Klangvorstellung bedeutet für mich also weniger, dass ich von Anfang an angeben könnte, wie etwas klingen soll, sondern eher, dass ich spüre, wie etwas nicht klingen sollte.
Verstehe!
Eigentlich gehört beides zusammen, nur dass Du anscheinend noch den Eindruck hast, dass Du den "Sollwert" in deinem Kopf noch nicht als Referenz zum "klingen" bringen kannst.
Vielleicht ist diese Referenz/Klangvorstellung aber doch da und Du kannst sie im Moment nur noch nicht im doppelten Sinne fassen.
Im doppelten Sinne = a) konkret mit den Fingern auf der Flöte b) gedanklich nachvollziehen
Diese beiden Dinge gehören nicht automatisch zusammen. Sie müssen erst in einem Lernprozess verknüpft werden. Zu diesem Lernprozess gehört, dass man einen Weg findet, die durch den Kopf huschenden Klänge, in Deinem Fall eher Melodiefetzen, festzuhalten. Zum gedanklichen Nachvollziehen benötigt man Sprache mit definierten Begriffen (nicht sofort zwingenderweise mit offiziellen Fachbegriffen der Musiklehre). Grafiken oder Symbole (> Notenschrift, Melografie, Klangzeichnungen ... ) helfen bei der bildlichen Darstellung dessen, was man erfassen möchte. Beim Flöten nach Noten übt man dann, Symbole mit Fingerbewegungen und Anblasen zu verknüpfen. Und beim Flöten nach der Erinnerung?
Was ich in Zusammenhang mit "Klangvorstellung" zunächst meinte, war das Erinnern von Melodien, die ich früher mal gehört und dann vergessen habe bzw. die nicht willkürlich erinnert werden können, aber in Verbindung mit dem Ausprobieren mit der Flöte doch rekonstruiert werden können.
Das ist auch ein Teil von dem, was ich unter Klangvorstellung verstehe.
Klangvorstellungen werden geprägt von Klang-/Hörerfahrungen, ein sehr komplexes Thema, dessen ausführliche Betrachtung hier weit über das Ziel hinaus schießen würde. Es spielt aber hier hinein.
beim Spielen von Noten höre ich, dass etwas noch nicht richtig oder nicht schön klingt und verbessere es dann nach und nach.
Und woher weißt Du das? Weil Du irgendwann einmal Hörerfahrungen gemacht hast, die Dich befähigen, das Ergebnis Deines Musizierens in irgendeiner Form zu bewerten! Einer zunächst zusammenfassenden, möglicherweise diffusen Bewertung folgt je nach Interessenlage früher oder später die differenzierte Betrachtung und Bewertung. Dazu gehören Tonfolge und Harmonien kontrollieren, Intonation, Klangfarbe, Tempo, Rhythmus, Agogik, Lautstärke, Dynamik, Artikulation ... und bei entsprechendem Interesse auch irgendwann die Analyse der Kompostion. Aber natürlich beginnt man erst einmal ganz einfach und schaut dann, wie weit man gehen möchte oder auch nicht.
Die Klangvorstellung von einem Musikstück ist also ziemlich komplex und das unabhängig davon, ob wir sie bewusst oder unbewusst in unserem Gedächtnis speichern. Sie wird um so klarer, umfassender und differenzierter je genauer man die verschiedenen Aspekte hören und dadurch auch beschreiben lernt, was man hört. Gleichzeitig wird auch die Vorstellung davon, was man wie spielen möchte, immer konkreter und beim Üben erarbeitet man sich Spieltechniken, die einem helfen, Tonfolge und Klang den persönlichen Idealvorstellungen entsprechend zu formen.
Nur wenn man völlig losgelöst von Erinnerungen oder Klangvorstellungen seinen Händen einfach nur zuhört, so wie man dem Rauschen des Windes lauscht und sie einfach machen lässt, kann es eigentlich weder Richtig oder Falsch geben.
Für mein Empfinden sind die Grenzen zwischen der theoretischen Auseinandersetzung mit der Musik, dem kontrollierten durch mehr oder weniger vorhandenem theoretischen Wissen gestütztem Musizieren, und dem intuitiven Geschehenlassen fließend. Sowohl das Eine als auch das Andere kann viel Freude bereiten. Die Frage ist halt, was man gerade will.
Das, was sich beim Lesen und/oder Finden einer Melodie im Kopf abspielt und entweder in irgendeiner Form zu einer Klangvorstellung führt oder eine irgendwie vorhandene Klangvorstellung in Symbole übersetzt oder auf Instrumenten tatsächlich zum Klingen gebracht wird, finde ich schwer zu erklären. Klangvorstellungen können einerseits in unserem Kopf vorhanden sein und Ursache/Auslöser für eine Tätigkeit werden. Andererseits können Klangvorstellungen Reaktionen auf einen irgendwie gearteten Auslöser sein. Je nach dem, was man können möchte, muss man verschiedene Fähigkeiten mit Klangvorstellungen verknüpfen lernen.
