Kann man eine Geige auch anders spielen als es üblich ist?

Nur mal aus Interesse: wenn ich das richtig verstanden habe würde eine halbe Geige (oder vielleicht auch 3/4) gehen? Warum willst du das denn nicht, wenn es ginge? Ich selbst würde in so einer Situation vermutlich eher in normaler Haltung mit einem kleineren Instrument spielen als eine andere Haltung zu lernen. Das haben selbst große Künstler so gemacht, im Grieg-Museum steht ein Klavier, das extra für seine Finger mit kleineren Tasten angefertigt wurde, wenn ich mich richtig an die Führung dort erinnere.
 
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Deshalb werde ich einen Termin beim Orthopäden machen und danach nochmals berichten.
Hallo, idealerweise findest Du einen Spezialisten in Sachen Orthopädie für Musiker in Deiner Nähe. Der klassische breitbandig aufgestellte Orthopäde ist zwangsläufig nicht immer total firm in diesem Spezialbereich. Viel Erfolg!
 
Gerne möchte aus der Perspektive eines Musiker-Dispokinesiopaeden (auch "Musiker-Dispokineter", hier ein Link dazu auf eine Seite eines befreundeten Kollegen: https://www.musik-und-disposition.de/html/dispokinesis.html) etwas zum vom TE angesprochenen Problem schreiben.
Tatsächlich wird man nur sehr wenige Instrumentalpädagogen, Dozenten und Professoren an Musikschulen und Musikhochschulen finden, die tieferen Einblick und eine einigermaßen dezidierte Ahnung in bzw. von Anatomie, Physiologie und den daraus ableitbaren Konsequenzen für die Instrumentaltechnik und das Musizieren haben.
Ich darf sagen, dass Musiker (Instrumentalisten/Sänger) mit der Zusatzausbildung zum Musiker-Dispokineter hier eine Ausnahme bilden, denn im Rahmen der Ausbildung findet eine Vertiefung in diese Themen statt. Mit einem Medizinstudium sind diese Unterrichtsstunden natürlich in keiner Weise vergleichbar, aber insbesondere die Zusammenhänge zwischen anatomischen und physiologischen Gegebenheiten und Instrumentalmotorik/Atmung/Singen werden sehr zielgerichtet vermittelt.

Leider ist die Zahl der fertig ausgebildeten Musiker-Dispokineter nicht sehr groß, so dass sich nicht immer eine Dispokineterin/ein Dispokineter in der Näher finden lässt.
[@Heliogabalus, bei Interesse schicke ich dir gerne einige Adressen dazu per PM.]

Was steht bisher im Raum?
Der Verdacht auf verkürzte Sehnen und die Beobachtung von vergleichsweise kurzen Fingern. Während die Fingerlängen jedem einsehbar sind und auch eine daraus eventuell herzuleitende Problematik, ein bestimmtes Instrument zu spielen, entzieht sich die Betrachtung der Sehnen aus naheliegenden Gründen als innen liegende Strukturen der direkten Beobachtung, dem Laien sowieso.
Wobei es durchaus Auffälligkeiten gibt, die von auch Laien nicht zu übersehen sind und die jeden spätestens bei genauerem Hinsehen stutzig machen werden.
Ein Beispiel einer pathologischen Verkürzung von Sehnen der Hand ist die "Dupuytren-Kontraktur" / "Morbus Dupuytren" [https://lime-medical.de/handverletzung/morbus-dupuytren/]. Ab einem gewissen Fortschreiten dieser Erkrankung ist die Verkrümmung der Finger auch von Laien nicht mehr zu übersehen.
Musiker-Dispokinesiopaeden sollten auf jeden Fall in der Lage sein, eine Überblicks-Diagnose einer pathologischen Veränderung zu erkennen und einzuordnen, auch, krankhafte Veränderungen grundsätzlich von individuellen anatomischen Variabilitäten zu unterscheiden.
Zur genaueren, möglichst endgültigen, diagnostischen Abklärung würde jeder Musiker-Dispokineter aber selbstverständlich die betroffene Person bitten, einen entsprechenden Fachmediziner aufzusuchen.

