Kann man nicht alles annähernd präzise notieren? Gibt es nicht zu jedem virtuosen Klavierstück gleichzeitig Noten?
Die Ausgangslage ist zum einen tatsächlich so, dass es im klassischen Bereich und auch im Jazz Notationen gibt, wenngleich diese oftmals nicht exakt sind und sich eben nur auf eine spezifische Notation beziehen. Auch im populären Bereich sind selbst beispielsweise die Angaben zu TABS, Akkorden oder Noten zu gängigen songs nicht verläßlich.
Wie sattelfest zum anderen Hobby-Sänger*innen mit Noten (und dann noch mal mit Ausnotierungen) sind, ist dann die zweite Frage. Schätzungsweise (meine Schätzung und mich eingeschlossen) haben mehr als die Hälfte kaum mehr als rudimentäre Kenntnisse. Die dritte Frage ist, wie viel das bringt, wenn die Original-Interpreten sich auch nicht an Noten orientiert haben.
Als meine Hörgewohnheiten noch untrainiert waren, gelang mir als Sänger auf der Bühne einfach nicht, den Einstieg zu „The Thrill is gone“ original zu treffen. Später besorgte ich mir die Noten. Schau an: beginnend auf „Eins und“ 3 Achteltriolen. Da war ich ja fast dran
Ein aktives Zuhören und ein sattelfestes Durchzählen würde zu dem gleichen Ergebnis führen - mit weniger Aufwand.
Umso größer meine Überraschung, dass ich seither im Netz nicht eine einzige Cover-Version fand, die dem originalen Einstieg von B.B. King halbwegs entspricht.
Aus dem Oben Gesagten heraus für mich eher keine Überraschung.
Für mich u.a. ein Beweis, dass sich sämtliche Cover-Sänger zu wenig mit den Finessen eines Textes beschäftigen.
Zustimmung zum einen. Zum anderen aber auch ein Beleg dafür, dass die Intention von Cover-Songs nicht sein muss, das Original 1:1 zu übernehmen - sondern eben ihre eigene Interpretation vorzulegen. Welche Qualität diese erreicht, steht dann noch mal auf einem anderen Blatt, wahrscheinlich aber auch nicht auf einem Notenblatt.
Für mich ist die Beschäftigung mit dem Text, dessen rhythmischer und lautmalerischer Struktur sowie dessen Bedeutung (der sich nicht auf den Text alleine bezieht, sondern beim Blues beispielsweise auf den Kontext sowie das Verständnis gängiger Codes in diesem Bereich: dust my broom ist keine Aufforderung, das Zimmer mit dem Besen durchzufegen, um nur mal ein shr offensichtliches Beispiel zu nennen.) Bedingung für eine gelungene Adaption. Aktives Zuhören und die Beschäftigung mit der Musik und dem Gesang als Umsetzungen einer stimmigen Interpretation gehört dazu, Notenkenntnis nicht unbedingt. Wer Noten kann und benutzt, für den wird das eine Hilfe sein, für andere eher ein Umweg.
Und manchmal nicht nur ein Umweg: immer wieder, auch hier auf dem Forum, stehen selbst bzw. gerade ausgebildete Musiker*innen, die gewohnt sind, vom Blatt zu spielen, vor einem absoluten Neuland, wenn die Aufforderung oder Herausforderung kommt, zu interpretieren. Dementsprechend lauten etliche threads hier auf dem Forum genau so: Wie geht das? Wie mache ich das? Gibt es eine Anleitung dazu?
Ich glaube, dass für den großen Bereich der populären zeitgenössischen Musik (hier Blues, Pop, Soul, Gospel etc. eingeschlossen), mit denen sich Hobby-Musiker vorwiegend beschäftigen, die Kenntnis der Noten zum einen nicht unabdingbar und zum anderen eher einen Umweg bedeuten, wenn sie zum Kern der Dinge vorstoßen wollen. Zustimmung aber auch dazu, dass dieses "zum Kern vordringen" nur für einen Teil der Hobby-Musiker ein Ziel ist, für das sich die dementsprechende Anstrengung lohnt.
x-Riff