Vorweg: ich bin ein bekennender Manson-Fan. Ich finde ihn großartig. Besser gesagt, ich fand ... das Spätwerk habe ich nicht mehr verfolgt, aber genau wie bei dir zählen "Portrait of an american family", "Antichrist Superstar" und "Mechanical Animals" zu meinen Lieblingsalben, die ich bis heute immer wieder gerne höre.
…kann ich absolut unterstreichen den Satz
Kennst du seine Autobiographie "The long hard road out of hell" ? Wenn man die gelesen hat, versteht man besser, daß Brian Warner psychisch nur überleben konnte, indem er das Gesamtkunstwerk Marilyn Manson schuf. Daß so etwas lebenslang funktionieren kann, ist eher nicht anzunehmen.
Ja, ich kenne seine Autobiographie. Habe sie mehrmals gelesen, wobei ich sagen muss, dass ich bestimmte Dinge erst mit der dafür nötigen Reife verstanden und entsprechend verarbeiten konnte. Ich sehe es deshalb ähnlich wie du, finde es aber schade, dass er den Sprung nach vorne nicht geschafft hat. Ich finde auch, dass er "Marilyn Manson" braucht, um für sich in dieser Welt überleben zu können - und bis Mechanical Animals hat das auch recht gut funktioniert, wie ich finde. Marilyn Manson ist ja nicht nur ein Sänger, sondern ein Künstler durch und durch - das zieht sich durch viele Ebenen. Allerdings ist es auch für eine Kunstfigur wichtig, dass sie sich weiterentwickelt - und genau das hat Manson meiner Meinung nach verpasst. Er ist stehengeblieben, persönlich, was sich auch in der Musik widerspiegelt - zumindest ist das mein persönlicher Eindruck.
Ich glaube auch nicht, daß es allzuvielen Künstlern gegeben ist, sich ständig "weiterzuentwickeln" und "neu zu definieren". Was soll das überhaupt sein? Mittlerweile empfinde ich solche Ausdrücke als nichtssagende Worthülsen, die zudem eh nicht stimmen.
Für mich sind das keine nichtssagenden Worthülsen - denn mit neu definieren meine ich nicht, dass du dich als Persönlichkeit komplett verändern sollst. Das absolut nicht. Das wäre dann nämlich kein neu definieren mehr, sondern pure Heuchelei und ein ständiges Verleugnen deiner Identität. Ich meinte damit eher, dass Weiterentwicklung stattfinden sollte. Ich glaube, dass das ein Grund ist, warum Manson persönlich aber auch kreativ "nichts mehr zu sagen hat". Er ist persönlich (leider) stehen geblieben und logisch wird es dann irgendwann langweilig, immer nur die Kirche (als ein Beispiel) als das absolut "Böse" darzustellen. Ich bin ja mit ihm einer Meinung, aber wenn du dich weiterentwickelst, entwickeln sich auch neue Themen in dir und mit den neuen Themen bekommst du auch kreativen Stoff und neues Material. Das erlebe ich als Künstlerin und Fotografin tagtäglich. Wenn du stehenbleibst ist das der Tod eines jeden Künstlers. Du kannst dieses "Stehen bleiben" vielleicht 1x thematisieren und ein tolles Projekt auf die Beine stellen… aber dann sollte es auch wieder weitergehen. Ein Künstler muss wachsen und es gäbe noch so vieles zu sagen, wenn wir uns die heutige Gesellschaft anschauen, der gläserne Mensch, 1984, dass Realität geworden ist, undundund. Das macht mich trauig - Manson ist unglaublich kreativ und begabt und ich finde es schade, dass diese Begabung im Moment komplett brach liegt. Natürlich hängt das mit Sicherheit zum Teil auch mit seiner psychischen Verfassung zusammen - auch sein Drogen- und Alkoholkonsum, sowie seine Freundschaft mit allem, was dir körperliche Schmerzen bereiten kann.
Von Madonna wird ja z.B. gerne behauptet, sie hätte sich stets "neu erfunden". Ich fand sie hingegen immer recht gleichförmig und musikalisch vorhersehbar.