@Heliogabalus, du schreibst, dass die (mutmaßliche) "Verkürzung" an beiden Händen gleich ist. Das deutet zunächst einmal auf eine individuelle anatomischer Eigenart hin, vor allem, wenn du ansonsten keine Beschwerden hast.
Unterdurchschnittlich kurze Finger sind hingegen in aller Regel nichts pathologisches, sondern nur einfach "individuelle Anatomie".

Von mir also auch erst mal der Rat, einen guten Orthopaeden oder vielleicht sogar direkt Handchirurgen aufzusuchen, um eine profunde Diagnose zu bekommen. Dabei ist natürlich klar, dass es gegen zu kurze Finger keine Art von Behandlung oder gar Operation gibt. Bei bestimmten Problemen des Bindegewebes, hier Sehnen, kann dagegen operativ Abhilfe geschaffen werden - z.B. bei der schon erwähnten "Dupuytren-Kontraktur".
Dabei sah G.O. van de Klashorst (der Begründer der Dispokinesis) eine Operation stets als letztes Mittel an, wenn etwa abzusehen war, dass über das Konzept der Disokinesis-Übungen und -Urgestalten das Ziel der freien und ungehemmten Bewegung am Instrument wegen extremer Verkürzungen oder Verwachsungen von Sehnen nicht erreichbar sein würde.
Die Zahl der Fälle mit operativem Eingriff war aber in seiner sehr langjährigen Praxis sehr, sehr klein. Es gibt auch sozusagen antrainierte Verkürzungen des Gewebes (Muskeln und Sehnen) durch verkrampfte und zu kleinräumige Bewegungen über viele Jahre hinweg (gerade eine falsche und wie van de Klashorst es nannte "adzentrische" Instrumentalmotorik ist prädestiniert, Verkürzungen hervorzurufen, z.B. das bei Cellospielern immer wieder anzutreffende "Pectoralis minor-Syndrom).
Diese können durch entsprechende Übungen und vor allem Umstellung der Instrumentalmotorik hin zu einer "ezentrischen" Motorik wieder frei werden und ihre gute Länge zuück finden [kein Schreibfehler, das Wortpaar "adzentrisch - ezentrisch" ist eine definierende Wortschöpfung von van de Klashorst, der damit genau der Verwechselung mit den auch in anderen Zusammenhängen gebrauchten Worte "konzentrisch" und "exzentrisch" vorbeugen wollte, denn diese meinen oft etwas ganz anderes].

Verkürzungen der Sehnen sollte eigentlich jeder halbwegs gute Orthopaede diagnostizieren können. Leider sind wirklich gute Orthopaeden in Deutschland eine seltene Spezies und wenn nicht eindeutig eine OP angesagt ist (wozu die Orthopaeden an einen entsprechenden Chirurgen überweisen), dann können die Mediziner Musikern auch nicht mehr weiter helfen. Denn kaum ein Mediziner hat wirklich profunde Kenntnisse von Instrumentalmotorik und Instrumental-Ergonomie (es gibt zwar unter den Medizinern nicht selten welche, die selber ein Instrument spielen, aber gemessen an der Gesamtzahl der Mediziner sind das unter dem Strich doch nur wenige, und dann müsste sich der Mediziner in deinem Fall auch noch genauer mit Geige und Gambe auskennen).
Ein Tipp, den ich geben möchte, ist, sich an die "DGfMM" zu wenden ("Deutsche Gesellschaft für Musiker-Medizin - https://dgfmm.org/) um nach Adressen in deiner Gegend zu fragen. Etablierte spezielle Praxen für Musiker-Medizin finden sich u.a. an den Musikhochschulen in Hannover und Freiburg, dorthin kannst du dich auch zur Beratung wenden.

