Kadenz: sP-dP-tV

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Freiberger
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Hallo Musiker!

Ich bin neu hier und möchte mich kurz vorstellen. Ich bin studierender Kirchenmusiker aus Sachsen mit starkem Hang zu allem Theoretischen. Schwerpunkte meiner Arbeit sind Chorleitung, alles Liturgische sowie Orgel, Klavier, (Lagerfeuer-)Gitarre und eigene Kompositionen (vorwiegend Stilkopien, Transskriptionen, Adaptionen, Arrangements und Bearbeitungen hauptsächlich für gemischten Chor).

Ich lese schon ne ganze Weile im Board mit, aber heute will ich erstmals selber eine Frage stellen, die mir bislang noch keiner recht beantworten konnte.
Und zwar geht es um einen Namen oder eine korrekte Bezeichnung für folgende Kadenz: sP - dP - tV. (tV = Variantklang der Moll-Tonika)


Konkretes Beispiel:

Ausgangstonart F-dur. Es kommen zum Phrasenende mit Schlußwirkung folgende Akkorde vor: [...] F - Bb - Db - Eb - F.
Db und Eb sind ja leiterfremde Akkorde, die aber in ihrem ganztönigen Fortschreiten gen Tonika einen gewissen Kadenzcharakter aufweisen.
Nun ist diese Reihung mitnichten lehrbuchhaft verbrieft, wenngleich sie nicht selten vorkommt
(das Beispiel stammt aus ABBA: "S.O.S." an folgender Stelle im Refrain: [...] "When you're gone. How can I even try to go on [...])

Ich wüßte gern wie man diese Kadenz richtig bezeichnet. Ich hörte mal was von "Spanischer Kadenz". Aber das scheint in die falsche Richtung zu führen, denn nach meinem Verständnis führt das ganz schnell zur "Andalusischen Kadenz" mit i - VII - VI - V (Am - G - F - E). Also das kann's denk ich nicht sein.

Vielleicht hat hier jemand einen besseren Vorschlag.
Vielen Dank schonmal.

Gruß, H.S.
 
Eigenschaft
 
Hi,

Im Prinzip ist die Folge
| Db Eb | F | nichts anderes als
| Bbm7 Eb7 | F | , da Db und Bbm7 austauschbar sind. Es sind beides SDM (Subdominantmoll) Akkorde.
Ebenso ist Eb (oder auch Eb7) ein SDM Akkord.

Manche nennen diese Kadenz "Backdoor Cadence". Im Prinzip ist es aber eine Kadenz mit 2 sukzessiven Mollsubdominantakkorden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ausgangstonart F-dur. Es kommen zum Phrasenende mit Schlußwirkung folgende Akkorde vor: [...] F - Bb - Db - Eb - F.
Db und Eb sind ja leiterfremde Akkorde, die aber in ihrem ganztönigen Fortschreiten gen Tonika einen gewissen Kadenzcharakter aufweisen.
Nun ist diese Reihung mitnichten lehrbuchhaft verbrieft, wenngleich sie nicht selten vorkommt
(das Beispiel stammt aus ABBA: "S.O.S." an folgender Stelle im Refrain: [...] "When you're gone. How can I even try to go on [...])

Ich wüßte gern wie man diese Kadenz richtig bezeichnet.

Nun, du willst wissen, wie man von der Ausgangstonart D-Moll, die über Sequenzen sich zur Dur-Parallele gewendet hat, wieder nach Moll zurückkommt, ohne dass eine Standard-Kadenz verwendet wird. Die tatsächlich hier verwendete Kadenz nimmt den Umweg über Tritonusvertreter. Begonnen wird sie in der Melodie, sehr auffällig, mit einem as. Der Ton kann nun sowohl b3 zu F-Dur als auch b5 zu D-Moll sein - Tatsächlich ist er letzteres. Über As-Dur wird die Progression IIm IV V7 aufgebaut. Die Stufe VI ist durch F-Dur dargestellt und ist Zwischen-D. zur IIm. Letztlich fortgesetzt wird aber nicht mit As-Dur, sondern D-Moll, wobei Eb7 sich als N7 zu D-Moll verhält. Die Stufe IIm (Bbm) nimmt die dorische Skala. IIm7 und V7 sind sowohl SDM-Akkorde zu D-Moll wie zu F-Dur (enthalten einen Ton b6 jeweils zu beiden Tonarten).

