigen. Die Hinwendung zum Glauben scheint zweifelsfrei mit einem neuen Selbstbewußtsein verbunden zu sein. Kommen nun blühende Landschaften für die Kunst?

Und wie fussionieren Stärkung des Selbstbewußtseins mit einer verstärkten Hinwendung zum Glauben? - Ich jedenfalls muss nicht Bukowski verteufeln, um Tolstoi zu lieben...:nix:

Es sind dies nicht meine Themen und deshalb wäre mir eine fundierte Basis zum Diskutieren lieber als ein Austausch von scharfen Stich- und Schlagworten.

1788 schrieb:
Wenn Kunst wirklich Handwerk ist - ein Gedanke, dem ich absolut zugetan bin - dann verstehe ich nicht, wieso man soviel selbstzentriertes Aufhebens darum machen muss.

Der Bäcker liefert Stoff für den Magen. Gut so! Der Künstler liedert Stoff für die Seele. Auch gut!

Manche Bäcker bieten ihre Produkte im Laden an und manche Texter hier in diesem Forum. Nur zu!
Was verstehst Du also unter selbstzentriertem "Aufhebens"? Und was besteht in deinen Augen als Kunst?

Die Frage ist doch, ob du den Bäcker persönlich angreifen würdest, weil er Produkte anbietet, auf die Du keinen Appetit hast. - Vermutlich nicht, denn Backwerk ist ja eindeutig Geschmacksache.

Und die gleiche Behandlung darf doch auch der Künstler erwarten. Mein kritisches Interesse gilt jedenfalls vor allem dem Kunstwerk und nicht dem Künstler - Ausnahmen bestätigen da eher die Regel.

1788 schrieb:
Durch sein Ringen an und mir der Welt wird man sich seiner selbst viel stärker bewusst -...

Davon schrieb auch willypanic.

1788 schrieb:
....und dieses tiefe Erfassen könnte doch genauso zu Haltung und innerer Stärke führen ... anstatt zu Verzweiflung.

Richtig:' Könnte'! - Es könnte aber auch nicht dazu führen. was dann?

1788 schrieb:
Zweifel kommen doch eher von außen. Werden an einen herangetragen.
Aber: sind die realer als man selbst?

Hier treffen wir uns!

Wobei ICH lieber betonen möchte, wie schwierig es für den Autoren ist, fremde Zweifel innerlich zu entschärfen, damit er sie anschließend gelassen und großartig einarbeiten kann in seine künstlerischen Fiktionen.- Denn diese fremden Einflüsterungen müssen stark und gaubwürdig klingen, wenn der eigene Sieg über sie überzeugend wirken soll.

Und da sind wir wieder bei meinem Lieblingsthema: Das anschauliche Darstellen...des Ringens verschiedenster Gefühle... um eine aufrechte Haltung des LI.

Der Angstpatient und sein Therapeut (beide im Autoren vereint) steigen auf den höchsten Turm und blicken erschaudernd in die Tiefe....Uuaahh:D

Ciao
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,
sehr interessant, was ihr Nachts so treibt.

Verzweiflung - wieder so ein Wort. Wahrscheinlich die letzte Steigerung des Zweifelns.
Zweifel nun lese ich wiederum v. a. aus Willys Antwortkommentaren heraus.
Ich frage mich: ist das nötig, dieses starke Zweifeln (v. a. an sich selbst)?

Welchen Grund hat man dazu?

