Ähem: noch mal zu der Grundfrage des Threads, ob jemand auch die Erfahrung gemacht hat, dass Gitarren sich "einspielen":
Ja, hab ich.
Ganz besonders bei zweien: ich habe eine Fender H1-Strat, die eine Einspielphase von etwa 14 Tagen hatte. Übrigens eine Gitarre mit einer nur hauchdünnen Lackschicht. Sie klang schon direkt nach dem Kauf recht gut, wurde aber nach der "Einspielphase" deutlich fetter, lebendiger, bekam sozusagen "Seele". Mittlerweile hab ich sie etwa 2 Jahre, spiele sie täglich unverstärkt als "Übungsgitarre im Wohnzimmer und kenne ihren akustischen Klang (Primärton) daher genau. Ich vergleiche sie regelmässig mit anderen Strats, habe aber bislang keine gefunden, die nur annähernd mit meiner ähnlich wäre.
Das war aber in der Anfangszeit nicht zu erkennen. Ich hatte vorher eine billige Sperrholz-Strat-Kopie, und meine Bandkollegen waren der Meinung, die Fender klänge kaum anders, als ich zum ersten Mal damit in den Probenraum kam. Mittlerweile fällt das Urteil deutlich anders aus ("Ich mag Strats eigentlich nicht, aber Deine...."
)
Der andere Fall lief ganz quer: ich hab mir vor ein paar Jahren eine Gibson SG gegönnt. War ein feines Gerät, auch wenn sie - ab Laden - etwas trocken klang. Ich hab gedacht: Naja, muss eingespielt werden, dann wird das. Denkste. Nach etwa 1 Jahr entwickelte sie Dead-Spots. Manche Töne brachen einfach ab. Das Teil wurde immer trockener und toter und irgendwann ging gar nichts mehr. Krachende Rhythmus-Sachen gingen einigermassen, aber mit Solieren war Essig: ein einziger Kampf um die wenigen Töne, die noch passables Sustain hatten. Exitus - ich hab sie weggeebayt. Eine ähnliche Geschichte gab's in dem Interview mit Toscho Todorovitz in der G&B vor einiger Zeit.
Soll mir also keiner erzählen, E-Gitarren würden sich nicht "einschwingen".
Das gleiche gilt für das angesprochene Amp-Phänomen. Röhrenamps sind Weiber. Die haben auch hormonell bedingte Launen und kriegen ihre Tage. Die Erfahrungen haben schon viele Gitarristen gemacht: Derselbe Amp singt wie ein Zeisig an einem Tag und röchelt nur kläglich am nächsten - mit unveränderter Einstellung. Ob das an Spannungsschwankungen im Stromnetz liegt, an der Luftfeuchtigkeit, dem Luftdruck, der Tagesform der Spielers oder wasauchimmer ist mir eigentlich wurscht: ich muss es erst mal zur Kenntnis nehmen und lernen, damit umzugehen.
"Was mache ich daraus?" ist sowieso immer wichtiger als "woher kommt's?" Da sollen sich die Theoretiker drüber streiten - ich mach solange Musik.
P.S: Die Theorie, E-Gitarren dürften nicht schwingen und hätten deswegen keine akustischen Eigenschaften, ist kompletter Quatsch. E-Gitarren unterscheiden sich von Akustik-Gitarren (und anderen Saiteninstrumenten wie Geigen, Mandolinen, etc...) nur durch den fehlenden Resonanzraum. Ansonsten sind die Konstruktion, die Physik und die klangbeeinflussenden Faktoren identisch: das Holz, das Holz und nochmal das Holz.
Dass der Klang einer E-Gitarre auf elektronischem Weg bis zur Unkenntlichkeit verändert werden kann, ändert nichts an den Grundlagen der Tonerzeugung. Und wenn für Geigen und Akustikgitarren gilt, dass sie "eingespielt" werden können, ja sogar müssen, dann gilt das auch für E-Gitarren.