- vom Blatt singen - Das Lesen von Symbolen erzeugt eine Klangvorstellung, die sich durch Singen äußern kann
Ob man nun tatsächlich singt oder (wie Leonard Bernstein beim Dirigieren manchmal unüberhörbar) vor sich hin brummelt und dabei die Melodie vor allem im Kopf "hört", führt in beiden Fällen zum Ziel: man liest nicht nur Tonnamen und Notenwerte, sondern weiß, wie das Gelesene zusammenhängend klingt, so wie man beim Lesen eines Textes irgendwann aufhört zu buchstabieren, weil man die Wörter als Ganzes erfasst, weiß, wie sie klingen und dabei möglicherweise sogar im Kopf "hört", wie sie jemand vorliest/diktiert. Ob man beim Singen vom Blatt exakt die durch die Notenposition angezeigten Tonhöhen trifft oder "nur" in relativer Beziehung zueinander singt, hängt davon ab, wie genau man bestimmte Tonhöhen erinnern kann. (Stichwort "absolutes Gehör") Um eine fremde Melodie nach Noten singen zu können, reicht es aus, die Intervalle zu erkennen, in denen die Töne aufeinander folgen. Damit das funktioniert, müssen wir aber wissen/erinnern, wie die verschiedenen Intervalle klingen. Diese Erinnerung ist in der Regel das Ergebnis gezielten Übens.
- eine Melodie niederschreiben - ganz egal, ob die im Kopf auftauchende Melodie erinnert oder gerade ge/erfunden oder gehört wird
Um Melodien oder Klänge, die man im Kopf hat z.B. in Form von Noten oder einer anderen Schrift so festhalten zu können, dass die Aufzeichnungen später eine Reproduktion der Melodie oder Klänge ermöglichen, muss man zum einen die Fähigkeit erarbeiten, das (wie auch immer) Gehörte differenziert zu erfassen/wahrzunehmen und zum Anderen eine entsprechende Aufzeichnungsmethode lernen/erarbeiten. Will man Tonfolgen ohne Zuhilfenahme eines Stimmgerätes oder eines Instruments aufschreiben, setzt das wie beim vom Blatt singen die Fähigkeit voraus, Intervalle zu erkennen. Ob man sich beim Notieren der Melodien an übliche und dadurch allgemein verständliche Konventionen hält oder ein eigenes System benutzt, ist dabei erst einmal egal. Entscheidend ist, ob die Aufzeichnung später zumndest dem "Aufschreiber" ermöglicht, die niedergeschriebenen Melodien und/oder Klänge zu erinnern.
- ohne Noten nur nach Klangvorstellung musizieren / nach Gehör musizieren
Das kann meiner Beobachtung nach ganz unterschiedlich ablaufen. Man hört zum Beispiel eine Melodie, erkennt von Ton zu Ton die Intervalle und spielt die dann der Reihe nach. Dabei muss das Erkennen der Intervalle nicht zwingend mit ihrer Benennung verknüpft sein. Die Befragung von Schülern ergab, dass sich manche gewissermaßen die Notenfolge merken, ohne dabei an Intervalle zu denken. So etwas funktioniert bei fest gestimmten Instrumenten, bei denen z.B. beim Drücken einer Taste automatisch die korrekt intonierte Tonhöhe entsteht. Sobald ein Instrument einen Intonationsspielraum zulässt, ist die Erinnerung der Intervalle (egal ob bewusst benennbar oder unbewusst als "Tonfolge-Erinnerung") unverzichtbar. Bei entsprechender Übung funktioniert auch ein "Shortcut". Damit meine ich eine Koppelung von Muskelgedächtnis und dem (Voraus-)Hören. Die Musik läuft dann einfach aus den Fingern.
Für mich sind Melodien wie wie eine Wanderung durch den Tonraum, die ich entweder einfach irgendwie passieren lasse oder aber bewusst verfolge und dann im Kopf eher mit Melografie als mit Noten visualisiere.
Melografie ist ein interessantes didaktisches Hilfsmittel (auf keinen Fall Ersatz der Notenschrift !), um die melodische Bewegung zusammen mit der "Klangachse" (Stufen 5 - - 1 - 3 - 5 - - 8) darzustellen. Mit "Klangachse" ist der Tonika-Dreiklang inclusive Verlängerung nach oben und unten gemeint. Der Tonikadreiklang wird mit durchgezogenen Linien dargestellt. Wenn man möchte (z.B. in der musikalischen Früherziehung) färbt man die drei Linien mit den Ampelfarben. Dadurch wird der Tonikadreiklang zusätzlich hervorgehoben.
