DerZauberer
Registrierter Benutzer
Ist die Frage, welche politische Ausrichtiung der Bluesfachmann hat...
Zudem ist die Frage, ob der Bluesfachmann dafür "alte Erkenntnisse" über Bord werfen müsste...
Naja, als sowieso verschriene Blues-Polizei hier im Forum beziehe ich da mal kurz Stellung zu.
Quasi alle der "bedeutenden" Fachleute sind keine konservativen Rednecks, sondern waren in der Zeit der großen Entdeckungen der Blues-Historie progressiv-linke Querdenker. Um in den 1940-60er Jahren als weißer Forscher "aus gutem Hause" auf den Spuren schwarzer Entertainer, Hobos und zwielichtiger Gestalten in den Südstaaten unterwegs zu sein, musste man schon recht weltoffen sein. Vielleicht hat ja jemand eine Chance, die Doku "Two Trains Runnin'" zu sehen, die eine solche Suche nach alten Bluesmen mit der Civil Rights Bewegung (MLK, Unruhen, etc.) auch zeitlich in Verbindung bringt. Heute sind auch einige schwarze Forscher mit dem "richtigen" Kulturellen Background mit dabei.
Aber: Klar waren die bedeutenden Forscher Weiße. Natürlich haben sie zum Teil ihre Forschungsgegenstände (meist schwarze Musiker) nicht oder falsch verstanden, auf sie herabgeschaut, beurteilt, nicht nur dokumentiert sondern auch gewertet. Sie haben die "wichtigen" Aufnahmen bestimmt/ausgewählt und die "unwichtigen" vergessen, nach Geschmack und eigenem Eindruck, nicht nach objektiv nachweisbaren Kriterien. Klar sind Sammler von Tür zu Tür getingelt und haben alten Damen die "schweren alten Schellackplatten" abgeschwatzt, von denen sie wussten, dass sie in der Community hunderte oder tausende Dollars wert sind.
Nur eben auch: Ohne diese paar Verrückte (und es waren nicht viele, man kommt immer wieder auf die selben Namen: Alan Lomax, Mack McCormack, Paul Oliver, Gayle Dean Wardlow, usw.) wüssten wir heute noch viel weniger bis gar nix über die Entstehungsgeschichte dieser Musik. Die sind rumgetingelt und haben die letzten überlebenden "alten" Starts gesucht, interviewed, und ihnen zum Teil zu neuem Ruhm und erstmals Geld und Anerkennung geholfen. Die haben Geburtsurkunden und Totenscheine gesucht, Gräber und Friedhöfe untersucht, Familiengeschichten rekonstruiert, Nachfahren geortet, Fotos gejagt, und vor allen Dingen Aufnahmen eingesammelt, konserviert, rekonstruiert.
Was man auch gerne vergisst: die meisten nicht als gut bezahlte Professoren, sondern als Privatleute auf eigene Rechnung - das Interesse in Öffentlichkeit, Forschung und Lehre war gering, Geld für solide Forschung gab es fast keins. Klar, dass die dann die Musik erforschen, die sie selbst gut/wichtig/relevant finden. Die Blues-Historiker, mit denen ich so im Kontakt war (und wie gesagt es sind nicht viele, die Community is klein aber auffindbar, diverse von ihnen treiben sich auch in Foren rum) waren jedenfalls allesamt durchaus vielseitig interessiert und echte Musik-Freaks (aber - also solche klarerweise nicht frei von eigenen Vorlieben).
Wir reden von einer Zeit, in deren Anfangsphase die Musik weder aufgeschrieben noch aufgenommen wurde, weil reine "Volks"musik, von Musiker zu Musiker weitergegeben, ohne Noten, Lehrbuch, und Aufnahmen. Erst in den 1920ern wurde diese Musik als Markt entdeckt und von der Plattenindustrie beackert, mit der Weltwirtschaftskrise war in den 1930ern aber schon wieder Ende und es ging erst in den 50er/60er Jahren wieder los mit Chicago Blues und Rock&Roll. Von daher sind diese "alten" Forschungserkenntnisse nach wie vor die besten, die wir haben - wenige alte Dokumente, wer wann was wo aufgenommen hat, ein paar Promo-Poster, Aufnahmen, und Interviews mit mittlerweile längst verstorbenen Zeitzeugen.