Sehe ich genauso. Muss aber sowieso sagen, dass ich mit Madonna noch nie was anfangen konnte - weder musikalisch noch auf künstlerischer Ebene.
Ich glaube, Mansons Problem ist, daß er eine extreme Musik macht - und dafür langsam, aber sicher zu alt wird. Da verträgt man Drogen nicht mehr so gut, das Touren wird beschwerlich, die Rebellen-Attitüde passt auch nicht mehr.... ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß er nun á la Robbie Williams ein Swing-Album aufnimmt. Obwohl .... das hätte sicher was!
Das glaube ich auch - wobei ich glaube, dass er sich vielleicht besser gehalten hätte, wenn er einige seiner Probleme entsprechend verarbeitet und nicht mit Drogen oder Selbstverletzung zu betäuben versucht hätte. Ich hab teils Sachen gesehen, die er auf der Bühne gemacht hat, wo mir die Spucke weg blieb und ich voller Mitgefühl dachte: "Mensch, wie sehr musst du dich und das was passiert ist, hassen." Das waren die einzigen Momente, wo ich nie hinschauen konnte, live, auf den Konzerten…dieser pure Selbsthass in Kombination mit Gewalt (sexuell aber auch gegen sich selbst gerichtet).
EDIT: Das Video habe ich mir übrigens jetzt erst angeschaut ... ja, er wirkt schon ziemlich neben der Spur, vielleicht zugedröhnt mit irgendwas. Vermutlich kann er nicht aufhören. Weder mit den Exzessen, noch mit der Selbstzerstörung, noch mit der Bühne. Obwohl es, wenn man von diesem Video ausgeht, sicher besser wäre, wenn er sich zurückziehen würde - damit er als unantastbare Legende weiterlebt. Vielleicht hatte er aber auch nur einen schlechten Tag und die nächsten Shows waren/werden wieder hammergut. Der Typ ist zäh!
Yep, dasselbe habe ich mir auch gedacht - musikalisch verabschieden, aber vielleicht auf anderer Ebene weitermachen. Ein Buch schreiben, weiterhin Bilder malen (die mir um übrigen unabhängig davon dass es Manson ist, sehr sehr gut gefallen) oder den Film, den er immer schon mal machen wollte, wieder aufgreifen und sich dort künstlerisch austoben.
- - - Aktualisiert - - -
Ich bin der Ansicht, dass jeder Popkünstler "seine" Zeit hat, die man am meisten mit ihm identifiziert. Das hat(te) früher auch was mit der Generation zu tun, die er bedient hat. Heute ist das vernachlässigbar.
Dabei ist es fast egal, ob jemand "extrem" ist oder sich weiter entwickelt oder nicht.
Beispiel Bowie:
Er ist immer wieder und sehr konsequent neue künstlerische Wege gegangen, teilweise kommerziell erfolgreich (die "Let's Dance"-Ära), teilweise eher unbemerkt (Tin Machine).
Aber sind wir ehrlich: Alle Fans waren erleichtert, als er endlich nach 20 Jahren seinen Schwur brach, nie wieder die Songs aus der Ziggy-Stardust-Zeit live zu performen. Ob er dabei androgyne Kleidung trägt, geschminkt ist oder nicht, spielt dabei gar keine Rolle. Er muss nicht mehr provozieren und auffallen. Er soll nur bitte diese Songs singen.
Oder Paul McCartney: Ich kauf doch keine teure Karte, um seine neusten Songs zu hören. Ich will Beatles, Beatles, Beatles ... und wenn dazwischen mal ein Wings-Song kommt, kann ich auch noch damit leben.
Andere dagegen machen konsequent ihr ganzes Leben das gleiche. zB Lemmy oder Iggy Pop. Brauchen keine Hits, haben aber ein leben lang ein sehr loyales Publikum, was nicht von einem Trend zum nächsten hechelt. Das ist bei denen aber auch wieder okay, da sie damit Kultstatus erreicht haben und ihre eigenen Nische bedienen, die nicht so einfach ausfüllbar ist.