Der Trick liegt im Beginn: In der enharmonischen Verwechslung von b3 und b5 und dem damit erzielten Überraschungseffekt. Wie man die Kadenz bezeichnet? Egal welchen Zielakkord man wählt: Bb(m) und Db sind subdom. bzw. doppeldom. aufzufassen, Eb(7) dominantisch - also S - D - T(v). (v) steht für Vertreter (Parallele, Tritonusvertreter).
 
Oh, vielen Dank für die aufschlussreichen Antworten! Damit kann ich arbeiten....
 
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... geht es um einen Namen oder eine korrekte Bezeichnung für folgende Kadenz: sP - dP - tV. (tV = Variantklang der Moll-Tonika)
Ich habe aus folgenden Gründen meine Zweifel, ob man diese Akkordfolge überhaupt als Kadenz (im engeren Sinne) bezeichnen sollte:

- Kadenz kommt von lat. cadere = fallen. Ürsprünglich fiel da mal eine Sekunde (die 2 zur 1 des Tenors (Unterstimme) in den frühen Kadenzen des zweistimmigen Satzes. Später fiel im Bass die Quinte.
Im Beispiel fällt nichts.

- Um eine Schlusswirkung in einer "normgerechten" Kadenz zu erzielen, wäre ein Halbtonanschluss (wg. Leitton) erforderlich - seit der frühen Zweistimmigkeit. Dies traf auch auf alle Kirchentonarten zu, in denen deshalb durch Versetzungszeichen der Leitton erzeugt wurde. Durch häufigere Anwendung von Versetzungszeichen entwickelte sich eine Angleichung der Kirchentonarten, aus denen dann Dur und Moll entstand, mit den Kadenzen T-S-D-T bzw. t-s-D-T.
Im Beispiel führt kein Leitton zum Grundton. (In der Andalusischen Kadenz (phrygische Deutung) wäre dies übrigens der Fall, siehe dazu auch diesen Post.)

Noch zur Deutung aus Sicht der Dur-Moll-Tonalität bzw. Funktionstheorie:

Wenn man berücksichtigt, daß es sich bei den Akkorden sP und dP lediglich um Nebenfunktionen handelt, die ohne Leiton zum Grundton führen, so stellt sich die Frage, inwiefern eine funktionstheoretische Deutung überhaupt sinnvoll ist.

Daher eine andere Erklärung für die Schlusswirkung, die ja tatsächlich vorhanden ist:

Es handelt sich bei den als sP und dP bezeichneten Akkorden um die bVI und bVII aus dem gleichnamigen äolischen Modus, der im Sinne einer Picardschen Terz mit Dur abschließt.

Die Umwandlung des Tongeschlechts eines Akkordes in modaler Musik ist übrigens auch historisch nichts besonderes:
Leitereigene Mollakkorde werden beinahe automatisch auch in ihrer verdurten Form verwendet.
(Reinhard Amon bei einer Darstellung des Tonvorrats und der verwendeten Akkorde im Kantionalsatz ab ca. 1580,
in: Lexikon der Harmonielehre: Nachschlagewerk zur durmolltonalen Harmonik mit Analysechiffren für Funktionen, Stufen und Jazzakkorde (2005), S.166)

Ich würde bVI - bVII - I als eine modale/äolische Akkordfolge bezeichnen, bei der die harmonischen Funktionen in den Hintergrund treten. Die Schlußkraft beruht letzlich darauf, daß sich die Begleitung die äolische Tonleiter -akkordisch unterstützt- aufwärts bewegt und mit der Tonika abschließt.

Im Song werden insgesamt folgende Tonarten eingesetzt:

Vers: Moll
Chorus: Paralleles Dur plus modale Elemente aus Äolisch.

Seit Mitte des 19. Jahrhundert gibt es vermehrt Rückgriffe auf die modale Musik, um die als eng empfundene einfachere reine Dur-Moll-tonale Musik zu bereichern. In der Popularmusik geschah dies v.a. ab den 60er-Jahren, als man die "blue notes" des Blues harmonisierte (mit bVII, bIII und bVI), der Leitton zunehmend entmachtet wurde und man sich mehr auf den subdominantischen Bereich sowie Moll stützte. Von daher sind die "Blues-Akkorde" in Dur beliebt. Harmonisierte Blue-Notes und äolische Akkordfolgen reichen sich die Hände.

