Gitarre verstärken ohne tonabnehmer?

  • Ersteller metaxa1991
  • Erstellt am
Ich würde sagen, dass die nicht-Linearität des Gehörs in Bezug auf die Lautstärke, die Corkonian anspricht, im vorliegenden Fall eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
Zum Einen ist ohnehin jedes Gehör unterschiedlich (und das teils extrem), zum Anderen sind die größten Unterschiede in der differenten Lautstärkewahrnemung im Bassbereich <70Hz.
Da spielt eh keine Gitarre. Das jeweils individuelle Gehör ist da sicher für Unterschiede verantwortlich (wenn jemand über 15.000Hz nix mehr hört, weil da die Haarzellen tot sind, ist es auch egal, wenn man den Bereich um 20dB verstärkt..), aber das ganze verblasst im Gegensatz zu anderen Effekten, die hier einwirken.

Stellt euch eine Gitarre als einen Filter vor:
Die Saite schwingt zunächst einmal von sich aus perfekt mit einer bestimmten Frequenz und den entsprechenden Obertönen. Durch die Übertragung und Verstärkung auf den Korpus gehen aber bestimmte Frequenzanteile verloren, dann gibt es noch bestimmte Rückkopplungen, die wieder auf die Saite zurückwirken (Dämpfungen etc) und Dinge wie Sustain etc beeinflussen und sich dann auch wieder auf die Frequenzanteile auswirken.
D.h. dieses Gesamtsystem von Saite und Korpus wirkt sich darauf aus was wir hören. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch der Raum. Im Grunde sitzen wir ja falsch um uns selbst zu hören, weil ein Großteil der Energie "nach vorne" von uns weg projiziert wird. Also haben auch die Beschaffenheit von Wänden und Böden, Raumgröße etc einen Einfluss.

Wenn ich jetzt einen Tonabnehmer verwende, ändern sich viele diese Dinge radikal:
Über den Verstärker höre ich die Gitarre nun von vorne, von einem anderen Teil des Raumes (oder von der Seite, oder wo auch immer man den Amp stehen hat) und zwar durch den Filter des Amps. Also der Einstellung des Equalizers sowie des elektronischen Aufbaus und des Lautsprechers.
Doch nicht nur das: auch der Tonabnehmer selbst ist ein Filter. Ein magnetischer Tonabnehmer nimmt beispielsweise nur die Schwingungen des elektrisch leitfähigen Stahlsaite auf. Der ganze Korpus hat überhaupt keine Relevanz, was den Tonabnehmerklang angeht. Das Einzige was einwirkt sind die Rückkopplungen des Korpus auf die Saite, die eben die Saitenschwingung beeinflussen. Ob da im Korpus was wackelt und klappert, oder der ganze Korpus aus einem Stück Holz besteht wie bei der E-Gitarre ist dem magnetischen Tonabnehmer relativ egal. Er verstärkt nur die Schwingungen der Saite im Magnetfeld.
Bei anderen Tonabnehmern spielt die Gitarre mehr eine Rolle. Tonabnehmer unter der Decke nehmen eben die Schwingungen der Decke ab, was dann logischerweise mehr nach der Gitarre klingt. Unterstegtonabnehmer sitzen auch wieder relativ nahe an der Saite (halt direkt im Steg, der ersten Stelle der Schwingungsübertragung) und sind auch eher von der Saite beeinflusst, als vom Korpus.
Was aber alle Tonabnehmer gemeinsam haben: sie sind radikal andere Filter als die Gitarre. Selbst Mikrofone sind deutlich andere Filter. Schon in den ganz grundlegenden Prinzipien ist die Schwingung einer Holzdecke komplett anders als die Schwingung eines Piezo-Kristalls oder einer Saite in einem Magnetfeld.

Dazu kommt noch der Effekt: Wenn ich in meinem Raum hier zuhause eine akustische Gitarre über einen Verstärker spiele, höre ich immer einen Mischklang, weil ich die Gitarre ja auch immer noch höre.
Da kommt dann auch wieder der Raum zum tragen.. etc..

Wer jetzt hier wirklich irgendwie über "gut" und "schlecht" diskutieren möchte, sollte doch erstmal Anwendungsszenarien skizzieren und einen Erwartungshorizont abstecken.
Das ganze auf "klingt möglichst wie die unverstärkte Gitarre" hinunterzubrechen ist ziemlich vereinfacht.
Wenn ich in einer Rockband, wo ich vorm Schlagzeuger stehe, für ein paar Rockballaden meine Gitarre verstärken will, nehme ich sicher kein Mikrofon, sondern eher einen wenig rückkopplungsanfälligen Piezo.
Wenn ich mich zuhause ein wenig verstärken will, nehme ich vielleicht schon ein Mikrofon, oder eben einen höherwertigen Tonabnehmer (oder gleich ein System mit verschiedenen Optionen) meiner Wahl, dem ich einen Klang zutraue, der mir gefällt.
Wenn ich Jazz mache und einen dumpfen Klang bevorzuge, nehme ich eher einen magnetischen Tonabnehmer als einen quäkigen Piezo..
Wenn ich mit einem Bassisten zusammen in einer kleinen Folk-Kombo spiele, nehme ich vllt gezielt einen quäkigen/höhenlastigen Piezo, um dem Bassisten untenrum Platz zu geben.
Etc... "gut" oder "schlecht" hängt zu sehr vom Einsatzzweck ab, als dass man da irgendwelche Generalurteile fällen könnte.
 
bedeutet, dass bei Aussagen über Qualität ("gut" vs "schlecht") sehr vorsichtig formuliert werden sollte.