Das ist alles ein sehr schwammiges Feld - aber immerhin wissen wir heute deutlich mehr davon als in den 1960er Jahren. Viel mehr kann aber auch nicht mehr kommen, weil (1) nicht aufgeschrieben, (2) nicht aufgenommen, (3) verstorben.
Wir reden ja auch immer noch von Popmusik. Und wie wir alle wissen, kann man die Relevanz von Popmusik erst im Nachhinein bewerten: Robert Johnson war charttechnisch ein totaler Flop, aber bedeutungstechnisch auf den Rock ab den 1960er Jahren ein Gigant. Nick Drake Platten wollte auch keiner kaufen, heute ist er hochangesehen und Kult und verehrt. Viele gehypte tolle neue Artists werden one-hit-wonder und verschwinden. Und und und.
Also:
Kann es sein, dass man auf dem "roten" Auge blind war, weil man nur "schwarz" geschaut hat? Ja, kann es. Andererseits ist die Latino/Mexikanische Musik ebenso wie Country und Cajun und Jazz als Einflussfaktor durchaus gut erforscht.
Kann es sein, dass es einen indianischen Einfluss gab? Absolut, nur ist er eben abgesehen von Hypothesen und Indizien bisher weder untersucht noch nachgewiesen worden.
Kann es sein, dass beim einen oder anderen bedeutenden Blueser auch indianische Gene mit dabei waren? Absolut, das kann man als gesichert ansehen. Aber spielt das eine Rolle, wenn er in der schwarzen Community in Mississippi aufgewachsen ist?
Ich könnte jetzt anfangen mit der Besiedlungs-Geschichte der US-Südstaaten, der Verteilung der Native Americans innerhalb der USA (gerade Down South waren es nicht viele), der gelebten Indianer-Kultur Anfang des 20. Jahrhunderts (oder der Abwesenheit davon), Migrationsbewegungen, usw. - aber das wird dann eindeutig zu viel.
Ganz persönlich würde ich das so zusammenfassen:
1) Ich sehe es als erwiesen an, dass die Gene (=biologische Herkunft) einen maßgeblichen Einfluss auf musikalische Prägung haben. "Rhythmus im Blut" is gelernt, nicht gegeben. Das gilt im Blues ebenso wie im Samba.
2) Ich glaube (wichtiges Wort hier, glauben ist eben nicht wissen!) nicht, dass es einen nachweisbaren starken indianischen Einfluss auf die Entstehungsgeschichte des Blues gibt. Es gibt schlichtweg keine Aufnahmen/Noten, anhand denen man das auch nur ansatzweise erforschen könnte. Native Americans waren kein relevanter Markt, daher keine Aufnahmen. Und auch hier wurden Traditionen nur verbal weitergegeben und nicht aufgeschrieben.
3) Es braucht meiner Meinung nach aber etwas mehr als Aussagen von Musikern im Sinne von "aber das hört man doch ganz eindeutig" oder ein paar Indizien im Sinne von "das klingt doch wirklich ähnlich" oder ein gut gemachtes Filmchen.
4) Daher: Her mit den Beispielen, Hinweisen, Aufnahmen. Denn ich gehöre zur kleinen Schar Menschen, die sich freiwillig in stundenlangen Diskussionen über Popmusik, deren Historie und Influences und dem Anhören von obskuren Aufnahmen in miserabelster Sound-Qualität ergehen. Geile Indianermusik? Her damit. Kommt ebenso auf meine Ohren wie komische Sounds aus dem Nahen Osten, Afrika, oder Schottland.