Kannst Du dir vorstellen, dass es auch andersherum sein kann?
Das Zweifel, von außen - wenn sie denn durchdringen- inklusive aller Steigerungungen, wie Verzweiflung, nicht zugelassen sind, abprallen und ihnen die Wahrhaftigkeit aus Selbstschutz abgesprochen wird.
Das das in der Kunst Fühlbare, Auszudrückende, Mitzuteilende nur auf der Beschäftigung mit Selbstzweifeln und der eigenen Rolle innerhalb der diversen Bezugsgruppen, sowie im großen Ganzen basiert.
Das Schreiben ist und bleibt doch (für mich) Krücke, ein Hilfsmittel, sich selbst ins Leben zu bringen. Die innere Zerissenheit mitzuteilen.
Die "Kunst" und mein tapferes LI bleibt doch (für mich) ein Schutzschild, ein Schleier, ein schützender Held, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Das muss doch nicht bedeuten, dass ich dauerdepressiv bin und keine Selbstachtung und kein Selbstbewußtsein habe.
Wenn ich in meinen Kommentaren "weinerlicher" bin, als ich es meinem LI zugestehe, so heißt das doch nur, dass ich mein alter Ego, meinen Held vorschicke, die Schlacht für mich zu schlagen oder den Icebreaker zu machen. Er selektiert für mich. Er fragt für mich. Er stirbt für mich.
Das ist komfortabel.
Deshalb muss die Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit doch nicht schwerfallen.
Kesse Thesen ersetzen nicht zwangsläufig aufgrund der normativen Kraft der faktischen Platzpatrone den Abgleich zwischen dem, was Kunst darstellt und was dahintersteckt.
Wie cool ist das denn, dass sich 1788 als das "doch so ziemlich einzige Fixierte in dieser Welt" sieht?
Da unterscheiden wir uns aber diametral.
Für mich ist hier nix fixiert. Überall geht was, und hoffentlich geht immer was mit mir.
Warum bietet also der Bäcker seine Brötchen an?
Warum biete ich im Forum, oder auf der Bühne meine Texte an?
Der Bäcker und ich wollen leben.
Sagen die Brötchen etwas über den Bäcker aus?
Sagen die Texte etwas über mich aus?
Kann man meine Texte nur verstehen, wenn man meine Einstellung, wenn man mich kennt?
Wenn das so ist, bin ich dann automatisch mit meiner Kunst gescheitert, weil mir das Abstrahieren meiner Zweifel nicht gelingt?
In diesem Schutzraum "Forum", in diesem "Netz" kann man der Selbstüberschätzung oder dem tollkühnen Mut freien Lauf lassen.

Ergebnis sind Unverschämtheiten, unhaltbare Thesen, widersprüchliche Argumentationen und--- Sehr viel (so empfinde ich es) NÄHE.
Der Zweifel ist ein schönes Geschenk. Wir sollten uns noch mehr schenken.

Grüße und vielen Dank für diese "zweifelhafte Diskussion"
willy
 
Könntest Du mir den von mir hervorgehobenen Gedanken etwas anschaulicher darstellen?
Was verstehst Du unter "humanistischer Idealisierung?
In welchem direkten Zusammenhang stehen Wissenschaft und der Wunsch nach Absolution der geschundenen Seele?

Ich dachte, das wäre Allgemeingut? Ich bitte also im Voraus um Verzeihung, falls meine Erklärung in einer Anhäufung von Banalitäten enden sollte.

Die alte Gesellschaftsordnung sah ganz grob etwa so aus:
Gott ist der Schöpfer und der Herrscher. Ihm müssen alle gehorsam sein. Er setzt Könige und Autoritäten ein. Der Glaube an den am Kreuz gestorbenen Erlöser wird den Gläubigen eines Tages von aller irdischen Qual befreien. Lösung von persönlicher Schuld geschieht durch Bitte um Vergebung und Buße (also ein hinfort anderer Lebenswandel).
Das heißt, äußere (den Gesellschaftsaufbau betreffende) und innere (die Seelenverfassung betreffende) Dinge waren endgültig geklärt und sorgten für eine Art Balance.

Dann kam das 18 Jahrhundert (natürlich nicht aus dem Nichts!!!) - die Zeit der Aufklärung, des Sturm und Drang, der Klassik ... und der französischen Revolution - welches in vielerlei Hinsicht die Dinge veränderte.
Descartes hatte wenige Jahrzehnte zuvor die Grundlage modernen philosophischen Denkens geliefert.
Die geisteswissenschaftlichen Fächer bildeten sich heraus.
Lehrstühle und Universitäten wurden neu gegründet.
Die französische Revolution hatte die Macht des Adels gebrochen und das Bürgertum an seine Stelle gesetzt.
Der Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie geschah nun nicht mehr über Blut (Adel) sondern über Bildung (Bürgertum).
Die Voraussetzung für Bildung jedoch war Wissenschaft.
Die Arbeitsgrundlagen für Wissenschaft: kritisches Denken, Quellenkritik, Experimente, Empirie, Statistik, naturwissenschaftliche Grundannahmen.
Der Humanismus stellte den Menschen ins Zentrum seiner Betrachtungen und Analysen.
Ziel gesellschaftlichen Strebens war die Entwicklung und Veredelung des Menschen.