Viele Grüße
Klaus
 
Im Song werden insgesamt folgende Tonarten eingesetzt:

Vers: Moll
Chorus: Paralleles Dur plus modale Elemente aus Äolisch.

Zunächst zur Progression: Die Folge IV bVI bVII I(m) ist bestens bekannt aus dem Song "White Room" von Cream. Trotz bVI (MI, vertritt IV) hat die Progression insgesamt eine dorische Farbe. "White Room" verwendet aber auch Moll in funktionsharmonischer Hinsicht.


Zu "S.O.S":
Der Vers ist in Moll - funktionsharmonisch bestätigt. Klar. Der Song wendet sich zur Durparallele. Auch klar. Aber dann kommt ein funktionaler Wechsel. Die Skala, in der dieser Wechsel stattfindet, ist Dorisch (von B(b) ausgehend) - das gibt den insgesamt rockigen Sound. Die Skala klingt auch "bluesig" - weil die Skala dem als kurzfristig tonikal gehörten F-Dur die Töne b3 und b7 beigibt. Aber es klingt nichts, überhaupt nichts, nach "äolisch-modal".

Und die Frage ist: Warum zitiert ein "studierender Kirchenmusiker" ausgerechnet diesen "Schlager" aus dem Jahr 1975? Und warum habe ich diesen Schlager schon zitiert? Ganz einfach: Weil man unter Verwendung dieser Progression - mühelos - von F-Dur nach D-Moll wechseln kann, man ist sofort in der Tonart D-Moll (man braucht diese nicht durch einen VII° o.ä. zu bestätigen). Es handelt sich zwar nicht um eine Kadenz, aber im funktionalen Zusammenhang um eine modulierende Progression. Der Akkord Eb (eig. sogar Eb7 wg. Db) ist ein N7 zu Dm (könnte auch als V7b9b5 o. Grundton geschrieben werden). Eine phrygische Wendung würde entstehen, wenn ABBA statt Dm D erklingen ließen (was sie natürlich vermeiden).

Was uns zur nächsten Frage führt: Was ist Moll? Moll ist dann, wenn die Dominante die phrygische Skala funktional verwendet: Im Wechsel von phrygisch zu phrygisch-dominant. Die phrygische Skala enthält einen Neapolitaner, der den Wechsel von phryg. zu phryg.dom auslöst:
z.B. Vm bVI V(7) . Die Dominante hat daher in Moll eine zentrale Stellung. Man kann diese Übergänge auch auf der Tonika umsetzen:
Im bII I(7) . Wir können auch Im bII I | Vm bVI V | Im bII I | Vm bVI V | (usw) nacheinander spielen - es ist die gleiche Klangfarbe, bloß quintversetzt. Jede dieser 3-er Gruppen beansprucht sofort für sich, tonikal zu sein - so stark ist die Wirkung. Wir können sowohl von der I als auch von der V "quintfallen" und gelangen auf den Auflösungsakkord. Der Auflösungsakkord ist nur noch schwaches Substitut eines viel stärkeren tonikalen Konstruktes. Ihn selbst noch als tonikal zu bezeichnen, ist reine Definitionsfrage. Er ist überdies überflüssig, da er elliptisch beim verdurten Akkord mitgehört wird. Man kann ihn natürlich trotzdem verwenden. Der phrygische Schluss ist ein Zwitter zwischen Halb- und Ganz-Schluss.
 
Und die Frage ist: Warum zitiert ein "studierender Kirchenmusiker" ausgerechnet diesen "Schlager" aus dem Jahr 1975? Und warum habe ich diesen Schlager schon zitiert? Ganz einfach: Weil man unter Verwendung dieser Progression - mühelos - von F-Dur nach D-Moll wechseln kann ... Der Akkord Eb (eig. sogar Eb7 wg. Db) ist ein N7 zu Dm
komische Begründung. Wozu sollte diese Überlegung gut sein? Die Wendung Eb7-Dm kommt doch gar nicht vor. Stattdessen - und das ist ein weiterer Reiz des Songs - wechselt er zum Vers immer wieder abrupt nach moll. Ohne jede Modulation.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber es klingt nichts, überhaupt nichts, nach "äolisch-modal".
Harmonisierte Blue-Notes und äolische Akkordfolgen reichen sich die Hände.
Ich arbeite mal beide Komponenten des Songs (2. Teil des Chorus) heraus; die äolische Akkordfolge und den bluesigen Anteil.

