MarkusL
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@Lunaberlin: wie sieht es eigentlich auf den etwas anspruchsvolleren Sessions aus, wenn man einen etwas banaleren Blues auflegt (so was wie Route 66)? Gibt's da Vorbehalte? Oder muss es schon aus der Feder der Großen stammen, wie es z.B. bei Monk's "Blue Monk" der Fall ist, um bei den jungen manchmal selbstverliebten aufstrebenden Instrumentalhelden keinen kritischen Blick zu riskieren?
Hm, "Route 66" habe ich (glaub ich) bisher noch nicht bei einer Jam Session gehört (Blue Monk allerdings soweit ich weiß auch nicht, aber mit den reinen Instrumental-Standards beschäftige ich mich ja auch noch nicht so lange, die erkenne ich nicht immer), aber ob das daher kommt, weil es "nicht erwünscht" ist - keine Ahnung.
Die Sessions, wo ich mich rumtreibe, sind glaube ich auch nicht die anspruchsvollsten der Stadt... ich war z.b. noch nicht im a-trane, weil es so spät anfängt und nur 1x im b-flat (da war´s mir an dem Abend aber auch ein wenig zu abgehoben), also keine Ahnung was da so gespielt wird.
Werde das mal demnächst gezielter auskundschaften...
...das "jazz-technologische" Niveau in Berlin ist allgemein recht hoch, und eigentlich finde ich das auch wünschenswert. Eigentlich. In den 90ern habe ich mich als mehr oder weniger konsequenter Vorkriegs-Jazzer recht viel auf Jams rumgetrieben - das meiste konnte ich allerdings (idiomatisch) kaum mitspielen, was nicht heißt, daß ich nicht wüßte, wie "Blue Monk" auf einer Jam zu begleiten wäre (p) - sowas geht natürlich schon. "Route 66" ist - idiomatisch gesehen - alles andere als einfach. Wenn man die Text-Phrasierung nicht kennt, kann man es nicht richtig spielen. De facto kann es kaum jemand richtig spielen, außer vielleicht konsequente Bigband-Musiker, die mehr solche Stücke zusammen gespielt haben - auf Jams ein gewisses Risiko. Fundierte Kenntnisse der Vorkriegs-Jazz-Idiome und den späten, swing-relevanten Jazzformen an den Berliner "Jazz-Instituten" ist mehr als dürftig, ein großer Teil der Dozenten weiß nicht wirklich, was sie da "nicht so wichtig finden", und das ist mittlerweile an fast allen Jazz-Instituten der Welt so. Scheint irgendwie der Lauf der Welt zu sein.
Was mir außerdem früher auf Berliner Jams oft ein bißchen auf den Keks ging, war, daß die meisten hier kaum was anderes als dieses langweilige, durchautomatisierte und Schul-formalisierte Aebersold-Gedudel spielen wollten, sich dabei auf feststehende Jam-Cliquen, entsprechende Hackordnungen und "wir sind der Nabel der Welt"-Haltung verlassend - das allerdings oft auch mit oft erstaunlicher Akrobatik, Selbstsicherheit und musikalischer Qualität - die ich wiederum oft bewundere - aber ich kann solches Zeug schlicht nicht spielen, und gleichzeitig Spaß haben - also lasse ich es sein.
Die in Berlin immer noch latente Abneigung gegen gut gespielten, älteren Jazz (alles vor 1960 außer Bop) als "irgendwie primitiv", "zu hart", "Opa-mäßig" usw. muß aber niemanden wirklich kratzen - Berlin ist keineswegs "der" Mittelpunkt der Jazzwelt.
Mein Tip: geht hin, wo man euch als die akzeptiert, die ihr seid. Lunaberlin: Bei den meisten Jams fehlt übrigens oft ein allgemein fundiertes Ellington/Strayhorn-Repertoire... interessiert dich sowas eigentlich?
Ansonsten denke ich:
Nachkriegs-Mainstream folgt gewissen Regeln, ohne die kann nicht wirklich angenehm gejammt werden, und die meisten allgemeinen, musikalischen Grundtugenden wie Gruppen-Kooperation, genaues Hinhören, stabile Time, Formengedächtnis, Konzentration und Entspanntheit sind natürlich immer mitzubringen - eigentlich sollte das immer so funktionieren. Sieh dich ausgiebig um, was für dich paßt, und hab Spaß.
Geht vielleicht mit Musikern hin, die ihr schon etwas besser kennt, dann steigen auch die Chancen auf Spaß. Und falls mal was nicht klappt, oder ihr Spannungen mit oder Naserümpfen von anderen Musikern bekommt - nehmts einfach gelassen und nicht allzu persönlich. Das wird schon, wenn ihr dran bleibt.
Im a-trane hattte ich einige der schönsten Abende überhaupt, aber ich wußte immer, wo ich mich befinde, und was ich mitmachen kann und was nicht. Manchmal kommt mir der eigentlich wunderschöne Laden wie ein Biotop vor, ein Kuriosum - ich meine das aber gar nicht mal unbedingt negativ - a-trane ist schon was besonderes, wie auch jeder andere Laden, der so lange existiert.
Grüße
ML