All dies war auf seine Weise der alten Gesellschaftsordnung entgegengesetzt. Inwiefern?
Nun,
- Philosophie ist dem "naiven" Glauben entgegengesetzt
- eine bürgerliche (sich selbst erhebende) Gesellschaft ist einer adeligen (angeblich von Gott eingesetzten) entgegengesetzt
- Naturwissenschaft stellt den Schöpfungsbericht in Frage
- kritisches Denken steht gläubigem Denken entgegen
- der humanistische Ansatz, dass der Mensch im Grunde gut sei und veredelt werden müsse steht dem christlichen Ansatz entgegen, dass der Mensch schlecht und hoffnungslos verloren sei und zur Rettung von neuem geboren werden müsse

Dieser Umbruchs hatte aber auch zur Folge, dass der moderne Mensch der AUfklärung keinen Anlaufpunkt mehr für seinen Seelenschmerz fand, denn es gab ja nun nichts Größeres mehr, als ihn selbst. Also wendet er sich verstärkt nach innen, und sucht Erlösung - oft eben künstlerische Prozesse - dort zu finden, wo sie sich abspielen:
im Inneren.
Die Hinwendung nach innen, verbunden mit dem - fast möchte ich es Fluch nennen - Zwang, als neuer Gott des Universums Großartiges schaffen zu müssen, wird besonders deutlich in der Romantik. Der Roman erobert die Literatur. Tausende Seiten umfassende Werke werden verfasst. Vom Umfang her treten manche in Konkurrenz zur Bibel (z.B. die Suche nach der verlorenen Zeit). Gewaltige Akkordverbindungen werden aufgetürmt (Wangners Tristanakkord), Mahler verlang in einer seiner Sinfonien 1300 Musiker!!!
Doch der Mensch geht am Streben nach eigener Größe kaputt.
In der Kunst folgt der Destruktivismus.
Es kommen zwei verheerende Weltkriege. Danach wird oftmals das früher hässliche (Dissonanzen, verständnisunsinnige Fragmente in der Lyrik, Gewalt, Pornografie, Nihilismus) zum Standard und verehrt. Der Mensch hatte nichts gelernt.

Ich selbst habe schon an einem Literaturwettbewerb teilgenommen (Kurzgeschichten), in dem die Finalrunde ausschließlich aus Geschichten über Selbstbefriedigung, Hass, Destruktivem usw. bestand.

Heute ist es eben so, dass der Künstler, der früher zur Ehre Gottes oder des Königs arbeitete - heute für in erster Linie für sich selbst arbeitet, um seine inneren Konflikte irgendwie zu lösen. Früher hatte er dazu Gott, die Familie, die Gesellschaft, die sinnvolle Arbeit, den Landesfürsten, die Kirche. Die meisten unserer heutigen inneren Konflikte waren ihm wahrscheinlich sogar unbekannt. Heute, tja heute ist der von allem entfremdete Mensch ein Häufchen Elend, das nach Sinn und Erlösung sucht - aber nicht weiß, wo er beides finden kann.

---------- Post hinzugefügt um 11:57:37 ---------- Letzter Beitrag war um 11:10:24 ----------

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Kannst Du dir vorstellen, dass es auch andersherum sein kann?
Das Zweifel, von außen - wenn sie denn durchdringen- inklusive aller Steigerungungen, wie Verzweiflung, nicht zugelassen sind, abprallen und ihnen die Wahrhaftigkeit aus Selbstschutz abgesprochen wird.
Das das in der Kunst Fühlbare, Auszudrückende, Mitzuteilende nur auf der Beschäftigung mit Selbstzweifeln und der eigenen Rolle innerhalb der diversen Bezugsgruppen, sowie im großen Ganzen basiert.

Ja. Und?

