Naja, jede Wandlung von analog nach digital (oder zurück) bringt Latenzen ins Spiel ...
Das stimmt nur halb. Bei der Analog-Digital-Wandlung entsteht prinzipbedingt Latenz, weil zuerst 128 (oder 64 oder eine andere Zahl) Samples erfasst werden müssen, bevor die weitere Verarbeitung beginnen kann. Die ersten Samples sind in diesem Moment 128 Abtastintervalle alt, und das ist die unvermeidbare AD-Latenz.
Bei der Digital-Analog-Wandlung entsteht
keine weitere prinzipbedingte Latenz. Das versteht man, wenn man sich vorstellt, man würde den gerade durch AD-Wandlung gewonnenen Datenblock direkt wieder auf einem DA-Wandler raustakten (*). Das erste Sample würde sofort am Analogausgang erscheinen.
(*) Das ist nur ein Gedankenexperiment ohne praktischen Sinn, aber es verdeutlicht die Verhältnisse: AD-Wandlung erzeugt Latenz, DA-Wandlung erzeugt keine.
Natürlich sorgt auch die digitale Übertragung der Daten (z.B. über USB) für weitere Latenz, diesmal tatsächlich in beiden Richtungen. Genauso die Verarbeitung innerhalb der Software.
Verlässlich zu berechnen ist sowas kaum, dazu müsste man die Innereien des Betriebssystems und der DAW-Software genau kennen: Wo werden Blöcke zwischengespeichert und wie viele? Deshalb, wenn irgendeine Software behauptet, die Latenz ist soundsoviel, dann würde ich immer fragen, woher will die das wissen? Was hat sie mitgezählt und was nicht?
Eine DAW- oder Ampsimulator-Software kann einlaufende Datenblöcke, die sie vom Betriebssystem übernimmt, mit einem Timecode versehen. An der Stelle, wo sie sie ans BS zurückgibt (zwecks Ausgabe über USB und Interface), kann sie die Timecodes prüfen und ausrechnen, wie lange sie sich mit diesen Blöcken beschäftigt hat. Das ergibt die Verarbeitungs-Latenz dieser Software. Nicht wissen kann sie, wie lange die Daten schon in Puffern im Interface oder im Betriebssystem rumgedümpelt sind, bevor sie sie bekommen hat. Oder wie lange es nach der Abgabe dauert, bis der Ton im Lautsprecher erscheint.
Wenn ich wissen wollte, wie groß die Round-Trip-Latenz in meinem Setup in der Praxis ist, würde ich das immer
messen, und zwar mit einem zweiten Computer, nicht mit dem DAW-System selbst.
Wenn die Latenz so hoch ist, dass man wirklich mit dem Timing Probleme bekommt, dann ist die wirklich viel zu hoch (>>50 ms).
In dem Bereich von circa 10-30 ms ist für mich der Bereich bei einem Modeller, wo es sich nicht mehr "nach einem echtem analogen Röhrenamp im Rücken" anfühlt. Das ist meist kein direktes Wahrnhemen einer Verzögerung, sondern eher unterbewusst, dass etwas nicht passt bzw. wie gewohnt ist.
Ich habe im Corona-Lockdown regelmäßig auf Jamulus gespielt und hatte dort unter guten Bedingungen eine RTL von etwa 30 ms. Dass da der Ton nach dem Anschlag kommt, hört man deutlich, aber mit etwas Eingewöhnung konnte ich ganz gut damit umgehen, solange das Ziel nur war, Musik zu machen und Spaß zu haben und nicht etwa, Präzision abzuliefern.
Ab 50 ms, so meine Erfahrung, wurde es schwierig, im Tempo zu bleiben (man wird immer langsamer). Und irgendwann bei 70 oder 80 ist kein sinnvolles Zusammenspiel mehr möglich (außer vielleicht Keyboard-Flächen und Oooooh-Aaaaaah-Gesang).