G.A.S. bei Keyboardern - Über die Auswüchse von angeblichem schlecht-tönen und dem Streben nach dem perfekten Sound
Eine nicht ganz ernst gemeinte Betrachtung notorischen Instrumentenkaufzwangs.
Die aktuelle Situation des Probanden:
Einen "Händler seines Vertrauens" wünscht sich wohl jeder in der Art, wie ich ihn habe. Regelmässig latscht bei mir der UPS an und bringt etwas vorbei, nachdem ein kurzer Anruf oder Mailwechsel mit der Bitte, doch mal ein Feedback zum neuen Gerät zu geben, von mir positiv bestätigt wurde. So hab ich jährlich etwa acht bis zehn Instrumente zum Testen daheim, die nach vier bis sechs Wochen zurück an den Laden gehen und dort als Ausstellungsmodell dienen. Oder ich bezahl sie. Dann geht nur das Geld zurück und das Instrument bleibt hier. Aktuell passiert mit dem UltraNova.
Nun sind meine Vorraussetzungen für ein gesundes GAS denkbar schlecht. Auf Jobsuche, relativ wenig Kohle zur Verfügung und ein nicht überziehbares Konto sind nicht gerade beste Voraussetzungen für unkontrolliertes Ausleben der Sucht. Theorie und Praxis driften dennoch nicht selten auseinander. Ich weiss, dass ich weiss, dass ich nix brauch - aber es ist mir egal, weil ich weiss, dass ich nicht weiss ob ich wirklich weiss, dass ich nix brauch. Oder ähnlich. Nach dem Motto "Ich brauch jenes, dann hab ich alles" wird munter weitergekauft. Und was nicht zum gewünschten Ergebnis führt, wird zurückgeschickt.
Meine Wenigkeit steht nun vor einem noch grösseren Problem. ich ziehe um, bzw. werde vorläufig am Arsch des Kanton Bern (im Funkloch!) wohnen und nur selten zuhause sein - beispielsweise am Wochenende für Gigs oder so.
Das Problem: Da wäre der S90XS. Obwohl eigentlich meiner, nehme ich ihn nicht mit, da sonst das Studio zuhause auf einem lotterigen Kurzweil PC88, das jederzeit auseinander fallen könnte, und einem PC1X, das inzwischen nur noch für Gig's dient, sitzen bleibt. Das kann ich unserem Homestudio nicht antun. Ausserdem bleibt der S90XS aus Transportgründen hier. Ich schlepp den nicht Wochenende für Wochenende dreieinhalb Kilometer zum Bahnhof und dann auch noch bei Umsteigezeiten von eineinhalb Minuten. Der bleibt zuhause. Ist besser so.
Jetzt brauche eigentlich einen weiteren 88 - Taster, sonst ist mit Üben grundsätzlich Essig. Yamaha kommt mir ja netterweise mit dem MOX8 entgegen, der auch noch als Audiointerface dient. Nur: dazu hab ich ja schon den UltraNova. Da brauch ich eigentlich nix mehr. Viel besser wäre die Möglichkeit, einen S90XS zur Verfügung zu haben. Am Wochenende brauche ich dann lediglich noch einen USB - Stick und fertig.
Nun gut, auf dem Juno könnte ich ja auch üben. Aber für Pianos und Orgeln? Nein danke. Ausserdem will ich auch die S90XS - Sachen in Ruhe programmieren und nicht während dem Soundcheck.
Immerhin läuft der neue Laptop mittlerweile relativ gut. Logic arbeitet mit dem Nova und dem Juno zusammen (an Mainstage arbeite ich noch) und die bisher installierten Plugins tun es auch. So weit so gut...
