Aber davon ab - kennst Du Beispiele für diese umgekehrte Vorhaltsequenz?
Ich meine, das bei Bach schon gehört zu haben. Bei Bach wirst du sicherlich fündig werden - wer hat mehr Quintfallsequenzen umgesetzt als Bach.
ich kann Deine Benennung nachvollziehen und sie widerspricht sicher nicht den Üblichkeiten, weil es eben lediglich eine Umkehrung der Vorhaltkadenz ist. ....weshalb mir die Bezeichnung Vorhalt zwar als formal oder vom Abstammungskontext her korrekt erscheint, aber von der Wirkung her nicht so treffend.
Was ist ein Vorhalt?
Das Ohr führt, so ist es neuroanatomisch "verdrahtet", Töne im Oktavabstand zusammen, kann damit auch Oktavtöne beliebig im harmonischen Kontext verwenden. Das gilt insbesondere für herausgehobene Töne, also z.B. den Skalengrundton. Das Ohr hört damit eine V64 stets als I/5. Nimmt man nun eine Quintfallsequenz leerer Quinten, also z.B. I5 IV5 bVII5 bIII5 usw, ist der Ton 1 eines Akkordes stets der Ton 5 des Folgeakkordes - egal in welcher Oktavlage der Ton auftritt wg. des "Oktavmapping". Nimmt man nun mit sus4 den Ton 1 des Folgeakkordes mit auf, "Vorwegnahme" also, ist dies nur das weitere Vorwegnehmen eines Tones des Folgeakkordes. Das erhöht lediglich die Bindung der Akkorde aneinander. Ein harmonische Aussage ist damit nicht verbunden.
Die Barockmusik sieht die Quarte als auflösungsbedürftig an, da "unrein". Deshalb ist die "unreine" Quarte der Vorhalt, der den "richtigen" Ton, nämlich die reine Terz, "vorenthält". Ich hatte in #53 etwas von "Wechselton" geschrieben. In ... I I64 I findet die im Barock geforderte "Auflösung" der Quarte statt. Wir gehen von der Quarte in die Terz "zurück". Die Quarte ist hier Wechselton. Der Wechselton ist der Vorhalt.
In bVI7 I/5 V I , klassische Vorhaltkadenz, gibt es auch einen Wechselton. Der Grundton der tonikalen Skala ist bereits in der bVI enthalten. Der wird als solcher erkannt. I/5 = V64 ist bereits die Fortführung in die Tonika und löst zugleich den extrem spannungsreichen Akk. bVI7 = bVI(#6) , in die Tonika auf. Nun erst kommt der Vorhalt: mit V wird der Ton 1 zum Ton 7, dem Leitton. Man enthält kurzzeitig den Ton 1, der mit Ton 7 "vorgehalten" wird. Mit dem folgenden Quintfall wird Ton 1 wiederhergestellt. Der Ton 7, die Durterz der V, ist damit Wechselton. Es handelt sich also um eine doppelte Kadenz. Die I wird zweimal nacheinander angesteuert. Diese doppelte Kadenz ist der typische Ganzschluss der klassisch-romantischen Musik.
Aber, weil es zum Grund-Thema passt: Der sus-Akkord, speziell als Quartschichtung aber auch so, ist auch ein Gebilde dass dich mittels Halbtonbewegungen in verschiedene Richtungen bringen kann. Vll ist dir das eh schon aufgefallen, aber falls nicht.
Wie B.B. schon festgestellt hat: Die Sus-Akkorde, egal ob sus4 oder sus2, entstammen der Quartenharmonik. Die ist mehrdeutig: Es gibt viele Möglichkeiten, mit einer Quarte fortzuschreiten:
Subdominante:
C F G (als Fsus2) nach C F A ( F-Dur)
Ein sus4 kann stets auch als sus2 gedeutet werden. Eine Vsus4 ist zugleich eine Isus2.
Dominante:
C F G (als G7sus4 ohne Quinte) nach H F G ( G7 ohne Quinte)
Geht C F G sofort nach C E G, war F (rückwirkend) Vorhalt im Csus4. Geht es von C F G nach H F G, war C F G rückwirkend eine G7sus4 ohne Quinte. Wir müssten dann aber C E G bringen, um den Wechselton , das H, aufzulösen.