Ich glaube das habe ich oben schon getan und darauf hingewiesen, dass es sich um meine subjektive Bewertung handelt.
 
Ich möchte mal die Frage in den Raum stellen, ob das von @Corkonian eingebrachte"anders" vielleicht bedeutet, dass bei Aussagen über Qualität ("gut" vs "schlecht") sehr vorsichtig formuliert werden sollte.

Na ja, Du kannst "gut" / "schlecht" vielleicht etwas besser mit "[nicht] geeignet für den Anwendungsfall" übersetzen. Aber die Nichtlinearität des Gehörs beeinflusst schon das Hören, und anders, als es @Disgracer beschrieb, hatte ich mal gelernt, dass dies auch die höheren Frequenzen betrifft. (Denkt an die "Loudness"-Taste der alten HiFi-Anlagen.) Hinzu kommen Hörerfahrungen und -Erwartungen, die Ovation- oder Yamaha-Bühnengitarren haben die Erwartungshaltung von Generationen beeinflusst:)
 
Aber die Nichtlinearität des Gehörs beeinflusst schon das Hören, und anders, als es @Disgracer beschrieb, hatte ich mal gelernt, dass dies auch die höheren Frequenzen betrifft.

Das ist absolut korrekt., trifft aber bei unserem Fall hier nicht wirklich zu.
Miniaturerklärung, weil ich grad nicht die Zeit habe einen Aufsatz zu schreiben:

1090px-Kurve_gleicher_lautstärke.svg.png


Die Kurven zeigen alle die "gleiche wahrgenommene Lautstärke".
Beispiel für die rote Kurve:
Ein Ton von 1000Hz verglichen mit einem Ton von 3000Hz muss lauter gespielt werden, damit wir ihn als "gleichlaut" empfinden. Unser Gehör ist bei 3000Hz empfindlicher als bei 1000Hz. (das ist das, was du sagst: die Nichtlinearität betrifft auch höhere Frequenzen)
Andersrum: ein Ton bei 1000Hz muss viel weniger laut gespielt werden als ein Ton bei 100Hz, weil unser Gehör bei 100Hz viel unempfindlicher ist.
Die rote Kurve ist eigentlich eine "Gerade". Sie zeigt an, wo wir bei "leiser Lautstärke" gleichmäßig laut hören.

Worum es aber hier geht ist ja der Vergleich von zwei Signalen von denen eines verstärkt wurde.
Also quasi ein Vergleich zwischen der grünen und der hellblauen Kurve.
Wenn man da jetzt die Steigungen vergleicht, sieht man recht schnell, dass die grüne Kurve am Anfang (also im Bassbereich) deutlich steiler abfällt.
Aber ab ~1000Hz verlaufen beide Kurven nahezu parallel. D.h. wenn ich wieder die Töne bei 1000Hz und 3000Hz vergleiche, dass der jeweilige Unterschied auf der jeweiligen Kurve nahezu derselbe ist.
Das bedeutet, wenn ich etwas absolut linear verstärke, dass in hohen Frequenzbereichen sich meine Wahrnehmung nicht zwangsläufig ändert.
Im Bassbereich sieht das anders aus.
Wenn ich 30Hz und 100Hz auf der grünen und der hellblauen Kurve vergleiche, dann ist da ein Unterschied von ~5dB zu finden. Das ist schon merkbar.

Die Sache ist die, dass diese (Fletscher-Munson) Kurven, die ihr seht, alle als Mittelwerte von hunderten Testpersonen ermittelt wurden. D.h. sie werden individuell abweichen.
Dazu kommt noch die ganze Verarbeitung im Gehirn, die noch einmal ein ganz anderes Thema ist.

Aber im Vergleich mit den Unterschieden, die ein Pickup produziert sind die ~5dB von oben winzig, das sind ganz andere Größenordnungen.
 
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Danke, dieses Diagramm kannte ich noch nicht!
 
Manchmal nehme ich meine alte Lakewood ohne Tonabnehmer vom Haken und Bock auf verstärkte Westerngitarre...

Dazu nehme ich diese Teil hier und lege es mir auf dem Schoß:
https://www.ebay-kleinanzeigen.de/s...gital-recorder-bandrecorder/798899363-172-983

Der eingebaute Mikro fängt den Gitarrensound (und zusätzlich noch Gesang wenn man will...) und über Kopfhörer klingt es gar nicht mal schlecht (incl. gewünschter Effekte). Das Teil gibt es auch als neues Modell als Boss BR 80. Nur so eine Idee....
 

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