Gitarrenanschlag
Nach vielen Mutmaßungen hier im Thread, versuche ich mal eine Zusammenfassung der Dinge, die da passieren. Das mache ich offline auf dem Weg zur Arbeit, daher kann es sein, daß ich nicht den kompletten Bezug zum Thread habe.
Was passiert beim Anschlagen einer Gitarrensaite? Die Saite wird seitlich ausgelenkt, dann plötzlich losgelassen. Von der Zupfstelle breitet sich zunächst eine sogenannte
Querwelle nach beiden Seiten aus. Mit Nägeln oder Picks angeschlagen hat diese Welle eine größere Steilheit und enthält damit höherfrequente Anteile (was sich später in mehr Obertönen auswirkt und dadurch härter aber auch brillianter klingt).
Die Querwelle wird am Steg, bzw. am Bundstab (oder Sattel) zurückgeworfen. Das liegt daran, daß an diesen Stellen nur ein kleiner Teil der Energie an Steg oder Sattel/Bundstab abgegeben wird. Beide Wellen breiten sich zunächst quer durcheinander aus, bis durch die Laufzeit auf der Saite sich Resonanzen ausbilden, die Grundton und ganzzahlige Obertöne enthalten. Die Spannung der Saite beeinflußt die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle entlang der Saite und damit letztendlich die resultierende Tonhöhe. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt ab vom Massebelag und von der Rückstellkraft.
Höhere Spannung heißt
höhere Rückstellkraft und das heißt bei gleicher Masse größere Geschwindigkeit und damit
höherer Ton. Den Massebelag nutzt man auch aus mit unterschiedlich dicken Saiten für die unterschiedlichen Tonhöhen.
Höherer Massebelag heißt kleinere Ausbreitungsgeschwindigkeit und damit
tieferer Ton.
In der Literatur wird oft zugunsten der Einfachheit nur der eingeschwungene Zustand beschrieben mit Bildern, wie sich Grund- und Obertöne auf einer schwingenden Saite verteilen. Das ist durchaus zulässig, denn schon nach wenigen Schwingungen (bzw. Reflexionen) kann man das näherungweise so betrachten.
(Für eine wissenschaftliche Arbeit empfehle ich auch die Lektüre zur (elektrischen) Leitungstheorie, die läßt sich auch trefflich auf mechanische Schwinger übertragen. Ich habe so etwas einmal allerdings für Torsionsschwingungen in einem Elektromotor gemacht (Anker-Welle-Antriebseinheit). Man muß nur die Schwingungsdifferentialgleichung entsprechend hinschreiben und die Analogien ausnutzen).
Beim Anschlag, solange sich die Wellen nicht durch Resonanz auf einen Ton "geeinigt" haben, enthält die Schwingung sogar "Obertöne", die nicht zum gegriffenen Ton gehören. Sie klingen jedoch sehr schnell ab.
Die schwingende Saite gibt einen Teil der Energie an den Sattel ab, einen Teil an Bundstab/Hals. Am Hals ist das kein so erwünschter Effekt, daher versucht man diesen Teil zu unterbinden, und das geschieht durch die Verwendung dichterer und schwererer Materialien dort und an der Kopfplatte (wie in dem englischsprachigen Artikel beschrieben).
Am Steg soll mehr Energie abgegeben werden (aber nicht alle, sonst würde die Saite sofort aufhören zu schwingen). Dort wird die Schwingung auf die Schalldecke abgegeben. Die Saite gibt nur einen winzigen Teil ihrer Schwingung direkt an die Luft ab. Die Schalldecke schwingt also. Ein Teil der Schwingungen wird direkt von der Decke an die umgebende Luft abgestrahlt. Ein Teil versetzt den Hohlraum in Schwingung.
Hohe Töne werden eher direkt vorne abgestrahlt, tiefe über den Resonanzraum abgegeben. Gerade die Grundwelle der tiefen Töne kommt überwiegend aus dem Schalloch.
Der Resonanzkörper der Gitarre wirkt hier so ähnlich wie ein
Bandpaß-Gehäuse eines Subwoofers. Und der Hinweis auf einen
Helmholtz-Resonator ist durchaus richtig, wenngleich die Austrittsöffnung bei der Gitarre nur ein Loch ist und
keine Luftsäule. Gleichzeitig ist aber auch die Lektüre über Raumakustik interessant, denn auch
die Betrachtung von stehenden Wellen ist möglich. Allerdings wird durch die geschwungene Form nicht unbedingt eine einzige Frequenz bevorzugt. Boden-Decke verdient jedoch eine Betrachtung, denn die beiden sind auf der ganzen Fläche parallel.
In irgendeinem Ratgeber habe ich einmal gelesen, daß die Schallwellen von der Saite über das Schalloch ins Innere der Gitarre übertragen werden, aber das ist blanker Unsinn.
Die Gitarre strahlt also ihren Klang nicht von einem einzigen Punkt aus ab, sondern über den ganzen Korpus verteilt, überwiegend von Schalldecke und Schalloch.
Das macht es so schwierig, die Gitarre per Mikrofon in ihrem Klang zu erfassen, wenn man aufgrund von Rückkopplungsgefahr oder Übersprechen bei Aufnahmen nah mikrofonieren muß. Es gibt einige "sweet spots", bei denen es sich besonders natürlich anhört. Diese sind in der Literatur ausführlich beschrieben. Die Wahl des Mikrofonstandorts oder Standorte bei mehreren hängen davon ab, was man "zeigen" will.
Wer jetzt noch tiefer einsteigen will, der kann sich mit dem Wellenwiderstand des Schalls in verschiedenen Medien beschäftigen. Dazu das Thema Anpassung und Reflexion. Und plötzlich stllt man fest, daß der Wirkungsgrad eines Hornlautsprechers oder eines Blechblasinstruments an der guten Wellenanpassung eines Exponentialtrichters liegen
Zur Mikrofontheorie gibt es bei
Schoeps das Mikrofonbuch.
(Aufsätze von Jörg Wuttke). Soweit ich weiß ist das ganze Buch online als pdf zu lesen.
http://www.schoeps.de/de/downloads/papers
Ich hoffe, das bringt etwas Klarheit und eventuell eine neue Sichtweise
Christoph