Sollten sich dort keine Perspektiven ergeben, weil z.B. an den Fingern und Sehnen nichts pathologisches feststellbar ist was eine OP rechtfertigen würde, würde ich dir raten eine(n) Musiker-Dispokineter/Dispokineterin aufzusuchen. Wie gesagt, kann ich dir dazu gerne weitere Infos per PM schicken. Eventuell aber auch schon vor einer OP, denn in nicht wenigen Fällen wirde - gerade in Deutschland - vorschnell zu einer OP geraten. Vielleicht ergeben sich bei der Anamnese durch einen erfahrenen Musiker-Dispokineter Perspektiven, die eine OP überflüssig machen.
Ebenfalls würde ich zu dieser Konsultation raten, sollte es zu einer OP kommen, damit im Anschluss hinsichtlich der Motorik an der Geige möglichst ein guter Weg eingeschlagen wird.

 
Grund: Scheribfehler korrigiert
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Nur ganz allgemein: In den meisten größeren Städten (also solchen mit mindestens einem größeren Sinfonieorchester und/oder einem Opernhaus) gibt es Orthopäden, die sich auf die Probleme von Musikern spezialisiert haben. Also so etwas Ähnliches wie der Kollege @LoboMix grade beschrieben hat, nur von der medizinischen Seite ausgehend statt von der musikalischen. München, Frankfurt, Hamburg, Berlin wären da meine ersten Anlaufstellen, je nachdem, wo Du wohnst, @Heliogabalus.
 
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... jetzt ist mir noch etwas aufgefallen, was ich zunächst etwas überlesen hatte:
Es soll so sein, dass meine Hand oder das Handgelenk oder etwas da drinnen verkürzt ist und ich deshalb diese normale Drehbewegung nicht schaffe.
(kursive Hervorhebung von mir)

Die "normale Drehbewegung" mit der die linke Hand zum Griffbrett gedreht wird, ist die Supination. Zusätzlich findet oft eine Einwärts-Beugung der Hand statt ("Palmarflexion") um die G-Saite besser zu erreichen.
Die Supination ist nun allerdings keine Sache des Handgelenks oder der Hand selber von den ausführenden Muskeln und ihren Sehnen her (dafür sind drei Muskeln im Arm zuständig, näheres hier: Supination). Eventuelle Verkürzungen in der Hand oder am Handgelenk sind daher für die Supination unerheblich. Wenn da jemand einen Zusammenhang hergestellt hat, wäre das Unsinn.
Bei der Flexion der Hand selber kämen hingegen eher die Sehnen der Hand- und Fingermuskeln sowie die Sehnen am und um das Handgelenk in den Fokus.

Wie weit die Supination gehen kann ist wiederum in der Hauptsache von der Freiheit in den beteiligten Gelenken abhängig. Diese können eine sehr weite aber auch eine sehr enge Beweglichkeit gestatten. Das ist einfach die individuelle Variabilität der Anatomie. Diese ist zwar von Mensch zu Mensch vom grundsätzlichen Aufbau her identisch, aber in der genauen Ausprägung nun mal verschieden. Es sind ja auch nicht alle Menschen gleich groß usw.
Es kann auch in seltenen Fällen Verkürzungen oder Verwachsungen von Sehnen geben bei diesen Muskeln, die den Umfang der Supination limitieren, und diese könnten auch unter Umständen operativ behandelt werden. Das erfordert allerdings eine sehr genaue Diagnose.