Bei Manson könnte das vielleicht auch sowas werden. Allerdings muss man dann als KÜnstlker auch lernen, damit umzugehen und dazu zu stehen. So'ne Krise hatte zwischendurch wohl jeder mal.
Zu Bowie: ich liebe ihn, grade wegen Ziggy Stardust
Generell habe ich das Gefühl, dass wir Menschen (in der Kunst kann man das besonders gut erkennen) zwar in der Gegenwart leben, aber dann doch größtenteils mit der Vergangenheit verbunden sind und alles machen, um vor Vergänglichkeit und Tod zu fliehen. Mir geht es zB. bei vielen meiner Lieblingsbands so, dass ich vor allen Dingen die früheren Alben toll finde… wenn ich Led Zeppelin hernehme, Queen… Portishead und Sigur Ros… es ist immer "das Alte" das mich mehr reizt, als das Neue. Warum auch immer
Bei den Editors verhält es sich ähnlich… tolle Band, tolle Alben, aber durch den Bandwechsel und den Versuch, etwas anderes zu machen ein langweiliges und durch und durch nichtssagendes neues Album.
Zu den Ticketpreisen: die sind sowie Wucher! Selbst wenn Karl Richter oder Ian Kurtis persönlich auf der Bühne stehen würden, würde ich ab einem bestimmten Preis boykottieren. Bezahlung schön und gut… aber 150 Euro für ein Ticket (Stones… ein Freund von mir ist Fan) ist einfach… ekelhaft und künstlerisch nicht mehr zu verantworten.
Manson: Krisen kennen wir alle, mehr denn je
und es ist auch vollkommen normal, dass man künstlerisch irgendwann in ein kreatives Loch fällt, man kann nicht immer nur produzieren und eine neue Idee nach der nächsten liefern. Irgendwann kommt die gefürchtete "tabula rasa" und du hast nichts als "Nichts" in deinem Kopf. Bei Manson hat mich aber vorwiegend wirklich der schlechte Auftritt geschockt… und seine momentane Haltung zum Leben generell. Er scheint dauerbetrunken zu sein - und aus diesem Zustand leider nicht mehr rauszukommen.
- - - Aktualisiert - - -
Schau mal in das Buch
Celebrities von Borwin Bandelow. Der Autor ist Psychater an der Uni Göttingen und hat die Biographien ganz vieler Musiker und Bühnengrößen auf Anzeichen für Borderline-Symptome untersucht. Ursache, Hintergründe und Folgen werden da sehr gut dargestellt, sodass man es auch als Nichtpsychater versteht. Und es geht nicht nur um Celebrities im Sinne von Möchtegern-Promis, sondern schon um die sich selbst zugrunde richtenden Größen des Showbusiness. Sehr zu empfehlen.
Kern des Buches ist, dass bestimmte Ausprägungen der Borderline-Störung zur psychischen und physischen Selbstvernichtung bei gleichzeitigem hohen kreativen Potential führen können. Michael Jackson ist eines der bekanntesten Beispiele. Es sollte mich nicht wundern, wenn bei Manson ähnliche Tendenzen zu beobachten sind.
Harald
Kann es sein, dass sie darüber auch mal einen Beitrag auf ZDF-kultur gebracht haben? Dort meinte ein Psychiater, dass Marilyn Manson wohl am Borderline-Syndrom leiden und irgendwann mit Sicherheit Selbstmord begehen würde… ich musste damals nur den Kopf schütteln, weil ich mir von einem Psychiater in der Hinsicht etwas mehr Professionalität erwartet hätte. Einfach so mit Diagnosen um sich zu schmeißen, ohne je persönlichen Kontakt mit der Person gehabt zu haben, finde ich sehr fragwürdig…und es scheint Mode geworden zu sein, jedem sofort das Borderline-Syndrom als Diagnose anhängen zu wollen, aber das ist ein anderes Thema.
Aber es scheint wirklich desöfteren anzutreffen zu sein, dass neben einer hohen kreativen Begabung auch eine psychische Erkrankung steckt. Mein Freund hatte ähnliches mal in seiner Uni-Arbeit thematisiert und behandelt. Ein sehr spannendes Thema, btw.