Lieber Uli,
mir geht es nicht primär um Sound. Da hast Du völlig recht, wenn Du sagst, er sei weitaus multifaktorieller bedingt als ein Laie nachvollziehen kann.
Ich glaube, es gibt vielmehr eine Müdigkeit gegenüber den Markt-Strategien großer Hersteller. Das Zeugs wird immer gleicher und die Branche kompensiert das durch Aufblähung und Grellheit der Darstellung. Ich kann´s einfach nicht mehr sehen oder hören. Das Custom-Set ist immer die Chance, sich den Dingen selbst-bewusster zu nähern. Ich erinnere mich, wie ich als Kind auf meinem Schulweg täglich an dem Laden vorbeikam, wo genau das Fahrrad im Schaufenster stand, was ich haben wollte. Und als es soweit war (Weihnachten und Erspartes), bekam ich genau dieses.
Ich glaube überdies, dass zwischen Mensch und Instrument ein wenig Magie bestehen soll. Sobald ich ein Fachgeschäft betrete (oder auf gängigen Internetseiten schaue), kommt mir alles extrem willkürlich vor. Außerdem fühle ich mich vom Angebotenem nicht gemeint - und ich merke, dass ich erst anfange, dem Verkäufer zu glauben, wenn der begriffen hat, dass ich nicht "jemand wie …" bin. Und spätestens wenn er mir Sets unter dem Aspekt der Synkopierung beim Sexualakt vorführen soll, kommt er von sich aus auf "Custom"
.
… ich bilde mir ein zu wissen, was passiert, wenn ein Kessel um 1" gekürzt wird oder wenn eine Gratung flacher als die üblichen 45 Grad oder gerundet ist ...
Wie gesagt, geht´s mir gar nicht so sehr um physikalisch beweisbare Wirkungen. Mein Instrument ist mehr ein Wesen (spielen kann ich eh nicht
) und ans "Wieder-Loswerden" denke ich auch nicht.
… die deutsche Sprache hat einen weit größeren Wortschatz, als die meisten andere Sprachen.
Umso erstaunlicher, dass das in Musiker-Jargons nur wenig davon durchschimmert.
René Styber (ein Mitglied der Gruppe Bush Taxi) hat mich mal darauf aufmerksam gemacht, wieviel mehr an konkretem Anspruch an die Ausführung eines Trommelschlags in Kulturen (zumeist afrikanischen) vorhanden ist, wenn in deren gesprochenen Sprache viele Bedeutungsunterschiede gleicher Worte nur durch Tonhöhenmodulation entstehen. Musikalisch ist also nicht unbedingt der Wortschatz entscheidend.
Das Beste, was ich zum Thema Groove bisher gelesen habe lautete in etwa so: Groove ist wie Liebe - du kannst es nicht beschreiben, aber du weißt, wenn es da ist.
Ich hab´s nicht so mit der Liebe, ahne aber was Du meinst
.
Dazu fallen mir verschiedene Dinge ein:
* Viele kreative Menschen teilen miteinander eine bestimmte Erfahrung - nämlich die Wahrnehmung von Anzeichen/Hinweisen von sowas wie "Wahrheit". Und meistens ist unmittelbar gleichzeitig das Gefühl vorhanden, dass deren Gesetze außerhalb von einem selbst ihren Ort haben. Die Idee, die solch einem Erlebnis ggf. zugrunde lag,
habe ich nicht etwa gehabt, sondern sie
kam mir - etwas hat sich offenbart und ich war in der Situation, es als wahr zu nehmen. Ich denke, der berühmte Kuss der Muse ist eine Verbildlichung dieses Phänomens und auch Platons Ideenlehre kommt einem in den Sinn.
* Ein Kreativitätsforscher, dessen Name mir jetzt gerade nicht einfallen will, hat als Voraussetzung für Kreativität das "Aushalten-Können von Ambivalenzen" angeführt. Es geht demnach also nicht um schnelle Entweder-Oder-Entscheidungen, sondern um Sowohl-Als-Auch-Zustände, an denen wir vor Allem uns und damit auch die nötigen Lösungen entwickeln.
* Le Corbusier, der berühmte Architekt, begann seine Planungen stets damit, dass er vor Ort alles erdenklich Mögliche - Sinnvolles und Unsinniges - in gleicher Sorgfalt recherchierte, notierte und prüfen ließ. Und danach kümmerte er sich erstmal nicht um einen Entwurf (er hatte gegen Ende seiner Schaffenszeit auch sehr viel zu tun), bis ihm irgendwann plötzlich - ähnlich eines Kügelchens, das seinen Weg mittels Schwerkraft durch ein Labyrinth findet - eine Form vor Augen stand, die dann auch Gültigkeit hatte.
