Fragen zum Einfluss der Luftfeuchtigkeit/Temperatur auf Akustik-Gitarren

[Disgracer]

Das heißt bei den im Bild angezeigten 27,8 Grad und 45 % Luftfeuchtigkeit müsste ja absolut dann viel mehr Feuchtigkeit in der Luft sein als im Vergleich zu wenn es 45% Luftfeuchtigkeit bei zum Beispiel 21 Grad hätte

Das ist korrekt. Es wird mehr Wasserdampf pro Kubikmeter Luft gelöst sein.

Ist es dann nicht so, dass das Gitarrenholz bei den 27,8 Grad viel mehr Feuchtigkeit ausgesetzt ist

Definiere "viel mehr"?
Bedenke dabei, dass das Aufnahme der Gitarre von Feuchtigkeit aus dem Luft ein relativ langsamer Prozess ist. gerade durch die Lackierung.

und sich evtl. damit mehr ausdehnt als im Vergleich zur selben Luftfeuchtigkeit bei 21 Grad?

Die ganze Gitarre dehnt sich mit der Temperatur aus. Nahezu alle Materialien dehnen sich bei höheren Temperaturen etwas aus. Bei Holz gibt es dazu noch einen Unterschied zwischen Faserrichtung und quer zur Faser.
In Bezug auf die Luftfeuchte gibt es ein Gleichgewicht zwischen der Holzfeuchte und der Luftfeuchte. In dem Moment, wo sich das Gleichgewicht drastisch verschiebt, findet eine Änderung statt.
Aber auch hier: Dies ist ein langsamer Prozess. Und stell dir vor: So Gitarrenbauer wissen das und kalkulieren das ein.

Wenn dem so ist kann das doch nicht gut sein für die Gitarre oder?

Ich persönlich empfinde 45% Luftfeuchte als normal bis eher wenig.
Bei mir gab es heute im Tagesverlauf Werte von:
1) 24°C bis 32°C
2) 49% bis 57% Luftfeuchte

Ich mache mir keinerlei Sorgen um meine handgebaute 4000€+ Gitarre.

Wie gesagt ist das ein langsamer Prozess und das sind alles Werte im absoluten Normbereich.
Stell die Gitarre nicht in die Sonne, wo du schnell mal Temperaturen von 60-70° auf dem Holz hast und stell sie nicht ins Badezimmer bei 90% Luftfeuchte.
Das ist ein lackiertes Stück Holz, kein Zuckerwürfel.

 

[Disgracer]

Hier mal aus Spaß ein paar Wetterdaten von heute:
Man kann gut sehen, wie ab Mitternacht die Temperatur sinkt und gleichzeitig die Luftfeuchte ansteigt. Quasi äquivalent.
Das beruht exakt auf dem Phänomen, dass du beschrieben hast: Die wärmere Luft hat mehr gelösten Wasserdampf. Wenn diese Luft nun abkühlt, steigt die relative Luftfeuchtigkeit an.
Prinzipiell fällt auch ein wenig Feuchtigkeit aus. Etwa an kühlen Fenstern etc. Aber auch hier liegt ein Gleichgewicht vor und ein langsamer Prozess. Daher steigt hier zunächst einmal die Luftfeuchte in Prozent.

Ab ~6Uhr scheint die Sonne und man sieht den Anstieg der Temperatur, man sieht, dass sie die relative Luftfeuchtigkeit kaum verändert.
Die leichte Steigerung um 1-2 Prozent sind vermutlich Wasserdampf als ich geduscht habe und feuchte Atemluft.

Gegen 18 Uhr sieht man einen radikalen Einbruch der Luftfeuchtigkeit.
Das war der Moment, wo ich die Fenster aufgemacht habe. Ich hatte in der Bude 32° und draußen war es zu dem Zeitpunkt tatsächlich bereits leicht kühler.
Außerdem war die Luftfeuchtigkeit draußen offenbar deutlich geringer. Entsprechend bei der großen Austauschfläche, die meine drei Fenster hier bieten, ist die Luftfeuchtigkeit rapide abgesunken.
Etwa auf das Niveau von 0 Uhr. Um die 50% Luftfeuchte scheint es in etwa draußen aktuell zu haben.

Jetzt ein entscheidender Hinweis: So ein Austausch zwischen zwei Luftmassen geht VIEL schneller, als zwischen Luft und Holz. Hier müssen Membranen überwunden werden und bei der Gitarre noch die Lackschicht Da diffundiert das Wasser nicht mal eben durch.
Ich bezweifle, dass meine Gitarren überhaupt groß etwas von den Schwankungen des Tages gemerkt haben und selbst wenn, muss man bedenken, dass man hier die mittlere Abweichung nehmen müsste, weil es ja rauf und runter geht. D.h. wenn meine Gitarre um 0 Uhr ein Equilibrium zu den 49% Luftfeuchte hatte, wäre sie über den Tag hinweg um die 53% geschwankt. Das ist jetzt nirgendwo annähernd kritisch.

Aus Spaß hab ich noch CO2 angehängt. Hier sieht man den Einfluss, den das Lüften hat: Von über 1100ppm auf unter 600 in vielleicht 15 Minuten.
CO2 ist aktuell ein Anhaltswert für Luft, die potentiell Covid überträgt (also quasi ausgeatmete Luft), und hier kann man gut sehen, wieso "Lüften" weit oben auf der Liste von wirksamen Maßnahmen steht.

Außerdem sieht man, wieso es wenig Sinn macht, nur 1-2x am Tag auf sein Hygrometer etc zu gucken: Die Werte schwanken halt teilweise extrem. Viel wichtiger ist aber eher die Entwicklung über die letzten Wochen.

 

[pilos]

Wow. Sehr spannend, danke! Jetzt sind denke ich alle Fragen zum Thema Luftfeuchtigkeit/Temperatur und Gitarren geklärt.