So weit so gut, durchaus. Der Proband - in diesem Falle "ribboncontrol" ist schwer GAS - anfällig, dies ist aber - von einigen Ausnahmen abgesehen - jeder Musiker. Der bereits erwähnte Satz
"Ich weiss, dass ich weiss, dass ich nix brauch - aber es ist mir egal, weil ich weiss, dass ich nicht weiss ob ich wirklich weiss, dass ich nix brauch"
ist der Schlüssel zur Sucht und zeigt die beim Probanden bereits kurz vor dem Ende stehende Phase eins des Krankheitsverlaufs an. Das Wissen, dass eben noch mehr möglich ist, kann (muss nicht) den Verstand betäuben bis ausschalten. Schliesslich will man ja Fortschritt und nicht Rückschritt. Routine ist langweilig. Und die Chance auf den Fund des lange gesuchten perfekten Sounds, ist ein weiterer Grund, seine Sammlung zu erweitern.
Im hier gezeigten Fall verfügt der Proband nun also über einen Laptop mit Logic 9 (inklusive der anderen Programme) ein paar Freeware - VSTi's, einen Roland Juno Di, einen Novation UltraNova, Stativ, Lautsprecher, 4 - Kanal - Submixer und einen nicht immer zur Verfügung stehenden S90XS.
Dies ist eine funktionierende Kombination, die allerdings Möglichkeiten zur Erweiterung lässt. Dieser Erweiterung ist der Grund, weshalb der Proband nun also weiterhin GAS - Anfälle hat und nach weiteren Geräten Ausschau hält. Der Proband wirft ausserdem nun des öfteren auch Blicke auf Neuerscheinungen der Hersteller, die durchaus interessant sein könnten. Das Ziel ist klar. Mehr Möglichkeiten! Die Phase zwei beginnt
Man betrachte nun bitte die Überlegungen des Probanden:
- Hauptkeyboard benötigt - Ich brauch n 88 - Taster. Am besten ein S90XS, zwecks Datentransfer. Dann brauch ich nur noch n USB - Stick. Ein MOX8 würde es aber auch tun. Computerintegration wäre wichtig. Das Gerät sollte aber auch alleine gut funktionieren.
- Mehr Sounds - Komplete 7 Vollversion muss her. Die Players sind gut, aber unflexibel.
- Platzmangel - Ich brauch n neues Stativ. Eines, das auch den 88er noch halten kann.
- Erweiterbarkeit - Das coole ist ja, dass man jederzeit mehr dazustellen kann, oder?
Man merkt es, der Patient ist schon hier auf dem Weg zum finanziellen Ruin: Das GAS geht hier bereits in die dritte Phase und wird erstmals auch von der Umwelt als Problem registriert. Der Proband hat nun bereits mehr als nur eine Basisgrundlage für das Ausleben seiner musikalischen Visionen. Leider hat er auch schon im letzten Beispiel gezeigt, dass der Wunsch nach Spezialisierung der einzelnen Kategorien immer noch vorhanden ist.
Nun betrachte man das ganze mal aus theoretischer Sicht und spinne die Ideen weiter.
- Alternativen - Hm... den Juno könnte man eigentlich bei der einen Band auch mit einem Triton ersetzen, das wäre dort vielleicht noch besser...
- Zweites Hauptkeyboard - Stagepiano plus Workstation. Falls ich mal zwei 88er brauche. Oder nur Pianos. Dann kann der MOX8 zuhause bleiben.
- Drumcomputer - Ich bin doch Schlagzeuger. Wieso tipp ich da noch mit dem Stepeditor rum. Maschine ist doch viel besser.
- Sicherheitsnetz - Muss ich den Laptop immer mitschleppen? Bitte nicht. Wenn Maschine nicht geht, tut's auch ne gute MPC...
- Optionen - Maschine Expansions? Was tun die? Egal, muss ich haben.
- Modularer Aufbau - Heute n VSTI, morgen n VSTI...
- Platzmangel - Mehr Stative, mehr Boxen, grösserer Submixer. Und n grösseres Zimmer will ich auch...