Auf solcherart Weisen wird man wahrscheinlich auch sensibel für "Groove". Und es kann bestimmt nicht schaden, bei geglückten Beispielen mit digitalen Aufzeichnungsgerätschaften Abweichungen vom Pattern nachzuspüren.
Für mich ist "der richtige" Klang auch eher eine Gefühlssache, als dass ich ihn beschreiben könnte.
Falls Du nicht ganz anderer Meinung bist, könntest Du mir evt.erklären, warum dann so Vieles so auffällig ähnlich klingt. Liegt es an einer grundsätzlichen Gefühlsgleichartigkeit oder schlagen da schon Überlegungen bzgl. instrumentaler Wiederverkauf-Chancen durch?
Ich könnte einem Trommelbauer stundenlang von Attack, perkussivem Klang, Bauch oder Decay erzählen und wüßte danach immer noch nicht, ob er unter all diesen tollen Begriffen das selbe versteht wie ich.
Klingt jetzt aber doch wie aufgesagt
. Bei Fremdwörtern obendrein doppelt unsicher, ob man sich versteht
. Außerdem würde es ihn sicherlich sehr ermüden, denn ich glaube nicht, dass ein Trommelbauer sein Geschäft in erster Linie als Dienstleistung begreift. Ein künstlerischer Funke muss schon überspringen und zur Zusammenarbeit inspirieren.
Ääääähhhh...
Alex Vesper schwärmt von Pork Pie.
Selbstverständlich. Mein Hinweis bezog sich auf das
Musikmachen.de-Video bei YouTube. Und Endorser-Aussagen sollte man doch eher mit ein wenig Distanz aufnahmen, oder nicht?
Das scheint mir der Grund dafür zu sein, dass du dich hier so vehemment für ein Customset einsetzt.
Ich habe halt selber überlegt, wie ich meinen Ansprüchen an den Erwerb (m)eines Sets gerecht werden kann. Früher war ich übrigens ein echter Sonor-Fan und habe mir mit Mitte Zwanzig Teil für Teil - wann immer ich wieder Geld zusammen hatte - ein kleines Lite-Set in Maserbirke vom Munde abgespart. Mein (Cajon-) Endorser, Markus Zell, ist Inhaber einer Schlagzeugschule, deren Instrumente ihm von Yamaha zur Verfügung gestellt werden. Superteile und faszinierende Hardware - ohne Zweifel. Aber keine Magie.
Aber der Rat, sich ein solches Set zuzulegen, sollte auch mit dem Hinweis verbunden sein, dass man sich etwas "in der Materie" auskennen sollte.
Der Trommelbauer wird ja gerne behilflich sein. Wie Du vielleicht gelesen hast, habe ich dem Thread-Starter empfohlen, auf Grundlage einer Art Ausschreibung zu den interessantesten Herstellern hinzufahren und sich vor Ort weiter inspirieren zu lassen.
Wäre ich Schlagzeugbauer, würde ich mich, wie gesagt, nicht als Dienstleister sehen, sondern schon eher als Künstler - oder Therapeut
. Wie ebenfalls schon erwähnt, geht es doch nicht so sehr um knallharte Fakten bzgl. des Klangs, sondern um den Versuch, beim Erwerb des eigenen Instruments ein Höchstmaß an Würde zu bewahren.
Usern, die in einem "Ich möchte mir ein Customset zulegen - welchen Hersteller würdet ihr empfehlen" Thread um Rat fragen, würde ich sehr dringend empfehlen, die Finger davon zu lassen.
Wieso? Soweit ich das von Adoro weiß, gibt´s Sets, die glatt wie normale Schlagzeuge aussehen, tatsächlich auch so klingen und mit Fellen bestückt sind, die es auch auf anderer Hersteller Erzeugnisse gibt. Ich denke, das ist bei Wahan, Tempest, Cube, Lunar, Troyan usw. nicht anders. Die Leute wollen ihre Auftraggeber doch nicht verarschen. Jedes Set, was sie rausgeben, ist ganz anderer Kritik ausgesetzt als irgend ein Teil von Tama o. ä.
Ich könnte jetzt als Cajonbauer erzählen, wie solche Dinge erfahrungsgemäß verlaufen. Aber das ist hier nicht sehr passend. Nur soviel: außer für meine Endorser habe ich noch keine Kiste aufgrund irgendwelcher besonderer Maßgaben gebaut, die mich selber nicht faszinieren.
Grüße
olliB. …