Na, also wenn DAS keine Kulturkritik ist, weiß ich's auch nicht mehr...

Du nennst einige ziemlich bedenkliche Tendenzen klar beim Namen, und letztlich stellst du Uniformität und Gleichförmigkeit fest. Das ist schon eine Kritik.
Guter Gedankengang, ähnliches ging mir auch durch den Kopf. Aber: hier sind ja gar nicht alle User damit beschäftigt, Songs zu komponieren und aufzunehmen. Ich halte mich hier u.a. deswegen auf, weil man hier mit interessanten Leuten über Musik reden und diskutieren kann. Wenn ich Musik machen will, dann doch nicht hier im Board oder für das Board - ich bin ganz froh, jetzt gerade nicht zu spielen. Spielen tu ich genug im Job (Musiker und Musiklehrer). In meiner Freizeit beschäftige ich mich auch gerne mit Musik, aber Aufnahmen zu machen, liegt mir momentan eher fern. Ich kenne genug andere Live-Musiker, die auch keine besondere Affinität zu Aufnahmen haben. Geile Musik zu spielen, ist schon eine andere Baustelle, als geile Songs aufzunehmen.
Musiker sind Kulturreproduzenten. Jeder Musiker gibt die Kultur wieder, in der er lebt und die er verinnerlicht hat. Das dürfte sozusagen ein Axiom im Umgang mit Musik sein, denn es ist (vermutlich) unmöglich, aus der eigenen kulturellen Prägung auszubrechen. Von daher würde ich deine erste Frage so beantworten: Bands sind in der Tat unfähig, aus ihrer Musikkultur auszubrechen. Wenn sie aber auch nicht aus ihrem
Genre ausbrechen, wollen sie einfach nicht. Denn durch Analyse kann man (wenn man will!) andere Genre und Stile kennenlernen und sich aneigenen - wer das nicht tut, will es nicht.
Hehe...auch eine interessante Frage, die seit Jahren durchs Board geistert! Letztens gab es dazu
diese Diskussion, aus der ich dann
eine weitere Grundsatzdiskussion gestartet habe. Meine Meinung dazu: ja, als temporäres Zwischenziel ist das sinnvoll.
Übrigens ist diese Diskussion hier schon musikwissenschaftlich, weil es den Umgang von Musikern mit Musik grundsätzlich thematisiert, einschließlich der dahinterstehenden philosophischen Sinnfragen. Ggf. würde ich den Thread auch in die Musikwissenschaft verschieben, je nachdem wie er sich entwickelt.
Das ist gut beobachtet - aber letztlich nur eine Ausformung der Tatsache, daß Subkulturen immer wieder zu kommerzialisierten Hochkulturen werden. In der Popularmusik ist Uniformität eine grundlegende Tendenz - die kreative, unberechenbare Seite allerdings ebenso. Die Phasen, in denen Kreativität nur ein wenig kommerzialisiert war, waren meist die spannendsten: der New-Orleans-Jazz, die Frühphase der Swing-Ära, die Entwicklung des Rock'n-Roll in dern 50ern, die ersten Hip-Hop-Scheiben. Bis heute wird jede kreative Tendenz von der Industrie schnell aufgegriffen und verwurstet. Das gilt für die löchrige Jeans ebenso wie für jedes andere unangepasste Kulturgut.
Interessant finde ich dabei, daß alle Popularmusik mit Groove arbeitet - also strengen rhythmischen Mustern, egal ob Ragtime oder Techno. Gleichzeitig transportiert Popularmusik aber gesellschaftliche Loslösung, Entgrenzung und Freiheit. Ebenso bewegt sich das Outfit der Musiker zwischen diesen Polen der strengen Muster und der Ungebundenheit. Wenn allerdings Einfallslosigkeit dazukommt, sind die strengen Muster wesentlich einfacher einzuhalten...vielleicht kommen die vielen schwarzen Klamotten daher.
Stimmt zwar - das Interessante ist aber, daß selbst Musiker sich den Verkäuflichkeitskriterien unterwerfen, deren Musik eh nicht gekauft wird.
Vom kulturell-idealistischen Standpunkt

aus
könnten sich 5 junge, engagierte Musiker zu einer Metalband zusammenfinden, möglichst alle Konventionen hinter sich lassen und neue kreative Wege erforschen. Musik machen um der Musik willen, weil Kommerz keine Rolle spielt. In der Realität aber spielen da sofort kommerzielle Ideale, gesellschaftliche Konventionen und die normative Kraft des Faktischen mit hinein, bis der anfänglich mögliche Aufbruch in die Unangepasstheit schnell wieder in alten Formen steckenbleibt. Und zwar, ohne dass real irgendwie Geld geflossen ist - alleine sich in einem möglicherweise Kommerz-nahen Umfeld zu bewegen, bewirkt schon eine Anpassung.