Mittlerweile sitzt der Proband nun also auf mehr als genug Software und ähnlich vielem an Hardware. Was er genau damit anfängt, ist unklar. Anstatt zu üben und die Programme wirklich auszureizen, sucht er aber immer weiter. Die Hersteller erschweren ihm diese vierte Phase zusätzlich noch und entwickeln laufend neue Geräte, welche mit innovativen Möglichkeiten protzen und den ohnehin schon schwer geschädigten Probanden nochmals dazu verführen, weiter zu suchen. Vielleicht kann ja das neue Gerät etwas, das genau nötig war, um zufrieden zu sein. Der Ausstieg aus dem Teufelskreis, in welchem der Proband immer mehr gefangen ist, wird hier schon ausgesprochen schwierig, ist allerdings noch möglich. Der Proband ist allerdings häufig bereits zu süchtig, um zu merken, dass er die Geräte nicht zwingend braucht. Dass er noch nie mehr als nur Presets verändert hat, interessiert ihn nicht mehr. Hauptsache was neues, was besseres, was anderes.
Die Betrachtung jetzt noch weiter gesponnen, wird klar: Was man hat, ist alt. Was man noch nicht hat, ist neu und besser.
- Was anderes - Na klar will ich n Virus. Ist schliesslich ne Legende
- Noch was anderes - Ich brauch auch mal n Analogen. Moog Little Phatty oder so.
- Und noch was anderes - Der Venom tönt auch echt gut und ist schon noch speziell. Will ich auch noch.
- Show bitte - Ist doch geil, so ein Umhängekeyboard
- Das eierlegende Vollmilschwein - Mit dem Kronos bin ich alle Sorgen los!
- Mehr Power - Kuckst du? MacPro mit 12 Core - CPU
- Natursounds - Ich will die auch live spielen. Der Tyros 4 kann das, oder?
- Exoten - Monotron? Kann ich sicher mal brauchen...
- Immer noch zuwenig Platz - Stative, Submixer, Rechenleistung, mehr von allem. Im Extremfall: neue Wohnung.
Der Proband befindet sich inzwischen in einem Wahnzustand. Das eine zieht das andere mit sich. Was nicht auf Anhieb möglich ist, wird für nicht realisierbar erklärt. Oder besser gesagt: für realisierbar mit andere Ausrüstung. Zwar wurde das Kontakt - Piano nie getestet. Dennoch ist es absolut unzureichend. Man will ja die Leute nicht enttäuschen mit halbgaren Sachen. Nägel mit Köpfen bitte - Steinway The Grand 3. Der Software & Hardware benutzende Proband wird in der fünften und letzten Phase seines GAS - Krankheitsverlaufes sogar exotisch. Her mit diesem, her mit jenem. Foren werden durchsucht, Artikel gewälzt, und der eine oder andere erkrankt an "Früher war alles besser" - Ideologien. Hier geht es nicht mehr ums Musik machen, hier geht's ums Kaufen (Das Phänomen gibt es bei Frauen beim Einkaufen von Kleidungsstücken in ähnlicher Form)
Man betrachte nun also die letzten Überlegungen des schwer geschädigten Musikers.
- Legendengeil - Ich will n Minimoog. Ich will n Jupiter - 8. Ich will n Mellotron
- Muss sein - Ich will ne originale B3. Egal wie teuer!
- Sieht einfach geil aus - Mir doch egal, ob ich das Tenori - On auch bedienen kann.
- Keine Ahnung - Man kann doch auf dem iPad auch Musik machen, oder?
- Der und die spielen das auch... - Her mit dem OASYS!
- Fremdgeher - Ich lernl dann mal auch noch schnell Schlagzeug und Gitarre
- Perfektion - VSL muss her! Die ganze! Full Edition! Mit riesigem Mac
- Masslose Übertreibung - LASERHARP, LASERHARP, LASERHARP
- Grundsatzwertverlust - Musik machen? Lass mich in Ruhe, ich suche gerade Sounds!
Dieser Bericht ist nur eine theoretische Basiserklärung und keine Diagnose für jeden. GAS kann in vielen Varianten auftreten. Finanziell schaffen es die meisten höchstens bis Stufe vier. Der eigene Verstand kann ebenfalls sehr viel bewirken, wenn man sich mit seinem Werkzeug und vor allem auch mit dem eigenen Können beschäftigt, anstatt weiterhin nach neuen Geräten Ausschau zu halten. Zu weiteren Risiken und Nebenwirkungen von GAS, lesen sie die anderen Threads und fragen sie den MB - User ihrer Wahl.
Mal ehrlich. Wer erkennt sich in diesen Zeilen?