Das Schreiben ist und bleibt doch (für mich) Krücke, ein Hilfsmittel, sich selbst ins Leben zu bringen. Die innere Zerissenheit mitzuteilen.
Die "Kunst" und mein tapferes LI bleibt doch (für mich) ein Schutzschild, ein Schleier, ein schützender Held, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Ein armer Held - einer, der nur erdacht ist. Schwingt da nicht ein bisschen Schizophrenie mit?

Das muss doch nicht bedeuten, dass ich dauerdepressiv bin und keine Selbstachtung und kein Selbstbewußtsein habe.

Habe ich ja auch gesagt, dass ich das allgemein meine und ausdrücklich nicht speziell auf Dich gemünzt meine!

Wenn ich in meinen Kommentaren "weinerlicher" bin, als ich es meinem LI zugestehe, so heißt das doch nur, dass ich mein alter Ego, meinen Held vorschicke, die Schlacht für mich zu schlagen oder den Icebreaker zu machen. Er selektiert für mich. Er fragt für mich. Er stirbt für mich.
Das ist komfortabel.

...und traurig... und auch ein bisschen eine Flucht? Du gibst ja zu, dass Du gerade nicht Dein LI bist, lässt es aber Deine Kämpfe ausfechten?

Deshalb muss die Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit doch nicht schwerfallen.
Kesse Thesen ersetzen nicht zwangsläufig aufgrund der normativen Kraft der faktischen Platzpatrone den Abgleich zwischen dem, was Kunst darstellt und was dahintersteckt.

Sorry, ist mir zu hoch.

Wie cool ist das denn, dass sich 1788 als das "doch so ziemlich einzige Fixierte in dieser Welt" sieht?

Ich sprach von "man" und nicht von "ich" und meinte damit den Menschen an sich. Ist es anders? Bist Du für Dich wie ein Gas, das Dir ständig entwischt, heute hier, morgen da ist, ständig in anderer Konzentration? Manchmal auch ganz verschwunden? Unberechenbar? Nicht fassbar?

Da unterscheiden wir uns aber diametral.
Für mich ist hier nix fixiert. Überall geht was, und hoffentlich geht immer was mit mir.
Warum bietet also der Bäcker seine Brötchen an?
Warum biete ich im Forum, oder auf der Bühne meine Texte an?
Der Bäcker und ich wollen leben.

Der Bäcker bekommt Geld dafür. Er tut seine Arbeit. Es ist ein relativ profaner Ansatz, der dahinter steht. DAs unterscheidet Dich vom Bäcker. Oder kannst Du von Kritik und Applaus leben? Die Künstler in früheren Zeiten (siehe mein obiger Beitrag) taten ihre Kunst aus einem ähnlichen Ansatz, wie der Bäcker. Diesen Ansatz gibt es heute im Großen nicht mehr. Im Kleinen vielleicht - in der Kleinkunst, Straßenkunst, fahrende Künstler. Aber im Großen kann man seltenst noch von Kunst sprechen, denn es geht auch nicht mehr um Geld verdienen, um davon leben zu können, sondern um maximalen Gewinn machen, um Irreführung usw.

Sagen die Brötchen etwas über den Bäcker aus?
Natürlich.

Sagen die Texte etwas über mich aus?
Natürlich.

Kann man meine Texte nur verstehen, wenn man meine Einstellung, wenn man mich kennt?
Das weiß ich nicht. Wenn Du es darauf anlegst, dann schon. Wenn Du allgemein verstanden werden willst, dann nicht.

Wenn das so ist, bin ich dann automatisch mit meiner Kunst gescheitert, weil mir das Abstrahieren meiner Zweifel nicht gelingt?
In diesem Schutzraum "Forum", in diesem "Netz" kann man der Selbstüberschätzung oder dem tollkühnen Mut freien Lauf lassen.

Ergebnis sind Unverschämtheiten, unhaltbare Thesen, widersprüchliche Argumentationen und--- Sehr viel (so empfinde ich es) NÄHE.
Der Zweifel ist ein schönes Geschenk. Wir sollten uns noch mehr schenken.

Grüße und vielen Dank für diese "zweifelhafte Diskussion"
willy
 

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