Weil Musik Kulturvermittlung ist. Und Vermittlung bedeutet eben zu einem ganz großen Teil auch Bestätigung und Wiederholung. An dem Punkt, wo Kultur sich selbst in Frage stellt, wird sie zwar hochinteressant, aber unkommerziell und unpopulär. Geht jemand von euch auf die documenta in Kassel? Noch bis zum 16.9.! Da gibt's (teilweise...) unangepasste Kultur, die sich selbst in Frage stellt. Oder im nächsten Opernhaus um die Ecke. Aber trotz hoher Subventionen ist eher wenig Publikum bereit, Kultur zu hinterfragen. Stattdessen wird die Kopie der Kopie gefeiert, wie du richtig bemerkst. Wenn man's ganz grundsätzlich sieht, zelebrieren wir hier übrigens auch gerade die Kopie der Kopie der gesellschaftlich-kulturellen Hinterfragung...die gibt's spätestens auch schon seit den alten Griechen.
Am Rande: solange man Bands beschreibt, also Popularmusik, muss man innerhalb der Klischees bleiben, die eben konstitutiv für Popularmusik sind.
Hmmm...Musik ist - darin stimmen wir sicher überein - nur ein Teil der Show. Auf der Bühne zählt das Optische auch sehr viel, oft gleich viel oder mehr als das Musikalische. Es ist zwar nett, einen bedeutungsvollen Song zu haben, aber die Präsentation ist alles andere als nebensächlich. Kein Musiker wird nur als Frequenzproduzent berühmt, sondern vielmehr als Darsteller von dramaturgisch glaubhaften musikalischen Situationen.
Harald
Hallo Harald,
damit wir uns nicht missverstehen: es geht mir nicht um "bedeutungsvolle Songs".
Bedeutungsschwangere Songs werden nie Popsongs, weil der Wille, etwas Bedeutendes mit seinem Song zu sagen, die Selbstverständlichkeit beim Texten und Komponieren verhindert.
Überzeugungstätersongs von Leuten "die etwas mit ihrer Musik bewirken wollen" sind das Schlimmste überhaupt.
Ich muss Dir übrigens vehement widersprechen:
die Show auf der Bühne, das Image des Künstlers usw. hat NICHTS mit Musik zu tun. GAR NICHTS!
Musik ist eine Aneinanderreihung von Tönen in eine Gesamtheit, die beim Hörer eine Wirkung erzeugen kann.
Nix gucken, nix anfassen: HÖREN!!!!!
Musik HÖRT man, man GUCKT sie nicht!
Das besondere an Musik ist, dass sie ausschließlich das Gehör anspricht, daher die volle Phantasie des Hörers anspricht/anregt, Gefühle erzeugt.
Musik ist daher die hinterhältigste Kunstform.
Der Unterschied zwischen Musik hören und eine Musikshow sehen ist wie der Unterschied zwischen ein Buch lesen und die Verfilmung im TV sehen:
das Buch lässt dem Leser mehr Raum für Eigenes, denn nichts ist radikaler und konventionslosser als die menschliche Phantasie - das holt kein Film auf!
Klar: Musiker, die beim Konzert nur rumstehen, keine Show machen, will keiner sehen.
Aber hier geht es doch um die Musik an sich.
Sobald die Show mehr Stellenwert einnimmt als die Musik, sobald die Waage zu dieser Seite umkippt, wenn Show, Aussehen, Image usw. mehr zählen als die Musik und der Song selbst - dann sind wir nicht mehr bei der Musik, sondern bei Musikprodukten wie Dieter Bohlen, Boygroups oder eben Lady Gaga, deren Songs nichts aber auch wirklich nichts haben, kein Genie, kein Verve, nichts. Zum größten Teil nichtmal tanzbar.
Letztere hat nur verstanden, dass es fürs Geldverdienen nicht auf die Musik ankommt, sondern nur auf die Verkaufe: lauf immer schrill rum, lass die Leute im Unklaren, ob Du Junge oder Mädchen bist - und schon verkauft sich Dein zusammengeklauter, belangloser Hilfsdiscoschrott bis zum Erbrechen.
