ich kann als Laie die Validität dieser Behauptungen natürlich nicht überprüfen.
Ich kann da als Profi tatsächlich auch nur bedingt. In den Diagnosekriterien der gängigen Manuale (ICD10 und DSM V) taucht die Sammelleidenschaft oder Sammelwut jedenfalls nicht auf. Auch in den gängigen Testungen (HASE, WURS-K etc.) ist das trotz sehr umfangreicher Fragebögen kein Item. Insofern würde ich erst einmal davon ausgehen, dass es kein für sich gestelltes Kriterium einer AD(H)S ist. Was aber natürlich interessant ist, sind die Störungen der Impulskontrolle bzw. das unüberlegte Handeln, das viele Menschen mit AD(H)S an den Tag legen. In der Praxis sind das dann häufiger Impulskäufe, die nach späterer Überlegung unsinnig waren. Wie schon gesagt, bei meinen PatientInnen ist mir ein überdurchschnittlicher Hang zum Sammeln und Horten nicht aufgefallen, auch wenn es den ein oder anderen geben mag.
Grundsätzlich finde ich das Thema GAS sehr spannend. Als selbst Betroffener habe ich mich dabei natürlich beobachtet und versucht zu verstehen, was da eigentlich passiert. Und ich habe einige Threads hier gelesen, in denen es um das Thema ging.
Wenn wir eine Leidenschaft für ein Thema entwickeln, bedingt das zumeist eine umfängliche Beschäftigung damit. Wenn ich z.B. die nächste Bergtour vor der Brust habe, schaue ich dazu Tourenbeschreibungen im Internet nach, lese die Begehungslinien nach, suche passende Ausrüstung zusammen und schaue YouTube-Videos dazu. Das mag als "gute Vorbereitung" gelten, ist aber viel häufiger Ausdruck dessen, dass ich halt im Moment noch nicht am Berg stehe und (am Niederrhein) Bergstiefel und Seil noch nicht zum Einsatz kommen können. So ähnlich verhält es sich doch oft mit dem GAS oder dem exzessiven Schauen von Youtube-Videos. Der Unterschied ist nur, dass die Gitarre neben mir steht und es nicht so deplatziert wäre wie Steigeisen und Seil. Ich könnte also auch üben.
Aber als Nicht-Profi ist das Pensum dessen, was ich produktiv üben kann und will oft schneller erschöpft als meine Lust auf Gitarre. Wenn ich zwei Stunden geübt habe, wird mein Spiel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schlechter, nicht besser. Und genau dann setzt bei mir das GAS ein. Ich verschiebe meine Lust (als Analytiker würde ich hier sagen: mein libidinös besetztes Thema Gitarre) auf die Anschaffung von Gear oder sonstige Beschäftigung mit Gitarre.
Und natürlich ist das erst einmal nicht sinnvoll, so wie die meisten Spieler sich durchaus der Tatsache bewußt sind, dass neues Equipment ihr Spiel nicht verbessert. Aber es befriedigt eine Lust auf etwas, so als würde ich nach einem sehr reichhaltigen Essen nicht weiter essen können, wohl aber noch Kochbücher lesen oder das Essen für morgen zubereiten können.
Ein anderer Aspekt, der sich im Übrigen auch im kindlichen Spiel zeigt, ist die Lust auf Neues und auf Entdecken. Ich würde mal annehmen, dass Erwachsene Menschen am Instrument eine höhere Lust auf Sponaneität und Spiel haben als der Durchschnitt der Menschen. Warum sonst sollte man einer so vermeintlich sinnfreien Tätigkeit nachgehen, wie ein Instrument zu lernen? So wie ein Kind wieder mehr Lust hat zu spielen, wenn es ein neues Spielzeug zur Verfügung hat, geht es uns Gitarristen vielleicht auch. Zumindest kenne ich es von mir: Habe ich ein neues Pedal, spiele ich vorübergehend deutlich mehr und probiere mein gesamtes Repertoire damit aus. Ich habe mir Lust auf das gleiche Spiel wie zuvor machen können, die Aufregung ist zurück, wo es vorher vielleicht eher strapaziöses "Üben" war. Und nach einiger Zeit brauche ich dann vielleicht etwas neues, ganz analog zum kindlichen Spiel, das dem Kind irgendwann langweilig wird, wenn sich nichts neues ergibt, mit dem es spielen kann.
Bevor das hier eine Wall-of-Text wird, die nur noch nervt eine letzte Überlegung: In der Persönlichkeitsentwicklung (und -diagnostik) gibt es in vielen Modellen die Achsen Introversion vs. Extraversion. Und gerade die extravertierten Menschen, sind in der Regel auf der Suche nach Aktivierung und äußeren Reizen, die sie aktivieren. Die Introvertierten ziehen Wohlbefinden eher aus innerer Dynamik, aus dem Tun selbst und sind weniger auf äußere Einflüsse angewiesen. Vielleicht ein Grund, warum manche Gitarristen von GAS so garnicht betroffen zu sein scheinen. Eine Überlegung, die mich schon länger interessieren würde, ist die Folgende: Sind Gitarristen im Allgemeinen häufiger Extravertierte? Zumindest gibt es kein Instrument, das so sehr von Show und Front-Sau-Image aufgeladen ist, wie die Gitarre (Sänger allenfalls noch). Ohne da irgendeine Feldstudie zu haben, würde ich vermuten, dass GAS in den "Rampensau-Genres" der Musik etwas häufiger vorkommt, als bei eher im Hintergrund (der Bühne) stehenden Musikern.
Insofern ist meine persönliche Haltung dazu: Im Rahmen dessen, was man sich leisten kann, ist GAS ein ganz natürlicher Teil von Spiel (im entwicklungspsychologischen Sinne). Problematisch wird es dann, wenn es finanziell kritisch bzw. schädigend wird, weil mir die Impulskontrolle bzw. Selbstbeherrschung fehlt, dem Impuls nach GAS an den nötigen Stellen entgegen zu wirken.
So, Ende der Wall-of-Text. Sehr spannendes Thema
@7€nd€r