.... = tiefe 5 / ___ grün = 1 / ___ gelb = 3 / ___ rot = 5 / .... = 8
Bei einfachen, kurzen Melodien sieht das zum Beispiel so aus.
Wenn man gelernt hat, wie man eine Melodie mit ihrer Klangachse in Bezug setzt, hat man im Melodietonraum eine Orientierungshilfe, die das Auswenigspielen enorm erleichtert. Es lohnt sich daher, sich das Bauprinzip der "Klangachse" zu merken und auf seinem Instrument systematisch in verschiedenen Tonarten zu üben. Kombiniert mit dem Skalentraining verschiedener Tonarten ergibt dies bei fortgeschrittenen Instrumentalisten einerseits die Basis für das Transponieren und andererseits die Basis für das Improvisieren im Sinne von spontanem Komponieren. Die Orientierung im Tonraum funktioniert nur, wenn man die Systematik des Tonsystems kennt. Ohne diese Grundkenntnisse bleibt einem nur das intuitive Erfassen.
Was hilft einem, vom intuitiven Fließen lassen der Melodien zum bewussten Gestalten von Melodien zu kommen?
Vergleicht man eine große Anzahl Melodien (am einfachsten mit
Melografie) erkennt man wiederkehrende Motive in wechselnden Zusammenhängen. Wenn man sich beim Üben der Melodien zunächst auf eine Tonart konzentriert, werden die Finger die Motive früher oder später automatisch greifen. Merkt man sich zusätzlich die Beziehung zur Klangachse, erleichtert dieses Wissen unter anderem das Transponieren in verschiedene Tonarten.
Es gibt verschiedene Methoden, sich das Repertoire an melodischen Motiven systematisch zu erarbeiten. Etüdensammlungen zum Beispiel führen systematisch durch Studien verschiedener melodischer Motive. Das mag aber nicht jeder. Ich arbeite gerne mit der Methodik der Basalen Musikerziehung. Die Methode "verpackt" die systematische Erschließung melodischer Motive in eine passend ausgewählte Sammlung von Liedern und Spielstücken. Man beginnt mit dem Ruf (Sprung von der 5. zur 3. Stufe). Durch Hinzunahme der 6. Stufe entsteht der "geweitete Ruf". Bereits in diesem begrenzten Tonraum kann man verschiedene Motive erfinden, die man entweder intuitiv oder bewusst die Transpositionsregeln befolgend in verschiedene Tonarten transponiert. Man kann die Transpositionsübungen aber auch erst einmal weg lassen und sich auf eine Tonart konzentrieren.
Ergänzt man den Tonvorrat 3 - 5 6 mit der 1 (> 1 - 3 - 5 6) ist der Tonika-Dreiklang komplett und ermöglicht weitere Motive. Dieser Tonraum wird durch Hinzunahme der Stufe 2 zu einer pentatonischen Leiter (1 2 3 - 5 6) und durch Hinzunahme der 4 zu einer kurzen diatonischen Leiter (1 2 3 4 5 6). Weitere Tonstufen ermöglichen immer vielfältiger werdene Möglichkeiten, Motive zu entwickeln.
Melodische Grundmotive sind wie Bausteine, die man auf immer wieder neue Weise kombinieren kann. Das kann ganz intuitiv ohne Kenntnis von Kompositionsgesetzen funktionieren und es macht Spaß, auf diese Weise zu neuen Melodien zu finden. Allerdings sind Kompositionsgesetze nicht ohne Grund entstanden und auch wieder über den Haufen geworfen worden :-D. Sich damit zu beschäftigen, kann sehr interessant sein.
Melodien aus dem Gedächtnis auf der Blockflöte spielen zu können
Der Schlüssel dazu ist, sich Zusammenhänge zu merken und zu verstehen, was in der Melodie passiert.
Wenn man Schwierigkeiten hat, sich einzelne Motive oder ganze Abfolgen = Melodien zu merken, kann die ganzheitliche Darstellung mit der
Melografie (Musikschrift von Karl Foltz) helfen. Am besten funktioniert das, wenn man zusätzlich gelernt hat, den in der Melografie sichtbar werdenden Melodieverlauf mit Worten zu beschreiben.
Melografie kann auch helfen,
- das Notenbild zu entschlüsseln
- beim Diminuieren Motive zu finden
Wenn Dich mehr interessiert, kannst Du gerne nachhaken.
Ich bin sehr gespannt, auf welchem Weg Du in ein Musizieren hinein findest, das Dir gefällt.
Gruß
Lisa