Nur der originale Amp reagiert auf seinen originalen EQ, was man beim Kemper nachträglich ändert ist immer etwas anderes (nicht schlechter).
Man kann am Kemper viel nachjustieren, aber das ist etwas wo er mMn kurztritt: das Profile ist immer ein Snapshot von einem end2end setup.
Einfach "den einen 2203 dazu Channel-/Mastervolume, Gain, 3-Band-EQ, Effektweg" ist modelling und kein Profile.
Das war für mich der Hauptgrund, weshalb ich beim
Axe-Fx II gelandet bin. So toll die Profiles des Kemper sind, wollte ich nicht darauf verzichten, die einzelnen Amps genau auf mein Setup und meinen Geschmack anzupassen. Die Werkspresets sind beim Axe-Fx II eh Müll, aber wenn man in alles eingreifen kann vom Tonestack über den Bright-Cap bis hin zu den Endstufenröhren und Trafos, hat man unendlich viele Möglichkeiten,
jeden Sound zu verwirklichen,
den man im Kopf hat. Insbesondere Gain und Klangregelung des Kemper haben mich in dem Punkt nicht so überzeugt. Irgendwie hatte ich bei jedem größeren Eingriff an diesen Stellen den Eindruck, dass zugleich etwas verloren geht.
Tatsächlich finde ich nicht wenige Amps im
Kemper beim Durchhören durchaus nochmal einen Hauch authentischer als beim Axe - aber das gilt eben vor allem im DI-Sound, wenn also das komplette Profil genutzt wird. Ein von kundiger Hand erstelltes Profil macht mMn noch immer die größere Annäherung an
diesen einen Sound möglich,
den man zB auf einer Aufnahme gehört hat.
Wenn es denn das ist, was für den stolzen Besitzer Priorität hat.
Für die vom TE ins Spiel gebrachte Anwendung als Ersatz für klassische Amps, also zum Spielen über Endstufe und Box, gibt es beim Kemper aber mMn zwei Handicaps: Zunächst mal der EQ, der eben doch nur ein simpler Graphic EQ ist, aber den Charakter des "Snapshots" nicht in ähnlich individueller Art beinflussen kann wie bei einem echten Amp oder auch einem Modelling, das auf der Echtzeitberechnung des Verhaltens der einzelnen Komponenten fußt.
Und dann eben das Problem, das gefühlte 99 % der Profile die komplette Recording-Kette abbilden. Das Gerät muss also nachträglich das wieder
herausrechnen, was man
nicht braucht, sprich Lautsprecher, Box, Mikrofon, Mikrofonposition und ggf. die Endstufe. Das beruht jeweils auf bestimmten Annahmen, und die müssen sozusagen per "Schätzung" gewonnen werden. Man entfernt sich also zwangsläufig vom Original, ähnlich wie bei jedem Verstellen des EQs.
Beim Modeller ist es genau umgekehrt: Der Entwickler weiß ja, welche Stellen im Code für welches technische Teil stehen, und er muss diese Berechnungen nur weglassen.
Der Modeller nähert sich also theoretisch mit jedem "Weglassen" einer gemodelten Verstärkungsinstanz dem realen Amp an, während sich der Profiler mit jedem Weglassen davon entfernt. Das Resultat habe ich heute mal wieder ausprobiert - und habe festgestellt, dass der Custom-Marshall, den ich bei meinem alten BOSS GT-Pro programmiert habe, als reine Preamp-Simulation über meine reale Röhrenendstufe und 2x12er so überraschend gut klingt, dass er sich in dieser Anwendung sowohl mit hochwertigen Röhren-Preamps (Egnater, Groove Tubes, Brunetti) als auch mit dem Axe-Fx II durchaus messen kann. Kein Mensch würde das GT-Pro dabei als "steril, typisch digital" oder sonstwas negatives heraushören. Sicher, das gilt nicht für alle Models, aber man hört, was für diese einfachere Anwendung grundsätzlich schon vor 15 Jahren (!) möglich war.
Wenn man also einen quasi reduzierten Kemper bauen würde, würde er mMn seinen wesentlichen Vorteil verlieren, nämlich die
authentische Abbildung einer komplexen Signalkette. Die Technologie wäre mit dem reinen Amp-Profiling eigentlich unterfordert. Gleichzeitig könnte er das prinzipbedingt weniger gut leisten, was man von einem klassischen Amp erwartet, nämlich seinen persönlichen Sound in möglichst vielen Facetten individuell formen zu können - und nicht zuletzt, den Amp an die eigene(n) Gitarre(n) anzupassen. Umgehen könnte man das nur, indem man eine Unmenge von verschiedenen Einstellungen der Amps jeweils als eigenes Profil einbauen und die dann womöglich ineinander "morphen" (erinnert sich noch jemand an DigiTechs GNX-Serie?) könnte, um Zwischeneinstellungen zu erzeugen. Könnte man wohl machen, wäre aber gewiss nicht billiger, weil ein ganz neuer technischer Ansatz, der wahrscheinlich auch doppelt soviel Prozessorpower bräuchte...
Letzter, nicht ganz unwichtiger Punkt des TE ist der Verzicht auf die Möglichkeit zum eigenen Profiling.
Gerade die wäre aus meiner Sicht aber bei dieser Anwendung unverzichtbar. Denn aufgrund der Schwäche in den Einstellmöglichkeiten ist man eigentlich darauf angewiesen, den Amp erst mal zu besitzen (oder zu leihen), ihn so einzustellen, dass er für einen "richtig" klingt, und das dann selbst als Profil festzuhalten. Da man das über den Line Out des Amps ohne Frequenzkorrektur bzw. Speaker Sim machen könnte (weil man ja über eine reale Box spielt), würde das im Gegensatz zum Mikrofonieren auch keine besonderen Kenntnisse oder tolle Geräte erfordern. Allenfalls einen Lastwiderstand, wenn die Endstufe mit profiliert werden soll. Dieses "reduzierte" Profiling wäre für mich jedenfalls nötig, um die geringeren Eingriffsmöglichkeiten zu kompensieren.
Gruß, bagotrix