Van de Klashorst hat in meinem Ausbildungskurs mal von einem Fall eines Geigers berichtet, dem er eine solche Operation an diesen Sehnen angeraten hat. Aber der Fall war sehr speziell. Als Student hatte der Betreffende noch keine Probleme, diese traten erst im Laufe der Zeit auf, als er schon 1. Geiger in einem Orchester war. Die Ursache war nicht krankhaft, sondern durch den ganz normalen Entwicklungs- und Alterungsprozess bedingt. Der Knochen- und Sehnenapparat ist erst etwa um die Mitte der zwanziger Jahre beim Menschen ausgewachsen. Je jünger man ist, desto beweglicher sind alle Gelenke und durch die zunehmende Verknöcherung und Stabilisierung schränkt sich diese anfänglich schon eigentliche (nicht pathologische!) Hypermobilität immer mehr ein. Bei diesem Geiger war es nun so, dass er noch ganz gut über sein Studium und die ersten Berufsjahre kam mit seinen Gelenken, diese aber durch das Auswachsen immer eingeschränkter wurden.
Zwar wachsen die Gewebe (Knochen und Sehnen) innerhalb eines gewissen Rahmens sozusagen entlang der Beanspruchung und Nutzung, aber nicht willkürlich an ihrem genetisch vorbestimmten Rahmen völlig vorbei.
Bei diesem Geiger hätte eine sehr fachliche und gründliche Beurteilung der Beweglichkeit zu einer viel früheren Zeit, z.B. noch vor dem Studium, vielleicht zu dem Rat geführt, besser nicht Geige zu studieren. Denn ein sehr fachkundiger Untersucher kann beurteilen, wohin ´die Reise geht´ in der Entwicklung.
Nun war er aber schon Profigeiger und ihm drohte die Arbeitsunfähigkeit. Deshalb kam von van de Klashorst speziell für diesen Menschen die Empfehlung zu einer operativen Korrektur bzw. Anpassung um die Supination wieder mehr zu befreien. Soweit ich mich erinnere wohl nur bei den Sehnen und nicht an den Knochen (das hätte van de Klashorst nie empfohlen), denn er hatte die Prognose, dass eine Erweiterung an den Sehnen ausreichen müsste um die für das Geigenspiel im Orchester nötige Freiheit zu erlangen.

Bei einem Amateur hätte er diese Empfehlung aber sicher nicht ausgesprochen. Der Aufwand ist nicht unbeträchtlich und die Kosten würden bei einem Amateur sicher nicht von einer Krankenkasse übernommen. Denn die Ursache war nun mal anatomisch und nicht krankhaft.
Hinzu kommt, dass ein Amateur nicht verpflichtet ist, Abend für Abend komplexe und technisch schwierige Literatur zu spielen, sondern er kann durchaus auch auf einfachere Literatur ausweichen, sie ggf. auch etwas anpassen.
Desweiteren kann versucht werden, die Spieltechnik - hier konkret die Führung der linken Hand am Griffbrett - so anzupassen, dass die anatomische Bewegungseinschränkung sich nicht bzw. weniger behindernd auf das Spielen auswirkt. Das kann zu Lösungen führen, die den "Lehrbuchweisheiten" widersprechen und die normale Geigenlehrer wahrscheinlich ablehnen würden, die aber zum individuellen Bewegungskostüm mit seinen speziellen Beschränkungen viel besser passt.
Im Ergebnis kann es gelingen, dass das Spielen viel besser geht, dann natürlich auch viel mehr Spaß macht, auch wenn die ganz virtuose Literatur außer Reichweite bleiben mag.
Diese Lösungen mit dem Schüler zu suchen ist eine originäre Aufgabe eines Musiker-Dispokineters.

Es kann aber auch alles ganz anders sein:
Wenn die Ursache der Einschränkung gar nicht originär anatomisch ist, sondern das Ergebnis einer erworbenen Fehl-Haltung, eines erworbenen Fehl-Stereotyps, einer Indisposition (wie ich schon schrieb, können auch Verkürzungen erworben sein!) dann bestünde sogar die Aussicht, das Problem vollständig in den Griff zu bekommen über die sog. "Re-Education von Haltung und Bewegung" über das Konzept der "Urgestalten von Haltung und Bewegung" wie es von van de Klashorst entwickelt wurde.
Aber ehrlicherweise muss gesagt werden, dass dieser Prozess im Allgemeinen ein recht langwieriger ist, der vom Schüler eine intensive und disziplinierte Mitarbeit verlangt. Die Überwindung langjährig manifester Fehl-Stereotype ist eine fordernde Sache, denn der Körper hat diese Fehlstereotype nun mal "allzugut" gelernt und will immer wieder in sie zurück fallen.

Nun ja, viele "Wenns" und viel Spekulation, was ich hier schreibe. Erst mal muss eine profunde Diagnose her, @Heliogabalus.
Ich drück dir die Daumen, dass du einen kompetenten Mediziner und Ansprechpartner findest!
 
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