"Früher waren die Paulas besser?" Kompletter Humbug, wenn Du mich fragst.
Es gab früher schon sehr gute und weniger gute Exemplare, und heute ist es nicht anders. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass du nicht die absolute Vintage-Kategorie meinst, sondern das, was man als normale Gebrauchtgitarre findet. Dazu mein persönlicher Eindruck:
- Norlin-Ära ab 1974 (1969 wurde Gibsons Mutterkonzern CMI von einer Brauerei aufgekauft, blieb aber noch recht selbständig. 1974 wurde Gibson dann nach einer neuen Fusion Norlin unterstellt): hier werden gebrauchte mMn oft total überbezahlt, nur weil sie halt schon 40 Jahre auf dem Buckel haben. Manche klingen vielleicht sogar gut oder sehr gut, aber die Kritikpunkte von damals haben sich mit den Jahren ja nicht erledigt: Fragwürdige Materialzusammenstellungen, Konstruktionsdetails und Designänderungen, oftmals bleischwer, die Pickups für meine Begriffe nicht gerade toll, die Verarbeitung oft ziemlich schlecht. 1974 wurde auch die Produktion nach Nashville verlegt, Kalamazoo blieb nur als so eine Art Custom Shop (auch wenn das damals noch nicht so hieß). Man darf davon ausgehen, dass viele Arbeiter nicht mit umzogen, sodass bestimmt auch einiges an handwerklicher Erfahrung verloren ging. 1984 wurde Kalamazoo dann ganz geschlossen, daraus ging dann Heritage Guitars hervor. Das sind übrigens wirklich tolle Gitarren, wie ich finde.
- Gitarren ab 1986: Hier war Gibson kurz vor dem Aus, wurde aber von dem heutigen Chairman und einigen anderen aufgekauft, die dort wohl auch schon im Management gearbeitet hatten. Ab da bemühte man sich, den traditionellen Gibsons wieder näher zu kommen. Die Verarbeitung blieb mMn etwas wechselhaft, wenn die Qualität insgesamt auch stieg. Bis heute finde ich die Streuung innnerhalb der "normalen" Nicht-CS-Produktion deutlich größer als die bei Fender USA. Es war für mich aber eine Zeit der Konsolidierung, in der die Modellwechsel bzw. die Änderungen der Features nicht so krass waren. Eine der besten Gitarren aus dieser Zeit ist für mich die Les Paul Classic - das wäre auch ein gutes Teil für Dich. Hier findet man meines Wissens das erste Mal den "'60s Slim Taper Neck". Die ersten Classics (zu erkennen am Les Paul Model"-Schriftzug statt "Les Paul Classic" und den herkömmlichen Einlagen (spätere hatten so komisch grünliche, die "alt" aussehen sollten) sind heute schon recht gesuchte Stücke, zumindest bei Insidern. Ich habe aber schon einige, vorwiegend spätere, Classics in den Händen gehalten, und die fand ich alle sehr gut, da war eigentlich kein Aussetzer dabei.
Einige neue Modelle versuchte man dann nach ein paar Jahren auch einzuführen, aber die sind bei Gibson ja notorisch umstritten. Die US-1, die M-III (das war echt Pech, Nirvana hatten die Superstrat gerade zum Unding gemacht...) , die Les Paul Studio Lite und die Nighthawk sind für meine Begriffe aber stark unterschätzte, hervorragende Gitarren. Dann kam wieder so eine Rückbesinnungsphase, in der man das traditionelle Sortiment ausbaute. Die Classic finde ich wie gesagt toll, meine Studio habe ich aber ganz schön umbauen müssen - Bünde, Elektrik, Hardware, eigentlich ist nur noch das Holz übrig. Das sieht sieht nicht mal besonders aus (asymmetrisch geteilte Decke, Maserung auch nicht toll), aber das Mahagoni ist einteilig und das Ebenholzgriffbrett tiefschwarz und glatt), aber sie klingt!!!
- Das neue Jahrtausend: Eine der wichtigsten Änderungen war es aus meiner Sicht, die PUs zu überdenken. Auch wenn die Burstbucker heute von Vintage-Enthusiasten nicht immer geschätzt werden, waren sie doch ein Quantensprung gegenüber der vorherigen Ausstattung der Standard mit 490R/498T. Die wurden danach ja im wesentlichen auf die günstigere Studio-Linie beschränkt (und die Custom, was ich nie so ganz verstanden habe). Inzwischen gibt es ein immer stärker differenziertes Programm (Livebucker, Custom Bucker, Dirty Fingers...), das die Gitarren mMn durchaus aufwertet. Manche Punkte wie die Qualität der Bundierung oder die Griffbretteinlagen bei den Studios haben sich in dieser Zeit mMn wesentlich verbessert gegenüber den 90ern. Auch die Verarbeitung im einzelnen und die Optik der Decken finde ich heute im Durchschnitt schöner. Gibson hatte wieder Erfolg, und man investierte durchaus in Qualität - die CS-Paulas wurden den Originalen immer ähnlicher, und die Aussetzer ließen nach.
Ich muss aber sagen, dass ich schon auch den Eindruck habe, dass Gibson in den letzten paar Jahren etwas unter Druck geraten ist und man dort dann doch manche merkwürdige Entscheidung trifft. Die sicher teuren Investitionen in überzüchtete Technik-Gimmicks hätte man mMn besser investieren können - das hätte ich denen vorher sagen können, dass die konservativen Gitarristen sowas wie eingebaute Effekte, polyphone Tonabnehmer und selbststimmende Mechaniken einfach nicht haben wollen. Da hätte man besser an der Substanz nachgebessert und sowas wie die billige Nashville-Bridge endlich abgelöst. Na ja, die Nacrüster wollen auch leben...
Gruß, bagotrix