Hier ging es aber daraum, ob Musiker sich aus Konventionen ihres sonstigen Lebens oder aber den Konditionen der Musikszene befreien müssen, um gute Songs zu schreiben.
Dicke Show auf der Bühne zu machen, ist nicht sich von Konventionen befreien - es ist das Gegenteil.
Greetz
EDIT (weil mir noch was einfällt, ein "kleiner" Exkurs):
Vor einigen Jahrzehnten, als das TV in die Wohnzimmer einzog, kamen einige Fernsehmacher auf die Idee, das Playback bzw. Halbplayback einzuführen. Aus Kostengründen, um die großen Orchester eiinzusparen.
Selbstverständlich haben das Produzenten ausgenutzt, haben telegene Leute ins Rennen geschickt, die gut aussahen aber nicht singen konnten, bzw. kein Instrument spielten.
Eingesungen haben es irgendwelche Studiomucker - angefangen bei "The Teens" über "Boney M" bis zu "Milli Vanilli".
Dann kam MTV und Viva - das Musikvideo, also die anfänglich nur als visuelle Unterstützung der jeweiligen Songs gedachte Kunstform verselbständigte sich.
Die Optik wurde nochmals wichtiger als der Inhalt, sprich die Musik. Auch hier kamen die Produzenten mit ihrer Fakerei.
Das Ergebnis von sowas sind dann eben Boygroups, Bohlen und..... "Blümchen". LOL
"Video- killed the radiostar" hieß das erste Lied, das auf MTV international gezeigt wurde.
eigentlich müsste es heißen "Musicvideo killed the music" - denn heutzutage lassen sich die "Hörer" durch Optik einreden, etwas klänge toll.
Lady Gagas Songs wären ohne Musicvideo und ohne ihre schrillen Kostüme auf roten Teppichen (bevor sie noch überhaupt ne Platte aufgenommen hatte LOL) niemals erfolgreich, weil sie einfach hohler Müll sind.
So - und jetzt mal auf uns Musiker bezogen:
wie war das in den 50ern, den 60ern?
Elvis, Stones, Beatles usw. - deren Songs hat man zuerst im Radio gehört.
Man hat sie GEHÖRT - nicht gesehen!
Die Songs an sich haben ihre Wirkung entfaltet, wurden Hits oder Flops. (Junge) Menschen, teilweise ganze Generationen fanden sich darin wieder - oder nicht.
Zeichnete sich ein Hit ab, ja , dann wurde es auch visuell, z. B. in der BRAVO, manchmal auch im Fernsehen.
Aber durchsetzen mussten sich die Musiker erst über das reine Hören ihrer Musik. Die Musik an sich musste wirken.
Konzerte waren damals selten, die wenigsten konnten sie besuchen.
Zeitblende, kommen wir auf die heutige Situation:
man kann ein Konzert einer unbekannten Band besuchen, und dabei richtig Spaß haben - z. B. weil einem die Virtuosität gefällt, oder (was mir immer wichtig ist) weil man die Spannung im Zusammenspiel der Musiker spürt.
Wenn sie denn wirklich zusammenspielen und nicht gegeneinander...;-)
Aber mal im Ernst: wie stark ist man wirklich von den SONGS angetan, passiert es einem wirklich, dass man die SONGS toll findet?
Und jetzt kommt der dicke Otto:
Ihr selbst, Ihr Amateur- oder Semiprofibands tretet ja ERST auf - und macht vielleicht irgendwann, Jahre später ne Platte. Oder auch nicht.
Das heißt: Euer Publikum wird nie nur der reinen Musik ausgesetzt, ohne von Eurem Aussehen, Eurer Kleidung, Eurer Coolness, Eurem Image, Eurer Show usw. beeinflusst zu sein.
Denn sie hören Euch ja nicht vorher 50 mal im Radio und gehen dann zu Eurem Konzert - sondern ausschließlich dahin.
Das bedeutet für den Musiker, dass er keinerlei Regulativ für die Qualität seiner Songs hat.
Und auch deshalb schreiben so unglaublich viele Musiker so unglaublich viele überflüssige Songs.
Lösung: keine Konzerte geben, ausschließlich proben und Songs schreiben.
Die Songs aufnehmen und veröffentlichen.
Werden sie Hits: Konzerte geben.
Werden sie Flops: nur noch in Coverbands spielen - und mir nicht mehr mit schlechten Songs auf den Sack gehen.
Greetz
(hihihi, die letzten beiden Absätze waren natürlich nur Jux)