Zur Verdeutlichung zunächst eine Hörprobe der amerikanischen Nationalhymne, in der eigentlich weder bVI noch bVII vorkommen (Lead-Sheet). Dennoch erscheint es als abschließender Höhepunkt, wenn in der Fassung von Beyoncé (youtube) die aus dem Äolischen geborgten Akkorde vor erreichen der Tonika anhängt werden (Moll-Trugschluß) und mit dem Dur-Akkord (Picardsche Terz) abgeschlossen wird - sozusagen wurden, neben dem Überraschungseffekt, die abwechslungsreichen, aber dunkleren äolischen Akkorden eingeführt, um dem Schluss mit dem helleren Dur einen zusätzlichen Glanz zu verleihen.

Entsprechendes könnte man z.B. bei vielen I-IV-V-I-Songs machen, die dadurch einen Farbtupfer bzw. Höhepunkt bekämen.

Man könnte auch, ähnlich wie im ABBA-Song, in der Grundkadenz die V durch bVI-bVII ersetzen und hätte einen analogen Effekt:
Dur-Kadenz_äolisch.png

MIDI: Dur-Kadenz_äolisch.mid

Bisher haben wir nur Akkorde aus Äolisch in Dur verwendet und der letzte Takt klingt auch danach und kaum nach Blues.

Nun zur bluesigen Komponente:

In der ersten Hälfte des Chorus wurde Dur etabliert.
(Oder sind es nicht vielmehr ionische Akkordfolgen? Wir hatten keine Vollkadenz, sondern nur eine plagale. Des weiteren ging die V nicht zur I, sondern zur IIm.)
Nun beginnt die zweite Hälfte des Chorus. Der Gesang setzt mit dem Ton 3b ein. Dieser ist eine "Blue Note" und die Blues-Assoziation wir sofort verstärkt durch die unmittelbar folgende IV, in der dieser Ton die Septime darstellt. (Man spiele nacheinander die Akkorde C und F7 und es klingt schon nach Blues.)
Der Ton 3b, sowie die Töne 2 und 1, werden nun mit äolischen Akkorden bVI und bVII harmonisiert. Es wird mit der I abgeschlossen, die man aus Sicht des äolischen Modus als Picardschen Dur-Akkord sehen kann. Aus Sicht des Blues würde die Blue-Note zur Durterz hochgezogen wenn sie Melodieton wäre. Der zugrundleigende Akkord wäre ohnehin die Dur-Tonika.

Harmonisierte Blue-Notes und äolische Akkordfolgen reichen sich die Hände.

Viele Grüße
Klaus
 

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  • Dur-Kadenz_äolisch.mid
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Zuletzt bearbeitet:
Zu einer sieben-tönigen Skala gibt es 14 ungeordnete Tripel mit der Eigenschaft, dass sie jeweils alle Töne der Skala benennen; diese sind

tripel.png


Das hier betrachtete (geordnete) Quadrupel [IV VI VII I] enthält von den obigen Tripeln als geordnete mit I am Schluss die folgenden:
[IV VI I] , [IV VII I] und [VI VII I]
14671.png

http://www.kielnet.net/home/erich.meyer/14671.midi


Wird man die alle benennen wollen? wohl eher nicht.

Gruß Erich
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich hab mir jetzt die Songs nicht angehört, aber wenn die Akkordverbindung wirklich so vorkommt:

| F | Bb | Db | Eb | F |

bzw.

| Imaj7 | IVmaj7 | bVImaj7 | bVII7 | Imaj7 |

dann sollte klar sein, dass es sich bei bVImaj7 und bVII7 ganz klar um einen Modal interchange nach Äolisch handelt, oder eben einfacher ausgedrückt: um eine Mollsubdominate. Wie Cudo zu Anfang ja schon erwähnt hat.

Es handelt sich um ein ganz klischeehafte Akkordfortschreitung. Tritonussubstitution hat damit nichts zu tun auch wenn man sie theoretisch damit erklären könnte. Im Zusammenhang hört man aber deutlich den (Moll-)Subdominantcharakter. Das Ohr hat in solchen Dingen immer Recht.



Oh mann ... und jetzt lese ich dass der Thread schon zwei Monate alt ist. Naja. Ausgegraben ist er eh schon. ;)
 

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